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Weisheit im Leben!
Stärke im Tode!
Schönheit im Licht!

       

Kein Wesen kann zu Nichts verfallen!
Das Ew'ge regt sich fort in allen,
Am Sein erhalte dich beglückt!
Das Sein ist ewig: Denn Gesetze
Bewahren die lebend'gen Schätze,
Aus welchen sich das All geschmückt.

- Johann Wolfgang von Goethe -

Der Tod begegnet den Lebenden

"(...), daß der tote Großvater so fremd, ja eigentlich nicht als der Großvater, sondern als eine lebensgroße wächserne Puppe erschien, die der Tod statt seiner Person eingeschoben hatte und mit der nun all dieser fromme und ehrenvolle Aufwand getrieben wurde. Der da lag, oder richtiger: was da lag, war also nicht der Großvater selbst, sondern eine Hülle, die, wie Hans Castorp wußte, nicht aus Wachs bestand, sondern aus ihrem eigenen Stoff; nur aus Stoff: das eben war das Unanständige und kaum auch Traurige - traurig so wenig, wie Dinge traurig sind, die mit dem Körper zu tun haben und nur mit diesem. Der kleine Hans Castorp betrachtete den wachsgelben, glatten und käsig-festen Stoff, aus dem die lebensgroße Todesfigur bestand, das Gesicht und die Hände des ehemaligen Großvaters. Eben ließ eine Fliege sich auf die unbewegliche Stirn nieder und begann, ihren Rüssel auf und ab zu bewegen. Der alte Fiete verscheuchte sie vorsichtig, indem er sich hütete, die Stirn dabei zu berühren, und mit einer ehrbaren Verfinsterung seiner Miene, so, als dürfe und wolle er von dem, was er da tat, nichts wissen - einem Ausdruck von Sittsamkeit, der sich offenbar auf die Tatsache bezog, daß der Großvater nur noch Körper und nichts weiter mehr war; allein nach schweifendem Auffluge nahm die Fliege auf den Fingern des Großvaters, in der Nähe des Elfenbeinkreuzes, kurz aufsitzend wieder Platz. Während aber dies geschah, glaubte Hans Castorp deutlicher als bisher jene von früher her vertraute leise, aber so ganz eigentümlich zähe Ausdünstung zu verspüren, die ihn beschämenderweise an einen mit einem lästigen Übel behafteten und darum allerseits gemiedenen Schulkameraden erinnerte und die zu übertäuben der Duft der Tuberosen (*) unter der Hand bestimmt war, ohne es bei aller schönen Üppigkeit und Strenge imstande zu sein."

(*) Tuberose (lat, Knolle), stark duftendes Liliengewächs mit hyazinthenähnlicher Traube weißer, duftender Blüten; aus Mexiko stammende Pflanzenart der Familie der Agavengewächse; wird noch heute angebaut und zu Tuberosenöl verarbeitet, das für die Herstellung von Parfümerien genutzt wird.

(Thomas Mann, "Der Zauberberg", Auszug zweites Kapitel: "Von der Taufschale und vom Großvater in zwiefacher Gestalt")

Fragen nach dem Sinn des Lebens und Sterbens sind vermutlich in dieser oder jener Form gestellt und beantwortet worden, seit es dem Menschen möglich geworden ist, über sich selbst nachzudenken. Nicht von ungefähr gebraucht man dafür den Ausdruck "seit Menschengedenken". Seit Anbeginn der Menschheit haben die Gewißheit des Sterblichseins und die Frage nach dem Tod nicht nur den einzelnen Menschen beschäftigt, sondern auch die kulturelle Entwicklung bestimmt. In kaum einer Zeitepoche zuvor jedoch befand sich die Menschheit in einer derartigen geistigen Unsicherheit wie heute. Es scheint auf die wesentlichen Fragen des Menschen, gleich welcher Kultur, keine gültigen Antworten mehr zu geben. Auch halten die meisten es für leichtfertig und überheblich, mindestens aber für taktlos, wenn jemand unbefangen über den Tod spricht. Da wirkt vieles hemmend: Erziehung, Tradition, Pietät; wohl auch Aberglaube, man will "nichts berufen", will nicht an die unbestreitbare Wahrheit rühren, daß wir alle sterben werden. Doch das Leben sorgt dafür, daß wir dieses Thema nicht aus den Augen verlieren.

