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DER TAROT

die kabbalistische Methode der Zukunftserforschung als Schlüssel zum Okkultismus

von ERNST KURTZAHN
(Daïtyanus)
Zweite unveränderte Auflage 1925

Zweiter Teil.

Praktischer Tarot.

I. Kapitel.

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Die Tarotsysteme

Indem wir uns nun dem zweiten Teil, dem des praktischen Tarots, zuwenden, wollen wir in diesem Abschnitt die einzelnen vorkommenden Arten des Tarots ganz kurz besprechen, um dem Leser nichts vorzuenthalten und ihm gegebenenfalls Vergleiche zu ermöglichen.

Beginnen wir mit dem von uns diesem Buch beigegebenen Tarot:

  1. Tarot: "Rekonstruktion Daïtyanus (Kurtzahn)". Dieser Tarot wurde im ersten Teil sehr ausführlich besprochen. Er unterscheidet sich von den nachgenannten Tarots von Marseille und von Oswald Wirth usw. hauptsächlich dadurch, daß den wichtigen Hieroglyphen, den ägyptisch-hebräischen Buchstaben, ein hervorragender Platz auf den Karten angewiesen wurde, welche sowohl in ihrem Zeichen, als auch in ihrer Aussprache und ihrem jeweiligen Zahlenwert wiedergegeben sind.

    Die Symbolik dieses Tarots stützt sich hauptsächlich auf die längstverschollene Etteila-Ausgabe des Tarots, auch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutschland unter dem Namen: "Das Buch Thot" verbreitet (vgl. Nr. 13). jedenfalls kann der Besitzer dieses vorliegenden Buches sicher sein, einen in jeder Hinsicht einwandfreien Tarot, den es in Deutschland bisher überhaupt noch nicht gab, sein Eigen nennen zu können.

    Sollte ihm dies kleine Format der Karten mißfallen, so wird sich dieses Mißfallen beim praktischen Gebrauch derselben wohl bald in das Gegenteil verkehren, denn die großen Ausgaben im Format von fast durchweg 7 X 12 cm erfordern beim praktischen Gebrauch einen außerordentlich großen Tisch, der vielleicht nicht überall verfügbar ist.

  2. Der Tarot von Marseille ist ein vollgültiger Tarot von 78 Karten. Der größte Kenner auf dem Gebiete der gesamten Tarotforschung, Papus (Dr. med. Gerard Encausse-Paris), bezeichnet diesen Tarot als den besten, weil in seiner Symbolik am exaktesten.





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    Der Verfasser ist nicht ganz dieser Ansicht. Betrachtet man den Marseiller Tarot genau, so will es scheinen, als wenn die Kartenbilder einem besseren Urbild sehr primitiv nachgezeichnet sind, keine Rücksicht auf Perspektive, Licht und Schatten genommen wurde und auch die Umrißlinien der Figuren einen teilweise sehr unsicheren Eindruck machen. Auch die kleinen Arkana wirken unschön, weil teilweise sehr unübersichtlich, auch ist die durch die Anordnung der kleinen Arkana bei dem unter Nr. 1 genannten Tarot wiedergegebene Zahlensymbolik überhaupt nicht berücksichtigt. Viel schöner ist dagegen:

  1. DerTarot von Oswald Wirth-London. Wirth zeichnete sehr schöne "große Arkana", und zwar, und darauf kommt es sehr an, unter Mitwirkung der beiden berühmten Kabbalisten Abbé Constant (Eliphas Lévi) und Stanislaus de Guaita. Diese 22 großen Arkana unterscheiden sich aber im großen und ganzen nur wenig von den unsrigen, nur das Aussehen der Figuren ist etwas anders, und das Arkanum 10 (Schicksalsrad) und Arkanum 7 (Wagen) sind anders konstruiert, wenn auch mit gleicher Symbolik wie Tarot Nr. 1.

    Leider ist der Tarot von Oswald Wirth zur Zeit ebensowenig mehr im Handel zu haben, als der Tarot von Marseille, obschon sich der Verfasser jede nur erdenkliche Mühe gab. Wir wenden uns nun einem wirklich sehr schönen neuen Tarot zu, dem:

