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Unser Bruder Fritz Hinz beobachtete 1971 die Auswirkung der 68er-Bewegung: "Wir erleben ein Beispiel dafür heute an den Universitäten, wo eine gut organisierte Minderheit der Studentenschaft versucht, durch Terror ideologischen Vorstellungen Geltung zu verschaffen, die von der Allgemeinheit abgelehnt werden. Ihr Kampf richtet sich folgerichtig gegen die Autorität der bestehenden Ordnung." Beunruhigt durch die Erkenntnis, daß "die Gegenwart im Zeichen das Autoritätsabbaus und des Autoritätsverfalls zu stehen scheint", entstand der nachstehende Vortrag, den er im April 1971 vorgetragen hat. Heute, 30 Jahre danach, müssen wir uns fragen, ob es gelungen ist, die Autorität zu demontieren. Hat es diesbezüglich vielleicht kontinuierlich Änderungen in unserer Gesellschaft gegeben, die wir gar nicht bewußt wahrgenommen haben? Beanspruchen vielleicht diejenigen, die einst die Autorität abschaffen wollten, heute für sich selbst Autorität? Ist im Zusammenhang mit dem galoppierenden technischen Fortschritt heute eine Neudefinition der Autorität notwendig? Kommt es unter Umständen in der Zukunft zu einer Renaissance der Autorität?



Fritz Hinz

Gedanken über die Autorität

Die geistige Auseinandersetzung ist heute sehr erschwert, weil manche Worte und Begriffe durch Abnutzung und Mißbrauch so stark gelitten haben, daß man sich scheut, sie zu verwenden. Das gilt auch für den Begriff "Autorität". Über seine Vergangenheit und seine im Laufe der Jahrhunderte schwankende Bedeutung für Mensch und Gesellschaft ist eine kleine, sehr interessante Schrift von Theodor Eschenburg, Professor für Politik in Tübingen, erschienen, und ehe ich mich bemühe, Autorität zu erklären und zu beschreiben, wie wir sie heute verstehen sollten, möchte ich in großen Zügen daraus berichten.

Unser Wort "Autorität" hat seinen Ursprung in dem lateinischen "auctoritas", herkommend von "augere'', und das heißt auf deutsch: vermehren, zunehmen, wachsen lassen, auch fördern. In diesem Sinne wurde im alten Rom auctoritas auch verstanden, nämlich als Förderung und Mehrung einer beabsichtigten Entscheidung durch den Rat. Auctoritas war ursprünglich das Recht des Senats, die Konsuln und Prätoren, die vom Volk gewählt wurden und als handelnde Regierung die Befehls- und Vollzugsgewalt (die sogenannte potestas) besaßen, zu beraten, bedeutete also Mehrung des Willens der Regierung durch Weisheit oder ihrer Entscheidung durch Vernunft. Die Anordnung eines Konsuls war zwar nicht ungültig, wenn er den Rat des Senats dazu nicht eingeholt hatte oder wenn er ihn nicht befolgte, aber das ganze öffentliche und private Leben Roms war so von der Überzeugung beherrscht, daß nicht jeder alles und nicht alles allein verstehe und daß es gut sei, den Rat von Persönlichkeiten mit großer Erfahrung, Sachkunde und Verantwortungsgefühl einzuholen, daß daraus eine durch Sitte und Übung gebotene Verpflichtung zur Beratung entstand. Die republikanische Freiheit wurde dadurch nicht gefährdet. Weil der Senat, der den Rat erteilte, sich aus älteren, erfahrenen, klugen und gebildeten Männern zusammensetzte und es seinerzeit eine kostspielige Angelegenheit war, diese Qualifikationen zu erreichen, die neben großem Vermögen auch ausreichende Muße verlangten, so entstammten die Senatoren der begüterten Oberschicht, die allein sich das leisten konnte. Aus ihr kamen die Ratgeber, die Räte, und so nahm in der Folge der Begriff auctoritas auch die Bedeutung von Klugheit, Umsicht, Bildung und Überlegenheit an.

Das galt etwa für die Zeit von 500 v. Chr. bis zur Zeitenwende. Als dann Augustus als erster römischer Kaiser die Republik ablöste, wandelte sich die Bedeutung der auctoritas. Die alte römische Republik kannte die dauernde und überragende auctoritas einer Einzelperson ursprünglich nicht. Sie entstand jetzt, als Augustus alle Ämter in Personalunion auf sich vereinigte und damit die potestas, die Staatsgewalt allein ausübte. Aber weil er ein kluger Mann war und kein Tyrann, ließ er den Senat bestehen, legte ihm jedoch nahe, was er zu raten habe, wenn er ihn befragte. Die auctoritas des Senats verwandelte sich damit in die auctoritas des Augustus. In der späten Kaiserzeit vereinigten sich auctoritas und potestas, Autorität und Staatsgewalt zur unumschränkten Herrschaft und kaiserlichen Macht. Wie früher die Senatsbeschlüsse, so hatten jetzt die kaiserlichen Gesetze auctoritas. Und wenn auch auctoritas und potestas miteinander verschmolzen waren, so hatte doch auctoritas den pathetischeren Klang und betonte die Herrschaftsbegabung des Kaisers.

Durch das Christentum und die sich etablierende katholische Kirche wandelte sich der Begriff der auctoritas von neuem. Der vieldeutige Begriff aus der römischen Staatspraxis wurde den Interessen und Bedürfnissen des Katholizismus angepaßt. In den heidnischen Religionen und auch in der römischen Götterwelt hatte der Begriff auctoritas kaum eine Rolle gespielt. Die katholische Kirche entnahm ihn aus der rechtlichen und politischen Terminologie des kaiserlichen Imperiums. Für sie war und ist Gott die höchste auctoritas; er hat und braucht keinen Ratgeber, und weil die Bibel die Offenbarung göttlichen Willens ist, hat auch sie göttliche Autorität. Sie bedeutete deshalb absolute Wahrheit; alle anderen Lehren waren falsch und mußten abgelehnt werden. Die kirchliche Autorität war also spiritueller Natur. In der frühchristlichen Zeit hatte das Bischofsamt zwar eine Bedeutung, aber Autorität besaß es noch nicht. Den Bischöfen stand in erster Linie die Lehrmitteilung, das Taufrecht sowie die Vergebung von leichten Sünden zu. Die Kirche war um das Jahr 200 eine Gemeinschaft von Gläubigen, die Bischöfe Vorsitzende ihrer Gemeinde, nicht deren Herren.