Der Philosoph Martin Heidegger hat das Verhältnis des Daseins zu seiner Endlichkeit ein "Sein zum Tode" genannt. Die Wandlung vom "Sein zum Tode" stellt sich uns als ein Übergang in einen "Schlaf ohne Erwachen", ein "Weg ohne Rückkehr" dar. Es ist eine Einbahnstraße, eine Sackgasse, die wir hier erreichen, denn von ihrem Bestimmungsort führt kein Weg zurück in das Leben. Eine Rückkehr müßte jedoch gar nicht erwünscht sein, wenn der Weg ins Paradies führte, in ein "gelobtes Land", das den Menschen das "Tal der Tränen" vergessen ließe. Was uns am Ende dieser Sackgasse hinter dem Tor erwartet, das sich für uns nur einmal öffnet und wieder schließt, wissen wir nicht. So bleibt in uns ein Gefühl des Unheimlichen, Verborgenen, Unerklärbaren, das jedem Versuch des rationalen Erkennens widersteht, immer aber präsent ist und den Menschen zur Besinnung über das Sein zwingt.

"Leben ist der Anfang des Todes. Das Leben ist um des Todes willen. Der Tod ist Endigung und Anfang zugleich." meint der Dichter Novalis und doch ist es für uns Menschen schwierig, den Tod in unsere Lebensauffassung einzubeziehen. Leo Tolstoi hat dies auf seine Weise getan: "... Ich legte mich nieder, konnte aber nicht einschlafen, da stand auf einmal in ungeheuerlicher Klarheit und Deutlichkeit eine Lebensauffassung vor mir, wonach wir uns als Wanderer fühlten. Dieses unser Leben mit seinen bekannten Grenzen ist eine Station. Wie sollten wir diese Station anders zu passieren trachten, als voller Mut, Freudigkeit, Freundschaftlichkeit, in gemeinschaftlicher Tätigkeit, ohne Gram darüber, daß man selbst oder die andern dahin gehen, wo wir alle uns einmal noch vereinter finden werden." Von unserem Bruder Goethe ist diesbezüglich ein Gepräch mit Eckermann überliefert: "Wenn einer fünfundsiebzig Jahre alt ist", führte Goethe mit Heiterkeit aus, "kann es nicht fehlen, daß er mitunter an den Tod denkt. Mich läßt dieser Gedanke in völliger Ruhe, denn ich habe die feste Überzeugung, daß unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur, es ist ein fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die bloß unsern irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet."

Geburt und Tod - das sind die beiden einzigen Ereignisse, die wir alle gemeinsam und gleichartig erfahren. Von beiden aber wissen wir nichts. Anfang wie Ende unseres Daseins vollziehen sich jenseits des kontrollierenden Bewußtseins. Über unseren Eintritt ins Leben hat ja die Wissenschaft einiges herausgefunden. Sigmund Freud erkannte als erster, wieviel Wesentliches wir uns vom ersten Atemzug an, ja schon im Mutterleib aneignen. Eine Wissenschaft vom Tode aber kann es in diesem Sinne nicht geben. Wir haben keinerlei Zeugnisse darüber, was nach dem Tode geschieht und ob etwas geschieht. Zwar behaupten die Spiritisten, allerlei darüber zu wissen; es überzeugt mich aber nicht. Was die Religion vom Fortleben nach dem Tode von der Unsterblichkeit der Seele verkündet, ist Sache des Glaubens. Es ist ohne Zweifel ein Verdienst der Religion, die tief eingewurzelte Furcht vor dem unbekannten Nachher zu bannen; diese Kinderangst vor dem dunklen Wald, in den keiner sich hineintraut. Dafür hat die Menschheit seit Urzeiten alle Kräfte ihres Geistes und Gefühls angespannt. Wem es gelingt, durch einen wirklichen Glauben dem kommenden Dunkel ein wenig ruhiger entgegenzusehen, entgegenzuleben, der ist vielleicht besser dran.

