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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
- Allgemeine innere und äussere Geschichte der Bauhütte -
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1863

B a n d III. - Kapitel V., Teil 8, Seiten 601 - 665

Die deutschen Bauhütten.

erbaut haben und hier 1330 als Werkmeister verstorben sein. 1) Zahlreicher sind dagegen die Kirchenbauten, welche noch während des langsamen Vorrückens des Dombaues zu Cöln als Nebenarbeiten oder unter dem Einflusse der dortigen Bauhütte entstanden; 2) es mögen nur genannt werden die Cistercienserabtei zu Altenberg, deren Neubau im J. 1255 begann, jedoch erst 1379 geweiht wurde, - die schöne Stiftskirche zu Xanten, die Stadtkirche zu Ahrweiler und die als eine der schönsten Leistungen des gothischen Styles in Deutschland berühmte Katharinenkirche zu Oppenheim, obwohl bei der letztern der Einfluss der Cölner Bauhütte zweifelhaft ist, 3) - die Kathedrale von Utrecht, die Kathedrale von Metz. Schnaase (V. S. 552) glaubt das J. 1260, in welchem zu Mainz die Barbarakapelle in den edelsten und elegantesten gothischen Formen errichtet wurde, als dasjenige bezeichnen zu können, wo ganz vereinzelte Ausnahmen abgerechnet, die letzten Nachklänge des romanischen Styles in den Rheinlanden verschwunden seien. Nicht nur wurde die Zahl der Meister immer grösser, welche in den Hütten von Trier, Cöln und Strassburg, oder an andern, von diesen abgeleiteten Bauten, oder endlich auf selbstständigen Wanderungen in Frankreich die Schule gothischen Styles




früher Guhl, die Frauen in der Kunstgesch., Berlin 1858, S. 46 ff. Guhl führt an, dass auf einem von dem Apostel Johannes an dem Portale des südlichen Querschiffes des Münsters zu Strassburg gehaltenen Spruchbande in lateinischer Sprache die beiden Bittzeilen stehen:
            Der göttlichen Gnade Heil werde Sabina zu Theil,
            Deren Hände aus dem harten Steine dies mein Bildniss machten!
    1) Schnaase , V. S. 510; Symbolik, II. S. 769, Anm. 2.
    2) Vergl. Schnaase, V. S. 544 ff.
    3) Vergl. Fr. H. Müller, die Katharinen-Kirche zu Oppenheim, ein Denkmal teutscher Kirchenbaukunst aus dem 13ten Jahrhundert, Darmstadt 1823. - Kugler im deutschen Kunstblatte 1857, S. 14, betrachtet die von 1262 - 1317 im ersten reichen und glänzenden, aber noch völlig lautern gothischen Style erbaute Katharinenkirche zu Oppenheim als einen merkwürdigen Uebergangs- und Vermittlungspunkt zwischen den gothischen Systemen des Nieder- und des Oberrheins, der östlichen und der westlichen Districte.



gemacht hatten, sondern der Ruf von der Schönheit und von den technischen Vorzügen dieses Styles war auch schon so gewachsen, dass die Bauherrn ihn verlangten und die Arbeit nur solchen Meistern anvertrauen wollten, die in ihm erfahren waren. Dabei war man aber sich völlig bewusst, dass der Styl aus Frankreich stamme, wie z. B. von der im J. 1262 - 1278 neu erbauten Stiftskirche zu Wimpfen ini Neckarthale (oben S. 469) erzählt wird, dass man dazu einen erst kürzlich aus Frankreich und aus Paris zurückgekommenen Baumeister berufen habe, um sie in französischer Arbeit (opere Francigeno) 1) auszuführen. Paris war also zu jener Zeit die höchste Schule der Baukunst und Schnaase folgert mit Recht, dass damals die strebenden Meister und Gesellen sich eine Wanderung und vielleicht sogar eine wiederholte Wanderung nach Frankreich, um stets wieder die neu entstandenen und entstehenden Bauten kennen zu lernen, zur Regel gemacht haben, woraus er sich zugleich erklärt, dass man bei den Dombauten zu Cöln und Strassburg Anklänge an kurz vorher entstandene oder selbst noch erst in der Ausführung begriffene französische Bauten trifft. Die Meister und Gesellen aus dem innern Deutschland machten gewiss ihre Wanderungen zunächst nach dem Rheine, besonders nach den Bauhütten von Cöln und Strassburg, obwohl dieses Schnaase nicht zugeben will und meint, dass nicht allein die rheinischen Werkleute, sondern auch solche aus den innern Gegenden Deutschlands nach Frankreich gewandert seien. Die Werkleute aus dem innern Deutschland haben ohne Zweifel in der Regel der Kosten und noch mehr der Sprache wegen ihre Wanderungen bis an den Rhein beschränkt, wo sie ja auch genug zu sehen und zu lernen hatten, wie umgekehrt die rheinischen Meister und Gesellen sich im Innern Deutschlands, wo die neue Baukunst noch unbekannt und unangewandt war, Beschäftigung und Bauten suchten. Die Rheinlande sind daher wirklich und nach der Natur der Verhältnisse die Vermitteler zwischen der französischen und deutschen Gothik, wenngleich bei der damaligen, für unsere Zeit fast unbegreiflichen Bau-




    1) Schnaase, V. S, 553 Anm.



lust und Bauthätigkeit die Vermittelung und Mittheilung so rasch erfolgte, dass man an ein gleichzeitiges und unabhängiges Aufkommen denken konnte. Je weiter der gothische Styl sich von seinem Mutterlande entfernte und je mehr er nicht mehr unniittelbar übertragen wurde, um so mehr musste er an seiner Eigenthümlichkeit und Reinheit verlieren und Abänderungen erleiden, wie dieses im Innern Deutschlands in der That der Fall ist. 1) Wenn wir nur erst eine vollständige Sammlung der an den deutschen Kirchenbauten vorfindlichen Steinmetzzeichen besässen, vermöchte hierüber eher und leichter ein urkundliches Urtheil gefällt zu werden. Es ist gewiss ein Widerspruch mit der Bewunderung, welche auch Schnaase, wenngleich im letzten Bande seines schönen Werkes (VI. S. 267 ff.) mit vielen zurücknehmenden Beschränkungen, gleich vielen Andern, selbst Ausländern, z. B. Whewel, dem Kunststyle der Kölner Bauhütte zollt, dass dieser dennoch bei den deutschen Meistern ihrer Zeit keine Anerkennung gefunden und diese ihre Baustudien lieber unmittelbar in Frankreich gemacht haben. Der so hervortretende Dom zu Halberstadt 2) möchte namentlich unter Kölnischen Einflüssen gebaut worden sein; nach Schnaase soll die Plananlage die Mitte zwischen französischer und deutscher Weise halten. Der Dom zu Meissen tritt schon durch seinen schlanken durchbrochenen Helm, seine schönste Zierde, 3) den rheinischen Dom- und Thurmbauten an die Seite. Um zu erkennen, in welcher Weise der französische oder gleichsam pariser Baustyl nach Deutschland übertragen, in das Deutsche übersetzt worden sei, darf man sich aus einer uns viel näher liegenden und verständlichern Zeit nur erinnern, auf welchem Wege und durch welche Vermitteler die französische Revolution und ihre neuen Ideen und Einrichtungen mit der abschliessenden napoleonischen Gesetzgebung, wenn auch allerdings zum grösseren Theile anfänglich durch die Gewalt des




    1) Vergl. Schnaase, V. S. 556 ff.
    2) Schnaase, V. S. 565 ff.;
Otte, S. 94 ff. und S. 132 ff.
    3) Schnaase, V. S. 570. Ueber die Thürme überhaupt vergl. auch Otte, a. a. O., S. 15 ff.



erobernden Schwertes nach dem rechtrheinischen Deutschland Eingang gefunden haben, nämlich durch das linkrheinische, - durch die deutschen Rheinlande. Anscheinend gilt dieses vielleicht als eine höchst unnöthige, weil unbestrittene oder doch kaum zu bestreitende Behauptung: allein was man auf dem Gebiete der Politik und des, Rechtes zugibt, bestreitet man bezüglich der wirklichen und symbolischen Baukunst. Die deutschen Rheinländer sind insofern auch an Geist, Beweglichkeit und Regsamkeit die deutschen Franzosen, als sie zwischen Frankreich und Deutschland in Land und Leuten, in Sprache und Sitten, in Recht und Gesetz das Uebergangs- und Durchgangsland bilden und als Grenzwächter nicht schlafen, sondern wachen und wo es sein kann und darf, auch freundlich mit ihren Grenznachbarn sich unterreden und, mit ihnen verkehren. Nach dem Sturze der napoleonischen Herrschaft verlangten die Rheinlande dennoch mit unerschütterlicher Festigkeit die Beibehaltung der frühern französischen Einrichtungen und Gesetzgebungen, so dass diese nicht allein fortbestehen durften, sondern auch die rechtrheinischen Einrichtungen und Gesetzgebungen nach ihnen abgeändert und mit ihnen in Uebereinstimmung entweder schon gebracht wurden oder noch werden werden. Der nordfranzösische (Gesetzes-) Styl ist hier zum leider wiederholten Male nach Deutschland eingedrungen, wobei zu allen Zeiten aber der letzte und wesentlichste Grund des Eindringens des französischen (römischen) Styls und Gesittung der Mangel an jedem guten Style und an höherer Gesittung auf der rechtrheinischen Seite Deutschlands gewesen ist, da das Licht nur die Finsterniss zu erleuchten oder nur im noch leeren Raume ein anderer Gegenstand Aufnahme finden kann. Die Germanen, die Deutschen waren gleichsam die tabula rasa, die Wachsschreibtafel, welche die römisch-gallischen Lehrer, die Römer und romanischen Gallier überschreiben mussten. Was aber in unsern hochgebildeten und hochberühmten Tagen möglich war, musste im Anfange der germanischen und der deutschen Geschichte noch weit möglicher gewesen sein. Wie über der Rheinbrücke von Cöln nach Deutz sofort eine neue rein deutsche oder deutschere,





stillstehendere und erstarrtere, schwerfälligere Gesetzgebung beginnt, ganz ebenso verhält es sich mit dem westphälischen (und sächsischen) Baustyle 1) im Gegensatze zu dem rheinischen; die unmittelbaren rechtseitigen Lande des Oberrheins sind und waren aber der Lage und dem Volksstamme nach dem gallisch-römischen und französischen Wesen stets zugänglicher, woher die Uebereinstimmung zwischen der Strassburger und Freiburger Bauhütte und der französischen und badischen Gesetzgebung. Ebenso ist von sehr grosser Bedeutung die unmittelbare Völkerverbindung und Völkervermischung, welche selbst durch tägliche zahlreiche Verheirathungen und Auswanderungen von herüber und hinüber in solchen Grenzlanden stattfindet. Die Völker hängen sowohl in ihrer Aufeinanderfolge, wie in ihrer Gleichzeitigkeit zusammen, oder die Völker der Vergangenheit und der Gegenwart bilden allein die Menschheit in Zeit und Raum, die da war, da ist und da sein wird, weshalb eine jede wahrhaft geschichtliche oder menschliche Betrachtung eine universalhistorische, d. h. eine sich über alle Länder und alle Zeiten ausdehnende, eine umsich- und eine rückwärtsschauende sein muss, um eine einsichtige und vorsehende sein zu können; die Zukunft ist geöffnet, wenn die Gegenwart und Vergangenheit nicht verborgen ist. Das deutsche Ober- und Mittelrheinland sind zugleich das südliche in vollem Sinne des Wortes, wo zwar nicht die Citronen blühen, aber doch die Reben wachsen und daher feuriger das Blut in den Adern rollt und fröhlicher der Gesang ertönt. Im kälteren Norden fehlen die Reben, die Berge und die Steine, der poetische Frühling des Lebens und der Kunst; die natürlichen und künstlichen Südfrüchte werden dem Norden aus dem Süden zugeführt, wenn er nicht ganz darauf verzichtet.

Die Geschichte der deutschen Baukunst, - der gothischen Baukunst in Deutschland, welchen Namen z. B. Schnaase, IV. 1. S. 122 Anm., vorzieht, ist auch die Geschichte der deutschen Bauhütten; die deutsche Baukunst und die deutschen Bauhütten entstehen, blühen




    1) Vergl. Schnaase, VI. S. 272 ff.



und vergehen gleichzeitig. In England dagegen entwickelte sich am Ende des 17ten und im Anfange des18ten Jahrh. in den Bauhütten aus den darin enthaltenen bardischen Lehren und Keimen die heutige Freimaurerei, welche Entwickelung dadurch veranlasst und begünstigt wurde, dass sich in Folge der politischen Ereignisse eine grössere Anzahl Nichtmaurer in den Bauhütten und Bauzünften Aufnahme verschafft hatte und diese blos angenommenen Maurer zuletzt das Uebergewicht gewannen, indem sie die bisherige Nebensache der geistigen Lehren und Grundsätze zur alleinigen Hauptsache erhoben. Es ist ein ausserordentlich beachtsames Verhältniss des kymrisch-keltischen Volksstammes, der Wälschen, dass dieselben schon zwei Mal universalhistorisch anregend geworden sind, im 11ten Jahrh. durch den historischen Roman oder die romanhafte Historie des Gottfried von Monmouth, 1) durch die Ritterromane, und im 18ten Jahrh. durch den Maurerroman, die Freimaurerei. Jedenfalls sind die Kelten den Germanen im Ideellen, in der Poesie, im Romanhaften, im Phantastischen, im Ritterlichen, im Allgemeinmenschlichen, im Herzen überlegen, was gewiss hier mit dem Leben im rauhen neblichten und den Menschen in sich selbst und an den Menschen drängenden Leben zusammenhängt. Dieses Entstehen der Freimaurerei nicht auf rein germanischem, nicht auf deutschem Boden und auch nicht einmal aus kirchlichen oder christlichen Elementen, sondern in dem mehr keltisch-romanischen England aus einer unleugbaren Mischung vorchristlicher oder druidischer, bardischer und christlicher Lehren schliesst zugleich mit Nothwendigkeit in sich, dass die Geschichte der Freimaurerei, - ihre Gebräuche, Symbole und Lehren nur aus dem Heidenthum oder Alterthum und aus dem Christenthume vereint begriffen und erklärt werden können und dürfen, wie wir dieses hier und in der Symbolik




    1) Vergl. darüber noch San-Marte, zur Kritik der historia regum Britanniae des Gottfried von Monmouth, in den neuen Mittheilungen aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen, herausgegeben von dem thüringisch-sächsischen Verein, IX. 1. (Halle 1857) S. 49 ff.



versucht haben, zufrieden damit, wenn nur der Grundgedanke Anerkennung und weitere Durchführung erhalten sollte. Die der Freimaurerei zu Grunde liegenden Grundsätze der allgemeinen Duldung des Glaubens aller Völker und aller Menschen und die Anerkennung des Allgemeinmenschlichen ist in England das einfache versöhnende Erzeugniss des Jahrhunderte langen Kampfes, welchen zuletzt noch in den Bauhütten und Bauzünften das unterdrückte Volk und der unterdrückte Glaube gegen den siegreichen Eroberer und die herrschende Kirche geführt hat. Das blaue Kleid, welches der walische Oberbarde (Bardd ynys Prydain) trug 1) und woher auch das blaue Band der Maurer stammen möchte, könnte als das Symbol der unerschütterlichen Vaterlandstreue und alten Volkssitte gedeutet werden. Die Freimaurerei dürfte vielleicht der keltische Ritterroman der britischen Bauleute, das Ritterthum der Bauleute genannt werden, und jedenfalls sind das Ritterthum und die Freimaurerei denselben Wurzeln entsprossen. Fr. Schlegel, Philosophie der Gesch., II. S. 152 sagt: "Die Zeit und die Geschichte des Ritterthums waren schon an sich eine Poesie in der Wirklichkeit und im Leben selbst", und dieses darf mit allem Rechte auch auf die heutige Freimaurerei angewandt werden, darin allein liegt ihr Bedürfniss und ihr ganz unschätzbarer Werth. ln einer so kalten, so flachen, so eigennützigen und feindlichen Welt, wie der unsrigen, ist es unendlich erhebend und stärkend, doch zuweilen auf einige Stunden den schönen Traum der allgemeinen Menschenliebe, Gleichheit und Freiheit zu träumen. Die tadelnden Ansichten, welche Fr. Schlegel in der 18ten Vorlesung seiner Philosophie der Geschichte über die Freimaurerei vorgetragen hat und wobei der nach ihm über die Brücke des Ordens der Tempelherrn nach dem Abendlande gekommenen Freimaurerei einerseits eine in die Sentenzen der allgemeinen Menschenliebe eingehüllte unchristliche Gesinnung vorgeworfen und andererseits die mit Absicht im Stillen geschehene Vorbereitung mancher geschichtlichen Begebenheiten zugeschrieben wird, beruht




    1) Eckermann, III. 2. S. 132.



eben so sehr auf einer Unkenntniss der wahren Geschichte und Grundsätze des Freimaurerbundes, als auf einer falschen Beurtheilung jener Begebenheiten, zumal wenn berücksichtigt wird, wie es berücksichtigt werden muss, dass die Freimaurerei mit jenen Verbindungen gar nichts zu thun hat, welche sich als geheime blos der äussern Formen der Freimaurerei bedienten, wie z. B. die Illuminaten in Deutschland, die Jakobiner in Frankreich, die Carbonari in Italien u. s. w., ja selbst die verschworenen königlichen Anhänger in England, welche sich in die Freimaurerlogen geflüchtet und verborgen hatten, aber hier einen eigenen Bund im Bunde, besondere Grade für sich bildeten, die den Freimaurern als solchen völlig fremd und unbekannt waren und auch blieben. Wenn bei politischen Kämpfen auch Freimaurer betheiligt erscheinen, sind sie es durchaus nicht wegen ihrer freimaurerischen Gesinnungen und Grundsätze, sondern gegen dieselben und in Folge der davon verschiedenen und unabhängigen, in der Regel auch frühern oder vorgängigen und nicht mehr zu ändernden allgemeinen politischen Neigungen und Meinungen, wie auch dem Christentliume niemals zur Last gelegt und als Schuld angerechnet werden darf, was getaufte Christen thun, sündigen und verbrechen, oder wenn gar verirrte Christen Heiden und Christen im Namen Christi verfolgt und gemordet haben. In dem Ausspruche Schlegel's: "Eine eigentlich für das Ganze der Menschheit wohlthätige, politisch richtige, in ihrer Absicht und Richtung wahrhaft christliche, kann wohl unmöglich eine Gesellschaft gewesen sein oder genannt werden, aus deren Schooss, als der geheimen Werkstätte des zerstörenden Zeitgeistes, nach einander die Illuminaten, die Jakobiner und die Carbonari hervorgegangen sind", - ist ein wahres Uebermass historischer Unwahrheit, um nicht zu sagen Lüge, enthalten. - Das Römerthum, das Alterthum, das Antike, das Südliche musste an den Ufern des Rheines, in dem nördlichen Frankreich und bis hinüber auf den grossbritannischen Inseln mit dem Germanen- und Keltenthume, mit der Neuzeit, mit dem Modernen und Nördlichen im Kampfe unterliegen, weil hier die Germanen und





Kelten nicht blos überwiegend, sondern ausschliesslich lebten. Die siegenden Germanen setzten am Rheine und im nördlichen Frankreich der romanischen Baukunst, den römischen Traditionen in der Baukunst zuerst die germanische, die gothische Baukunst entgegen 1) und stützen dieselbe in den sich erhebenden neuen Städten durch die Bauzünfte und die besondern Bauhütten; nach dem allmähligen Aufhören der Bauten bildeten die Kelto-Germanen, der Neu-Druidismus oder Neu-Bardismus in den Freimaurerlogen die Menschenbaukunst aus, erbauten der Menschheit Tempel, schufen die Tafelrunde der Menschenliebe. Vor dem neuen Tempel der Einen Menschheit stehen als die beiden starken Säulen, als die wachenden Löwen die Germanen und die Kelten; die Erde, das Weltgebäude ist die grosse Menschenbauhütte. Nach Britannien und auf Britannien in die Gebirge von Wales hatte sich der Bardismus gerettet, um von hier zur geeigneten Zeit in geläuterter Gestalt sich über die ganze Erde auszubreiten, - als ein glänzendes Licht nach allen Weltgegenden auszustrahlen. Diese Aussendungen der Freimaurerlogen während des 18ten Jahrh. von England aus erinnern an die zahlreichen Bekehrungsboten, welche im 6ten und 7ten Jahrh. aus Irlands übervölkerten Klöstern nach Gallien, Italien, der Schweiz und Deutschland zogen und hier so mächtig zur Ausbreitung des Christenthums und der christlichen Bildung beitrugen. 2) Sehr beachtenswerth, aber wenig aufgehellt und wohl auch niemals bestimmt aufzuhellen, ist dabei der Umstand, dass das Christenthum aus dem Oriente und namentlich durch ägyptische Mönche nach Irland gebracht worden, weshalb z. B. Ferdinand Keller in den Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. VII. Heft 3: "Bilder und Schriftzüge in irischen Manuscripten", die Eigenthümlichkeit der irischen und der ihnen nachgebildeten angelsächsischen Miniaturen aus ägyptischen Einflüssen hat erklären wollen, wogegen sich aber Schnaase, IV. 2. S. 460, des-




    1) Vergl. auch Schnaase, IV. 2. S. 588 ff.
    2) Schnaase, IV. 2. S. 461 ff.



halb ausgesprochen, weil wir keine Spur haben, dass in Aegypten ein ähnlicher Styl geherrscht habe; die phantastische Miniaturzeichnerei der Iren sei vielmehr aus dem eigenthümlich phantastischen Geiste der keltischen Völker abzuleiten; das Wohlgefallen am Symmetrischen finde, sich schon in den Alliterationen und Reimen der skandinavischen Dichtung und den Triaden der keltischen Heiden.