Je mehr der ursprüngliche christliche Enthusiasmus erlahmte, um so stärker war das Bedürfnis nach organisatorischen, Dauer versprechenden Formen. Langsam setzte die Entwicklung zur Anstalts-, Amts- und Priesterkirche ein. An die Stelle des zunächst genossenschaftlichen Aufbaus trat in den einzelnen Gemeinden die feste hierarchische Organisation mit dem Bischof an der Spitze, der nun auch als Amtsperson auctoritas erhielt, um sich gegen äußeren Druck zu wehren und Aufsplitterung und Häresie zu verhindern. Die einzelnen Gemeinden im weiten römischen Reich wurden zu einem verbandsähnlichen Gebilde zusammengefaßt, dessen oberstes Organ die von Zeit zu Zeit zusammentretende Bischofssynode darstellte. Modell für diese Institutionalisierung war die römische Staatsorganisation mit dem wesentlichen Unterschied, daß die Bischöfe untereinander gleichberechtigt waren. Ein gemeinsames Oberhaupt, wie es der weltliche Staat hatte, gab es zunächst nicht, obwohl der Bischof von Rom als der Gemeinde des Apostel Petrus dessen Lehrautorität und den Rang des primus inter pares für sich in Anspruch nahm. Als Theodosius der Große im Jahre 381 allen Untertanen des römischen Reiches befahl, den christlichen Glauben anzunehmen und 10 Jahre später alle heidnischen Religionen verbot, traten dogmatische Autorität der Kirche und kaiserliche Macht in ein enges Verhältnis.

Dem römischen Imperium entsprach die Reichskirche. Die Kaiser waren zunächst in Kirchenfragen oberste Gesetzgeber. Sie hatten das Recht, Bischöfe zu ernennen und abzusetzen. Das Dogma konnten sie zwar nicht ändern, aber es konnte ohne sie auch nicht geändert werden. Das war Sache der Synoden und Konzile, auf die sie allerdings erheblichen Einfluss hatten. Leo I, einem römischen Bischof aristokratischer Herkunft von hoher staatspolitischer Begabung, gelang es, politische Schwierigkeiten auszunutzen und unter dem Kaiser Valentinian III im Jahre 445 ein Gesetz zu erreichen, das den Bischof von Rom als Oberhaupt der weströmischen Kirche einsetzte und zum Papst erklärte. Seinen kirchlichen Verfügungen wurde gesetzliche Geltung zugesprochen. So wie die römischen Herrscher ihre auctoritas von Augustus, dem ersten römischen Kaiser herleiteten, so leiteten die Päpste jetzt die auctoritas sedis apostolicae, die Autorität des apostolischen Stuhles, was immer man darunter verstehen mochte, von Petrus, dem ersten der Apostel ab, und betrachteten sich als dessen legitime Nachfolger. Damit begann der Streit um den Vorrang zwischen weltlicher Macht und geistlicher Autorität, der sich über Jahrhunderte hinzog.

Hatte Leo I. im Kaiser noch das Haupt der Kirche gesehen, so forderte 20 Jahre später Papst Gelasius I. die Gleichstellung des Papstes mit dem Kaiser, und zwar sollte dieser geistlich unter und nur weltlich über der Kirche stehen. Während sich die kirchliche Macht von ihrer in Gott begründeten Autorität ableitete, war die Macht des Kaisers unmittelbar und nicht abgeleitet. Damit blieb die Frage kaiserlicher Autorität offen. Dieser ethische und erhabene Begriff blieb der Kirche vorbehalten.

Im Jahre 751 erhielt diese kirchliche Autorität zum ersten Mal politische Bedeutung, als nämlich der Papst Zacharias nach Absetzung der Merowinger Pippin den Kurzen zum König des Frankenreiches salbte und damit dessen Macht gegen die angestammten Fürsten legitimierte. Er tat es übrigens nicht umsonst. 756, nach zwei siegreichen Feldzügen gegen die Langobarden, schenkte Pippin dem Papst, inzwischen war es Stephan II, das Exarchat Ravenna, den sogenannten Kirchenstaat. Damit wurde der Papst auch weltlicher Herrscher. Mochten Kaiser und Könige Land und Macht verlieren, die päpstliche Autorität beruhte auf göttlicher Stiftung und war unverlierbar, mußte daher auch von den Bischöfen und weltlichen Herrschern anerkannt werden. Die Grenzen dieser Autorität wurden von den jeweiligen politischen Verhältnissen, aber mehr noch von der Persönlichkeit der Päpste bestimmt. So ein starker Papst war Gregor VII.

Nach seinen 27 Thesen ist der Papst kraft seiner von Gott stammenden Autorität der oberste Herr der Welt. Er darf von niemanden gerichtet werden. Er kann von der Treueverpflichtung gegenüber Ungerechten freisprechen, und ihm allein ist es erlaubt, sogar Kaiser abzusetzen. Im Jahre 1076 tat er das auch. Im Zuge des sogenannten Investiturstreites sprach er den Bann gegen Heinrich IV aus. Nach mittelalterlicher Rechtsauffassung war der Kaiser damit rechtlos und vogelfrei. Um sich vom Bann zu lösen, durch den er um seine Autorität gebracht war und durch den er damit auch seine Macht verloren hatte, musste Heinrich IV. den bitteren Gang nach Canossa antreten. Für Innozenz III. war der Papst um das Jahr 1200 zwar geringer als Gott, aber größer als jeder Mensch. Für ihn waren die Kaiser Lehnsträger des Papstes, die er auf ihre Eignung prüfte, dann krönte, aber auch absetzen konnte. Die kaiserliche Macht, die potestas, wurde durch päpstliche Autorität bis in das 13. Jahrhundert hinein erst legitimiert.

Thomas von Aquino ( 1225-1274), auf dessen Soziallehre sich die katholische Kirche auch heute noch stützt, verstand die Autorität aus einer anderen Sicht. Für ihn ist der Mensch nach der göttlichen Schöpfungsordnung darauf angelegt im organisierten Verband der Gesellschaft zu leben. Nur in diesem Rahmen vollzieht sich die Befriedigung seiner materiellen Bedürfnisse, seine geistige und sittliche Vervollkommnung. Die Lösung dieser vielfältigen Aufgabe geschieht durch die Beachtung des Gemeinwohls. Da die Individuen das Gemeinwohl für sich allein nicht garantieren können, muß zur Koordinierung der tausendfältigen Bestrebungen eine Kompetenz gefunden werden, und das ist die Autorität. Nur der Mensch oder die Institution besitzt sie, der im göttlichen Auftrag und entsprechend den sittlichen Normen handelt. Sie ist verbunden mit der Befehls- und Vollzugsgewalt, die der Gesellschaft das Gemeinwohl bzw. das Sozialgerechte verbindlich auferlegt. Die Kirche, eine Stiftung Gottes, der ihr unbedingte Autorität übertragen hat, steht selbständig neben dem weltlichen Staat. Sie ist Hüterin des Naturrechts als der sittlichen Ordnung und der Zusammenfassung von geschriebenen und ungeschriebenen Gottesgesetzen. Wenn von den Menschen etwas verlangt wird, was das Naturrecht oder den Willen Gottes verletzt, so haben sie das Recht zum Widerstand, denn wo Gerechtigkeit fehlt, da ist auch keine Autorität.