Aber diese Tröstungen versagen bei vielen, auch bei religiösen Menschen. Wir alle wollen leben, selbst unter widrigen Umständen. Die Lebenskraft ist offenbar eng verbunden mit einem tiefen Abscheu vor dem Nichtmehrsein. Dieser Trieb, das ist leicht einzusehen, hält uns aufrecht; ohne ihn würden die meisten von uns in irgendeiner Krise kapitulieren. Der Lebenswille bringt uns dazu, unsere Todesfurcht beiseite zu schieben, zu verdrängen - und doch können wir sie nie völlig vergessen. Auch schämen wir uns ihrer: Von jeher galt es als Tugend, den Tod nicht zu fürchten.

Seit unvorstellbar langer Zeit gibt es Leben auf dieser Erde. Ebenso unvorstellbar lange wird es andauern. Immer findet es irgendein Ende; möglicherweise ein vorläufiges; das vermögen wir nicht zu erkennen. Auch die subtilsten Forschungen bieten uns keine Resultate an, die uns ganz unmittelbar weiterführen. Aber wir sind alle, Bäume und Tiere, Genies und Primitive, Wellen in einem riesigen Strom.

Der Buddhist glaubt an eine Seelenwanderung durch immer neue, läuternde Formen bis zur Vollkommenheit, die er im Nirwana, im sinnfreien Nichts, erhofft. Bis dahin geht kein Teil von uns verloren. Das berührt sich offenbar mit Theorien der modernen Atomphysik. Eine Ahnung davon gab es immer, sie wurde nur auf sehr verschiedene Weise ausgesprochen. Sehr schön formuliert sie der Philosoph Lichtenberg:

"Ich kann den Gedanken nicht loswerden, daß ich gestorben war, ehe ich geboren wurde, und durch den Tod wieder in jenen Zustand zurückkehre."

Er fügt aber auch hinzu:

"Es ist ein Glück in mancher Rücksicht, daß diese Vorstellung nicht zur Deutlichkeit gebracht werden kann. Wenn auch der Mensch jenes Geheimnis der Natur erraten kann, so wäre es doch sehr gegen ihr Interesse, wenn er es beweisen könnte."

Und ein anderer, wie mir scheint tröstlicher Gedanke: Da sind nun vor uns Milliarden von Menschen gestorben. Sollten da nicht auch wir, die wir zufällig jetzt eben in dem vorhanden sind, was wir in einem vermutlich viel zu engen Sinne Leben nennen, nicht auch das Ende dieses vorübergehenden Zustandes ertragen können? Also mit dem Tode zurechtkommen, so oder so? Da er ohne jeden Zweifel kommen wird, müßte uns eine Art Stolz verbieten, uns dauernd vor ihm zu fürchten. In Wahrheit aber, davon bin ich überzeugt, fürchten wir gar nicht den Tod, sondern das Sterben. Und das sind zwei grundverschiedene Dinge.

Wenn wir uns vor dem Sterben ängstigen, dann denken wir an Schmerzen, die damit oft verbunden sind. Nicht jeder hat ein sanftes Ende; ein anderer schlummert womöglich im Schlaf hinüber; ein Glück, das von jeher beneidet wurde. Gerade der Schmerz beweist aber, daß der Vorgang des Sterbens noch ganz und gar zu diesem Leben gehört. Zu einem Leben, in dem wir längst den Schmerz kennenlernten, der eine mehr, der andere weniger. Der Tod aber, das nehmen alle an, befreit von der Pein. Er erlöst uns, in Traueranzeigen kann man's lesen. Wir verlassen uns darauf, daß es so ist, ob nun aus religiösem Glauben oder durch eine Bemühung unserer Vernunft. Beide können irren, gewiß. Aber das erfahren wir nicht mehr.

