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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer





F. B.

Die Freimaurerei und ihre Jünger

Der Begriff Jünger (von althochdeutsch jungiro = Lehrling, aus jung) bezeichnet ein Mitglied der Gefolgschaft einer Leitfigur bzw. Schüler eines religiösen Meisters. Der Meister (lateinisch: magister) als weise Persönlichkeit hat sich entweder als Stifter einer Religion oder durch die besondere Auslegung religiöser Schriften ausgezeichnet. Die Jünger bilden um ihn im engsten Kreis eine Elite mit einem besonderen Anspruch und hervorgehobener Autorität in der umgebenden Gemeinde. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ergänzt sich neben dem Erwerb von Wissen und Fähigkeiten durch die Erfahrung der Gemeinschaft, die persönlichen Verbundenheit sowie durch gegenseitiges Vertrauen. Nach dem Tod des Stifters wirken die Jünger weiter als dessen Augenzeugen und Missionare. Sie bilden so als eine Gemeinschaft der Zeugen und Märtyrer, die das Entstehen neuer gleichgesinnter Gruppierungen fördert. Im christlichen Bereich ist in Nachfolgegemeinschaften die gegenseitige Anrede "Bruder" üblich.

Rudolf K. Goldschmit-Jentner (Die Begegnung mit dem Genius - Fischer Bücherei KG, Frankfurt am Main und Hamburg, 1954 - Kapitel Jesus und Judas) erkennt richtig:

Jüngerschaft und Gefolgschaft setzen den Glauben an die Unfehlbarkeit des Meisters voraus. Irdische Unfehlbarkeit eines Menschen bedarf aber der Anerkennung seiner Göttlichkeit oder des Beweises seiner Gotteskindschaft. Bedingungslose unkritische Gefolgschaft wirkt für den Jünger segensreich, solange er in Entwicklung, Umwälzung und Neuordnung der Persönlichkeit begriffen ist oder wenn er sich als Gefolgsmann zur Demut ewiger Abhängigkeit entschließt.

Für die fernere persönliche Entwicklung arbeitet Goldschmit-Jentner dann eine drastische, prinzipbedingte Änderung der Verhaltenstruktur des Jüngers heraus:

Wenn aber der Jünger als Eigengeist an die Grenze gelangt, da die Selbstverwirklichung seiner Persönlichkeit beginnt, muß er sich von der Bindung an den Führer befreien. Der Jünger verliert die Möglichkeit schicksalhafter Selbstverwirklichung, wenn er über seine Entwicklung und Krisis hinaus den Werkinhalt des Meisters als alleiniges Gesetz für seine geistige Substanz anerkennt. Was beim Meister aus Quellen der Kraft fließt, wird bei den Jüngern leicht zum Merkmal unschöpferischer und für die Geschichte untragbarer Schwäche: zur Intoleranz gegenüber den lebendigen Kräften, die in zersetzender, zerstörender Gewalt enden kann. So steht jeder Jünger eines Tages vor der tragischen Entscheidung: sein Ich aufgehen zu lassen in der vom Genius gestellten Lebensaufgabe und der durch ihn bestimmten Lebenssphäre, also sein Ich darin auszulöschen, oder aber durch Trennung und Abfall sich in eigener Aufgabe und Sendung zu verwirklichen.

Die Notwendigkeit eines Freiheitsbereiches für den Jünger erklärt Goldschmit-Jentner folgendermaßen:

Zu allen Zeiten waren die Jünger unschöpferisch. Sie empfingen ihren Wert, oft auch ihre Geltung und ihre Lebensmöglichkeit von der Kraft des Meisters. In der bedingungslosen Nachfolge lag ihr Glück, lag die Berechtigung ihrer Unduldsamkeit gegen Andersgläubige. ( ... ) Sie verzichteten auf eigenes Urteil und liehen sich das Dogma des Meisters als das Maß der Welt. Aber das Werk des Meisters wurde nie von den Jüngern, sondern von verstehenden Nacherlebenden fortgesetzt. Um die Lehre des Herrn weiterzuführen, bedarf es der inneren Freiheit gegenüber dem Dogma des Meisters. Nur wer die Kühnheit und die Souveränität besitzt, das Erbe aus der Verbundenheit mit dem Zeitgeist herauszulösen, weiterzuleiten und zu erweitern, wird schöpferisch sein. Der Jünger hängt sklavisch an dem Meister und erstarrt in Unduldsamkeit. Es gibt aber kein irdisches Werk, das außerhalb der kritischen Fortbildung stünde.