Mit dem Untergang der Hohenstaufen und dem Niedergang des Papsttums im 14. Jahrhundert verlor der Autoritätsbegriff seine damalige weltumspannende und weltherrschaftliche Bedeutung. Die Kaiser stellten die Reichspolitik mehr und mehr in den Dienst ihrer Hausmacht, und die Päpste sanken zu italienischen Landesfürsten herab und kämpften mit anderen um ihre territorialen Belange. Gegen die eingetretene Entartung wandte sich die Reformation. Martin Luther bekämpfte die von der weltlichen Macht unabhängige, hierarchisch gegliederte Organisation der katholischen Kirche, die Einfluß und Macht mißbrauchte und dadurch einen moralischen Tiefstand erreicht hatte. Er unterstellte seine Kirche dem Landesfürsten als oberstem Bischof. Die dualistische Auffassung des Katholizismus gab er auf, wonach die Macht ihre Legitimität erst durch die Autorität einer unabhängigen Kirche erhielt, die das von Gott stammende Sittengesetz repräsentierte. Luther ist der Urheber des gerade für unser Volk so verhängnisvollen Begriffs der Obrigkeit, die nicht mehr kirchlicher Aufsicht unterstand. Sie war Gott unmittelbar verantwortlich, war "von Gottes Gnaden". Der Christ hatte an die Autorität der Obrigkeit zu glauben. "Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat", übersetzte Luther aus der Bibel. Die Autorität, die nach der alten römischen und der katholischen Auffassung die Befehls- und Vollzugsgewalt erst legitimierte, war damit an die Institution der staatlichen Macht gebunden, und Widerstand gegen diese Obrigkeit war nicht mehr erlaubt, denn sie war von Gott eingesetzt. Autorität, soweit sie nicht religiös bestimmt war, wie die der heiligen Schrift oder wissenschaftlich, wie die gelehrte Autorität oder eine persönliche Beziehung ausdrückte, war Amtsautorität. Mit ihr verband sich in der Folge die Verpflichtung zur Amts- und Autoritätswürdigkeit für das preussisch-deutsche Beamtentum und Offizierskorps und führte einerseits zu strenger Dienstmoral, andererseits aber auch zu besonderem Standesbewußtsein.

In der darauffolgenden Zeit des Absolutismus verlor der Begriff Autorität an Bedeutung. Der Monarch war souverän. Seine Herrschaft war absolut und dauernd, durch Erbfolge legitimiert und durch keine Macht von außen oder innen, weder durch den Papst noch durch das Volk oder seine Vertreter begrenzt. Der Souverän unterstand keiner Gerichtsbarkeit und konnte daher auf Autorität verzichten. Sein Ansehen bei den Untertanen interessierte ihn nicht besonders, und Friedrich-Wilhelm I. soll gesagt haben "Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten".

Damit räumte die französische Revolution auf; die Souveränität ging jetzt vom Volk aus, mit der Autorität tat sie sich schwer. In der geläufigen Form, die immer etwas Patriarchalisches behalten hatte, widersprach sie dem Grundsatz von Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit. Die Aufklärung hatte die Vernunft zur Richtschnur des Handelns gemacht. Für Autorität war da von der Idee des beginnenden Liberalismus her wenig Platz.

Zu reden wäre noch, wenn die geschichtliche Betrachtung abgeschlossen werden soll, über den Autoritätsbegriff in der neueren Zeit der Restauration und des Konservatismus, in der Republik und im Dritten Reich. Im 19. Jahrhundert war Autorität in erster Linie herrschaftliche Ansehensmacht in Verbindung mit der legitimen, konstitutionellen, erblichen Monarchie und mit etwas Christentum. In der Landwirtschaft, besonders auf den großen Gütern, die sich in der Hand des Adels befanden, herrschten die alten patriarchalischen Verhältnisse und gottgewollten Abhängigkeiten, und das aufsteigende Bürgertum, vor allem im Bergbau und in der Schwerindustrie, bemühte sich, diese dort zu übernehmen. So wie die Gutsbesitzer sahen die Unternehmer im lohnabhängigen Arbeiter den Untertanen. Die konstitutionelle Monarchie, die vom Bürgertum bejaht wurde, unterstützte diese aus der Reformationszeit stammenden Obrigkeitsvorstellungen, und die Kirchen halfen dabei mit. Der Monarch war jetzt an die Verfassung gebunden, von ihr erhielt er seine Autorität, die nun nicht mehr in erster Linie auf der Macht der Gewalt beruhte, sondern mit dem Gesetz verknüpft war.

Das Gesetz sollte für alle gelten; die gesetzgebenden Körperschaften aber setzten sich aus der kleinen Oberschicht von Adel und gehobenem Bürgertum zusammen und vertraten deren Interessen. Dabei standen Gesetzgebung und Rechtspflege dank einer hochqualifizierten Ministerialbürokratie auf hohem Niveau. In weiten Kreisen bis hinein in große Teile der Arbeiterschaft wurde deshalb an den gerechten Staat geglaubt, nur daher rührte die Autorität seiner Institutionen. Der Gesetzesautorität entsprach eine deutliche Tendenz zur Gesetzestreue; der Staat hinterging nicht, also durfte man ihn auch nicht hintergehen. Die Weimarer Republik löste die starre autoritäre, monarchische Staatsform mit ihrem patriarchalischen Obrigkeitsdenken durch die parlamentarische Demokratie ab und band die politische Autorität ausschließlich an die neue Verfassung. Die Staatsgewalt ging vom Volke aus und wurde durch freigewählte Vertreter repräsentiert. Aber die liberalistische, freiheitlich-demokratische Ordnung erfreute sich von Anfang an keiner großen Beliebtheit, besonders beim Besitzbürgertum, dem alten Offizierskorps und der konservativ erzogenen Beamtenschaft. Weite Kreise konnten den Verlust der geheiligten Autorität im Staat nicht verwinden und verachteten das Gezänk der Parteien und ihrer Funktionäre. Sie gaben der Republik die Schuld an den bitteren Folgen des verlorenen Krieges und sehnten sich nach einer starken Hand, die innere Ordnung und die Macht nach außen wieder herstellen sollte, denn die Autorität des Weimarer Staates, seiner Organe und Männer war schwach.