Das Aufkommen der städtischen Zünfte und Bauhütten, der bürgerlichen oder nichtklösterlichen Bauschulen ist eine grosse weltgeschichtliche und ausserordentlich bedeutsame Erscheinung und Thatsache, indem dieselbe nur eine Seite oder Wirkung des allgemeinern bürgerlichen oder volksthümlichen Zeitgeistes und Zeitrichtung ist, welcher der Geistlichkeit, den Mönchen und Geistlichen, die Handwerke, die Künste und Wissenschaften als ihren alleinigen oder doch bevorrechteten Besitz entringt und zu einem allgemeinen Volksgute macht. Im J. 1290 übernahm so die städtische Behörde zu Strassburg die Fortführung und Vollendung des bis dahin von der Geistlichkeit geleiteten Dombaues. 1) Auch zu Freiburg betrieb der Rath der Stadt den Dombau auf das Eifrigste und ähnlich an andern Orten, z. B. zu Nürnberg bei der Frauenkirche, bei dem Münster zu Ulm, zu welchem laut eines darüber in dem Münster befinlichen gleichzeitigen Denkmals Namens des Rathes der Stadt Ulm am letzten Dienstag des Monats Juni 2) im J. 1377 der Burgermeister Ludwig Kraft mit grosser Feierlichkeit den Grundstein legte und wobei sich, wie noch mehr bei den zahlreichen kirchlichen und weltlichen Bauten zu Nürnberg, eine lang blühende Bau- und Steinmetzhütte einheimischer oder doch der Landesgegend angehöriger Meister erhob, aus welcher im J. 1402 Ulrich Ensinger zur Uebernahme des Strassburger Münsterbaues berufen werden konnte und woran sich zugleich Schulen bildender Künstler anschlossen, 3) - bei der von der Bürgerschaft im Jahr




    1) Schnaase, VI. S. 264.
    2) Vergl. auch Otte, Gesch., S. 121 ff.
    3) Schnaase, VI. S. 295 ff.; Mauch, im deutschen Kunstblatte 1855, S. 425 ff., 1856, S. 167 ff. und 1857, S. 131 ff. und S. 306 ff. Auf einem, die Weihe des Münsters ausdrückenden zwei-



1407 beschlossenen St. Martinskirche zu Landshut mit einem schönen, 456' hohen Thurme aus Backsteinen, dem grössten Kirchenbaue und dem Stolze jener Gegend, welchen Bau der auch anderwärts und hauptsächlich zu Straubing bauende Meister Hans Steinmetz geleitet hatte. 1) Zu Ulm legte im J. 1399 auch zu dem Augustinerkloster, genannt zu den Wengen, der regierende Bürgermeister gleiehfalls den Grundstein, 2) so dass also hier die ganze Kirchenbaukunst von dem Rathe und der Stadt an sich gezogen worden war. Wie in Ulm unter dem Schutze der bürgerlichen Freiheit und Macht mächtig die gothische Baukunst und die Kunst sich hoben, so war früher unter kaiserlicher Begünstigung, z. B. zu Goslar am Harze, eine tüchtige Lokalschule emporgewachsen, welche reiche Spuren der frühmittelalterlichen Epoche oder des romanischen Styles an mehreren Kirchen sowohl wie an mehreren Profanbauten zurückgelassen hat; 3) der im J. 1050 durch Papst Leo X. geweihte, zuletzt 5schiffige Dom zu Goslar musste im J. 1819 wegen zunehmender Baufälligkeit abgebrochen werden; der erst später überwölbte Dom war ursprünglich gleich den zahlreichen sächsischen Kirchen eine 3schiffige flachgedeckte Basilica mit Arkaden, in welcher die Säule einfach mit dem Pfeiler wechselte und die als romanische Kirche auch eine ausgedehnte Krypta hatte. - In diesem höhern Sinne die Bauzünfte und Bauhütten, die Baulogen betrachtend, kann das endliche Hervorgehen des Weltbürgerthums aus denselben weniger überraschen, stellt sich vielmehr als die natürliche und nothwendige letzte Frucht der jungen Pflanze dar. Es ist eine nichtssagende Phrase, dass der spätere Kosmopolitismus sich der Zunfteinrichtungen der Bauleute als eines passenden Kleides oder Gefässes bedient habe, denn im passenden Kleide oder Gefässe spricht sich jedenfalls




ten Denkmale übergibt, unterstützt von dem Pfleger der Stadt mit blossen Füssen, Bürgermeister Kraft die neue Kirche dem Jesuskinde zu Handen seiner Mutter Maria.
    1) Schnaase, Vl. S. 304 ff.
    2) D. Kunstbl. für 1857, S. 308.
    3) D. Kunstbl., 1857, S. 340 a ff.; Mithoff, mittelalterl. Kunstwerke in Goslar, Hannover 1857.



die verwandte Gestalt und der verwandte Geist aus. Der berühmte Wunderrock am Hofe des ritterlichen Arthur passte nur den reinen und getreuen Frauen. Man könnte die Geschichte der Baukunst bei den romanischen und germanischen Völkern in zwei grosse Abschnitte theilen, in die Mönchs- oder Kirchen- und in die Städte- oder Bürgerzeit; in der ersten bauten die Mönche, die geistlichen Orden, besonders der Benedictiner, Cistercienser, Templer und der deutschen Ritter, für sich die Klöster, in der zweiten errichteten die Städte und die Bürger Kathedralen, Dome und Kirchen und zugleich weltliche städtische Gebäude; als die dritte Zeit würde sich diejenige anreihen, in welcher weder die Mönche noch die Bürger bauten und daher nunmehr auch die Baukunst im eigentlichen Sinne aus den Logen entlassen wurde, - die Baukunst war frei von Jüngern geworden. Es ist dieses die reine Umkehrung des Logos-Evangeliums; zuletzt war nur das Wort und nicht mehr die anfängliche That; früher entstanden die schönsten Dome mit den höchsten und kühnsten Thürmen durch die in den niedern und unscheinbaren Bauhütten nebenan wohnenden Bauleute, jetzt werden die Bauhütten und Logen durch die Grosslogen gebunden und erdrückt. Ehe die germanischen Völker sich dem Kirchenbaue zuwenden konnten, mussten sie nicht allein zum Christenthume bekehrt sein, sondern auch die ersten Anfänge der Bildung in den Gewerben, Künsten und Wissenschaften empfangen haben. Die Aufgabe der Bekehrung und Belehrung hatte bei den Germanen die römische Kirche übernommen, und römisch, lateinisch war, was sie den Germanen gebracht hat und bringen konnte, die Religion und die Sprache, die kirchlichen und weltlichen Gesetze, das jus canonicum und jus civile, - die Gewerbe, Künste und Wissenschaften. Als jedoch die bekehrten germanischen Völker, die germanischen Christen gebildeter geworden waren und sich selbst einzurichten begannen, wollten sie ihre eigene Sprache reden und in ihrem Geiste und nach ihrer Weise leben und bauen, so dass jetzt die einheimischen und volksthümlichen Sprachen, Poesie und Prosa, - die Städte als gemeinsame Wohnplätze der neuen Bürger und bürgerlichen





Gewerbe die Baukunst und die Wissenschaften u. s. w. gleichzeitig und aus demselben Boden und Stamme emporwuchsen. Wo das deutsche und nordische Wesen nicht rein und ausschliesslich zur sprachlichen und geistigen Herrschaft gelangen konnte, erzwang es wenigstens eine Mischung und Verbindung des Römischen und Germanischen, des Südlichen und Nördlichen in dem Romanischen, in dem Wälschen, Grenzgemischten. Insofern ist die volksthümliche gothische Baukunst eine durchaus germanische; die germanischeg der gothische Styl ist nach dem Ausdrucke von Lübke, Gesch., S. 379, die höchste architectonische Schöpfung des germanischen Geistes, d. h. die Baukunst der germanischen Völker, die germanische Baukunst, wie sie Lübke abweichend von Schnaase mit Recht genannt wissen will und die Sprachen und Literaturen dieser Völker ja auch nach ihnen bezeichnet werden. Die germanisehe Baukunst ist das schönste Denkmal der freigewordenen germanischen Völker, des germanischen Bürger- und Städtethums und die Städte, die Zünfte, die Bauhütten, die Universitäten, - die Bürger, die Handwerker, die Baukünstler und Professoren sind die gemeinsamen Begründer und Beschützer des germanischen Lebens und Geistes, nur in verschiedenen Kreisen und auf andern Wegen. So weit die germanischen Völker, die deutschen Völker in die slavischen Länder, nach Ungarn, Polen und selbst nach Siebenbürgen, eindrangen, trugen sie auch den gothischen Styl und verkünden gothische Kirchen, dass hier Deutsche geweilt und zu Gott gebetet haben. 1) Lübke, a. a. O., meint: "Wie die reichen Handelsstädte die Waaren der entlegensten Länder, die Producte verschiedener Zonen in ihren Hallen aufgespeichert sahen, so bemächtigten ihre Baumeister sich auch mit freiem Blick der anderwärts bereits gewonnenen Resultate. Und was sie so errungen hatten, das bewahrten sie in ihren festen, zunftmässigen Verbindungen, den Bauhütten, deren Ordnungen als gemeinsames Band die Werkleute der bedeutenderen Städte nah und fern umfassten, als heilig gehaltenen Besitz. Darin besteht die Bedeutung der Bau-




    1) Schnaase, VI. S. 328.



hütten, über welche man mit wichtigthuender Geheimnisskrämerei so viel mystisch Ungereimtes verbreitet hat."

Die bürgerlichen und städtischen Handwerker und Steinwerkskünstler, Baumeister, denen ihr Handwerk und ihre Kunst die ausschliessliche Lebensbeschäftigung war und die zugleich durch stets neue Bauunternehmungen fortgebildet wurden, mussten die geistlichen Handwerker und Künstler, denen Handwerk und Kunst doch nur eines ihrer vielen und täglichen frommen Werke war und sein durfte, bald an Geschicklichkeit und Brauchbarkeit weit hinter sich zurücklassen, so dass umgekehrt die Geistlichen jetzt durch die Laien bauen liessen oder doch bauen lassen konnten. 1) Der Magister Johannes z. B., welcher im J. 1343 den Neubau des Chores in der Kirche des Cistercienserklosters Zwetl im Erzherzogthum Oesterreich begann, scheint ein Laie gewesen zu sein. 2) Das schöne gothische Thürmchen der Cistercienserabtei zu Bebenhausen in Schwaben baute der Laienbruder Georg von Salmansweiler in den J. 1407 - 1409. 3) Die Benedictinermönche zu Einsiedlen liessen um das J. 1500 durch den Baumeister Hans Lünd oder auch Lund von Schwyz, wohl in der Bauhütte zu Zürich gebildet, bauen und die Anfertigung der Altartafel im Chor der Klosterkirche wurde im J. 1514 zwei Bildhauern aus Schaffhausen verdungen.4) Dagegen vermochten in der Abtei Notre-Dame des Dunes in Flandern sechs aufeinanderfolgende Aebte von 1221 bis 1263 den Bau selbst zu führen und ihn, obgleich sie zuweilen 400 Personen brauchten, blos mit Hülfe ihrer Mönche, Laienbrüder und Dienstleute zu vollenden. 5) In Preussen gingen fast alle grossen Bauten vom deutschen Orden aus oder wurden von Baumeistern geleitet, die ihm eng angehörten oder unter ihm ihre Schule gemacht hatten. Indessen wurden zuweilen in einzelnen Fällen




    1) Schnaase, V. S. 155.
    2) Schnaase, VI. S. 323.
    3) Schnaase, VI. S. 257.
    4) Mohr, Regesten (des Klosters Einsiedlen), I. S. 84, Nr. 1115 und 1198, vergl. mit den Regesten von Pfävers. S. 103, Nr. 856.
    5) Schnaase, V. S. 149.



auch fremde Baumeister berufen, wie z. B. ein Baumeister Jacob von Mainz im J. 1360 ein Jahr in Preussen verweilte und von Xanten aus dahin gekommen war. 1) Die deutschen Ritter, welche auch grosse Besitzungen auf Sicilien hatten, folgten in ihren deutschen Bauten zum Theil der sicilianischen Architectur und Kunstgeschmacke, so auch bei der 25' hohen, nach Osten gewandten berühmten Statue der Himmelskönigin Maria aussen am Chore der Kirche zu Marienburg. 2)

Eine mit den bürgerlichen Bauhütten und mit dem gothischen Style durch dessen grössere Künstlichkeit und Zusammensetzung aufgekommene Kunstsitte und Kunsthülfe ist gemäss Schnaase, V. S. 151 ff., besonders eine besser ausgebildete Zeichnung. Hinsichtlich solcher Planzeichnungen gewährt das neuerlich in der Bibliothek zu Paris aufgefundene Skizzen- und Studienbuch des Vilars de Honecourt, eines vielgereisten Architecten aus der ersten Hälfte des 13ten Jahrh., welcher den Grundriss zu dem im J. 1230 begonnenen und 1251 vollendeten Chore der Kathedrale von Cambray gezeichnet hat, höchst belehrende Aufschlüsse. Welchen Werth die mittelalterlichen Bauleute auf die Fähigkeit der Entwerfung von Baurissen und Zeichnungen bei den Meistern gelegt und dass sie daran wesentlich den Meister erkannt und gemessen haben, möchte noch heute die Symbolik der Freimaurer erkennen lassen. Die Bildung des Architekten bestand hauptsächlich und zunächst darin, fremde Bauten und Baupläne möglichst genau zu studiren, aufzunehmen und zu zeichnen, was in den Bauhütten und auf Bauwanderungen erlernt werden musste und wodurch die Lernenden befähigt werden sollten, eigene Baurisse und Zeichnungen zu verfertigen und selbst zu bauen. Auch für die Kenntniss der Kunstsprache jener Zeit ist Villars wichtig. Die Strebepfeiler nennt Villars z. B. filloles, welches Wort zufolge Schnaase aus Pfeiler verderbt gebildet und dann in der romanischen Form als Fiale nach




    1) Schnaase, VI. S. 350.
    2) Schnaase, VI. S. 362; deutsches Kunstblatt für 1856, S. 153 a.



Deutschland zurückgekehrt sein könnte. Ist die Vermuthung von Schnaase begründet, würde auch darin ein Beweis enthalten sein, dass der gothische Styl dennoch wesentlich aus germanischen Bedürfnissen und Bestandtheilen erwachsen sei, womit zugleich das ablehnende, mehr oder weniger widerstrebende und abändernde und passive Verhalten des ganzen Südens, Italiens 1) und namentlich auch des sildlichen Frankreichs, der Provence und des Languedoc, 2) zusammenstimmt. Dem südlichen Frankreich wurde von dem nördlichen Eroberer und Herrscher mit den Coutumes von Paris eigentlich auch der gothische Styl als Gesetz auferlegt. Der gothische Styl drang in Frankreich fast gleichzeitig übrigens nach dem Süden wie nach dem Mittel- und Oberrheine, und nach der italienischen Seite hin in den österreichischen Alpen bezeichnet der gothische Styl auch die Grenzen des deutschen Wesens, verliert sich mit der deutschen Sprache, um der italienischen Sprache und dem romanischen Style die bestrittene Herrschaft zu überlassen. 3) Die berühmte Klosterkirche von Vallemagne wurde im J. 1257 gegründet, und bald darauf mit einem schönen Kreuzgange versehen. Zu der Kathedrale St. Just von Narbonne legte der Erzbischof Maurin im J. 1272 den Grundstein; der Bau, zu welchem Maurin nordfranzösische Meister berufen hatte und der als eines der edelsten Werke des gothischen Styls gerühmt wird, wurde im J. 1332 in seinem Chore vollendet, worauf der Bau gleich dem Cölner Dome, an welchen auch die hohen Maaswerkfenster nach K. B. Stark erinnern sollen, unvollendet stehen blieb. Die Kathedrale St. Nicaise zu Beziers und die östlichen Theile St. Nazaire zu Carcassonne sind erst am Ende des 13ten Jahrh. begonnen worden u. s. w. In der Auvergne war zu Clermont-Ferrand durch den Meister Johannes de Campis, dessen Heimathsort unbekannt ist, im J. 1248 eine prachtvolle gothische Kathedrale begonnen und deren Chor schon




    1) Lübke, S. 493.
    2) Schnaase, V. S. 174 ff. und VI. S. 123 ff.; Lübke, Geschichte, S. 379.
    3) Schnaase, VI. S. 327 ff.



im J. 1285 vollendet. In die romanische Schweiz fand der gothische Baustyl noch früher als in der Provence Eingang. 1) Die Kathedrale von Lausanne, vielleicht schon im 12ten Jahrh. begonnen oder Theile eines ältern Baues beibehaltend, gehört der Mitte des 13ten Jahrh. an; das Portal ihres südlichen Seitenschiffes hat zwischen Ringsäulen 6 Statuen, worunter Johannes der Täufer auf der einen Seite und Johannes der Evangelist auf der andern, in dem strengen byzantinisirenden Style, der in Frankreich im 12ten Jahrh. herrschte. Die Kathedrale von Genf ist in das 12te und 13te Jahrh. zu setzen; an den Capitälen ihrer Säulen finden sich phantastische Bildwerke, wie sie eigentlich mehr dem spätromanischen Style zukommen. Die Libertates Franchesie, Immunitates Usus et Consuetudines Civitatis Gebennensisi abgedruckt in den Mémoires et Documents, publiés par la Société d'Histoire et d'Archéologie de Genève, II. (Genève 1843) S. 312 ff., mussten noch im J. 1387 die auffallende Bestimmung über die in der Stadt aufzuführenden Privatbauten treffen: "Quod quicunque domum edificaverit infra civitatem, non edificet de paleis, de folliis, nec de sepe, nisi de darbeto. Et qui contra fecerit, cives et burgenses 2) impune possint diruere." In der alten französischen Uebersetzung lautet das Verbot: "Item que quiconque edifiera dedens la cite de geneue aulcune maison: quil ne la edifie point de paille, de feuilles, ne de boys." Bauzünfte, und überhaupt die Zunftverfassung werden in dem Statute nicht berührt. - Nach Lothringen wurde der frühgothische Styl schon um die Mitte des 12ten Jahrh. durch die Templer gebracht, indem diese um diese Zeit zu Metz eine Kapelle, ein Achteck mit kleiner Vorlage und Nische, erbauen liessen, welche den Uebergangsstyl zeigt, wie überhaupt die geistlichen Orden, besonders die Cistercienser und Templer, sehr viel für die Ausbreitung und Anwendung des französisch-gothischen Styls gewirkt haben. 3) Mehr schon macht sich dann der gothische Styl geltend an der wohl in den Anfang des




    1) Schnaase, V. S. 182 ff.
    2) Die Bürger werden wegen des abzulegenden Bürgereides auch jurati genannt.
    3) Schnaase, V. S. 205 ff.