  2. Tarot Pamela-Colman Smith und Dr. Wynn-Westcotts. Ebenfalls ein vollgültiger Tarot von 78 Karten, der vor etwa 10 Jahren, um 1910, in England erschien und sehr hübsch gezeichnet ist. Die Symbolik der 22 großen Arkana ist, wie dies ja auch gar nicht anders sein darf, selbstverständlich den vorgenannten Tarotausgaben völlig gleich, jedoch die zeichnerische Ausführung noch mehr modernisiert, als z. B. der von Wirth, wenngleich das Bemühen anerkannt werden muß, auch in der Zeichnung einen einheitlichen Stil zu wahren, was allerdings nicht ganz gelang. Die 22 großen Arkana haben aber einen großen Fehler, der unbestritten bleiben muß: Kein einziges Arkanum zeigt einen hebräischen Buchstaben, wie das die 22 großen Arkana des Wirth-Tarots z. B. sehr schön, der Marseille-Tarot weniger schön und unser Tarot in vollkommenster Weise tun! Das heißt denn doch, den Tarot vollkommen verflachen und ihn in die Bahnen der mehr oder minder überflüssigen "Gesellschaftsspiele", horribile dictu, steuern, wo er niemals hingehören wird. Aus diesem Grunde ist dieser Tarot einer schönen Blume ohne Duft, oder einem bunten Vogel ohne Stimme, vergleichbar. Eigenartige Wege geht die entwerfende Künstlerin mit der Darstellung der kleinen Arkana, die vollkommen anders als alle anderen Tarots ist und eine so umfassende Symbolik darstellt, daß man auch über jede Karte der 56





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    kleinen Arkana einen Artikel schreiben könnte. Wir kommen nun zum

  1. Tarot von Venedig, der ebenfalls 78 Karten enthält, von denen 21 große Arkana sind. Es würde hier viel zu weit führen, ihn zu besprechen, zumal er sich nur wenig von den erstgenannten drei absolut gültigen Tarots unterscheidet.

  2. Tarot Minchiate von Florenz, dieser besteht aus 97 Karten, von denen 40 Tarotkarten, d. h. "große Arkana" sind. Zu den allgemein angewandten 22 "großen Arkana" des ursprünglichen Tarots sind als weitere "große Arkana" noch hinzugefügt: Die zwölf Tierkreiszeichen (was überflüssig, da in jedem Tarot infolge der Buchstabensymbolik enthalten), freimaurerische Grade, die vier Elemente usw. Auch der folgende Tarot weicht wesentlich ab.

  3. Tarot von Bologna. Er hat zwar 21 große Arkana, die mit wenigen Ausnahmen (21. Engel, 16. Donner, 12. der alte Mann) unserm Tarot entsprechen, jedoch weist er weniger kleine Arkana auf (nur 41).

  4. Der Deutsch-österreichische Tarot. Hier heißt der Tarot nicht mehr "Tarot", sondern Tarok. Jeder Zusammenhang bewußter Art mit dem eigentlichen Tarot ist verschwunden, er ist nur noch zu einem Kartenspiel herabgesunken. Am besten zeigen wir seinen Verfall und seine Ungeeignetheit für irgendwelche okkultistische kabbalistische Zwecke durch wörtliche Wiedergabe einer im "Großen Buch der Kartenspiele" von Ernst Lange, Berlin, von ihm gemachten Beschreibung (Seite 4):

    "Eine Art von Spielkarten (!) ist die weniger gekannte und gebräuchliche Tarokkarte. Sie wird nur zu den mit dem Namen "Tarok" bezeichneten Spielen (!) benutzt. Sie besteht aus 78 Blättern 1). Zu den 52 Blättern des gewöhnlichen französischen Kartenspiels (!!) kommen noch erstens 4 Figuren hinzu, die man 'Cavals' (!) nennt. Sie entsprechen der Farbe der französischen Karte und stehen ihrem Werte nach zwischen Dame und Bube. Außerdem aber besitzt die Tarokkarte noch 22 Blätter, die mit beliebigen (!!!) komischen (!!) Figuren bemalt sind und am oberen Rande eine römische, ihren Wert anzeigende Zahl tragen. Das höchste Blatt trägt keine Zahl, sondern zeigt nur die Figur eines Hanswurstes (!). Es ist das höchste Blatt im ganzen Spiel und wird Skys (?) genannt. Das zweite (!) heißt Mond und trägt die Zahl XXI (!!!). Die niedrigste Karte mit der Zahl 1 heißt das Pagad. Sie gilt neben den beiden höchsten als Matador (!) und




    1) Manchmal auch nur 54



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    zählt im Stiche mehr als die übrigen Karten, die höhere Nummern tragen" usw.

    Soweit das "Große Buch der Kartenspiele"! Die gebotene kleine Probe (die übrigens fast die ganze Beschreibung des Taroks darstellt), dürfte genügend den Verfall des eigentlichen Tarots im Tarok gezeigt haben. Hierbei sei eine Bemerkung gestattet. Nach der Meinung sowohl des Verfassers, als auch nach der von berufenen Forschern, entstammen letzten Endes sämtliche Kartenspiele der Welt, dem Tarot, das eben degenerierte in gleicher Weise, wie aus dem berühmten Schachspiel das oberflächliche Damenspiel entsprang, das kaum einen Abglanz des königlichen Schachs darstellt. -

    Man wolle auch obige "Tarokbeschreibung" (!) einmal mit unseren Darlegungen im ersten Teil vergleichen, und man wird mit Hoffmann sprechen müssen: "Schaudern erfaßt mich" (Hoffmanns Erzählungen, III. Akt).