Demokratien haben es mit der Autorität ihrer Institutionen und Repräsentanten immer schwer gehabt und lange Zeit gebraucht, bis sich eine solche durch Tradition und in Toleranz entwickeln konnte. Es braucht eben ein paar Generationen, bis persönliche Freiheit, Würde des Individuums und Toleranz als neue erhabene Werte sich durchsetzen und zur freiwilligen Anerkennung und Achtung der demokratischen Verfassung ihrer Organe und freigewählten Repräsentanten führen. Als nun auch noch die Weltwirtschaftskrise über den durch einen verlorenen Krieg und Reparationen geschwächten Staat hereinbrach, hatte das neben großer Not und ungeheurer Arbeitslosigkeit eine gefährliche Radikalisierung der Massen zur Folge. Der Ruf nach einem starken Mann wurde immer lauter. Es scheint ein gesellschaftspolitisches Gesetz zu sein, daß Reformversuche und Machtkämpfe um die Herrschaft im Staate oder gar Anarchie einsetzen, wenn öffentlich wahrgenommen wird, daß die Staatsgewalt keine Autorität mehr besitzt. Die Autorität sucht sich dann gewissermaßen einen neuen Träger, auf dem sie sich niederlassen kann. So war es am Ende der Weimarer Republik. Das Volk sehnte sich nach der starken Autorität eines Führers, der es aus der Not und Ausweglosigkeit der dreißiger Jahre herausführen sollte. Es bekam ihn dann auch in der Form eines Diktators. Man hatte sich eine Staatsform mit Autorität gewünscht und erhielt jetzt die Diktatur. Der Diktator Hitler zerstörte jede Autorität, die politische, die kirchliche und auch die in der Familie, um an ihre Stelle die Macht der Gewalt zu setzen.

Das war ein sehr allgemeiner Blick in die Geschichte eines Begriffes, der für die menschliche Gesellschaft große Bedeutung hatte, hat und haben wird. Wenn es mir gelingt, ihn genau zu beschreiben, vor allem aber abzugrenzen gegen den Begriff der Gewalt, der Befehls- und Vollzugsgewalt, sowie der durch Gewalt hergestellten und aufrecht erhaltenen Macht, so daß man unabhängig davon mit ihm denken und arbeiten kann, dann wird sich zeigen, daß Autorität eine Kraft ist, ohne die eine freiheitlich ausgerichtete Gesellschaft nicht auskommen kann. Das entscheidende Problem sehe ich aber in dem praktischen Verhältnis zwischen Macht durch Autorität und Macht durch Gewalt, und darüber wird später einiges zu sagen sein. Ganz leicht ist die Definition von Autorität nicht. Dieser Begriff ist immer sehr unterschiedlich aufgefaßt worden, wie wir schon aus der historischen Betrachtung wissen, und schwankt auch heute in seiner Bedeutung. Ich will es immerhin versuchen und sagen: Autorität ist das Vermögen, die Zustimmung anderer durch Ansehen zu gewinnen, sie ist Ansehensmacht oder Macht durch Ansehen. Ansehen beruht auf dem Vergleich zwischen dem Normalen und dem Besonderen. Wird das Normale, Durchschnittliche, Selbstverständliche übersehen und nicht beachtet, so wird das Besondere, Herausragende und Ungewöhnliche beachtet und angesehen. Wenn es wertvoll ist, genießt es Achtung und Ansehen. Das Besondere kann u. a. sein: Reichtum, Erfolg, Stellung, Macht, Alter, Wissen, Leistung. Da Ansehen auf dem Unterschied zum Normalen beruht, schwindet es auch mit diesem Unterschied. Wird der Arme reich, der Ohnmächtige mächtig, der Junge alt, so sieht er Reichtum, Macht und Alter nicht mehr als etwas Ungewöhnliches an, sie haben für ihn kein Ansehen mehr. Das Ansehen ist also relativ, abhängig vom Gefälle zum Besonderen. Aber Ansehen ist noch nicht Autorität, ihm fehlt noch die Macht und zwar die Macht, die Zustimmung anderer zu gewinnen. Erfolg, Wissen, Leistung schaffen mit ihrem Ansehen allein noch keine Autorität, auch wenn sie mit sittlichen Werten eng verbunden sind. So kann der Assistent mehr Autorität besitzen als der Professor, der ihm an Erfolg, Wissen und Leistung überlegen ist, so kann sich das Ansehen eines Feuerwehrmannes, der ständig in aufopfernder Weise sein Leben für andere einsetzt, bis zur Bewunderung steigern. Autorität fällt ihm damit nicht automatisch zu. Kennzeichen der Autorität sind natürliche Überlegenheit auf der einen und Ehrfurcht bzw. freiwillige Unterwerfung auf der anderen Seite.

Welches Phänomen bringt das zustande? Es ist eine Kraft, die nicht allein aus dem Ansehen stammt und aus dem Gefälle vom Normalen zum Besonderen, sondern aus der Verbindung von Haltung mit Ansehen. Haltung ist die Überwindung des Spontanen durch Beherrschung, der Sieg des Willkürlichen über das Unwillkürliche, der Vernunft über das Triebhafte und damit die eigentliche menschliche, moralische und humane Kraft, die das Chaos in der Welt der Realitäten und das animalische in der eigenen Brust nach Wertmaßstäben ordnet und damit überwindet. Nur wenige Menschen und nicht alle Institutionen genießen daher Autorität, denn diese Kraft ist selten. Die meisten Menschen lassen sich gehen und haben außer dem, was nützlich, zweckmäßig und praktisch ist, nur sehr vage Wertvorstellungen. Sie passen sich an. Aber weil sie ein Gehirn und ein Gewissen haben, ahnen sie sehr wohl, daß man von beidem auch Gebrauch machen kann und sollte. Der eigene Mangel an Haltung ist die Ursache ihrer Ehrfurcht und freiwilligen Unterwerfung und die Quelle der Überlegenheit anderer. Zur Autorität gehören, nach allem, was bisher gesagt wurde, das mit dem Wert verbundene Besondere und die Haltung als beherrschter Wille zur Erreichung des wertvollen Besonderen. Damit ist auch Autorität genau wie Ansehen eine relative Größe, ein Phänomen, aber kein Wert an sich. Ähnlich wie der Mond sein Licht von der Sonne empfängt und dann erst, sozusagen aus zweiter Hand leuchtet, erhält die Autorität ihre seltsame Wirkung erst vom Wert und von der durch diesen bestimmten Haltung. Das gilt gleichermaßen für persönliche wie für institutionelle Autorität. Weil sich aber das allgemeine Wertbewußtsein durch die Jahrhunderte verändert, die Rangfolge der Werte, wie sie als Norm des Handelns für eine Kulturepoche gilt, sich verschiebt, und weil außerdem die Wertvorstellung des Individuums durchaus vom allgemeinen Wertbewußtsein abweichen kann, so kommt es vor, daß Autorität von gestern nicht immer Autorität von heute ist und daß für den einen Autorität ist und hat, was den anderen gleichgültig läßt.