13ten Jahrh. zu setzenden kleinen Kirche St. Martin zu Metz, an der im J. 1231 erbauten Kirche St. Nicolas de Graviére in Verdun und an der schönen Kathedrale von Toul, deren Chor um die Mitte und das Langhaus gegen das Ende des 13ten Jahrh. vollendet wurde, - an der im J. 1248 begonnenen Kirche St. Vincent zu Metz und zuletzt an der dortigen herrlichen, sich an den Cölner Dom anschliessenden Kathedrale, deren Herstellung im J. 1327 begonnen wurde, und die wegen der Uebereinstimmung der Formen Schnaase, Vl. S. 273, gleich der Stiftskirche zu Cleve unter dem Einflusse der Cölnischen Bauhütte entstanden glaubt. Indessen beginnt dennoch in Lothringen, welches damals auch noch einen Bestandtheil des deutschen Reiches bildete, zugleich die Herrschaft des deutsch-gothischen Baustyls, in welcher Hinsicht die wahrscheinlich um 1220 oder wenig später zu Vianden, dicht an der jetzigen preussischen Grenze, entstandene Schlosskapelle besondere Aufmerksamkeit verdient, indem dieselbe mit der französischen und deutschen Gothik gleich verwandt und von beiden auch wieder gleich unterschieden ist. Die Aufgabe der Strassburger Bauhütte, mag sie nun dieselbe klar erkannt haben oder nicht, war daher jedenfalls eine sehr hohe, - die Wahrung des deutschen Sinnes und Geistes in der Baukunst gegen das romanische und französische Wesen und Uebergewicht. Ohne gerade dem Vorwurfe der Schwärmerei und der Träumerei sich bloszustellen, darf man doch behaupten, dass der Wahl der Strassburger Dombauhütte zur obersten Bauhütte aller deutschen Bauhütten dunkel der Gedanke zu Grunde gelegen habe, es solle der Dom von Strassburg das gemeinsame Heiligthum der deutschen Baukünstler und des deutschen Volkes, das gemeinsame Baudenkmal Deutschlands sein, wie auch das Alterthum solche Gemeinheiligthümer, Gemeindenkmale, Gemeinheerde liebte und namentlich der Tempel der capitolinischen Gottheiten zu Rom ein Symbol und Ausdruck der von den letzten Tarquiniern angebahnten Einheit der römischen Bürgerschaft gewesen sein soll. 1) Der Dom zu Strass-




    1) Guhl und Koner, das Leben der Griechen und Römer, II. (Berlin 1861) S. 12 Anm.



burg sollte dem deutschen Volke, welches ja kein anderes Palladium hat, als das verlorene Palladium gelten, an dessen Wiedergewinnung das Höchste, Alles gewagt wird. Vorzüglich aber sollten alle wirklichen und alle symbolischen Bauleute feierlichst schwören, das verlorene Palladium und Meisterwort wiederzufinden, denn das Suchen, der blosse Willen kann hier nicht gleich der That betrachtet und geschätzt werden. Das Volk hat den Dom von Strassburg ruhmvoll gebaut, aber schmachvoll verloren. Die Baute steht fester als der Erbauer, und wenn nicht der gothische Baustyl, ist doch jedenfalls dieser deutsche gothische Bau nun französisch, zu dessen Füssen nicht die deutsche Zunge, aber der deutsche Arm und das deutsche Schwert erlahmt sind. Unwillig und betrübt möchte man fast Jenen zustimmen, welche das Schwert als thörichtes maurerisches (deutsches) Symbol erklären und abgeschafft wissen wollen; nicht das Schwert ist thöricht nur seine Träger und Führer sind es; soll das Schwert durchaus abgelegt werden, lege man es auf dem Altare des deutschen Domes zu Strassburg als das freudige Zeichen seiner Wiedereroberung nieder.

Auch Belgien, welches früher architektonisch mit Deutschland verbunden war, nahm bald den französischgothischen Styl an und nur an der Maas blieb der rheinische Styl vorherrschend. 1) Das wichtigste und imposanteste Gebäude Belgiens, theilweise in dem neuen Style, ist die Kathedrale von Tournay, 2) deren gothischer jetziger Chor im J. 1260 begonnen und im J. 1318 geweiht wurde und von Schnaase nicht unwürdig genannt wird, dem gleichzeitigen Chore des Cölner Domes an die Seite gestellt zu werden, obwohl Deutschland durch seine hohen gothischen Thürme sonst alle übrigen Länder weit übertrifft, 3) was zugleich das lebendigste Zeugniss für seinen idealen Sinn ist. Nach dem Ausdrucke Lübke's repräsentirt der Chor der Kathedrale von Tournay die glänzendste und anmuthigste Blüthe des gothischen Styls.




    1) Schnaase, V. S. 209 ff.; Lübke, Gesch., S. 430.
    2) Bei Schnaase, V. S. 213.
    3) Schnaase, VI. S. 250 ff.



Der 444' hohe gothische Thurm des Domes zu Antwerpen wurde erst im J. 1422 durch Jean Amel, welcher von Lübke als ein französischer Baumeister aus Boulogne bezeichnet wird, aber Peter Apelemman heisst (oben S. 417), begonnen. Der gothische Chor der Liebfrauenkirche zu Brügge wurde von 1230 - 1297 errichtet.

Dass man mit Erfolg den Gedanken fassen konnte, alle deutsche Bauhütten zu Einem Vereine unter einer obersten Leitung zu verbinden, hatte zu seiner nothwendigen Voraussetzung die wesentliche Uebereinstimmung aller deutschen Bauhütten in dem geübten Baustyle, - das Bestehen eines über ganz Deutschland sich ausdehnenden Baustyles, wie dieses mit dem Vorherrschendwerden des gothischen Baustyles in der Mitte des 15. Jahrh. und noch früher eingetreten war. Der gothische Baustyl, besonders in seiner Reinheit und Vollkommenheit, hat etwas Nationales und Kosmopolitisches, wie das letztere auch Schnaase, V. S. 229 Anm., hervorhebt, weil darin alle Verhältnisse genauer und sorgfältiger bestimmt sind und daher die gothischen Gebäude eine grössere Gleichheit an sich tragen müssen, sobald man einmal in diesem Style bauen wollte; die Verschiedenheiten und Eigenthümlichkeiten der Völker und der verschiedenen Theile des einzelnen Volkee verlieren zwar auf dem Gebiete der Gothik nicht ihre Bedeutung und ihren Einfluss, jedoch werden sie durch die grössere innere Einheit des gothischen Styls, durch dessen mathematisches Gesetz und Formel 1) mehr zurückgedrängt und beschränkt, - müssen den Geboten der höhern Kunst sich gleichsam schweigend beugen. Der gothische Baustyl hatte also eine völkereinigende, eine weltbürgerliche und kosmopolitische Kraft, wie sie die romanische Baukunst niemals hatte und deshalb darin auch die verschiedenen Landesgegenden und Länder eine so grosse Verschiedenheit darbieten. 2) Mit der Bezeichnung eines Gebändes als eines gothischen ist dasselbe vorstellbarer, begreiflicher und schärfer selbst für den blossen Laien bezeichnet, als




    1) Lübke, Gesch., S. 404.
    2) Vergl. auch Lübke, Geschichte. S. 380; Schnaase, V. S. 465.



wenn ein romanisches genannt wird, da das Romanische unbestimmter und vieldeutiger, getheilter ist. Der gothische Meister und Geselle ist durch seine Kunst weltbürgerlicher, d. h. seiner Kunst und seinem Gewerbe sind die Länder und Völker zugänglicher geworden, - er kann überall leben und arbeiten, wo die Kunst blüht, - wo Bauhütten stehen, - wo man Arbeiter fördert. Die weltbürgerlichen Lehren und Grundsätze der Bauleute sind demnach gleichfalls keine zufällige und willkührliche, sondern wenn nicht nothwendige, doch wenigstens natürliche und werden gleichmässig in allen ältesten ächten und unächten Urkunden verkündet. Die Gothik und das Weltbürgerthum sind der gleich lebendige Ausfluss des germanischen Gottglaubens, des germanischen Christenthums und mussten sich vereint als die zwei Grundsäulen des Lebens erheben, wo germanische Christen bauten; mussten die Bauten auch aufhören, blieb doch das Weltbürgerthum zurück. Die schnelle Entwickelung und Ausbreitung des gothischen Baustyls von Frankreich aus muss wohl ebenIalls aus seiner innern festern und abgeschlossenern Natur abgeleitet werden, indem diese eine schnellere und sichere Uebertragung und Aneignung ermöglichte. So schnell, so leicht und so vollständig eigneten sich verschiedene Völker den neuen nordfranzösischen Baustyl an, dass die Franzosen, Normannen, Engländer 1) und Deutschen sich lange die Ehre der Erfindung streitig machen konnten, bis man sie neuerlich den Nordfranzosen oder ihnen und den Deutschen überlassen hat. Nach England haben, wie Schnaase (S. 236) meint, die französischen Cisterciensermönche den Spitzbogen in der Mitte des 12ten Jahrh. in die dort von ihnen damals zahlreich gebauten Klöster hinübergetragen, ohne dass er jedoch hier anfänglich eine constructive Wirkung geäussert hätte. Im wirklichen gothischen Style baute in England an der Kathedrale von Canterbury, dessen Chor im J. 1174 ein Raub der Flammen geworden war, zuerst der als neuer Baumeister aus Frankreich berufene Wilhelm von Sens. 2) Gervasius,




    1) Vergl. Schnaase, V. S. 228 ff.
    2) Schnaase, V. S. 240 ff.; Lübke, Gesch., S. 433 ff. und S. 442; Bauhütte für 1862, Nr. 41 und 42.



der gleichzeitige Berichterstatter über den Brand und die Wiederherstellung der Kathedrale von Canterbury bemerkt von der Thätigkeit des Meisters Wilhelm: "formas quoque, ad lapides formandos his qui convenerant sculptoribus tradidit," wobei Schnaase, V. S. 241 Anm., dafür hält, es möge dahin gestellt sein, ob darunter Vorzeichnungen oder hölzerne Formen verstanden seien. In der Yorker Constitution ist als die 16te Pflicht aufgestellt:

"Ferner, kein Meister oder Gesell soll einen Andern, der nicht zum Maurer gemacht worden ist, in die Loge, zulassen um die Kunst des Formens (ars formandi) zu sehen, oder ihn Steine formen lassen, auch ihm kein Winkelmass oder Richtscheit machen, oder die Anwendung davon lehren." 1)

In der König Wilhelm III. beigelegten, einen Anhang zu der Yorker Urkunde bildenden Sammlung der maurerischen Pflichten und Satzungen vom J. 1694 lautet jene Verordnung:

"Kein Meister oder Bruder soll irgend Einem, der die rechten Zeichen nicht geben kann, einen Formstein, oderWinkelmass, oder ein Richtscheit, machen, oder diese Dinge zu gebrauchen lehren; er soll ihn auch nicht in einer Loge zulassen, oder ihn zum Steinformen gebrauchen." 2)

In einer alten, von Krause aus der Encyclopaedia Londinensis mitgetheilten und übersetzten Constitutionsurkunde heisst es:

"Und auch, dass kein Meister noch Genosse für einen blossen Maurer (Stein- und Ziegelleger) einen Stein forme und senkrecht und winkelrecht mache, noch einen Maurer in der Loge, noch ausserhalb anstelle, dass er Steine behaue oder forme." 3)

Bei Preston, Illustrations of Masonry, ist in einer alten Urkunde der Loge of Antiquity zu London jene Pflicht also ausgedrückt:




    1) Krause, II. 1. S. 100.
    2) Krause, II. 1. S. 106.
    3) Krause, II. 1. S. 165.



Dass kein Meister oder Genosse einen Formstein 1) mit dem Winkelmass und Richtscheit für einen Pfuscher bearbeite, noch einen Pfuscher in oder ausserhalb der Loge Steine formen lasse." 2)

Aus dieser Bestimmung ergibt sich mit aller Gewissheit, dass der Formstein ein geformter Stein und nicht etwa gebrannter, die Steinformen nur nachahmender Thon oder Backstein gewesen sei, in welchem Sinne in dem Gebiete des norddeutschen Ziegelbaues von Formsteinen geredet wird, z. B. von Schnaase, VI. S. 329. Auch meisselte man im Norden Steinfiguren, Capitäle aus grossen Backsteinblöcken, z. B. beim Dome zu Brandenburg. 3) In der revidirten deutschen Steinmetzordnung vom J. 1563, welche darin nur die frühere Verordnung wiederholt, ist unter der Ueberschrift: "Wen man ausszug oder sonst masswerk aus dem Grund underweisen soll", verordnet:

"Es soll auch kein Werckmann, Parlier oder Geselle, noch niemandts, wie der genandt ist, der nicht unsers Handwercks sei, auss keinen ausszügen oder Steinwercksgebrauch, keins ausgenommen, underweisen, aus dem Grund zu nemmen: der sich Steinwercks seine Tage nicht gebraucht, auch nicht genugsam bei einem Steinmetzen gedient hat nach unsers Handwercks brauch und Ordnung." 4)

Nunmehr vermögen wir wohl zu verstehen und zu erläutern, was zu Canterbury Meister Wilhelm gethan hat. Er richtete eine Bauhütte namentlich mit den nöthigen Steinmetzen ein, wie dieses von sich aus ein jeder wirklicher Meister thun durfte und auch heute noch thut, welcher einen grössern Bau auszuführen beginnt. Je nach Umständen und je nach den Rechten und Vortheilen, welche man beanspruchte oder zu erlangen wünschte, musste man indessen bei dem Herrn des Ortes oder bei den dazu zuständigen Behörden für die neu zu errichtende




    1) Vergl. auch Rich, Wörterbuch der römischen Alterthümer, unter forma, wornach auch die Römer ihre Formen oder Modelle aus Stein bildeten.
    2) Krause, II. 1. S. 176.
    3) Schnaase, VI. S. 334.
    4) Krause, II. 1. S. 299, vergl. mit S. 275, lit. n.



Bauhütte die Anerkennung, Privilegien, namentlich das Privilegium der eigenen Gerichtsbarkeit auswirken, wie dieses gewiss dem Meister Wilhelm und seinen etwaigen baukünstlerischen Begleitern gewährt wurde oder versprochen war. Den in seiner Bauhätte angestellten Steinmetzen, - his qui convenerant sculptoribus, übergab er (tradidit) Formsteine (formas), welche er selbst nach Bedürfniss und nach seinen Plänen anfertigte und nach denen die Steinmetzen weiter arbeiten mussten. Masswerk, von dessen Erfindung im nördlichen Frankreich Schnaase, V. S. 102 ff., handelt, sind zunächst die kreisförmigen Steinfiguren, mit welchen man in dem gothischen Style die bei der Vereinigung zweier kleinerer (innerer) Spitzbögen zu einem grössern Spitzbogenfenster oben zwischen den beiden divergirenden Schenkeln entstehende Lücke ausfüllte, welche Ausfüllungsfiguren und Kreise dann auch bei andern ähnlichen Lücken und Durchbrechungen angewandt wurden. Die kleinern Steinkreise innerhalb des grössern und äussern Spitzbogenfensters sind das eigentliche Masswerk. Auszüge, 1) welche in der gemeinen deutschen Steinmetzordnung dem Masswerke zur Seite gestellt werden, sind vermuthlich anderweitige Steinfiguren, welche nach bestimmten Planauszügen gefertigt werden mussten und weshalb das Planzeichnen in der gothischen Baukunst so wichtig war, wie z. B. auch die Visirung oder der Bauriss des Münsters zu Strassburg von Erwin noch jetzt vorhanden sein soll, 2) und der romanische, vielleicht zu Fulda entworfene, auf Pergament gezeichnete Bauriss des Klosters St. Gallen vom J. 820 von Dr. F. Keller in Zürich herausgegeben ist, auch Moller die glücklich wieder aufgefundenen alten Baurisse der jetzt ihrer Vollendung entgegengehenden Thürme des Doms zu Cöln veröffentlicht hat. 3) Lübke, Gesch., S. 390, versteht unter Masswerk die ganze Fensterkrönung im Gegensatze zu dem Stabwerke, den aufsteigenden Pfosten des Spitzbogenfensters. Die Kunst des Formens, der Auszüge und




    1) Vergl. Krause, II. 1. S. 276, Anm. 2.
    2) Krause, II. 2. S. 241.
    3) Otte., a. a. O., S. 7, Anm. 2.



des sonstigen Masswerkes soll einem nicht zum Steinhandwerke Gehörigen nicht mitgetheilt werden. In England gibt die im J. 1245 durch Heinrich III. begonnene Neubaute der Westmünsterabtei in London das früheste Beispiel des bisher in England noch unbekannten französischen Masswerks, 1) da französische Meister den Plan zur neuen Westmünsterabtei entworfen zu haben scheinen. Erst nachdem an dem Kapitelhause der Westmansterabtei bald nach dem J. 1250 4theilige Masswerkfenster angebracht waren, fand diese Form an den Kapitelhäusern, welche bald darauf bei andern Kathedralen wetteifernd angelegt wurden, Nachahmung. Der Unterricht im Steinformen nach den Formsteinen oder nach den Zeichnungen, nach den Auszügen war also der practische Unterricht in den Bauhütten im Gegensatze zum theoretischen Planzeichnen. Theoretische deutsche Schriften sind die von Heideloff in seiner Bauhütte abgedruckten:

  1. Geometria deutsch, angeblich von Hans Rösch von Gmünd 1472.

  2. Das Reissbüchlein der Massbretter von Matthias Roritzer, Dommeister von Regensburg, 1486.

Das Büchlein des Matthias Roritzer, welches im J. 1845 zu Trier Reichensperger richtiger als Heideloff herausgegeben hat, enthält eine Anleitung für die Construction gewisser Glieder, der Fialen, Wasserschläge u. dgl., aber dennoch ist darin eine Grundfigur als allgemeine, bedeutsame Wurzel des Ganzen, die man zuweilen z. B. in dem Würfel, in der Triangulatur und Quadratur aufzustellen versucht hat, 2) nicht gelehrt. Die angebliche kurze Arbeit des Hösch gibt nur eine geometrisehe Vorschule für Steinmetzen, eine Anleitung, um ohne Rechnung mit Zirkel und Lineal künstlerische Figuren, Fünfecke u. dgl. zu construiren.