Abschließend faßt Goldschmit-Jentner die Ambivalenz im Jüngerdasein zusammen:

Die Jünger eines Genies sind nicht immer die besten Verwalter und Apostel seines Erbes. Sie verfallen entweder einem Dogmatismus, der anderen, nicht durch die dogmatische Bindung an den Meister abgestempelten Geistern den Zugang zum Werk und zur Gestalt des Meisters verbaut, oder sie legen sich aus den Lehren und dem Leben des Genies, dem sie anhangen, ein Weltbild zurecht, das eines Tages plötzlich nicht mehr mit dem weiteren Schicksal des Meisters übereinstimmt und sie vor diesem Schicksal ahnungslos und hilflos stehen läßt.

Welche Ähnlichkeiten haben nun die beschriebenen Gemeinschaften mit den Gruppierungen in der Freimaurerei?

Die Bezeichnung "Jünger" für einen Freimaurer ist unüblich und im strengeren Sinne auch falsch, denn die Freimaurerei ist keine Religion oder anderes religiöses Gebilde und hat kein Dogma. Natürlich gibt es in Freimaurerlogen Brüder, die den Meistergrad erreicht haben und in führender Position als "Meister" angesprochen werden. Doch die Brüder, die sie umgeben, sind nicht ihr Gefolge bzw. Jünger. Auch die "alten Meister" der Loge sind nicht Lehrmeister für eine Jüngerschar, obwohl dieser oder jener ein solches gern für sich in Anspruch nehmen würde.

Entwicklungsstadien und Fehlentwicklungen haben aber Ähnlichkeiten zu den Jüngern eines religiösen Meisters:

Vor der Kritik kommt zuerst bei einem jungen Bruder das Einarbeiten und Einfinden in den freimaurerischen Rahmen. Dabei unterstützt wird er durch seinen Bürgen, der ihm schon vor der Aufnahme mit Rat und Tat zur Seite steht, und dem Werkmeister, der allen Brüdern mit seinem Wissen auf Nachfrage hilft. Da die Freimaurerei kein Dogma kennt, wird die erste Phase vom jungen Bruder schnell durchlaufen mit dem Drang, größere Höhen für sich und die Bruderschaft zu erreichen bzw. sich in der Gruppe der Brüder zu etablieren. Hier liegt dann auch die eigentliche Problematik: Wenn ein Bruder nicht hinreichend freimaurerisch ausgebildet ist, im Vordergrund nicht die Arbeit an seinem eigenen "Rauhen Stein" steht, wird er schnell alle als störend empfundenen "Fesseln" durchschneiden. Das führt dann dazu, daß von dem jungen Bruder versucht wird, das geistige und rituelle Erbe der Freimaurerei aus dem scheinbar zu erkennenden Zeitgeist herauszulösen. Da dieser Ansatz hinreichend Arbeit für das restliche Freimaurerleben des jungen stürmischen Bruders bietet, wird ihm wenig Zeit verbleiben, seine eigene Entwicklung voranzutreiben. Warum auch? Der Bruder meint ja bereits schon den endgültigen Durchblick erreicht zu haben. Zum angeblichen Wohle der Bruderschaft wird er dann mit mehr oder weniger schönen Worten versuchen, seine Erkenntnisse in das freimaurerische Konstrukt einzubringen und dabei auch vor dem Aufstellen von eigenen Dogmen nicht zurückschrecken.

Leider wiederholt sich die geschilderte Problematik immer wieder auf ein Neues in den Freimaurerlogen, da sie systemimmanent ist. Durch Rückbesinnung auf die alten rituellen Quellen war es den Brüder Freimaurern bisher möglich, Fehlentwicklungen wieder zu korrigieren (siehe Strikte Observanz). Strukturen, die sich über Jahrhunderte als zweckmäßig erwiesen haben, vielleicht sogar noch aus der Tradition der Bauhütten stammen, können eigentlich nicht plötzlich ihren Wert verlieren. Wenn doch, dann kann es sich durchaus um eine Fehlinterpretation oder ein Mißverständnis handeln. Aus dieser Sicht sei dem Bruder, der Änderungen und angebliche Weiterentwicklungen heftig favorisiert, dringend empfohlen zu prüfen, ob ihn bei seinem Begehren nicht vielleicht doch nur der eigene Schimmer trügt.



Wer je die Flamme umschritt
bleibe der Flamme Trabant!
Wie er auch wandert und kreist,
solange ihr Schein ihn erreicht,
irrt er zuweit nie vom Ziel.
Nur wenn sein Blick sie verlor,
eigener Schimmer ihn trügt,
fehlt ihm der Mitte Gesetz,
treibt er zerstiebend ins All.

Stefan George (1868 - 1933)