Manche Institutionen, wie z. B. Kirche und Militär, haben daher gegenüber früheren Zeiten für die Allgemeinheit an Autorität verloren; andere, wie das Parlament, haben als gesetzgebende Versammlung an Autorität gewonnen. Ein bedeutender Künstler z. B., der in seinem Kreise große Autorität genießt, wird deshalb von einem amusischen Menschen keine Ehrfurcht erwarten können, weil diesem die Einsicht in die dort geltenden Wertvorstellungen fehlt. Dieses Fehlen von Wertvorstellungen kann sich durch Mangel an Werterlebnissen, der nicht unbedingt auf Wertunempfänglichkeit beruhen muß, bis zur Wertblindheit steigern. Das ist z. B. bei verwahrlosten Jugendlichen der Fall, die mangelhaft erzogen und abseits von der Gesellschaft aufgewachsen sind, die keine Ehrfurcht kennen und sich mit ihrem kleinen Einmaleins von Begierde und Genuß haltlos, unzufrieden und aufsässig durch das Leben schlagen. Aber das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil, und ohne Ehrfurcht gibt es keine Kultur. Ist es das Kennzeichen der Autorität, daß man sich ihr mit Ehrfurcht gern und freiwillig unterwirft, so setzt die Gewalt den hinter ihr stehenden Willen ohne Rücksicht auf Zustimmung und Bereitwilligkeit, zuweilen auch ohne Rücksicht auf Recht und Gesetz und unter Einsatz oder Androhung von Gewaltmitteln, die Leib, Leben, Freiheit und Sicherheit des einzelnen gefährden, gegen jedermann durch. Besteht zwischen Autorität und Freiheit kein Gegensatz, so schließen Gewalt und Freiheit einander aus. Es gibt eine Arroganz der Gewalt; eine Arroganz der Autorität ist ein Widerspruch in sich. Aber trotz dieser Einsicht ist es schwierig zu erkennen, wo die Autorität aufhört und die Gewalt anfängt. Man denke nur an die überall bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse: In der Familie, im Beruf, im gesellschaftlichen Leben. Die dort vorhandene Über- und Unterordnung beruht doch nicht immer auf persönlicher Autorität, sondern oft, man kann wohl sagen meistens, auf persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit.

Geschieht die Unterwerfung unter die bestehende Ordnung grundsätzlich auch freiwillig, und sei sie auch mit Ehrfurcht vor den ihr zugrunde liegenden Werten verbunden, im Einzelfall werden Anordnungen nicht immer gerne befolgt, sondern in der Regel aus Sorge vor wirtschaftlichen Nachteilen oder aus Angst vor persönlichen Unannehmlichkeiten. Das gilt besonders für die institutionelle Autorität, für den Staat und seine Organe. Diese leiten ihre Autorität im Sinne der oben gegebenen Definition vom Ansehen des sittlichen Wertes Gemeinwohl ab und von ihrer ordnenden Kraft, dem ein dem Menschen offenbar angeborenes Ordnungsbedürfnis entspricht, das seinen Ursprung sicherlich in den mannigfaltigen, negativen Erfahrungen mit dem Chaos hat, die in früheren Zeiten bereits in das Unterbewußtsein eingegangen sind. Ordnung ist aber auch kein absoluter Wert sondern ein relativer, vom Gemeinwohl abgeleiteter. Grundlage der Ordnung muß daher immer das Gemeinwohl und das Gesetz sein, das jedem Bürger in seinem Rahmen Freiheit und Sicherheit garantiert. Um es gegen Widerstrebende durchzusetzen, die sich Autorität nicht freiwillig unterwerfen wollen, müssen die öffentlichen Institutionen über die Macht der Gewalt verfügen, die eingesetzt wird, wenn die Macht der Autorität nicht ausreicht. Da verschwimmen oft die Grenzen. In der Außen-Innen-Wirtschafts- und Sozialpolitik führen sicherlich viele Wege nach Rom, und auch durch legal zustande gekommene und beschlossene Maßnahmen können sich große Teile der Bevölkerung unerträglichem Zwang, ja sogar einer Gefährdung ihrer Existenz ausgesetzt sehen. In jedem Staat gibt es außerdem eine Randsphäre, in der dem Gesetz und dem von ihm repräsentierten Gemeinwohl Gehorsam nur durch Gewalt oder Gewaltandrohung erzwungen werden kann. Sie ist bei freien Völkern, deren Vertrauen zur Autorität sehr groß ist, äußerst schmal. Es ist immer ein großes Unglück, wenn dieses Vertrauen verlorengeht. Es kann geschehen durch Unfähigkeit der Regierenden, durch übertriebene Anforderungen an die Regierten und durch Mißbrauch der Gewalt. Das führt zur Zerstörung der Ehrfurcht, welche die Autorität umstrahlen soll, und hat entweder die Anarchie oder die nackte Gewalt der Polizeiherrschaft zur Folge. Beides ist ein großes Übel für die Menschheit.

Der Verlust der Staatsautorität kann aber auch durch revolutionäre Umwälzungen erfolgen. Das sind Ereignisse, die das soziale Leben tiefgreifend verändern und ausbrechen, wenn die dem Gesetz zugrunde liegenden Wertvorstellungen an Geltung verlieren, wenn sich ihre Rangfolge erheblich verschiebt oder neue Werte an Bedeutung gewinnen. Ein Autoritätsvakuum tritt ein, bis die revolutionäre Führungsgruppe dem neuen Wertbewußtsein mit seiner neuen, auf ihm beruhenden Ordnung allgemeines Ansehen und damit Autorität gewonnen hat und die Staatsgewalt übernimmt. Im Gegensatz zur evolutionären Entwicklung, in der die staatliche Ordnung und das Gesetz sich dem veränderten Wertbewußtsein langsam anpaßt und daher Ansehen und Autorität behält, ist es die Voraussetzung der Revolution, daß die Herrschaft der auf überholten Wertvorstellungen beruhenden Ordnung, deren Autorität mehr und mehr schwindet, mit Gewalt aufrecht erhalten werden soll. Aber Gewalt ohne Autorität ist Terror und muß mit revolutionärer Gewalt, der immer mehr Ansehen und Autorität zuwächst, beseitigt werden, bis eine neue Ordnung auf grund des veränderten Wertbewußtseins hergestellt ist. Nicht mit der Revolution darf die Revolte verwechselt werden. Sie ist der Versuch einer Minderheit, die nicht über staatliche Machtmittel verfügt, Gruppeninteressen oder Gruppenvorstellungen gegen die Mehrheit und gegen die geltende Ordnung, die Autorität hat, durchzusetzen.