Meister Wilhelm von Sens konnte den Bau zu Canterbury 3) nur 5 Jahre lang leiten und musste sodann er-




    1) Schnaase, V. S. 264 und 279.
    2) Schnaase, IV. 1. S. 319 ff.
    3) Bei Lübke, Gesch., S. 438.



krankt nach Frankreich zurückkehren, worauf ein Engländer, gleichfalls Wilhelm genannt, an seine Stelle trat. Schnaase (V. S. 242) hebt dieses mit dem begründeten Bemerken hervor, dass demnach um diese Zeit die Kunst schon ganz in die Hände der Werkverständigen aus dem Laienstande übergegangen war und dass die Geistlichen und Mönche sich dabei nur als Bauherrn verhielten. ln den grössern, aus der Römerzeit übrig gebliebenen Städten war die Baukunst auch stets von dem Laienstande forterhalten worden, wie z. B. erzählt wird, dass im Jahr 1219 das Gewölbe an der Apostelkirche zu Cöln per Alberonem laicum geschlossen worden sei. 1) Auch der im J. 1330 oder 1331 verstorbene Obermeister Johannes beim Dombau zu Cöln wird im dortigen Necrologium von Gross-St.-Martin aufgeführt: "15. Mart. Johannes laicus rector operis majoris eccles. Colon." 2) Der englische Baumeister Wilhelm arbeitete nach den Zeichnungen des französischen Wilhelm und mit den von ihm herangebildeten Arbeitern fort, wobei aber sofort der altenglische Baustyl wieder in einzelnen Theilen, besonders in der beibehaltenen Krypta hervortrat. Die Verbindung zwischen der französischen und englischen Baukunst vermittelten übrigens damals nicht allein die aus Frankreich stammenden Cisterciensermönche, sondern ebenso die Templer, welche vorzugsweise aus Franzosen bestanden und sich seit der Mitte des 12ten Jahrh. auch in England ausbreiteten. Die Templerkirche zu London ist in ihrem ältern Theile, welcher schon im J. 1185 die Weihe erhielt und nach dem Vorbilde der heiligen Grabkirche zu Jerusalem, wie die Templerkirchen gewöhnlich, einen Rundbau bildet, mit Hinneigung zum französischen Style erbaut oder gehört schon der Uebergangsform an. Ebenso verhält es sich mit der Vorhalle, der sog. Galiläa auf der Westseite des Doms zu Durham, welche zwischen 1180 - 1197 entstanden ist, 3) - mit den untern Theilen des Langhauses in der Kathedrale von Chichester aus ungefähr derselben Zeit, - mit dem Chore




    1) Schnaase, V. S. 347 Anm.
    2) Schnaase, V. S. 587, Anm. *.
    3) Schnaase, V. S. 248.



der Kathedrale von Winchester, welchen Bischof Gottfried von Lucy im J. 1202 mit Hülfe einer von ihm gestifteten frommen Brüderschaft begann. Es heisst bei Whittington in der letztern Hinsicht: "Anno 1202 Godfredus de Lucy constituit confratriam pro reparatione ecclesiae duraturam quinque annos completos." 1) Die Confratria bezeichnet hier nicht eine eigentliche Bauhütte, sondern eine auf 5 Jahre eingegangene Verpflichtung der Laienbrilder zur Leistung wohl von Geldbeiträgen und Handlangerdiensten, wie auch Schnaase die Stelle mit Recht auslegt. Mit unglaublicher Schnelligkeit bildete sich nun der sog. frühenglische gothische Baustyl (early English) aus, worüber das Nähere bei Schnaase, V. S. 253 ff., und bei Lübke, S. 433 ff., nachgesehen werden mag. Den diesfälligen Bauten von Worcester und Lincoln aus dem Anfange des 13ten Jahrh. folgte nach der Mitte dieses Jahrhunderts das bedeutendste Gebäude dieses Styls, die Kathedrale von Salisbury, welche gleichzeitig mit der Kathedrale von Amiens im J. 1220 begonnen worden war und zwar durch den aus der Normandie gebürtigen Bischof Richard Poope, welcher dazu nach einem Berichte auch berühmte Werkleute von jenseits des Meeres herbeigerufen haben soll. Nur von der berühmten Kathedrale von York, deren höchst ausgezeichnete, im J. 1402 vollendete Façade bei Lübke, S. 444, abgebildet ist, sei noch angeführt, dass ihre Kreuzschiffe von 1291 - 1330 und der Chor von 1361 bis 1405 erbauet wurden, 2) jene im englischen frühgothischen, dieser im spätgothischen Style. Die Kathedrale von York erhebt sich bis auf 92' Höhe und wird nur von der Westmünsterabtei in London mit einer Höhe von 101' übertroffen. In dem nördlichen Kreuzschiffe von York erscheinen noch einfache Lancetfenster und kein wirkliches Masswerk. Die gerade Schlusswand des Chors der Kathedrale von York hatte ein grosses, mit Masswerk gefülltes Fenster von 60 (englischen) Fuss Höhe. 3) - Als das Pracht- und Meisterstück des englischen gothischen Styls




    1) Schnaase, V. S. 249 Anm.
    2) Schnaase, VI. S. 182 ff.
    3) Schnaase, V. S. 280.



ist das kleine achteckige Capitelhaus zu Salisbury gemäss Schnaase , V. S. 290, anzusehen. Auch York hat ein achteckiges Capitelhaus mit einem Sterngewölbe von 47' Spannweite und von der bedeutenden Höhe von 67' ohne die Stütze eines Mittelpfeilers.

Je höher die Baukunst sich hob, je grösser der Kunstruf einer einzelnen Bauhütte stieg und in je lelbhafteren Verkehr die verschiedenen Bauhütten mit einander traten, je nothwendiger und nützlicher wurde es für den Meister und Gesellen, sich als Mitglied, als Genossen, als den brauchbaren Arbeiter einer bestimmten Bauhütte und des Steinwerks überhaupt ausweisen zu können. Für diesen Ausweis wurden gewisse Zeichen, Griffe und Worte gegeben und gebraucht, welche sicherlich auf uraltem Handwerksgebrauche, auf antiken Traditionen beruhten, wenn sie auch im Laufe der Zeiten bei den verschiedenen Völkern und in den verschiedenen Ländern einzelne Abänderungen und Zusätze erhalten haben mochten. Schriftliche Ausweise konnten schon deshalb nicht in Frage kommen, weil die Kunst des Schreibens und des Lesens noch selten war und hievon abgesehen, nicht die Zuverlässigkeit jener Zeichen, Griffe und Worte boten. Zugleich mussten die letztern allen Bauhütten, dem Steinhandwerke, den Bauleuten als solchen oder überall gemeinsam und bekannt sein, indem sie ja sonst nicht als allgemeines Ausweis- und Verkehrsmittel hätten dienen können. Mit dem entstehenden Weltverkehre unter den Handwerkern und besonders unter den Bauleuten bildete sich daher eine Art Weltsprache, die aber zunächst blos eine Zeichensprache, gleichsam eine Bildersprache sein durfte, weil sie allein eine allgemein verständliche und von Jedem leicht zu erlernende war. Erkennungszeichen, Symbole mussten daher statt der Worte und Reden dienen; sie wurden nicht allein sorgfältig durch den Handwerksgebrauch bestimmt, sondern bildeten nach dem Zeugnisse der gemeinen deutschen Steinmetzordnungen selbst einen Gegenstand der deutschen Reichsgesetzgebung. Um aber eine wirkliche Einheit der Kunst in den verschiedensten Bauhütten des Festlandes und der Inselländer herzustellen, um die Arbeiter der einzelnen Bauhütten möglichst in einer





jeden Bauhütte aufnehmen und gebrauchen zu können, mussten begreiflich auch die Handwerksgebräuche und Uebungen, die Steinmetzordnungen, die Techniken und selbst die technischen Sprachen die grösste Uebereinstimmung und Einheit erstreben. Deshalb ist es vollkommen erlaubt und gerechtfertigt, die verschiedenen Baugesetzgebungen und Bauhütteneinrichtungen der gleichzeitig bauenden Völker und Länder mit einander in die innigste Verbindung zu bringen und von der bekannten einen auf die unbekannte andere zu schliessen. Die englischen maurerischen Urkunden, besonders die Yorker Constitution vom J. 926, die Statuten des Boileau aus der zweiten Hälfte des 13ten Jahrh. und die gemeinen deutschen Steinmetzordnungen aus dem 15ten und 16ten Jahrh. dürfen mit und neben einander als Quellen benützt werden, um daraus das mittelalterliche europäische Bauhüttenrecht und Bauhüttenleben zu erkennen und zu zeichnen. In der Torgauer Steinmetzordnung vom J. 1462, Art. 28, heisst es z. B.:

Ein Meister sol schlahen drey schlege, ein Pallirer zwen einfort, einen wen man rügen soll morgen mittags abend nach dess Landes Alter gewonheit." 2)

Diese Hammerzeichen, welche verschieden waren, je nachdem sie von dem Meister oder von dem Parlirer als seinem Stellvertreter ausgingen, wurden besonders gebraucht, um zur Arbeit gleichmässig alle Arbeiter zu berufen und wieder davon zu entlassen, wie diese Gebräuche sich bis auf den heutigen Tag bei den Freimaurern erhalten haben und einstens gewiss als allgemeine bestanden. Klemm, germanische Alterthumskunde, Dresden 1836, S. 317 und 318, glaubt mit Wiarda (Götting. gel. Anzeigen 1819, S. 267), dass der Hammer Thôrr's bei den Germanen als Zeichen der Obrigkeiten und der Priester zweiten Ranges gedient habe, was, allgemeiner gefasst und ausgedrückt, doch wohl nur heissen kann, dass der Hammer bei Göttern und Menschen ein Symbol der Herrschaft der Gewalt gewesen, wie namentlich Thôrr durch ihn als der Allgewaltige und Alleszermalmende oder Vernichtende be-




    1) Heideloff, Bauhütte, S. 50.



zeichnet wird. In den Gesellenbruderschaften sogar leitete und leitet der Altgeselle die Versammlung durch den Hammer und besonders durch dessen 3fachen Schlag. Die Hämmer, welche in germanischen Gräbern gefunden werden, haben zwar auch auf den Hammer Thôrr's Bezug, jedoch wird derselbe hier als ein weihendes und heiligendes Geräthe aufgefasst, wie damit Ehen und der Scheiterhaufen des Leichnams eingesegnet wurden. 1) - Bei den ältesten Mexikanern sollen Zinnstücke in der Gestalt eines Hammers als Tauschmittel, als Geld gedient haben. 2) Das Siegel einer flämischen Familie Boccaert, welches einer Urkunde vom J. 1449 anhing, trägt im obern Felde 3 Hämmer, 3) ebenso das Wappen der Familie Reichenstein zu Cöln. 4) - Das Christenthum tritt von Anfang an entschieden gegen den heiligen Hammer auf und suchte denselben als den Teufel selbst zu verdrängen: "de hamer kennt sie all" ist gleich: "Der Teufel holt sie Alle." Zugleich wurde überall dem heidnischen Hammerzeichen das christliche Kreuz untergeschoben. 5) Der Hämmerling, der in der Tiefe hausende Berggeist, wird sogar in eine schwarze Mönchskutte gesteckt, um seine heidnische Natur zu verbergen und auszutreiben. 6) Der Hammer ist somit ganz entschieden ein vorchristliches und heidnisches Symbol und Ueberbleibsel. Dieses wird auch in einer sehr eigenthümlichen Weise durch Art. 13 der Torgauer Steinrnetzordnung bestätigt, indem derselbe verordnet, dass eine unzüchtige Frau nicht die Bauhütte betreten dürfe, und wer mit derselben zu reden habe, sich so weit von der Werkstatt entfernen solle, "als man möchte gewerffen mit einem schalhamer von der Werckstat." 7) - Das Münchener Stadtrecht versteht unter




    1) Vergl. auch G. Schulz, der Hammer in seiner symbolischen Bedeutung, mit Tafeln. Naumburg 1825.
    2) Lassen, ind. Alterthumsk., IV. S. 752.
    3) Wolf, Beiträge, I. S. 66.
    4) Schnaase, VI. S, 452.
    5) Wolf, Zeitschrift, I. S. 73.
    6) Grimm, deutsche Sagen, I. Nr. 2 und Nr. 3 (Der Bergmönch im Harz).
    7) Grimm, Rechtsalterthümer, S. 55, 64 und 162 , über den Hammerwurf und den Hammer als Rechtssymbol; Benecke, mittel-



Hammerstreich den anderthalb Schuh breiten Raum, den man gegenüber dem nachbarlichen Eigenthume und längs desselben frei lassen muss, um die nöthigen Einfriedungen aufführen und unterhalten zu können. Unter den Hammer bringen (d. h. unter den Hammer der obrigkeitlichen, der Gantungsbeamten), bezeichnet verganten. Im Lohengrin wird von der Zungen Hammer gesprochen. In der Lex Bajuvariorum tit. XVII, cap. 2, ist der Hammerwurf bei Eigenthumsstreitigkeiten mit den Worten erwähnt: "qui de ipsa terra eum mallat (hämmert)"; zugleich wird die Frist von 7 Nächten oder 8 Tagen (super septem noctes) berührt, 1) jedoch wird auch dabei eine Frist von 3, 5 und 7 Tagen (super tres dies aut quinque aut certe septem) dem autor, dem Verkäufer freigestellt, um seinen Käufer gegen den dritten Vindicanten durch den Eigenthumsbeweis zu schützen. "Per quatuor angulos campi, aut designatis terminis, per haec verba tollat de ipsa terra, vel aratrum circumducat, vel de herbis, aut ramis, silva si fuerit: Ego tibi tradidi, et legitime firmabo per ternas vices. Dicat haec verba, et cum dextera manu tradat; cum sinistra vero porrigat wadium huic qui de ipsa terra eum mallat, per haec verba: Ecce wadium tibi do quod terram tuam alteri non do, legem faciendo. Tune ille alter suscipiat wadium et donet illum vicessoribus istius ad legem faciendam." - In Ilseburg am Harz backt man zu Fastenabend Kuchen in dreieckiger Gestalt, welche Wolf, Beiträge, I. S. 78, auf den Hammer Donars deutet, dessen zwei Enden mit dem Stiele ein Dreieck bilden; es sind alte Opferkuchen, wie auch die mehr donnerkeilförmigen Kröppeln, Krepfeln, welche in Torgau wie in Hessen an der Fastnacht gebacken werden. Am Rheine tragen die Fastnachtskuchen mehr die Gestalt von Zöpfen oder Krapfen, die letztern auch in der Schweiz, woselbst sie geradezu den Namen der Fastnachtskrapfen erhalten. Selbst unsere Pfannkuchen möchten ein ursprüngliches symbolisches, in dem beginnenden Frühling oder zur Fastnachtszeit zu Ehren der Sonne und des




hochdeutsches Wörterbuch, I. S. 625, unter Hammer; Schmeller, bayerisches Wörterbuch, II. S. 192, unter Hammer.
    1) Walter, corpus juris germanici, I. S. 287.



Sonnen- oder Frühlingsgottes bereitetes Gebäcke sein, wie sich davon noch unverkennbare Spuren bis heute in Tirol erhalten haben. 1) In Brabant werden in der Fasten noch heute Fastenschlangen (Blitzesschlangen) in der Gestalt einer 8 oder eines S gebacken und besonders an Kinder verschenkt. 2) Die Fastenbretzeln 3) oder Brechseln (Gebrechlichen) glaubt Böttiger, kleine Schriften, I. S. 353, gleich den nordischen KringeIn dadurch entstanden, dass zur Zeit der Einführung des Christenthums in das alte heidnische Sonnenrad, einen blossen Kreis oder Kranz, das christliche Kreuz noch eingefügt worden sei. Jedenfalls steht das besondere Neujahrs-, Fastnachts- und Ostergebäcke mit dem Sonnenleben, mit der Verehrung des Sonnen- und Frühlings-, des zurückkehrenden Donner- und Gewittergottes in Beziehung und berührt sich in seiner symbolischen Bedeutung mit den Ostereiern und Osterhasen. Auf einem auf der Insel Walchern aufgefundenen Bilde der Nehallenia, nach den Ausführungen von Wolf, Beiträge, I. S. 149 ff. , einer Göttin der Fruchtbarkeit gleich der Nerthus, findet sich auch ein Jagdknecht, welcher einen Hasen am Stocke trägt. Das Attribut des Hasen bei der Nehallenia und Ostara berechtigt, beide Göttinnen als dieselben anzusehen, worauf auch schon Wolf, S. 159, hingewiesen hat.

Aus der Torgauer Steinmetzordnung, welche übrigens Heideloff wenig kritisch herausgegeben hat, sind an die obige Bestimmung noch anzureihen:

Art. 54: "Ein pallirer sol zu rechter zeyt aussschlahen vnd sol es durch niemands willen lassen."

Art. 55: "Wenn ein meister nicht bei dem werk ist, oder von hinnen were, so hat der pallirer gantze volle macht zu thun oder zu lassen das recht ist vnd In Abschiede dess meisters."

Art. 56: "Der pallirer sol dem gesellen und Dinern vnden auf die steine malen, wenn die gesellen und Diner haben das anschlahen verseumet, vnd nicht zu rechter




    1) Wolf, Zeitschrift, I. S. 286 ff., woselbst überhaupt über das symbolische Backwerk Tirols berichtet wird.
    2) Wolf, Zeitschrift, I. S. 175.
    3) Symbolik, I. S. 405.



Zeit komen, es sey am morgenbrott. Nimpt er nicht die Busse, so sol er sie selber geben."