    Daß in den ganz deutschen Tarokspielen die 4 Symbole der kleinen Arkana so dargestellt werden:

    Kelche durch Herzen, Münzen durch Schellen, Schwerter durch Blätter, Laub, Szepter durch Eicheln.
    sei nur nebenher erwähnt. Weitere Tarots sind noch:

  1. Der Tarot von Besançon.

  2. Der doppelköpfige Tarot von Besançon.

  3. Der Tarot von Watillaux.

  4. Der Etteila-Tarot.

Über alle diese Tarotarten ist nicht mehr viel zu sagen. Papus nennt den 9. gut, den 12. schlecht, wenn auch verbreitet zu Wahrsagezwecken, und hat in bezug auf letztgenannten auch aus weiter unten angegebenen Gründen recht. Der Tarot von Watillaux soll sehr gute kleine Arkana haben. Endlich kommen wir zum Schluß noch zu sprechen auf:

  1. Das Buch Thot. Hier finden wir einen gutenTarot wieder, der sich auf den von Etteila stützt. Aber, und hier müssen wir Papus recht geben, nur der Eingeweihte bzw. Tarotkundige vermag hierin überhaupt noch einen Tarot, und sogar einen sehr guten, zu entdecken! Das liegt vor allem daran, daß 1. die großen Arkana keine hebräischen Buchstaben aufweisen, 2. die Reihenfolge der großen Arkana vollkommen willkürlich gewählt ist, 3. die Bezeichnungen der Arkana vollkommen andere sind; es sind dafür Eigenschaften usw. gewählt, 4. einige große Arkana aus unbekannten





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    Gründen durch völlig andere ersetzt sind; und zwar fehlen bzw. sind durch andere Symbole und Bilder ersetzt:

    1. Arkanum 3: "Kaiserin" durch nacktes Weib in Hügellandschaft von elf horizontal schwebenden Kreisen umgeben,
    2. Arkanum 4: "Kaiser" durch Wolkenhimmel,
    3. Arkanum 6: "Liebenden" durch Felsenlandgehaft mit Sonne und Mond,
    4. Arkanum 12: "Gehenkter" durch Meeresstrand mit Tieren.

    Die Reihenfolge der großen Arkana ist (unter anderer Bezeichnung, wie schon gesagt wurde):

    (4) - 19 - 18 - 17 - 21- (6) - (12) - (3) - 8 - 14 - 11
    2 - 5 - 15 - 1- 20 - 13 - 9 - 16 - 10 - 7.

    Die eingeklammerten Arkana sind, wie vorhin gezeigt, andere als die großen Tarotarkana. -

    Die an sich sehr schönen "kleinen Arkana" zählen stets rückwärts von zehn bis, eins. Die 78. letzte Karte erst entspricht dem Narren 0. -

    Für den Kundigen hat es den Anschein als ob der Verfertiger des "Buchs Thot" entweder den eigentlichen Tarot falsch verstanden hat oder aber die Absicht hatte, den Tarot der Schöpfungsgeschichte anzupassen, was sehr wahrscheinlich ist. - jedenfalls wurde der ursprüngliche Tarot völlig verdunkelt, wo nicht unkenntlich gemacht. Merkwürdig bleibt jedoch immer, daß von den 22 großen Arkanen 18 sich, wenigstens der symbolischen Form nach, gut erhielten, desgleichen die ganz hervorragend guten kleinen Arkana, die weit, weit besser sind, als die vom "Tarot Marseille". Im deutsehen Handel ist das Buch Thot, dessen letzte neue Auflage im Jahre 1857 in Stuttgart erschien, wohl kaum mehr zu haben.

Tarotkarten brauchbarer Systeme aufzutreiben, ist gegenwärtig ungemein schwierig, darum ist die Herausgabe des vorliegenden Werkes dem Verlag hoch anzurechnen, zumal in richtiger Würdigung aller technischen usw. Schwierigkeiten. 1)

Ehe wir uns mit den verschiedenen Methoden des Tarotschlagens, des praktischen Tarots, beschäftigen, wollen wir im nächsten Kapitel noch einen Blick auf die magische Seite des Tarots tun.




    1) Aufgezogene, gebrauchsfertige Spiele sind vom Verlag zu beziehen.