Wir erleben ein Beispiel dafür heute (1971) an den Universitäten, wo eine gut organisierte Minderheit der Studentenschaft versucht, durch Terror ideologischen Vorstellungen Geltung zu verschaffen, die von der Allgemeinheit abgelehnt werden. Ihr Kampf richtet sich folgerichtig gegen die Autorität der bestehenden Ordnung. Man gewinnt mitunter sogar den Eindruck, daß der Angriff der Autorität überhaupt und an sich gilt, wenn man beobachtet, wie von dieser Seite jeder Wert intellektuell zerredet oder lächerlich gemacht wird. Dieser in der Jugend merkbare allgemeine Autoritätsabbau und Protest gegen die Autorität, der oft anarchistische Züge trägt, hat eine innere Unsicherheit und Richtungslosigkeit zur Folge, die einer neuen illusionären Welt die Tür öffnet, der Welt der Drogen und Ausschweifungen. Eine autoritätsfreie Geselligkeit droht zu entstehen, die für kurze Zeit Freiheit und Geborgenheit vorspiegelt, was es aber für die Dauer nicht geben kann. Das schafft eine fatale Beziehungslosigkeit zu den 2 bis 3 tausend Jahren mühsamen kulturellen Aufstiegs der Menschheit, von den ersten dunklen religiösen Wertvorstellungen über Aristoteles, Erasmus, Kant, Mozart und Goethe bis zu unserer heutigen Begriffswelt sublimer Bildung und Humanität, und setzt das rohe Nichts, die verantwortungs- und bindungslose abstrakte Spielerei mit Begriffen an ihre Stelle.

Ganz anders verhält es sich mit dem Staatsstreich. Das ist eine Änderung der öffentlichen Ordnung bzw. der bestehenden Sichtverhältnisse durch Inhaber der Regierungsmacht oder durch andere Träger oberster staatlicher Funktionen, z. B. hoher Militärpersonen, durch Gewalt, ebenfalls ohne die Legitimierung eines allgemeinen veränderten Wertbewußtseins. Das neue Regime kehrt das Verhältnis zwischen Macht durch Autorität und Macht durch Gewalt um. Leitet in einem freiheitlichen Rechtsstaat die Gewalt ihren Auftrag von der Autorität ab, so soll hier der Gewalt Autorität, also Ansehen und Unterwerfung, erzwungen werden. Denken wir an die oben gegebene Definition, so erkennen wir, daß in einem solchen System von Autorität keine Rede sein kann, denn es fehlt bei der Unterwerfung das entscheidende Merkmal der Ehrfurcht und der Freiwilligkeit. Wir bezeichnen diese Form des Regierens als autoritär. Das ist leider ein sehr zweideutiges und mißverständliches Wort, das immer Anlaß zur Verwirrung gibt, wenn man über Autorität redet und nachdenkt; manchmal glaubt man sogar, es sei eigens zu dem Zweck erfunden worden, um den Begriff der Autorität besser bekämpfen zu können. Autorität bedeutet Freiheit, Menschenwürde und Ehrfurcht auf der Grundlage der Selbstachtung, autoritär dagegen Unfreiheit und Zwang. Eine auf Autorität aufgebaute Ordnung setzt den freien Mann voraus, der sich an den ewigen Werten der Menschheit orientiert und sittlich entwickelt; die autoritäre Ordnung kennt und will nur den Untertanen.

Nach dieser Betrachtung kann Antwort auf die auf die oben angesprochne Frage nach dem richtigen Verhältnis zwischen Macht durch Autorität und Macht durch Gewalt nicht mehr schwer sein. Wenn einem persönliche Freiheit und Menschenwürde am Herzen liegt, muß man wollen, daß die Gewalt an die Verfassung der Gemeinschaft, d.h. an ein für dauernde Geltung bestimmtes Grundgesetz gebunden ist, aufgrund dessen allein Entscheidungen und Befehle erteilt werden dürfen. Sie ist das Spiegelbild des allgemeinen Wertbewußtseins und besitzt als sittliche, ordnende Kraft Macht durch Ansehen, d. h. Autorität. Ohne die Gewalt kommt kein Staat aus, wenn er den Einzelnen vor Übergriffen schützen und das Gemeinwohl gegen seine Feinde verteidigen soll. In einem freiheitlichen Gemeinwesen in gesetzgebende, rechtsprechende und vollziehende Gewalt dreigeteilt, ist sie aber nur als handelnde Funktion der Verfassung legitim, d.h. nur wenn sie ihre Macht von der sittlichen Ordnung, also von der Autorität ableitet. Alleinige Träger der Gewalt sind die staatlichen Institutionen. Als Kontroll- und Vollzugsorgane der Verfassung genießen sie deren Autorität. Mit Ausnahme der elterlichen Gewalt, die sich von der sittlichen Institution der Familie ableitet, und der Notwehr ist dem einzelnen die Anwendung von Gewalt grundsätzlich nicht gestattet, obwohl zuzugeben ist, daß nach unserer Grundordnung derjenige, der über Eigentum verfügt und damit wirtschaftliche Macht besitzt, anderen in gewissen Fällen seinen Willen aufzwingen kann. Darauf soll aber hier, weil es nicht zum eigentlichen Thema gehört, nicht eingegangen werden.

Wer die Gewalt nicht an das Gesetz und seine Autorität, sondern an eine Person, möge sie auch natürliche Autorität besitzen, binden will, verzichtet auf die Kontrolle der Gewalt, setzt sich ihrem Mißbrauch aus und gefährdet die Freiheit und die Menschenwürde, wie das die Erfahrung mit autoritären und diktatorischen Systemen zeigt. Aber auch in einem freiheitlichen, demokratischen Staat ist es nicht immer leicht, den Mißbrauch der Gewalt zu verhindern. Die öffentlichen Institutionen wirken ja nicht aus sich heraus, sondern durch beauftragte Personen. Die Autorität des Staates, der Kirche, der Schule, des Militärs bekleidet dabei eine Einzelpersönlichkeit mit einem Ansehen, einer Würde und einer Entscheidungsmacht, die aus deren Individualität nicht immer gegeben ist. Persönliche und institutionelle Autorität können dabei in Wechselwirkung treten, und es ist ein Glück, wenn dieser Fall eintritt, denn die Autorität der Institutionen wird auch am Verhalten und der Haltung des Trägers gemessen. Welcher Schaden kann im einzelnen und für die Glaubwürdigkeit der Staatsautorität angerichtet werden, wenn unfähige oder korrupte Staatsdiener das Vertrauen enttäuschen, das man in sie gesetzt hat. Deshalb auch schreibt das Gesetz dem Beamten vor, daß sein Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes der hohen Verantwortung und der Achtung gerecht werden muß, die sein Beruf erfordert.