Art. 62: "Ein itzlicher pallirer sol der erste sein des morgens vnd nach essens sein in der Hütten, wenn man aufschleusst, vnd der letzt herauss, es sey zu mitag oder abenndt, Das sich alle gesellen sindt nach Im zu richten vnd dester eher kommen sollen in die arbeit. Also dicke er saumnisse thut vnd der meister erfert es, was schaden dauon komme, soll der pallirer den schaden legen."

Art. 84: "Welcher geselle ist aussen, wen er arbeiten sol, das man das Morgenbrot gegessen hat, dem sol man für mitage nicht lonen; bleibt er ausen den tagk vnd kompt auf das abentbrot, dem sol man den ganzen tag nicht Ionen."

Art. 106: "Kompt ein wandergesell, Ee man ruhe anschlecht, der verdienet den tag lon. Ein Itzlich wandergesell, wenn man Ime das geschenke auff saget, so soll er umbher gehen von einem zu dem andern und sol In der verdanken."

Art. 25: "Vnd ob ein Meister oder geselle kemen, die das Hantwerck oder die Kunst kunden vnd begert eines zeichens von einem Werckmeister, dem soll er seinen willen darumb machen, vnd zu gottesdienst geben, was Meyster vnd gesellen erkennen. Vnd soll das Zeichen zwiffelt verschenken Meystern vnd Gesellen."

Aus diesen und ähnlichen Bestimmungen erhellt, dass auf pünktliche Einhaltung der Arbeitszeit in der Bauhütte gehalten wurde und alle Gesellen und Diener dem Rufe des Hammers zur Arbeit Folge zu leisten hatten. Daraus flossen in der Torgauer Ordnung auch die nachfolgenden Obliegenheiten des Parlirers:

Art. 58: "Es soll kein pallirer zustaten, das man quos Zeche hilde in der Hütten vnder der Zeit, sondern in der Vesper Rue."

Art. 59: "Er soll auch nicht gestaten, das man höher zere zu dem vesperbroth den vmb einen pfenig, Es were, den das man geschenke hätte, das ein wander geseller komen were, so hat der pallirer ein stunde macht freuehreen."





Art. 60: "Ein pallirer hat macht zu fordern auff den nächsten lohn einen itzlichen wander gesellen, vnd macht vrlaub zu geben auff den lon abent, wen er einem Gebeuen oder meister nicht eben ist."

Art. 61: "Er hat macht, einen itzlichen Gesellen oder Diener zu erlauben eine bequemliche Zeyt ane schaden."

Besonders beachtenswerth ist die Bestimmung des Art. 60, indem dieselbe gegen die fahrenden Wandergesellen gerichtet ist und sie zum Eintritt in die Arbeit verpflichtet, sobald ihm in einer Bauhütte durch den Parlierer Arbeit anerboten wird. Durch den Reichsschluss vom J. 1731 wurde bestimmt: "Wenn aber ein Gesell, als deren viele nur um des Geschencks halber von einem Ort zum andern lauffen, eine angebotene Arbeit anzunehmen verweigern sollte, wäre ihm das Geschenck nicht zu halten." 1) Ueber sein Verhalten gegen die Gesellen wird dem Parlierer besonders vorgeschrieben:

Art. 49: "Ein pallirer soll den gesellen guten willen beweysen vnd sie gütlichen vnd weysame ane Zorn, was sie fragen. Er soll vber keinen gesellen noch Diener vber recht helfen, Er soll allweg Richtscheyt vnd Kolmass, vnd alles was zu den gehört, recht fertigen, das kein felschunge nicht darinne sey, woe es der meister nicht recht fertigt oder zu macht, so geburt es dem pallirer. Als dick der meister in den Artigkeln Eins hinder Im keine do er solchs verseumte, so ist er dem Meister verfallen xij D."

Art. 50: Der Pallirer soll dem gesellen vnd Diener williglichen stein fürlegen, anreissen, vnd woe besehen, ob er recht vnd wol gemacht ist, den gesellen, die es nicht verschuldt haben. Woe der meister falsch Dingk fende, das etwas daran falsch were, das soll (der pallirer) dem meister verbussen mit acht D. und der geselle mit vj D."

Art. 51: "Ob ein pallirer einen Stein verschlüge, das er nicht tuchte, da soll er seinen lohn verliessen, den




    1) Koch, Sammlung der Reichsabschiede, Frankfurt 1747, IV. S. 381 b.



er an dem stein verdienet hat vnd den stein bezalen, kompt er nicht zu nutze."

Peter Arler, welchen Böhmen als den grössten Baumeister des 14ten Jahrhunderts verehrt, war aller Wahrscheinlichkeit nach niemals vorhanden und ist nichts als der verstümmelte Parlierer Peter. 1) Vielleicht ist der deutsche Parlierer aus dem Schreiber des Architekten hervorgegangen, welcher auf den bei den Propyläen zu Athen im J. 1836 aufgefundenen Inschriftentafeln mit Baurechnungen mehrmals erwähnt wird. Dieser Schreiber hatte gewiss die ganze Baurechnung zu führen und damit mehr oder weniger den Bau und die Arbeiter zu beaufsichtigen. Die Tafeln hat in deutscher Uebersetzung nach Thiersch auch mitgetheilt Semper im deutschen Kunstblatte, 1855, S. 337 ff. - Art. 50 der Torgauer Ordnung muss mit Demjenigen zusammengehalten werden, was oben über den Unterricht, über das Steinformen und besonders über die Formsteine und Auszüge bemerkt ist. Formsteine und Auszüge, die Masse und Messwerkzeuge mussten dem Gesellen genau und vollkommen übergeben werden, wenn er für seine Arbeit verantwortlich sein sollte. Den Gesellen wird dagegen auferlegt:

Art. 68: "Wer eines andern gezeug nimpt one vrlaub, soll geben ij D."

Art. 69: "Welcher geselle massbret vnrecht aufflegt, oder das breth lest ligen ee er habe gewert, het ane laube, oder abnimpt ehe der meister oder pallirer die bereytunge sehen, wer winkelmasse lest hangen an dem stein oder das richtscheit die löcher haben lest liegen vnd nicht auffhenget, oder den stein von der pank lest fallen, oder die haken auss dem Helm fert oder bomeret, oder sein mas lest anders an der stat die dazu geordnet ist, wer die fenster bey seiner Bank nicht zuthut, vor alle diese vorgeschribene Artigkel, wer das thut, der soll geben iij D. allemal zu pusse."

Art. 72: "Welcher geselle nicht hulfe bithet, seinen stein auss oder ein zu wenden, brengen oder vmbzu-




    1) Deutsches Kunstblatt, 1854, S. 381; Schnaase, VI. S. 301 und S. 309; oben S. 301 und 425 Anm.



wenden wen es not ist, oder sein Zeichen anschlecht ob er recht gemacht sey, aber es soll geschehen, ehe man den stein besihet, das er in das Lager kommt vngefraget, oder vertiget vngefinget, der soll geben zu pusse ein halb pfunt wachs." 1)

Diese Verordnungen gewähren ein sehr lebendiges und anschauliches Bild von dem Arbeitsleben der Bauhütten, und zeigen namentlich auch die Bedeutung und den Zweck der Steinmetz-, der Gesellenzeichen. Das Zeichen sollte nur der wirklich guten Arbeit aufgeschlagen und nicht missbraucht werden, um schlechte Arbeit nach Art einer schlechten Münze in den Verkehr zu bringen. Bei ihren Arbeiten sollen sich auch die Gesellen die nöthige gegenseitige Hülfe leisten und überdem, was gleichfalls bei Busse verboten wird, sich nicht verspotten und necken, schimpfen und verleumden. Sehr zweckmässig wird den Gesellen zugleich untersagt, Klatschereien und Schwatzereien dem Meister zuzutragen.

Art. 67: "Welcher geselle mere trägt oder wascherey treibt zwischen dem meister oder ander leuten, den soll man pussen mit einem halben wochenlohen."

Ueberhaupt wird das sittliche Verhalten der Gesellen in und ausser der Bauhütte streng überwacht und ernstlich jeder Ungebühr entgegengetreten.

Art. 73: "Welcher geselle sich vbertrinke oder vberisset vnd vndent das man es erfert, der soll geben einen wochenlon vnd j pfundt wachs."

Art. 75: "Welcher geselle verschlecht hüttengeld, oder stilet oder mordet, raubet, oder an der vnee sitzt, und sich mit bösen frauen yn den landen umbfürth, vnd nicht peichtet vnd gotes rechte nicht thut, die soll man aus dem Hantwergk verwerffen vnd Ewiglichen verweisen."

Art. 85: Welcher gesell am Sonntag vnd am grossen Fasten zu der hohe messe nicht mit seinem meister Ime selbst zu ehre in die Kirche gehet vnd bleibt auss ane laube, der sol zu Gottesdienst iiij D. geben."




    1) Zur Kirche oder zum Gottesdienste nämlich.



Es muss mit allem Nachdrucke hervorgehoben werden und widerlegt viele falsche Ansichten und Lehren über die Freimaurerei, dass die alten Steinmetzordnungen den Gesellen, den Bauhüttenmitgliedern ein strenges christliches und kirchliches Leben auferlegten, namentlich auch den gehörigen Kirchenbesuch von ihnen verlangten. Der Maurerbund ist in dieser Hinsicht durchaus nur eine christliche Bruderschaft, eine christliche Gemeinde, wie die ersten Christengemeinden geheime heidnische Brüderbande, Mysterienvereine waren, 1) obwohl Hegel, Gesch. der Philosophie, II. S. 27, es als zulässig bestreitet, die geheimen Versammlungen der ersten Christen mit den heidnischen Mysterien zu vergleichen. Innungen waren die Bauhütten, insofern sie ihre Ausgaben aus den Einungen, aus den Einzugsgeldern, aus den Beiträgen der einzelnen Mitglieder bestritten. 2) In Uebereinstimmung mit der Torgauer Steinmetzordnung heisst es auch in der gemeinen deutschen Steinmetzordnung vom J. 1459:

"Item man sol auch keinen Werkmann oder Meister nit in die Ordenunge empfangen, der also nit Jors zu dem heiligen Sacrament ginge oder nit christenliche ordenunge hielte, oder das sine verspielte, oder were es, dass einer ungeverlich in die Ordenunge empfangen wurde, der solichs däte, als vorstott, mit dem sol kein Meister kein Geselleschaft han, und sol auch kein Geselle by ime ston, so lange untz dass er davon losset, und von den die in der Ordenunge sind gestroffet wurt. Es sol auch kein Werkmann noch Meister nit öffentlich über Steinwerk, 3) zu der Unee sitzen, wolte aber einer davon nit lossen, so sol kein Wandelgeselle noch Steinmetze by im in siner Fürderunge nit ston, noch kein Gemeinschaft mit ihm haben." 4)




    1) Symbolik, I. S. 27.
    2) Neue, Zeitschrift, III. S. 166 unten; Benecke, mittelhoch. deutsches Wörterbuch, I. S. 424 unter Einunge; Schmeller, bayerisches Wörterbuch, I. S. 67 unten.
    3) Während er an einem Steinbaue arbeitet.
    4) Krause, II. 1. S. 277.



Zuvörderst und nebenbei ist hier darauf aufmerksam zu machen, dass die Bezeichnung Ordenunge für Corporation offenbar der römischen Rechtssprache entlehnt und nur die Verdeutschung oder Uebersetzung von ordo ist, da ordo namentlich in den Municipien der Senat, die Curia hiess 1) und dann auch jede Corporation ordo genannt wurde. Diese Ordenunge ist somit ein neuer Beweis für den Zusammenhang der deutschen Zunftverfassung mit der Municipalverfassung der römischen Provinzen und insbesondere Galliens. In dem gleichen römisch-rechtlichen Sinne hiessen die geistlichen Corporationen ordines und nur in diesem, aber durchaus in keinem andern mag sich auch der Freimaurerbund einen ordo nennen; jedoch wird dieser Name wegen der ihn oft begleitenden Missverständnisse besser vermieden. Dass der Name ordo auf die Bauhütten, auf die Steinmetzcorporationen von den geistlichen oder klösterlichen Bauhütten übertragen worden sei, ist in Strassburg und überhaupt am Rheine unwahrscheinlich, wenn nicht völlig unmöglich. Die deutschen bürgerlichen Bauhütten sind jedenfalls älter als der erst nach dem J. 1098 beginnende und in der Mitte des 12ten Jahrh. blühende Cistercienserorden. 2) Im Uebrigen lautet jene Bestimmung in der revidirten deutschen Steinmetzordnung vom J. 1563 unter der Ueberschrift: "Kein gesellen fürdern, der unehrlich lebt", dahin:

"Es soll auch kein Meister oder Werkman keinen gesellen mehr fürdern, der ein frawen mit jm füeret zu der vnehe, oder der offentlich füret ein vnehrlichs Leben mit frawen, oder der jährlich nicht zum heiligen Sacrament ging nach Christlicher ordnung, oder auch einen, der also verrucht were, dass er sein kleider verspilet."

Das Verhältniss zwischen Meister und Gesellen war ein durchaus freiwilliges, weshalb Art. 88 der Torgauer Ordnung verfügt, dass an jedem Lohnabende der Geselle nach Belieben von dem Meister seine Entlassung verlangen könne, da keiner an den andern gebunden sei.




    1) Heumann, Handlexikon zum Corpus juris civilis, Jena 1846, unter ordo.
    2) Vergl. über denselben Schnaase, V. S. 408 ff.



Art. 89: "Welcher geselle bey einem meister einen winter stehen, derselbige soll dem meister stehen bis auff Sanct Johannistag, wenn man die kron hanget, Es were den sach, das der geselle hefftige sachen zu dem meister hätte, das Im an seinem Hantwerk schatte, so mag er wol abzihen. Auch weis der geselle was vnredliches auff den meister vnd verschweiget das vnd truck sich den winter vnd auff den Sumer vnd neinet, der geselle thut das als ein treuloser vnd ist nicht gut keinen gesellen."

Um den zur Förderung der Arbeit nöthigen Frieden und die Eintracht unter den Genossen der Bauhütte zu erhalten, verpflichtete Art. 41 der Torgauer Ordnung den Meister bei seinem Eide, alle Vierteljahre unter seinen Gesellen, Umfrage zu halten, ob Hass und Zwietracht zwischen ihnen bestehe, und diese beizulegen; wolle ein Geselle dazu nicht die Hand bieten, solle er entlassen werden. Alle Quatember soll gemäss Art. 42 der Meister bei den Bauherrn sich erkundigen, ob sie über Unordentlichkeiten und Fehler der Gesellen sich zu beklagen haben, und die Meister und Gesellen sollen diesen Klagen abhelfen, damit keine andere Hülfe gegen sie angerufen werden müsse. Die Bauherrn haben den Schaden sich selbst zuzuschreiben, wenn sie ihre Klagen nicht bei dem Meister vorbringen, und aus Schonung lieber schweigen. Die Bauherrn, Parlierer und Gesellen werden durch Art. 101 angewiesen, ihre Klagen bei dem Meister vorzubringen und nicht anderswo.

Wir haben hier die Torgauer Steinmetzordnung deshalb gewählt, um einen Blick in das innere Leben der deutschen Bauhütten zu eröffnen, weil dieselbe weniger bekannt und benützt ist, als die gemeinen deutschen Steinmetzordnungen. Wohlthuend spricht in allen Steinmetzordnungen des In- und des Auslandes an der hohe Ernst, mit welchem die Baukunst erfasst und geübt wurde, - das ordnungsvolle rege Leben, welches in den Bauhütten waltete, - die Sitte, welche man in dem öffentlichen und Privatleben erstrebte, - die Liebe, welche Meister und GeseIlen verband und die namentlich im Tode sich bewährte, - und vor Allem die Demuth, mit welcher man





sich vor Gott und seinem Dienste beugte. Wer in diesen Urkunden nicht zu lesen und die schlichten Bauleute nicht zu lieben und zu bewundern versteht, richte den schwankenden Blick auf ihre für die Ewigkeit bestimmten Werke, monumenta aere perennia, und er wird erstaunt und zweifelnd fragen, ob in diesen unscheinbaren Hütten die Schöpfer solcher grossen und herrlichen Werke gewohnt und gearbeitet haben, - wird auch mit heiliger Achtsamkeit jene Urkunden als zu den wichtigsten Quellen unserer Geschichte gehörend nochmals und nochmals durchgehen, weil die Gesehichte der Bauhütten doch die Geschichte der Wunderwerke, alles Dauernden und Festen, ja des Höchsten und Idealsten, des Nationalsten, ist, - wird endlich freudig ausrufen, dass diese Gebäude nicht sowohl die einzelnen Menschen ihrer Zeiten, als die gesammte, geistig vereinte Menschheit gebaut haben. Ein besonders und in dem Keyserrechte aus dem Ende des 13ten oder dem Anfange des 14ten Jahrh. allein aus dem ganzen Rechte der Handwerker berührter Zug ist es, dass alle Streitigkeiten unter den Handwerkern nicht vor die gewöhnlichen Gerichte, sondern vor die Auserwählten des Kaisers, vor die Schöffen oder vor die Gescbwornen zur Entscheidung sollten gebracht werden. 1) Endemann gibt aus andern Rechtsquellen und Stadtrechten viele Parallelstellen dazu. Das Privilegium der Handwerker, der Städte bestand wesentlich darin, die Streitigkeiten der Handwerker unter sich eigenen Beamten und Behörden zur Entscheidung anheimgeben zu dürfen. In dem Freiburger Stadtrechte, Art. 48, heisst es z. B.: "Ueber alle dise amechlude und innunge haben die zwelf geschworne die höste gewalt und gerichte." Indessen bietet die Geschichte der deutschen Bauhütten dem vaterländischen Herzen auch viel des Schmerzlichen und Tiefbetrübenden. Ein nicht vollendetes, ein gewaltsam durch äussere Ereignisse unterbrochenes Stückwerk ist die Geschichte der deutschen Bauhütten, wie zum bedeutungsvollen Zeugniss auch die Dome von Cöln und Strassburg, die beiden schönsten, grössten




    1) Endemann, das Keyserrecht nach der Handschrift von 1372, Cassel 1846, S. 79, Cap. 43 (II. Buch).



und kühnsten gothisch-deutschen Unternehmungen, unvollendet geblieben sind, freilich mit manchem andern gothischen Kirchenbaue, z. B. der Kathedrale von Auxerre (abgebildet bei Lübke, S. 399), der Barbarakirche zu Kuttenberg in Böhmen (Lübke, S. 464), dem Münster zu Ulm, dem Stephansdome zu Wien, dem Dome zu Siena (Lübke, S. 416), dem Dome St. Veit zu Prag (Schnaase, VI. S. 309 ff.); man hatte weniger die Kräfte, als die Lebensdauer des bauenden Geistes überschätzt, welchen letztern bald darauf die religiöse Zwietracht für immer gebrochen und gespalten hat. Die Dome von Cöln und Strassburg tragen die den Säulen des salomonischen Tempels entgegengesetzte Aufschrift der Schwäche und des Verfalls. Nicht die gothische Baukunst ist, wie Schnaase und Lübke (S. 395) behaupten, eine zerklüftete, aber Deutschland ist über seinen gothischen Bauten, "über Steinwerk" nachdem Ausdrucke der gemeinen deutschen Steinmetzordnung, für immer zerklüftet worden und liegt nun als die gebrochene Säule, das eine Stück durch des Eroberers Gewalt vor dem französischen Dome zu Strassburg, das andere Stück durch Gottes Zulassung beim Dome zu Cöln unter Preussens König. Lübke, S. 407, in Vergleichung des griechischen Tempels mit dem gothischen Dome sagt: "Fassen wir Alles in ein Wort zusammen, so ist dem antiken Tempel der Charakter strenger Objectivität und Männlichkeit eigen, während der gothische Dom als Ausdruck subjectiver Empfindung, zarter Weiblichkeit sich darstellt." Mit solchen neu-Hegel'schen oder ächt-Berliner Phrasen ist gar Nichts bezeichnet, zumal in gewissem Sinne der griechische Tempel und der gothische Dom nur zu ihrem gegenseitigen Nachtheile mit einander verglichen werden können und beide auf den entgegengesetztesten Gefühlen, Gedanken und Absichten beruhen. Der griechische Tempel ist die freundliche und würdige Wohnung des aus seinem Götterhimmel zu den Menschen in Menschengestalt herabgestiegenen vereinsamten Gottes und Gottesbildes, - musste und konnte daher als menschliche Wohnung beschränkt, klar und leicht verständlich sein. Der gothische Dom ist das aus dem begeisterten





Herzen der versammelten Christengemeinde zu dem unsichtbaren und unbegreiflichen Einen und Allmächtigen aufwärtssteigende Gebet und Bethaus. Der Grieche hat das Object, Gott, in den Subjecten, in den Göttern getrübt und verloren; der Germane vermag das übergrosse Object nicht auszudrücken und abzubilden, er kann es mir ahnen und symbolisch andeuten. Der griechische Tempel ist sinnlich, menschlich und begreiflich: der gothische Dom übersinnlich, göttlich und unbegreiflich; aber beide sind gleichmässig dem warmen Volksherzen, dem männlich und rüstig sich regenden Geiste entsprungen. Uebrigens sind alle Worte ein eiteles Getöne, nicht einmal stark genug, um nur sich selbst als Echo von den steinernen Kolossen zurückzuempfangen.