Es kann nicht falsch und unsinnig sein, sich mit dem Tod beizeiten vertraut zu machen. Wir denken recht unbefangen an die Sterblichkeit anderer, uns selber nehmen wir davon aus. Wir rechnen nicht gerade mit Unsterblichkeit, aber doch mit einem ausnahmsweise langen Leben. Das heißt das hinausschieben, was jeder einmal erreichen sollte: Die Überwindung der Furcht vor dem Tode. Dafür gibt es kein Patentrezept. Jeder muß seine eigene Methode herausfinden. Ich vermute, daß zufällige Umstände und persönliche Erlebnisse gar nicht den Ausschlag geben. Das bezeugen große Geister aller Epochen, die das Dasein als vorübergehenden Zustand priesen, als ein Geschenk oder, wenn sie gläubig waren, als eine Gnade.

Der 1949 mit 87 Jahren gestorbene Belgier Maurice Maeterlinck, ein großer Lehrer der Todesvertrautheit, ist fast vergessen als Autor wunderbarer Bücher über die staatenbildenden Insekten. Er wagt zu fragen:

"Wohin gehen die Ameisen, was wird aus ihnen, wenn sie gestorben sind? Warum soll man diese Fragen belächeln, wenn sie Insekten betreffen, und sie ernst nehmen, wenn es sich um Menschen handelt? Ist dazu der Unterschied zwischen ihnen und uns groß genug? Es fehlt wenig daran, und sie wären in vielen Punkten unseresgleichen; freilich, über diese geheimnisvollen Punkte vermögen wir in unserer Unwissenheit kaum zu urteilen. Kann ein bißchen Gehirntätigkeit die Gesetze des Weltalls, der Gerechtigkeit und Ewigkeit von Grund auf ändern, die Unsterblichkeit sichern oder auf ewig unmöglich machen?"

Und er stellt die vielleicht alles erhellende Frage:

"Ist das große Unterscheidungsmerkmal zwischen uns und allem, was da atmet, unsere Unzufriedenheit?"

Als alter Mann hat Maeterlinck Betrachtungen über den Tod unter dem Titel "Vor dem großen Schweigen" gesammelt. Daraus noch ein paar Sätze.

"Warum das Leben? Weil es nichts anderes gibt. Weil es keinen Tod gibt. Das Leben ist, der Tod ist nicht. Nicht mehr als das Nichts. Nicht der Tod greift das Leben an, sondern das Leben macht den Tod unmöglich, ja unvorstellbar.

Hätte das Nichts je bestanden, könnte es jemals irgendwo bestehen, so hätte es alles ergriffen, denn im Weltall ist nicht gleichzeitig Platz für das Sein und das Nichtsein.

Man entgegnet: Das ist das Unerkennbare. Wir werden es nie erfassen. Wir müssen darauf verzichten. Verlieren wir keine Zeit an der Schwelle des Zwecklosen und nutzen wir unsere Kräfte, um eine Antwort auf die Fragen zu finden, auf deren Lösung wir einige Aussicht haben."

Und dennoch - - -
Walter Gropius vom Bauhaus lehrt uns in unserer individuellen weltzeitlichen Begrenztheit einen Weg zu einem Hauch Unsterblichkeit:

"Für welchen Beruf auch immer, Ihre innerliche Verpflichtung muß so tief sein, daß Sie nie von Ihrem Ziel abgelenkt werden können. Wie oft auch der Faden aus Ihrer Hand gerissen wird, müssen Sie genug Geduld entwickeln, daß Sie ihn immer wieder anknüpfen.
Handeln Sie so, als ob Sie ewig leben würden, und planen Sie weit nach vorne. Damit meine ich, daß Sie sich ohne Zeitgrenzen verantwortlich fühlen müssen und die Frage, ob Sie noch auf dieser Welt sind, um die Resultate zu sehen, darf von Ihnen überhaupt nicht gestellt werden.
Wenn Ihr Beitrag wesentlich war, dann wird immer jemand dort wieder neu anfangen, wo Sie aufgehört haben, und das wird Ihr Anspruch auf Unsterblichkeit sein."


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