Autorität ist eine Tatsache. Ich habe versucht, ihre eigenartige Macht durch Ansehen und Haltung zu erklären. Die Forderung, sie abzuschaffen, ist lächerlich. Ebensogut könnte man die Liebe oder den Regenbogen abschaffen wollen. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als der Haß der Schlechtweggekommenen, Unfähigen und Mißratenen auf jede Art von Überlegenheit, wenn nicht Absicht dahinter steht, sie lediglich zu transferieren und an sich zu reißen. Autorität beruht auf der angeborenen Ungleichheit der Menschen. Es gibt eine kleinere Zahl Naturen mit Führungseigenschaften und viele andere, die geführt werden müssen; es gibt kluge und dumme, starke und schwache, begabte und unbegabte, anständige Zeitgenossen und Bösewichter, um nur einige Beispiele zu nennen. Das alles existiert nicht immer so isoliert und ausgeprägt wie eben vorgetragen, sondern mit Zwischentönen und Übergängen. Durch Erziehung kann manche bedenkliche Eigenschaft gemildert und manche gute Anlage gefördert werden. Recht und Gesetz haben dafür zu sorgen, daß die Starken, Klugen und Führungsbegabten ihre Überlegenheit nicht mißbrauchen. Insofern stehen Freiheit und Gleichheit in einem gewissen Gegensatz. Aber wer soll denn die in jeder Gemeinschaft notwendigen Führungskräfte stellen, wenn nicht diese dazu befähigte und berufene kleine Gruppe. Sie besitzt natürliche Autorität und bedarf nicht der Macht der Gewalt zur Erfüllung ihrer vielfältigen Aufgaben. Wir wissen doch leider alle, welcher materielle und psychologische Schaden entstehen kann, wenn durch Partei- und Vetternwirtschaft oder durch autoritären Mißbrauch der Gewalt ungeeignete Personen Macht und Einfluß gewinnen oder wenn die sogenannte Mitbestimmung oder Demokratisierung der Gesellschaft so weit getrieben wird, daß die Entscheidung der Kompetenten durch Unkompetente jederzeit in Frage gestellt werden kann. Spricht das nicht für die natürliche Auslese durch persönliche Autorität? Ist es nicht gut und richtig, wenn die durch Leistung und Haltung Angesehenen, denen man mit Vertrauen und gerne folgt, die Verantwortung tragen?

Das in der ganzen Natur erkennbare System der Rangordnung, nach dem die Planeten um das stärkere Gestirn, die Sonne kreisen und der stärkste Wolf das Rudel führt, fehlt auch im menschlichen Bewußtsein nicht. Kennt die Natur nur die rohe Kraft, um diese Rangordnung durchzusetzen, so hat die menschliche Gesellschaft andere und feinere Maßstäbe dafür entwickelt, nämlich die Wertmaßstäbe. Daß er sie besitzt, verdankt der Mensch seiner Vernunft, der Fähigkeit abstrakt denken zu können. Die Vielfalt der Wertvorstellungen und die Bedeutung, die sie für sein Handeln haben, kennzeichnen seinen menschlichen Rang. Wer Menschen führen will, kommt ohne Kraft natürlich auch nicht aus. Aber er bedarf ihrer besonderen, sublimierten, der Anziehungskraft des Magneten ähnlichen Form, der Kraft der Autorität. Keine Gemeinschaft kann ohne Führung auskommen. Die Zahl der zur Führung Befähigten ist klein, die Zahl der auf Führung Angewiesenen riesengroß. Freud soll gesagt haben, daß dieses Verhältnis konstant ist und Erziehung und Ausbildung daran nichts ändern können. Wenn man einsieht, daß Führung notwendig ist und auf Menschenwürde und persönliche Freiheit nicht verzichten will, dann muß man eine Führung anstreben, die nicht nur Funktion, sondern auch Autorität besitzt und dafür sorgen, daß Leistung und Haltung Achtung genießen. Das ist eine Aufgabe der Erziehung, besonders aber der Jugenderziehung. Ob diese auf autoritäre oder antiautoritäre Weise erfolgt, erscheint mir nicht wichtig, ganz abgesehen davon, daß diese moderne Alternative der eigentlichen Problematik der Erziehung gar nicht gerecht wird. Wichtig ist doch allein das Ziel der Erziehung, und das muß die in die Gemeinschaft eingefügte sittliche, autonome Persönlichkeit sein, wenn ich von der wissenschaftlichen oder Berufsausbildung absehe, auf die es in diesem Zusammenhang nicht ankommt. Sittlichkeit ist in erster Linie Werteinsicht, und Werteinsicht ist an zwei Voraussetzungen gebunden: Erstens an die Freiheit, d.h. an die Möglichkeit der Mannigfaltigkeit des Denkens und Handelns, und zweitens an die Anerkennung der Autorität von Wertvorstellungen. Um sittlich zu handeln, bedarf man also der Urteilskraft, d. h. man muß in der Lage sein, im Konfliktfall sich für den jeweils höheren Wert zu entscheiden, und der Haltung, das bedeutet im Sinne der oben gegebenen Erklärung die Überwindung des Spontanen und die konsequente Ausrichtung auf das als wertvoll Erkannte.

Wahre Freiheit aber liegt im Herzen, besser gesagt im Bewußtsein des Menschen, d. h. in der Summe seines Wissens und seiner Wertvorstellungen. Daher ist dem Primitiven oder dem unmündigen Kind eine freie Willensentscheidung gar nicht möglich. Denn wie soll jemand frei entscheiden, der kaum eine Lösung weiß, der handelt doch spontan und triebhaft bzw. ist abhängig von dem, was ihm andere sagen. Das Bewußtsein auszubilden ist daher die eine Aufgabe der Erziehung. Deshalb ist es wichtig, daß der Heranwachsende mit den Gedanken und kulturellen Werken der Vergangenheit und Gegenwart bekannt gemacht wird, sie verstehen lernt, mit Ehrfurcht erlebt und in sich aufnimmt. Er muß wissen, was in Jahrtausenden vor ihm gedacht und getan wurde. Da Werteinsicht, wie schon gesagt, untrennbar mit der Anerkennung der Autorität von Wertvorstellungen verknüpft ist und die sittliche Persönlichkeit nicht ohne Ehrfurcht vor diesen Wertvorstellungen sich bilden kann, ist es die zweite Aufgabe der Erziehung, das Autoritätsgefühl, d.h. die Empfänglichkeit für Werte und Wertträger zu wecken und zu fördern. Da dem jungen Menschen die intellektuellen Voraussetzungen für die abstrakte Erkenntnis und Würdigung von Wertvorstellungen noch fehlen, muß man ihm die großen, durch Leistung und Haltung hervorragenden Gestalten der WeItgeschichte als Vorbilder nahebringen, an denen er sich orientieren und denen er nacheifern kann.