Im J. 1731 wurden auch die deutschen Haupthütten durch nachfolgenden Reichsschluss aufgehoben:

"Und demnach der mehrfache Unterschied der Handwerks- Haupt- und Neben-Laden grosse Confusion und Trennung verursachet, also, dass ein Handwerk an einem Ort redlicher, als an dem andern seye, und die Gesellen an sich ziehe, und wer sich bey solcher Lade nicht einschreiben lässt, oder abfindet, für unredlich in Lernung und Meisterschafft geachtet, mithin bald da, bald dort, an der Arbeit gehindert werden wollen; Als werden alle und jede solche Haupt-Laden, oder sog. Haupthütten hiemit und in Krafft dieses gäntzlichen vernichtiget, aufgehoben und abgethan, auch alle hier und da missbräuchlich aufgebrachte Provocationes auf Handwerks-Erkanntnuss aus dreyer Herren Landen verboten, vielmehr aber denen Landes-Herrschaften überlassen, in ihren Landen Zünffte und Laden einzurichten, diesen die Gesetze alleine vorzuschreiben, die Widerspenstige nach Befinden zu straffen, und die vorkommende Handwercks-Differentien ohne Communication mit andern Ständen oder Städten (ausser sie findeten solche für sich nöthig zu seyn), abzuthun, und zu verbescheiden, wogegen kein Stand des andern aufstehende Meister und Gesellen an- und aufnehmen, oder schützen, diese aber im gantzen Römischen Reich sofort





von jedermänniglich für Handwerks- unfähig und untüchtig gehalten werden sollen." 1)

Hiermit war jede Einheit der deutschen Handwerke und Handwerksgesetzgebung absichtlich aufgehoben und Alles unbedingt den Territorialregierungen und Gesetzgebungen unterstellt worden, indem man nicht anders den eingerissenen Missbräuchen und dem sog. Auftreiben, der gewaltsamen Selbstjustiz der Gesellen besonders, glaulaubte wirksam begegnen zu können. Hatten nämlich die Gesellen gegen einen Meister oder auch die Handwerkszunft einer ganzen Stadt eine Beschwerde, welcher nach ihrer Ansicht nicht genügende Abhülfe gewährt wurde, traten sie nicht allein selbst aus der Arbeit, sondern verpflichteten zugleich ihre Mitgesellen zum Austritt und bestimmten für ganz Deutschland durch erlassene Ausschreiben oder Botschaften, dass bei diesem Meister oder bei diesen Meistern längere oder kürzere Zeit oder auch für immer kein redlicher Geselle mehr Arbeit nehmen dürfe, - verhängten den ähnlich auf den deutschen Universitäten vorkommenden Verruf und zogen zugleich aus, zuweilen Monate lang in dem Orte des Auszuges liegenbleibend, lärmend und zechend. Noch im Anfange des 18ten Jahrh. hatte Augsburg einen solchen Gesellenaufstand und Auszug erlebt, und ihn besonders hatte der Reichsschluss vom J. 1731 im Auge, wenn er bestimmt: "dergleichen grosse FrevIer oder Missethäter sollen nicht allein, wie oben §. 2 schon erwehnet, mit Gefängnuss, Zucht-Haus, Vestungs-Bau und Galeeren-Straff beleget, sondern auch nach Beschaffenheit der Umstände, und hochgetriebener Renitenz, nicht minder würklich verursachten Unheils, am Leben gestrafft werden." Zugleich wird Gesellen und Meistern, wie Zünften der verschiedenen Orte und noch mehr der verschiedenen Territorien jede Verbindung und jeder Verkehr unter einander durch Briefe und Botschaften streng untersagt; ankommende Briefe sollen nicht angenommen, erbrochen und beantwortet werden; die Gesellen, welche ohnehin keine Bruderschaft ausmachen können, haben das Bruderschaftssiegel abzu-




    1) Koch, Sammlung der Reichsabschiede, IV. S. 380 b.



geben, um den bisher damit getriebenen Missbräuchen ein Ende zu machen. Die Handwerksgrüsse, welche der Reichsschluss läppische Redensarten nennt, werden mit andern ungereimten Dingen abgeschafft und dafür von den Zünften zu ertheilende Handwerkszeugnisse, wozu der Reichsschluss ein Formular gibt, 1) eingeführt. In dem Maurerhandwerk wird noch ausdrücklich der Unterschied zwischen Grüssern und Briefträgern völlig aufgehoben, abgeschafft und verboten. 2) Ferner sollen abgeschafft sein die bei der Lossprechung der Lehrlinge beobachteten theils lächerlichen, theils ärgerlichen und unehrbarlichen Gebräuche, wie das Hohlen, Schleifen, Predigen, Tauffen, das Anlegen ungewöhnlicher Kleider das Herumführen und Herumschicken auf den Gassen u. dgl. Dem Jahrhunderte alten Uebel des blauen Montags, welches auch die Torgauer Steinmetzordnung bekämpft hatte, trat der Reichsschluss abermals erfolglos entgegen. Die Jungmeister werden in Schutz genommen, dass man ihnen keine Übertriebene und sie an ihren eigenen Geschäften hindernde Dienstleistungen zumuthen solle. Die Gesellengerichte und Gesellengebräuche werden aufgehoben und es sollen für Gesellen und Meister künftig keine andern Gebräuche und Gesetze gelten als diejenigen, welche die Obrigkeit eines jeden Landes erlassen und anerkannt hat. "Da auch bey einigen Zünfften und Aemtern die böse Gewonheit eingeschlichen, und die angehende Meister dahin beeydiget werden wollen, dass sie der Zünfften Heimlichkeiten verschweigen, und niemand entdecken sollen; So seynd sie von solchem Eyd hiemit völlig losszusprechen, und ihnen dergleichen geheime Verbindung ins künfftige bei scharffer Straffe von Obrigkeits wegen Dicht mehr nachzusehen." 3) Die letztere Bestimmung ist für die Geschichte des Handwerkswesens und besonders auch der deutschen Bauhütten sehr wichtig und muss genau beachtet werden. Es liegt hier der urkundliche und gesetzliche Beweis vor, dass die Meister eine besondere Ver-




    1) Koch, Sammlung, IV. S. 378 a.
    2) Koch, IV. S. 382 a.
    3) Koch, Sammlung, IV. S. 382.b.



bindung für sich bildeten, in welche daher auch der angehende Meister aufgenommen werden musste und nur gegen Ablegung des Eides der Verschwiegenheit aufgenommen wurde; was verschwiegen werden musste, ist nicht bekannt und kann kaum bekannt sein. Der Reichsschluss enthält in dieser Hinsicht noch: "7) An manchen Orten der Missbrauch ist, dass kein junger Meister, ob er schon auf seinem Handwerek viele Jahre gewandert, gleichwohl das Handwerck nicht treiben darf, biss er gewisse Jahre an dem Ort gewohnet, und die sog. Bruderschafft etliche Jahre besuchet, oder sich durch ein gewisses Stück Geld in die Zunfft eingekaufft u. s. w." 1) - Bei den Papiermachern führt das Gesetz folgende etwas dunkele Klage: "nicht weniger die Gesellen bey Meistern, so sich nicht des Glettens mit dem Stein, sondern des Hammerschlags gebrauchen, nicht arbeiten, sondern sie für unehrlich halten wollen." 2) - Die neuen Reichsverordnungen sollten den Meistern und Gesellen zur genauen Darnachachtung jährlich vorgelesen, in jeder Zunftstube oder Herberge öffentlich angeschlagen und die Lehrjungen bei ihrer Lossprechung darauf in das Gelübde genommen werden.

Der Reichsschluss vom J. 1731 fand sich auch veranlasst, den Handwerksburschen das ihnen nicht gebührende Degentragen zu untersagen. 3) Die Torgauer Ordnung, Art. 93, bestimmte diesfalls, dass kein Geselle in der Werkstatt oder in Zechen ein anderes Messer oder Wehre tragen dürfe, als ein Messer von der Länge einer halben Elle. Aus dem Reichsschlusse ist aber zu entnehmen, dass noch im Anfange des 18ten Jahrh. die Handwerksburschen Degen zu tragen pflegten. Mit diesem Degentragen der Handwerksgesellen hängt es auch zusammen, dass sie einzelne Gebräuche des Ritterschlages beim Gesellenmachen nachahmten. 4) Grupen, Anmerkungen aus den teutschen und römischen Rechten und Alter-




    1) Koch, IV. S.384a.
    2) Koch, IV. S. 384 b.
    3) Koch, IV. S. 382 a.
    4) Symbolik, II. S. 304 Anm.; Stock, Grundzüge, S. 28.



thümern, Halle 1763, S. 403, hatte darüber schon bemerkt: "Es ist der Welt Weise, der Kleine ahmet den Grossen nach: und so hat auch der bürgerliche Miles es den grossen allhier in der Stadt Hannover in Haltung der Tourniere, und der Tafel-Ronde, nachgemachet. Es ist auch hiebey merklich, dass die Handwercker und Gesellen, wenn sie Gesellen gemacht, den Process vom Ritterschlag nachgeaffet." - Nach Stock hielt beim Gesellenmachen der Tischler der Hobelgeselle zuletzt dem neuen Gesellen das Richtscheit unter das Kinn, indem er fragte: wie heisst Du? "Martin." Darauf gab der Hobelgeselle mit den Worten:

"Bis jetzt hiessest du Martin unter der Bank, jetzt heisst du Martin auf der Bank."

dem neuen Gesellen einen leichten Backenstreich, worin Stock ein offenbares Investiturzeichen erblickt, wie auch der Bischof den Confirmanden einen Backenstreich gebe. Dieser Backenstreich selbst ist wohl eine ursprünglich römische Sitte und war namentlich auch bei den Freilassungen der Sklaven gebräuchlich. 1)

Um die Geschichte der Bauhütten und den einst in ihnen lebenden Geist, sowie das schliessliche Hervorgehen der englischen Freimaurerei zu begreifen und zu erfassen, müssen die Bauhütten und die von ihnen so unermüdlich und so glänzend gepflegte Baukunst gleich dem ganzen Mittelalter als der Ausdruck und das Erzeugniss einer höhern Gottbegeisterung, eines tiefern religiösen Gefühles und einer erhabenen göttlich-menschlichen Idee betrachtet werden. Je allseitiger der Betrachter und Forscher der mittelalterlichen Bauhütten den Blick umhersendet und je tiefer er die Hülle durchdringt, um die innerlich treibenden und tragenden Lebens- und Geistesmächte zu erkennen, um so mehr wird ihm die scheinbar vereinzelte und wenig bedeutsame Erscheinung sich im Zusammenhange mit dem grossen Ganzen der Zeit und ihrer Geschichte darstellen, welche im tiefsten Alterthume wurzelt, im Mittelalter ihre schönsten Blüthen trägt und noch in der Gegenwart lebendig fortwirkt. Auch auf die Gefahr hin,




    1) Guhl und Koner, II. S. 285.



von dem grossen kritischen Haufen als ein Schwärmer oder gar Mystiker missachtet oder herabgesetzt zu werden, muss man dennoch nicht ermüden und ablassen, die religiösen Ideen des Mittelalters zu verstehen, zu lösen, wie dieses noch neuerlich San-Marte (Schulz), über das Religiöse in den Werken Wolframs von Eschenbach und die Bedeutung des hl. Grals in dessen "Parcival", Halle 1861, gethan und darin wenigstens den ungetheilten Beifall von Franz Pfeiffer, Germania, VI. S. 235 ff., gefunden hat. Aehnlich hat Jakobs in seiner akademischen Festrede über den Reichthum der Griechen an plastischen Kunstwerken und die Ursachen desselben, München 1810, B. 43 ff., auszuführen versucht, dass die griechische Plastik aus Religion entsprungen und ihr der Mensch das reinste Symbol der göttlichen Natur gewesen sei; deshalb war die griechische Kunst zugleich eine durchaus vaterländische oder öffentliche, nur auf die Ausschmückung der Stadt und des Staates bedachte; wie die Kunst eine Tochter der bürgerlichen Tugend war, war sie auch die Belohnung derselben. Die Schrift San-Marte's über den hl. Gral berührt unmittelbar insofern auch unsere Grundfrage, als an die Hirammythe, an das verlorene und wiederzufindende Meisterwort, an das zerstörte und wiederzuerbauende Jerusalem, an das Aufsuchen des hl. Gral, des heiligen Blutes und Geistes alle wahre und höhere Geschichtschreibung über die Bauhütten und die Freimaurerei anzulehnen und anzuknüpfen sein möchte. Vermag der Grundgedanke, der Kern der Hirammythe als ein uralter, als ein vorchristlicher und tiefsinnig umgebildeter christlicher festgestellt zu werden, was wir ernstlich wenigstens gewollt haben, dürfte damit die gesammte bisherige kritische und mehr als prosaisch-nüchterne maurerische Geschichtschreibung dahinfallen und eine bessere Zeit beginnen, man sich der Auffindung des verlorenen Wortes nähern. Wenn nur der heilige Glaube bleibet, dass ein Gut verloren und zu suchen sei, dann darf auch die Hoffnung nicht ersterben, das verlorene Glut werde vielleicht doch dereinst noch gefunden und die lange verkannte Wahrheit in ihre unverjährbaren Rechte eingesetzt werden. Der heilige Gral ist nur die christliche Gestalt des heidnischen Göttertrankes,





des Trankes des ewigen Heiles und Lebens. Auch kann Arthur mit den 12 Rittern als der Jahresgott mit den 12 Monaten und 12 Arbeiten gefasst werden, und der heilige Gral ist die niemals ersterbende und stets wiedererwachende Sonnen- und Naturkraft. Die 3 Nächte oder auch die 3 Gefängnisse, in welchen Arthur gefangen sitzt und woraus er durch einen Jüngling befreit wird, sind die 3 Wintermonate, deren Pforte der Frühling sprengt. In den 3 Mal 3 Nächten der Gefangenschaft Arthurs in 3 verschiedenen Gefängnissen, wird die schöpferische Himmelskraft in den 9 Monaten mit der Erde vereinigt, gefangen gedacht und ist dann nur im Tode frei. Die letztere Vorstellung (novenario dissolvitur) ist die höhere und zugleich für den erdgebornen Menschen vorbildliche. Die 3 Wintermonate (ternario formatur) wären dann die 3 grossen Werkmeister, von welchen bei den Walen und in dem ältern englischen maurerischen Lehrlingsfragstücke geredet wird. 1) Bei den Walen ist der Gott Hu (der Sonnengott, Apollo) einer der drei Geber des Segens, denn er hat seinem Volke den Ackerbau gelehrt, er war einer der drei grossen Werkmeister, denn er hat sein Volk in gesellschaftliche Ordnung gebracht; als einer der 3 grossen Meister hat er die Dichtkunst zur Bewahrerin der Wissenschaft bestimmt und hat eine der 3 grössten Heldenthaten vollbracht, indem er die Ueberschwemmung endete. Nach dem englischen Lehrlingsfragstücke machen 3 eine Loge, weil 3 grosse Maurer (oder Meister) den salomonischen Tempel erbaut haben. Die ewige Kraft, welche nach den 3 Wintermonaten sich aus ihrem Schlafe erhebt, baut Gottes schönen Tempel in seiner blühenden Natur, spendet den Menschen den Segen des ordnenden Ackerbaues und gibt die Freude des der Götter und der Menschen Thaten verherrlichenden Gesanges, bannt auch durch den Frühlingsstier oder im Sternbilde des Stieres die zerstörenden winterlichen Fluthen. Diese Fluthen sind aber zugleich als die weltüberschwemmenden, als die Sintfluth gefasst und das daraus die letzten Menschen und Thiere rettende. segellose göttliche Schiff war eines der 3 Meisterwerke




    1) Eckermann, III. 2. S. 158; Krause, I. 1. S. 200.



der Baukünste, d. h. war die Erde, die Insel Britannien, die Gottesstadt und das Gotteshaus selbst, wobei die Sintfluth mit der Weltschöpfung aus dem Urgewässer zusammenfliesst. Vermuthlich war die Einweihung in den Druiden- und später in den allein übrig gebliebenen Bardenorden, in Uebereinstimmung mit so vielen andern ältern und jüngern Mysterienweihen, eine Beerdigung und Wiedererweckung als Symbol des Sterbens und Wiederauferstehens, - des ewigen Wechsels und Wandlens der Natur und des Menschen. So wurde wenigstens alljährlich auf Mona, der Grabstätte des Hu, der Oberdruide im Cromlech als der stets wieder sterbende Gott Hu unter einem Grabgesang begraben, 1) um aus dem Grabe, dem Schoosse der Muttererde, nur schöner wieder hervorzugehen. Durch Taliesin wird der Gott Hu auch mit dem ägyptischen Sonnengotte On, Helios und selbst mit dem jüdischen Joseph in Aegypten in Zusammenhang gebracht, 2) was zwar unzweifelhaft nur der Verbindung des Kelten- und Druidenthums mit dem Juden- und Christenthume zuzuschreiben, aber doch höchst beachtenswerth ist, weil man daran zu erkennen oder wenigstens zu ahnen vermag, in welcher sonderbaren Weise sich in Britannien alle Bildungselemente und vorzüglich die druidischen und klassischen Mysteriendienste gemischt haben. Der druidische sterbliche und doch unsterbliche Naturgott begegnete bei den Römern und in den römischen Baucollegien dem phönicisch-ägyptisch-griechischen Mysteriengotte Adonis-Osiris-Dionysos und wurde nunmehr zum Aeddon; in den Baumysterien versuchte man die druidischen zu verbergen und zu erhalten. Der Thierkreis ist der grosse Gürtel des (neuen) Hu 3) wie des Osiris, und wird durch die Steinkreise dargestellt. - Die britischen Troja-Sagen 4) sind, begreiflich römischen Ursprungs. Das Erschlagen des Hiram




    1) Eckermann, III. 2. S. 174 ff., vergl. mit S. 205 oben, S. 212; Weiss, Gesch. Alfred's des Grossen, Schaffhausen 1852, S. 9 ff.
    2) Eckermann, III. 2. S. 183 ff.
    3) Eckermann, III. 2. S. 188.
    4) Eckermann, III. 2. S. 246 ff.



als des Symbols der ersterbenden Natur kommt in den verschiedensten Zeiten und Gestalten als das Besiegen des in Stroh gekleideten Winters, als das Zersägen und Verbrennen der Puppe einer alten Frau, als das Verbrennen des winterlichen Stroh- und Maskenmannes, als das Begraben und Ertränken desselben vor und ist natürlich zugleich die Feier der Ankunft und des Sieges des Frühlings oder auch des Sommers, - der Schwalben, des Storchen, des Kukuks, der Wachtel, der Nachtigall u. s. w. 1) Hiram im Sarge ist nicht verschieden von der Pappe im Sarge, welche bei Nürnberg als Symbol des Wintertodes ausgetragen, 2) oder, z. B. zu Zürich, in einem kleinen Wagen von den Knaben herumgeführt wird, um sodann freudig und hoffend verbrannt zu werden. Der aus dem Sarge unter grünen Zweigen sich erhebende Hiram gleicht dem zum Todtenkopfe ausgeschnittenen hohlen Kürbis unserer Knaben im Frühlinge, aus welchem ein Licht leuchtet, - dem Todtenschädel des Çiwa bei den Indern, aus dessen Augen und Höhlen die Flammen emporlodern. Ebenso gehört hierher, dass zu Venedig in der Fastenzeit jährlich noch jetzt das Bild einer alten Frau im Triumpfe entzweigesägt und verbrannt wird. 3) Ebenso schliesst sich an der römische Gebrauch, wornach jährlich an den Iden des Monats Mai vom Pons Sublicius 80 Menschenfiguren aus glatten Binsen, argei genannt, in den Tiber gestürzt wurden; diese Ceremonie wurde von den Priestern und Vestalinnen vollzogen. 4) Die reine Daedalossage wird sogar von Alexander von Berneval, dem nach einer Grabschrift im J. 1440 verstorbenen Obermeister des Baues der Abteikirche von St. Ouen zu Rouen erzählt, indem er, der Urheber des Rosenfensters im südlichen Kreuzschiffe, seinen Gehülfen, der das schönere nördliche Fenster gebildet, erschlagen haben und deshalb hingerichtet worden sein soll, aber dennoch wegen seiner sonstigen Verdienste von den dankbaren Mönchen in der




    1) Vergl. noch Eckermann, III. 2. S. 249.
    2) Bechstein, Mythe, I. S. 67 ff.
    3) Rinck, I. S. 8.
    4) Rich, Wörterbuch der römischen Alterthümer, unter Argei.



Kirche beerdigt wurde. 1) Der leidende, sterbende und wiedererstehende Gott ist durchaus nur das in Menschengestalt symbolisch dargestellte göttliche Naturleben, der Naturgott als ein Mensch. Der Verlauf und die Schicksale des jährlichen Naturlebens des einzelnen Landes werden als ein Leben, Leiden und Sterben der göttlichen Menschen, der Gottmenschen aufgefasst und sind nur verschieden je nach der verschiedenen Lage, Beschaffenheit und Eigenthümlichkeit der einzelnen Länder, - je nach der Verschiedenheit der Zeiten ihres Jahres; namentlich erhält der Gegner des Natur- und Sonnengottes, der glühende und versengende Sommer, oder der kalte, alles Leben ertödtende Winter, - oder der nasse und entblätternde Herbst, - in Syrien, in Aegypten, Griechenland Skandinavien u. s. f. eine ganz andere, seinem Geburtslande entsprechende Gestalt. Die verschiedenen Mysteriendienste und in gewissem Sinne die verschiedenen Religionen werden nur bestimmt und begründet durch die Verschiedenheit der Lebens-, Leidens- und Todesschicksale des von ihnen besonders verehrten Gottes, welche Schicksale aber wieder die Verehrenden nach den eigenen bilden, so dass die Religionen und die Götter nach dieser Seite blos als der Widerschein, als die Personificationen der Völker selbst erscheinen und diese eigentlich sich und ihre Werke in ihren Göttern verehren. Diese sterblichen unsterblichen oder wiederauferstehenden Naturgottheiten sind im Abendlande, in den Ländern, welche das Mittelmeer umgeben, wesentlich von den Phöniciern und Aegyptern ausgegangen und bei ihnen zur Unterlage alles Gottesdienstes gemacht worden, indem auch der Gottesdienst nur das Symbol des Jahreslebens, das kirchliche Naturjahr ist. Gott und sein heiliger Dienst sind das göttlichmenschliche Bild des jährlichen frohen und leidenvollen Lebens des Landes und seiner Bewohner; Geburt, Leben und Sterben und die Wiederauferstehung sind der einzige Inhalt aller dieser Naturgottesdienste. Trotz seiner hohen Geistigkeit hat dennoch auch das Christenthum das phönicisch-ägyptische Naturgewand des Gottesdienstes beibe-




    1) Schnaase, VI, S. 116 ff.



halten 1) und Christus ist als ein leidender, sterbender und wiederauferstehender Gott Adonis-Osiris-Dionysos-Hiram, Pthah-Sokar-Osiris, d. i. nach Brugsch, Reiseberichte aus Aegypten, S. 77, Inhaber des Grabes, wie er in den Hieroglypheninschriften des Pthahtempels zu Memphis genannt wird, ebenso der Stier Apis in den Inschriften des Serapeums bei Memphis der Wiederauflebende 2) u. s. w., was seinen Grund ebensosehr in der Geschichte, d. h. in dem Zusammenhange alles Geschehenden, als überhaupt in der Natur der menschlichen Dinge hat. So lange des Menschen Geist die Erdenhülle trägt, vermag er noch nicht den reinen Geist zu fassen und blos Geist zu sein; er wird im Menschenbilde den Geist suchen und anbeten und Gott wird ihm der Schöpfer des Himmels und der Erde und vor Allem des Menschen stets sein und bleiben. Aus Unkenntniss ist übrigens in einzelnen maurerischen Ritualen oder Systemen, z. B. nach dem von Fessler herrührenden der Grossloge Royal-York zu Berlin, wie dasselbe mit vollständiger Worttreue in dem zu Leipzig 1836 bei Carl Andreä herausgegebenen "Gerechten und vollkommenen Freimaurer-Logenbuche" veröffentlicht ist und nach welchem unter andern auch die Loge Wilhelm zur aufgehenden Sonne in Stuttgart arbeitet, - der Grundgedanke des alten Jahresgottes in der Hirammythe mehr oder weniger verloren gegangen und durch eine anderweitige Symbolik ersetzt. In dem Fessler'schen Rituale verbinden sich nämlich 15 anstatt 12 Meister zum Verderben des Hiram, von denen drei, die Personificationen der Unwissenheit, der Begierlichkeit und des Lasters, den Mord vollbringen, 12 aber reuevoll davon zurücktreten und später zur Aufsuchung des Leichnams des Hiram und des verlorenen Meisterwortes ausgesendet werden. Dennoch hat das Fessler'sche System den Vorzug, die Hirammythe von den englischen Zugaben und Einschiebseln aus der Revolutionszeit von Cromwell schon gereinigt zu haben,




    1) Renand, nouvelle symbolique, S. 191.
    2) Vergl. auch A. Bourquenoud, mémoire sur les monuments da culte d'Adonis dans le territoire de Palaebyblus (nach Bourquenoud das heutige Barja), Paris 1861.



was in den Ritualen des sog. altschottischen Systems z. B. noch keineswegs überall der Fall ist. Auf 15 Personen oder Choreuten waren in Attika die tragischen Chöre seit der Aufführung der Eumeniden des Aeschylos anstatt der, früher üblichen 50 beschränkt worden; 1) dieser Chor stellte sich 3 Mann tief auf und mag oft aus den Stamm- und Zunftgenossen bestanden haben. 2) Die Mythe von dem erschlagenen Meister findet sich übrigens auch in Mesopotamien, indem der Baumeister des Palastes Chawernak bei Hira zurn Dank oder Undank dafür von oben heruntergestürzt worden und dadurch das Wort Schabernak unsterblich gemacht haben soll. 3) Die Hirammythe, wenn auch natürlich und begreiflich in verschiedener Gestaltung, wäre sonach von den Ufern des Rheins bis zu den Ufern des Euphrat verbreitet und ist zuletzt gewiss überall heimisch, wo man baute. Wenn die Kasia, der Hiram oder Zeus Kasios der Maurer nicht Aegypten entlehnt sind, 4) stammen sie mit dem Adonis aus Syrien, von den Phöniciern; denn der Kasius war ein hoher heiliger Berg der Phönicier bei Seleucia oder auch Antiochia in Syrien, 5) woher die ganze dortige Gegend Casiotis hiess. Eine der Schluchten in jener Richtung war der Lorbeerhain Daphne, jetzt der Flecken Brit-el-ma, einst ein üppiger Freudenort der Antiochener. 6) Daphne, ägyptisch nach Braun Taphne, Gemahlin des Dichtergottes Mui, Phöbus, der in den griechischen Apollo übergegangen, ist bei den Griechen eine Nymphe. Diese Nymphe Daphne ist nur eine andere Gestalt und Personification gleich dem Hirten Daphnis des dem Apollo geheiligten Lorbeerbaumes, des dem Zeus heiligen wilden Zimmetbaumes, Kassienlorbeers (Laurus Cassia, Cassia). Funke, a. a. O., erklärt




    1) Thiersch, Pindarus Werke, I. (Leipzig 1820) S. 106 und S. 107.
    2) Thiersch, I. S. 126.
    3) Braun, Gesch. der Kunst, I. S. 174.
    4) Symbolik unter Kasia und Zeus Kasios.
    5) Kiepert, historisch-geographischer Atlas der alten Welt, Weimar 1860, Nr. VI; Braun, Gesch. der Kunst, I. S. 336 ff. und S. 512 oben.
    6) Funke, Real-Schullexikon, unter Daphne.



unrichtig Casia für eine Art Räucherwerk, das in Arabien wuchs. Casia regio, jetzt Caschgar, war eine Landschaft in Scythia intra Imaum und Casii ein Gebirge in der Landschaft Serica. 1) Daphne und Hiram berühren sich auch mit den indischen und deutschen, überhaupt indogermamischen Mythen von den Seelen, die in Blumen und Bäumen, in dem Lorbeer oder Kassienlorbeer, unsterblich wiedererstehen und fortleben. Die alle 7 Jahre dem Apollo Ismenios in Böotien gefeierten Daphnephorien, 2) eine Art christlichen Palmsonntags, waren auch nur eine Feier des unvergänglichen und ewig wiedererstehenden Lichtes (Apollo's), des ewigen Zeit- und Jahresgottes, dessen Symbol, den Kopo, ein mit Lorbeerzweigen und allerlei Blumen umwundenes Olivenholz und sonstigen Zeit- und Jahressymbolen, 3) ein schöner, zufolge Rinck, vielleicht neunjähriger Knabe trug, dessen beide Eltern noch lebten und darin nicht an den Tod, an die Vergänglichkeit erinnerten. Die 9 Jugendjahre des blumentragenden, lorbeertragenden () Knaben sind die 9 leuchtenden Sterne der Maurer, die 9 Lebensmonate des Apollo-Hiram; der blumen- und lebentragende Knabe ist Apollo selbst, wie der blühende Lorbeer und die blühende Akazie, Kassia auch nur Apollo, das ewige Licht und Leben sind. Der freudenvolle Lorbeerhain Daphne bei der Seleucidenstadt Antiochien, - das von Lorbeeren beschattete Thal, worin auf Sicilien der schöne Hirte Daphnis geboren wird, sind die irdischen Bilder des himmlischen oder ewigen Rosen- und Grünlandes, in welches auch Hiram aus seinem Sarge und Leichentuche sich erhebt. Die richtende und lichtraubende Untreue des Daplinis ist der eigene Tod des in der Herbsttag- und Nachtgleiche sterbenden und erblindenden Jahres- und Lichtgottes, der sodann als unsterblich in den Himmel versetzt wird und auf der Erde im neuen Jahre als unversiegbare, befruchtende Quelle sprudelt; ihn suchen und finden als




    1) Funke, a. a. O, unter Casia regio und Casii.
    2) Funke, unter diesem Wort; Rinck, die Religion der Hellenen, II. S. 154 ff.
    3) Symbolik, II. S. 658.



das unverlierbare Meister- und Schöpfungswort, als den menschlichen Gottessohn die 9 Lebensmonate der verwittweten Mutter Erde unter 9 oder 9 x 9 Thränen. Er ist das Wort, die Kraft und die That, welche im Anfang bei Gott war und ewig bei Gott sein wird, nach der orientalischen und namentlich zarathustrischen Vorstellung Gott selbst und dessen Schöpferwort, 1) dessen ewiges Leben symbolisch als Brod gegessen und als Wein getrunken wird, wie es schon die Anhänger des Zarathustra, getrunken haben, die Parsen und die Christen aber noch trinken. Gott, der göttliche Geist in dem Menschen, ist die Speise und der Trank des ewigen Lebens, der Unsterblichkeit. Auf einer Inschrift im Ptolemäertempel zu Der el medineh wird der Verstorbenen das ewige Leben versprochen, weil man ihr die heiligen Brote gebe. 2) Die göttlichen oder unsterblichen Symbole in beiderlei Gestalten geniessen, heisst nur, dass der göttliche Lebensgeist, das ewige Leben Alles erfülle und durchdringe, allgestaltig sei, wie Zarathustra es zuerst lehrte und diese Lehre aus der babylonischen Gefangenschaft und aus dem Munde der Magier die Juden den Christen überbrachten.

Dem Lorbeerhaine Daphne benachbart wohnten übrigens die syrischen-Säulenheiligen und ihr Stifter, der h. Symeon; sie suchten das ewige Licht und Leben, statt in den Lorbeerhainen auf Felsen und Säulen, der heilige Symeon über 40 Jahre lang, 3) dessen zerbrochene, später von einer, jetzt auch in Ruinen liegenden Kirche umbaute Säule noch heute am Wege nach der Orontesmündung von Antiochien in Syrien zu sehen ist. Hier verkündet sich der christliche Sinn und christliche Geist, welcher auch schon im Heidenthum, im Alterthum und besonders in der griechischen Mythologie lebte. 4)

An der Wand eines Tempels zu Karnak sprosst in einer besondern Darstellung einer von mehreren Priestern




    1) Braun, I. S. 309.
    2) Brugsch, Reiseberichte, S. 316.
    3) Braun, I. S. 337 ff.
    4) Vergl. K. O. Müller, Prolegomena zu einer wissenschaftl. Mythologie, S. 206 ff.; Rinck, Vorrede, I. S. V ff.



getragenen cista (Kiste) mystica, eine Akazie (schont genannt, der heutige Sontbaum, acacia Lebec) und auf der Kiste steht: "Es kommt zum Vorschein Osiris" , und daneben: "Die Akazie der cista mystica." 1) Es steht sonach unzweifelhaft fest, dass die Akazie bei den Aegyptern der heilige und mystische Baum und insbesondere das Symbol des wiedererstehenden Osiris gewesen sei. Da nun die Akazie in der maurerischen Hirammythe dieselbe Bedeutung hat, möchte mit aller Bestimmtheit die Akazie und Hiram-Osiris den Aegptern entlehnt, von ihnen überliefert zu betrachten sein. Damit auch der Baumeister nicht fehle, lesen wir z. B. zu Philae von Num-Ra: "der grosse göttliche Bildner, der erste Baumeister, der erschaffen hat die Göttinnen und Götter mit seinen Händen, er ist im Begriff, den Sohn der Isis zu bilden auf der Drehscheibe." 2) In einer Weiheinschrift im Tempel des Amon zu Medînet Abu, neben dem einzig erhaltenen altägyptischen königlichen Palaste, sagt Ptolemäus X. von Amon: "er hat gebaut dies zu seinem Monumente seinem Vater, dem ersterschaffenen, nichts ist erschaffen ausser durch ihn," 3) was an das Evangelium Johannis mahnt. - Dem Gedanken über den Zusammenhang der Freimaurerei mit dem Alterthume, - über die universalhistorische Natur und Bedeutung des Maurerthums ist es bisher nicht glücklicher ergangen als dem noch höhern Gedanken von der Einheit der menschlichen Völker und Sprachen; dennoch hat diesen noch jüngst Ewald, über den Zusammenhang des nordischen (türkischen), mittelländischen (indo-europäischen), semitischen und koptischen Sprachstammens, in einem zweiten Vortrage vor der königl. Societät zu Göttingen glücklich festgehalten, 4) und so mag auch jener Gedanke fortbestehen, bis ihn ein glücklicherer Denker wiederdenket. Nicht unwahrscheinlich ist auf einem pompejanischen Wandgemälde, welches einen Festzug der Zimmerleute darzustellen scheint, auch die Erschlagung des beneideten




    1) Brugsch, Reiseberichte, S. 172.
    2) Brugsch, S. 264.
    3) Brugsch, Reiseberichte, S. 300.
    4) Götting. gel. Anzeigen für 1862, S. 161 ff.



geschickteren Gesellen durch den Meister Daedalos dargestellt 1) und damit der Beweis gegeben, dass die Daedalossage 2) schon bei den Römern als Handwerkssage fortgepflanzt worden, wie sie uns am Rheine zu Oppenbeim als solche im Mittelalter begegnet. 3) Die h. Maria, welche man vielfach als die besondere Beschützerin des Bauhandwerkes erblickt, könnte möglicher Weise nur an die Stelle der Athene Ergane getreten sein, die bei den Griechen die Schutzgöttin des Handwerks gewesen. 4) Bei den römischen Wagen, die in aller und jeder Hinsicht ganz den unsern gleichen, wurde das Brustbild der Ninerva selbst als Gewichtstein gebraucht. 5) Den Lehrlings-, Gesellen- und Meistergrad können wir schon in der mit Rom fast gleich alten Einrichtung der Vestalinnen finden, indem dieselben für 30 Jahre dem Dienste der Vesta geweiht wurden, wovon sie die ersten 10 Jahre als Lernende, die folgenden 10 Jahre als ausübende Priesterinnen und die letzten 10 Jahre als Lehrerinnen der Novizen zubrachten. 6)