Besondere Bedeutung für die Jugenderziehung hat die Religion. Sie verankert die ersten sittlichen Grundsätze in der bildsamen Seele und lehrt Ehrfurcht vor den uralten Gesetzen menschlichen Zusammenlebens. Wenn das sich weitende Bewußtsein und das wachsende Autoritätsgefühl pädagogisch wertvoll sein sollen, dann muß deren planmäßige Ausbildung eng mit der Erziehung zu kritischem, selbständigem Denken, d. h. mit der Entwicklung der Urteilskraft verbunden sein. Wissen, Autoritätsgefühl und Urteilskraft sind Bausteine des Selbstvertrauens und der Selbstachtung, die zur sittlich autonomen Persönlichkeit gehören. Auf Selbstachtung aber muß jedes gesunde Autoritätsgefühl gegründet sein, denn es soll sich ja auf Werte stützen, die in uns lebendig sind und für die wir uns in Freiheit entschieden haben. Daher hat Autoritätsgefühl nichts mit Untertanengeist und Bedientengesinnung zu tun. Haltung aber krönt die Persönlichkeit und befähigt sie zur Führung. Sie war und ist deshalb immer ein entscheidendes Merkmal elitärer Erziehung. In unserem spätliberalen Zeitalter und nach unserem augenblicklichen Demokratieverständnis sind Autoritätsgefühl und Haltung allerdings Tugenden, die weder in der Erziehung noch im öffentlichen Leben allzuviel gelten.

Die Gegenwart scheint vielmehr im Zeichen das Autoritätsabbaus und des Autoritätsverfalls zu stehen. Vorlaute Burschen springen mit den großen Gestalten der Menschheitsgeschichte um, als wären sie ihresgleichen. Die Subkultur um Sex, um Drogen, Rücksichtslosigkeit und Brutalität, von der jeder weiß, daß sie unmenschlich und verdorben ist (selbst die, die sie praktizieren) löst eine Bindung nach der anderen auf, ohne in der Lage zu sein, etwas Wert- oder auch nur Sinnvolles an ihre Stelle zu setzen. Die Leere der Sinnlosigkeit breitet sich aus. Der wertfreie Relativismus und die liberale, auf äußerste individuelle Freizügigkeit gerichtete moderne Gesinnung kann diesem Zerfall, der sich nicht nur auf die politische Autorität beschränkt, sondern die gesamte Gesellschaftsstruktur, das Elternhaus, das Klassenzimmer, die Universität, die Kirche und sogar die am meisten ausgeprägte traditionelle Autorität des Militärs bedroht und in Frage stellt, gar nichts entgegensetzen. Für einen ethischen Standpunkt bietet sich da keine Grundlage mehr. Christopher Dawson, ein englischer Geschichtsphilosoph, meint, der rationale Liberalismus habe seine humane und fortschrittliche Rolle nur wahrnehmen können, weil er aus dem moralischen Kapital christlicher Tradition schöpfte und sagt: "Soweit er die europäische Kultur säkularisierte, untergrub er das Fundament der eigenen Existenz. Das liberale Element kann nicht für unbegrenzte Zeit überdauern, falls es von dem religiösen Glauben getrennt wird, auf dem es gründete." Wenn man überspitzt formulieren wollte, und dazu neige ich ja, dann könnte man sagen, der Liberalismus ist als idealistischer Individualismus angetreten und droht heute als brutaler Egoismus unterzugehen.

Weil ich gerade beim Zitieren bin, so will ich zum Schluß Thomas Mann nicht vergessen, der in einer seiner klugen Reden u. a. gesagt hat: "Schon seit Anbruch des bürgerlichen Zeitalters, seit der Renaissance und später durch die Aufklärung, deren letzter Vollender Friedrich Nietzsche durch seine Moralkritik war, ist ja dem Abendland die sittliche und geistige Autorität, die ehemals jeden band, jeden stützte und jedem einen beruhigenden Glauben von vornherein vorgab, mehr und mehr verlorengegangen; der Geisteszustand der abendländischen Welt ist durchaus problematisch, ja anarchisch, er ist ratlos, der Unterschied von Gut und Böse ist schwankend geworden, und groß ist die Sehnsucht der Welt nach einem neuen Glauben, einer religiösen Bindung, die, in fest umschriebenen Grenzen, dem Leben des Individuums Stütze gewährt gegen das Nichts, gegen den absoluten Zweifel, seine Ängste und seine Maßstabslosigkeit."

Und an anderer Stelle: "Sofern es um neue Ordnung, neue Bindung, die Anpassung der menschlichen Gesellschaft an die Erfordernisse der Weltstunde geht, ist gewiß mit Konferenzbeschlüssen, technischen Maßnahmen, juristischen Institutionen wenig getan. Notwendig zunächst ist eine Wandlung des geistigen Klimas, ein neues Gefühl für die Schwierigkeit und den Adel des Menschseins, eine alles durchdringende, wenn Sie wollen religiöse Grundgesinnung, der niemand sich entzieht und die jeder im Innersten als Richter anerkennt. Dies ist es, was ich den neuen Humanismus nenne, zu dem, wie ich glaube, die abendländische Menschheit, trotz aller gegenteiliger Anzeichen, sich auf dem Wege befindet, und meine weitere Überzeugung ist, daß ein heutiges geistiges Werk, sei es philosophischer oder dichterischer Art, nur dann etwas wert ist und seinem Urheber gedankt werden wird, wenn es auf irgendeine Weise an der Schaffung dieser neuen Atmosphäre arbeitet."

Auch wir, meine Brüder, sollten unsere Arbeit an dieser Aufgabe ausrichten, und weil ich dem Begriff der Autorität dabei entscheidende Bedeutung zumesse, habe ich meine Gedanken darüber so ausführlich vorgetragen. Weil die Gesellschaft nach meiner festen Überzeugung ohne das Prinzip der Autorität auf lange Sicht nicht überleben kann, ist eine Ordnung vorauszusehen, die wieder auf ihr gegründet sein wird. Offen bleibt die Frage, ob die Demokratie in der Lage ist, sich zu entsprechenden Formen zu entwickeln oder ob diese zukünftige Gesellschaft ihre Autoritätsvorstellungen von der Linken oder Rechten beziehen wird, d.h. ob sie autoritativ oder autoritär sein wird.