Hottinger sprach im J. 1849 zur allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz: "Ohne die Ueberzeugung einer providentiellen Oberleitung möchte ich Geschichte weder studiren noch schreiben." 7) Diese würdigen Worte des tieffühlenden Denkers könnte man im Hinblicke auf die uns hier vorzüglich beschäftigende Streitfrage dahin fassen: "Ohne die Ueberzeugung eines stetigen Fortganges und Zusammenhanges der Weltereignisse und Völkergeschichte möchte ich Geschichte weder studiren noch schreiben." Wer den Zusammenhang gläubig sucht, findet ihn auch gewiss unerwartet in vielen beredten Zügen, wofür nur z. B. noch die von Alpenburg, deutsche Alpensagen, unter Nr. 295 mitgetheilte Sage vom Todten-




    1) Guhl und Koner, II. S. 287.
    2) Symbolik unter Daedalos.
    3) Symbolik, II. S. 783.
    4) Guhl und Koner, II. S. 293.
    5) Guhl und Koner, II. S. 291.
    6) Guhl und Koner, II. S. 309.
    7) Archiv für schweizerische Gesch., VII. S. 28.



gericht hier berührt werden möge. Das tapfere und, berühmte Geschlecht der Ritter von Matsch hatte die Sitte eingeführt, über jeden seiner Verstorbenen in der Franziskanerkirche zu Botzen ein Todtengericht halten zu lassen. Der Verstorbene wurde in die Kirche getragen, und bevor derselbe zur letzten Ruhe eingesegnet wurde, fand eine Leichenrede statt, in welcher der Geistliche offen und freimüthig je nach den Thaten des Verstorbenen Lob und Tadel auszusprechen hatte. Wer über Unrecht des Verstorbenen glaubte klagen zu sollen, vertraute es dem Geistlichen an, der es in seiner Rede anbrachte und oft den Erben Veranlassung gab, nach Kräften das Unrecht zu sühnen. So waren noch alle auf dem Stammschloss Verstorbenen leidlich in dem letzten Gerichte gerechtfertigt worden bis an den letzten des Stammes, welcher seine Unterthanen hart bedrückt hatte. Ihm die richtende Leichenrede haltend, erfasste den Geistlichen gleichsam ein höherer Geist, dass er mit donnernder Stimme verkündete, der Verstorbene sei ein gefühlloser Mensch, ein kalter Stein gewesen und werde es in alle Ewigkeit bleiben. Da die entsetzten Angehörigen den Sargdeckel aufhoben, lag an der Stelle des Leichnams - ein langer dunkler Stein. - Wir betrachten dieses in der Volkssage erscheinende Todtengericht zu Botzen, ital. Bolzano, als einen Ueberrest des heidnisch-römischen Glaubens und vielleicht des Isisdienstes, den die Römer auch hierher wie nach der Schweiz gebracht hatten. Ebenso sind dier im Mittelalter so häufigen und selbst auf Grabsteinen, z. B. zu Tournay, 1) erscheinenden Darstellungen des jüngsten Gerichts blosse Umbildungen und Nachahmungen des ägyptischen Todtengerichtes, besonders auch auf Mumiensärgen. Zu Wettingen im Kanton Aargau stand z. B. ein Isistempel, den nach noch erhaltener Inschrift Lucius Annusius Magianus zu Ehren seiner Gemahlin Alpina Alpinuala und seiner Tochter Peregrina erbaut hatte. 2) Das Todtengericht ist übrigens nur der irdische Anfang




    1) Schnaase, VI. S. 562.
    2) Vergl. Symbolik, II. S. 60 und S. 623.



des Reinigungs- und Läuterungsprocesses, der reinigenden Reisen und Wanderungen, welche die Seele bestehen und machen muss, bevor sie als reines Licht als eine gereinigte Seele in die höchsten Lichtregionen, in das reinste Licht als die Wohnung Gottes und der Seligen zurückkehren und dort nunmehr für immer verweilen darf. Das letztere ist die Grundvorstellung eines jeden Lichtglaubens des Alterthums, besonders des ägyptischen und nach ihm wohl auch des manichäischen, 1) und wurde geweckt durch die Betrachtung des Himmelsäthers, worin das reine und reinste Licht nur in den höchsten Höhen über Mond, Sonne und Sternen jenseits des Thierkreises und der Milchstrasse seinen Sitz hat, - ist also Naturreligion. Bei dieser Betrachtung und der daran sich anknüpfenden Grundvorstellung lag es nahe, sich den Mond und die Sonne, den Thierkreis und die Milchstrasse als den Weg, als die Reinigungsorte zu denken, welche die noch nicht gereinigten Seelen zu ihrer Reinigung und zur Rückkehr in das reine Licht durchlaufen müssen; namentlich ist dieses auch bei Mânî der Fall und gemäss Abû'lfaradsch stellt er den Mond und die Sonne, gewiss nach phönicisch-ägyptischen Vorbildern, 2) als die zwei grossen Schiffe dar, welche Gott zur Befreiung der Seelen aus der Finsterniss und zum Hinübertragen derselben in das Lichtreich erschuf, 3) und zwar die Sonne als das grössere, den Mond als das kleinere Schiff nach Epiphanius. 4) Diese zwei grossen Seelenschiffe berühren sich mit den zwei mosaischen und maurerischen Lichtern, welche als die Sonne und der Mond den Tag und die Nacht erleuchten und regieren, und beruhen auf dem gemeinsamen Gedanken, dass die Sonne und der Mond Lichtbringer, Lichtwohnungen, Lichtstufen zu den höhern Lichtwelten seien. Dachte man sich das Aufsteigen der Seelen in die höchsten Lichtsitze, in die Lichtparadiese sinnlich und natür-




    1) Vergl. darüber Flügel, Mânî, S. 227 ff.
    2) Creuzer, Symbolik, IV. S. 531.
    3) Flügel, S. 232, Anm. 132.
    4) Flügel, S. 343.



lich, mussten die Seelen in dem weiten Raume zwischen der Erde und jenen Lichtsitzen auch den Mond und die über demselben stehende fernere Sonne berühren, - von diesen, welchen Mânî nothwendig eine Fortbewegung durch den Himmelsraum zuschrieb, wie von einem Schiffe aufgenommen und stets reinigend weiter fortgetragen werden. Das Zunehmen und Abnehmen des Mondes wird sogar daraus in sehr kindlicher Weise abgeleitet. Die in das Mondsschiff einsteigenden Lichtseelen leuchten, so dass das Licht des Mondes wächst, bis das Schiff nach 15 Tagen voll ist, worauf die Seelen ausgeladen werden und der Mond und das Schiff zu leuchten aufhören, bis neue Ankömmlinge einsteigen und das alte Leuchten mit dem Monat von Neuem beginnen. 1) Noch mehr erinnern die beiden manichäischen Licht- und Seelenschiffe an das Schiff der christlichen Kirche, an die Heilslehre Christi, in welcher allein auch die Christen, die Seelen dem Himmelreiche zusteuern können. Der natürliche Satz, dass mit dem reinen Lichte nur das gleich reine bleibend verbunden werden könne, verwandelt sich in den ethischen, namentlich auch bei Mânî, dass man allein durch die Lobpreisung und Anbetung Gottes, durch das reine Wort und die guten Werke in das Himmelreich eingehen könne. In diesem ethischen Gebote stimmen die Lichtreligionen des Alterthums, besonders auch des Mânî, vollkommen mit dem Christenthume zusammen oder dieses hat vielmehr nur das alte Lichtgesetz beibehalten, und noch bestimmter und geistiger gefasst. Auch das Christenthum ist ein Lichtglaube, aber das ewige Licht ist ihm nur der ewige Geist; wenn auch der Name Jesus, im Fihrist Isâ, 2) nicht mit der ägyptischen, indischen und deutschen Isis verwandt sein sollte, was Andere entscheiden mögen, sind sie jedenfalls als Lichtwesen und durch ihre Lichtlehren einander ähnlich und gleich. Nach Br. Krebs in Stuttgart in einer noch ungedruckten Briefsammlung hiessen die alten Priester in Mexiko: Jeouas. Jesus, Isâ, welcher,




    1) Flügel, S. 231, 233 und 344.
    2) Flügel, S. 91 und 254 ff.



von Gott gesandt, nach Mânî in die Welt kam und dem Adam, dem Geschöpfe, dem Menschen erklärte die Paradiese und die Götter, die Hölle und die Teufel, die Erde und den Himmel, die Sonne und den Mond, und ihm bange machte vor der Hawwâ (Eva), indem er ihn über ihre heftige Zudringlichkeit aufklärte und ihm Furcht einflösste, sich ihr zu nähern, - ist nur ein Bild, ein Symbol des den Menschen bewahrenden und leitenden geistigen Lichtes, seiner Vernunft. Diesem Lichtwesen, welches von dem historischen Jesus oder Christus sehr verschieden ist, weist Mânî Sonne und Mond als Wohnung an, fasst es zugleich als das natürliche Licht; 1) der in der Sonne und in dem Monde wohnende Jesus stellt sich gleich den maurerischen drei grossen oder kleinen Lichtern der Sonne, des Mondes und des Meisters, - beide sind die durch die Sonne und den Mond leuchtende und waltende Gottheit. Da Gott und die Weisheit Gottes in dem Lichte, in dem Osten auf solche Weise wohnen, muss nach Osten ziehen, wer der Sünde entgehen will. Daher ruft im Fihrist (Flügel, S. 93) dem sündigen Adam, um ihn von der Eva und von fernerer Sünde mit ihr zu entfernen, sein Sohn Schâtil (Seth) zu: "Wohlan, brechen wir auf nach dem Osten zu dem Lichte und zu der Weisheit Gottes", worauf Adam sich nach Osten mit seinem Sohne sogleich aufmachte und dort verweilte, bis er starb und in das Paradies einging.

Das Todtenfest des Mânî, das Gedächtnissfest seiner grausamen Hinrichtung und Kreuzigung wurde von den Manichäern alljährlich im Monat März mit grossen Feierlichkeiten begangen und sollte also jedenfalls das Oster- und Paschafest ersetzen. Das Fest hiess Bema, , d. i. erhöhter Ort, Rednerbühne, weil dabei ein leerstehender, prächtig geschmückter Lehrstuhl aufgestellt wurde, welcher nach Flügel, S. 333, zur Andeutung der 5 Stufen der manichäischen Hierarchie auf 5 Stufen geruht haben soll. Das unter allen Umständen festgestellte




    1) Flügel, S. 256.



manichäische Symbol des leerstehenden und vermuthlich schwarz ausgeschlagenen Lehr- oder Rednerstuhles stimmt vollkommen und überraschend mit dem gleichen maurerischen Symbole der Trauerloge überein und sollte die unsichtbare Gegenwart des Verstorbenen versinnlichen. Zugleich darf dabei erinnert werden an den bei den Tafelrunden gewöhnlich leer gelassenen einenTafelsitz. Selbst der leere Platz, welchen bei Shakespeare an der Tafel Macbeth's der Geist Banquo's einnimmt, gehört hierher. - Die weitern Todtengebräuche der Manichäer sind unmittelbar nicht bekannt, können aber einigermassen aus Demjenigen erschlossen werden, was in dem Fihrist als die Lehre der Manichäer über die letzten Dinge oder das künftige Leben (Eschatologie) bemerkt wird. 1) Die verstorbenen Wahrhaftigen oder Vollkommenen, von welchen man annahm, dass sie zum Lohne ihres reinen Lebens und Wandels sofort nach ihrem Tode auf dem allgemeinen Seelenwege durch Mond und Sonne nach den Paradiesen des Lichtes zurückkehren, wurden neu und wahrscheinlich weiss gekleidet, mit dem sog. Lichtkranze umkränzt und mit einer Krone auf dem Haupte geschmückt; in die Hand gab man ihnen, vermuthlich in Anwendung ägyptischer Gebräuche, einen Trinkbecher, damit sie daraus bei ihrer Ankunft in den Lichtparadiesen, d. h. wohl in dem letzten und höchsten derselben, den Trank der Unsterblichkeit und Vergessenheit, den Göttertrank trinken möchten. Der Wasserkrug in ägyptischen und griechischen Gräbern sollte dieselbe Hoffnung symbolisiren. 2) Der Körper des Verstorbenen wurde dann wahrscheinlich nach parsischer Sitte auf einem dazu bestimmten Platze ausgestellt und blieb liegen, "damit ihm die Sonne, der Mond und die Lichtgötter die Kräfte, d. i. das Wasser, das Feuer und den sanften Lufthauch entziehen und er sich zur Sonne erhebe und ein Gott werde." Der nach der Verwesung des Leichnams übrig bleibende Theil




    1) Flügel, S. 100 ff.
    2) Flügel, S. 340 unten.



an Knochen, der ganz Finsterniss, unverwesliche Materie war, wurde beerdigt, in die Hölle geworfen. - Verschieden hiervon müssen die Beerdigungsgebräuche der blossen Zuhörer gewesen sein, weil nach dem manichäischen Glauben sie erst nach langen und vielfachen Wanderungen durch die Leiber von Menschen, Thieren und Pflanzen vollkommene Reinigung und durch diese die Rückkehr in die Lichtreiche fanden, 1) - erst nach einem langen Zeitraum von Hin- und Herirren ihre (Licht-) Kleider anlegen durften. Die Sünder dagegen, über welche die Habgier und die Sinnenlust die Oberhand gewonnen hatte, mussten nach ihrem Tode unaufhörlich, von Peinigungen heimgesucht, in der Welt umherirren bis zu der Zeit, wo dieser Zustand aufhörte und sie mit der Welt in die Hölle geworfen wurden, also ganz zu sein aufhörten. Zu den Sündern in diesem Sinne rechneten die Manichäer alle Nichtmanichäer. 2) Das neue Paradies, das neue Lichtreich, das christliche neue Jerusalem, in welchem nach dem Untergange der alten Welt durch den grossen allgemeinen Weltbrand die geretteten Lichtseelen, die Wahrhaftigen wohnen, scheinen nach dem Fihrist (Flügel, S. 102) die Manichäer den grossen Bau genannt zu haben und der maurerische grosse Baumeister aller Welten wäre sonach eigentlich der Baumeister des künftigen neuen Lichtreiches, des grossen Baues des ewigen Lichts. Dem neuen Paradies, obwohl dieses dunkel ist, mögen die Manichäer drei Thore von Süden, Osten und Westen her zugeschrieben haben, denn von diesen Seiten kommen nach dem Untergange der Welt der Urmensch, die Uridee des Menschen, und der Lebensgeist (die lebendigen Geister) und nehmen den grossen Bau wahr, welcher das neue Paradies ist, indem sie um die Hölle herumgehen und in dieselbe hinabschauen; von der nördlichen Seite naht kein Geist oder Lichtwesen, ohne Zweifel aus dem astronomischen Grunde, weil im Norden, im Wendekreise des Krebses, die Sonne untergeht, im Süden aber, im Wende-




    1) Flügel, S. 348, Anm. 297.
    2) Flügel, S. 349, Anm. 298.



kreise des Steinbocks, aufgeht. Das neue Paradies ist zugleich ein neues Weltjahr, und daher kommt nach der Lehre Mânî's alsdann der Urmensch von der Welt des Steinbocks und der Bewegung von Osten und des vielen Bauens von Süden her; dieser Urmensch ist die im Wendekreis des Steinbocks neu aufsteigende Sonne selbst, Sol novus, der christliche Erlöser und Erretter, das Lamm, mit der siegreichen Fahne des Lichtes in der neuen Lichtwelt mit den 3 lichten Thoren und dem neuen Lichtjahre, 1) welchem kein Winter mehr folgen wird. Das dunkele nördliche Thor in der neuen Lichtstadt bezeichnet, dass es fortan ewig geschlossen bleiben und nicht mehr erleuchtet werden werde, indem die Sonne nicht mehr nach Norden kommen und dort sich wenden und herabsinken, sondern unaufhörlich im Süden und Osten aufsteigen und leuchten wird. Im neuen Paradiese wird kein Abend und kein Winter mehr sein, sondern es wird ein unterbrochener Frühlingsmorgen leuchten, weil die Finsterniss, das Böse, die Sünde für immer überwunden verschlossen worden ist, 2) damit das Licht vor der Finsterniss und einer Beschädigung durch sie gesichert sei (Flügel, S. 90).

Ueber die höhern Grade in der Maurerei ist schon so viel gestritten und so ungleich geurtheilt, im Allgemeinen aber deren Abschaffung verlangt worden, wozu das viele wahrhaft Widersinnige einzelner dieser Grade in Nordamerika und Frankreich vorzüglich Veranlassung gegeben hat: dennoch möchten die höhern Grade, d. i. die engern, ausgesuchtern und vorzüglich auch gebildetern Kreise zu Erörterung und Pflege der höhern geschichtlichen und philosophischen Ideen ganz unentbehrlich sein. Statt sich auf die Bekämpfung der allerdings vorhandenen argen Missbräuche zu beschränken, hat man der ganzen Einrichtung ohne genügenden Grund den Stab gebrochen. Auch der verstorbene und in maurerischen Schicksalen ergraute Krebs urtheilte in der schon berührten Briefsammlung von den




    1) Vergl. auch Flügel, S. 341, Anm. 292.
    2) Vergl. Flügel, S. 353, Anm. 304.



höhern Graden in ähnlicher Weise, obwohl er sie nur aus Schriften kannte und keine Gelegenheit gehabt hatte, sich selbst in dieselben einweihen zu lassen und sie durch unmittelbare Anschauung kennen zu lernen. Krebs sprach sich besonders deshalb für die Beibehaltung der höhern Grade aus, weil er noch keinen einzigen Freimaurergrad habe kennen lernen, in welchem nicht wesentlich Gutes enthalten gewesen wäre, und noch keinen, in dem sich etwas vorsätzlich Schlechtes gefunden hätte. So mögen die höhern Grade als die Beschützer und Pfleger eines höhern und reineren Wissens, - als die Träger des Unsterblichkeitglaubens nicht nur fortbestehen, sondern sich kräftiger entfalten! Ob die alten Bauhütten die höhern Grade gekannt haben oder nicht, ist an sich sehr gleichgültig, jedoch durchaus nicht unwahrscheinlich; jedenfalls haben die Lebenden das Recht, sich ihre Hütte nach Gefallen einzurichten, und der streng-historische Sinn der Kritiker ist in dieser Hinsicht wirklich eine auffallende Ausnahme. So lange die Freimaurerlogen sich frei und naturgemäss gestalten dürfen, werden sie, ausgesprochen oder unausgesprochen, auch die höhern Grade, die engern Kreise der Erfahrung, der Bildung und des Alters in sich schliessen. Nicht das kindische Spiel mit Ritterkleidungen, sondern das ernste Ergebniss des vorangeschrittenen, gereiftern und sich seinem Ende nahenden Lebens sei der Gegenstand der höhern Grade; die höher Graduirten seien die Alten (seniores), die Weisen (prudentes Magava's) und die Grauen. Die wahre und höchste Aufgabe der höhern Grade möge sein, am Rande des Grabes zu bewähren und zu bezeugen, dass die Maurerei doch kein leerer Wahn sei, im Tode das Banner der Unsterblichkeit entfalte und den Lichtgläubigen in den ewigen Morgen hinübergeleite. Die Weihestätte des höchsten Grades ist das grünende Grab und der höchst Geweihte der im Vertrauen auf den allbarmherzigen Gott und die Ewigkeit Sterbende!!!