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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XVI.



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Das Sommerjohannisfest als Rosenfest.

Seit den ältesten Zeiten der Menschheit bis herab auf die Gegenwart pflegte und pflegt die Zeit der blühenden und verblühenden Blumen und besonders der schönsten und herrlichsten aller Blumen, der Rosen, festlich gefeiert zu werden, sei es als Fest der Freude über den wieder zurückgekehrten und wieder blühenden Frühling und Sommer, sei es als Fest der Klage und der Trauer über die schon wieder dahinwelkenden und dahinsterbenden Blumen und Rosen, oder als beides zugleich, als Fest des Lebens und des Todes. Da die ursprüngliche Religion der Menschen die Anbetung und Verehrung des in seiner Schöpfung, in dem Erden- und Naturleben sich offenbarenden und verkündenden Gottes ist, mussten sich auch die religiösen Feste des Alterthums an den Jahreslauf , an den Wechsel der Sonne und Natur anschliessen und waren entweder Freudenfeste über die wiederkommende und beglückende Sonne mit dem wiederkeimenden und blühenden Naturleben, oder Trauerfeste über die scheidende und geschiedene Sonne mit dem dahinsterbenden und gestorbenen Leben der Natur. Indem der Mensch frohlockend und wehklagend dem Sonnen- und Erdenleben folgt, mit der Sonne und Natur lebt und stirbt, fallen von selbst alle religiösen Feste der ältesten Völker in die 4 Hauptepochen oder 4 Hauptabschnitte des Jahres, der scheinbaren Sonnenbahn, die doppelte Tag und Nachtgleiche und die doppelte Sonnenwende. Die Feste sind entweder Aequinoctial- oder Solstitialfeste. Sie sollen die Freude und den Dank aussprechen über den Jahressegen, über den blühenden Frühling und reichen Sommer, oder die Trauer und den Schmerz über den verwelkenden Herbst und den kalten und eisigen Winter, und sind durchaus das frohe und traurige Bild der jedesmaligen Tag- und Nachtgleiche und Sonnenwende. Besonders hat schon




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Hammer in den Wiener Jahrbüchern der Literatur, 1818 Bd. III, S. 146 ff., den Satz zu erweisen gesucht, dass die Hauptfeste der ältesten Völker, weil die Sonne der älteste Gott gewesen, in die 4 Hauptepochen oder Hauptabschnitte des Jahres, nämlich die doppelte Tag- und Nachtgleiche und Sonnenwende, fallen.

Sobald und nachdem die Sonnen- und Naturkraft in einem Gotte oder in mehreren Göttern personifcirt gedacht wurden, die Sonnen- und Erd- oder Naturgottheiten geschaffen waren, verwandelten sich von selbst und nothwendig die religiösen Jahresfeste in Freudenfeste über die Geburt, das Leben und den Sieg, oder in Trauerfeste über das Leiden und Sterben des Sonnen- und Erd- oder Naturgottes. Geburt und Tod, Kommen und Scheiden, Siegen und Unterliegen, Freuden und Leiden der Gottheit und Natur, wie dieselben in dem ewigen Jahreswechsel vorüberziehen, sind der Inhalt aller alten heidnischen, religiösen und kirchlichen Feste. An die uralten heidnischen Feste der Natur und der blosen Naturgötter knüpfte bei der Einführung des Christenthums mit tiefer Einsicht und grosser Klugheit die Geistlichkeit die Feste der christlichen Kirche an, um dadurch einerseits dem Christenthum leichtern Eingang zu verschaffen und andererseits die hergebrachten Volksgebräuche und Volksansichten noch möglichst zu schonen, nur unmerklich und allmälig zu verdrängen oder im christlichen Sinne umzugestalten. 1) Hierdurch ist es gekommen, dass in den christlichen Festen und in den von der Kirche gefeierten Personen sich auf eine seltene und nicht genug zu beachtende Weise Mythologie und Geschichte, Dichtung und Wahrheit, Natur und Gott, Erde und Himmel zu einem Ganzen verbunden haben. Diesen Gang musste aber die Entwickelungsgeschichte der germanischen Völker nehmen, weil in der Menschen- und Völkergeschichte ein stetiger und ununterbrochener Fortgang ist und was einmal in dem Herzen und dem Geiste




1) Vergl. Augusti, die Feste der alten Christen, Leipzig 1820, Vorrede; und bei Creuzer im IV. Bande seiner Symbolik die vergleichende Zusammenstellung des christlichen Festcyklus mit vorchristlichen Festen von Ulemann.



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eines Volkes eine Stätte gefunden hat, in unvertilgbaren Zügen mit dem Volke bis zu dessen Untergang fortlebet. Vieles, was wir noch heute üben, denken und fühlen, haben vor zwei und mehr Jahrtausenden unsere Stammväter in Hochasien und in dem nördlichen Europa ebenso geübt, gedacht und gefühlt.

Die alten heidnischen Naturfeste und Feste der Sonnen und Naturgottheiten traten dadurch zu den Menschen in eine nähere Beziehung und erhielten zugleich eine menschliche Bedeutung, einen menschlichen Sinn, dass die Menschen in dem Vergehen und Wiedererstehen der Natur und des Sonnen - und Naturgottes die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit des eigenen Lebens beweinten und beklagten oder die freudige und tröstende Hoffnung der eigenen Wiederauferstehung aus dem Tode, der Unsterblichkeit des Geistes schöpften. Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele, an das Auferstehen der Todten und an die Rückkehr des den Menschen beseelenden Lichtes zum Lichte ist gewiss ursprünglich geweckt und getragen worden durch den Anblick der untergehenden und schwindenden Sonne mit dem Bewusstsein, dass dieselbe nicht in der Nacht versunken bleiben, sondern am kommenden Morgen schöner und herrlicher emporsteigen werde. Dem Untergange der Sonne folgt sicher ihr Wiederaufgang, ja sie geht eigentlich gar nicht unter und wird nur vorübergehend unsern Augen verborgen und entzogen. So ist auch unser Sterben nur ein Sonnenuntergang, woran der schönere und frohere Auferstehungsmorgen sich anschliesst; wir sterben nicht, wir schlafen blos zum neuen und bessern Leben hinüber, - die Seele wirft nur die Fesseln der irdischen Hülle ab und schwingt sich befreiet und erlöset, gereinigt und entsündigt zu dem Himmel empor. Der Verlauf des einzelnen Sonnentages ist das Vorbild und die Bürgschaft, das Pfand des ganzen Menschenlebens, des unsterblichen Menschengeistes; die Sonne und der Menschengeist sind gleich licht, dauernd und unvergänglich. - In verwandter und noch weit stärkerer Weise wirkte auf den Glauben und die Vorstellungen der ersten Hirten und Ackerbauer, der ersten Menschheit und Völker der unabänderlich sich wiederholende scheinbare Jahreslauf




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der Sonne mit dem daraus hervorgehenden ewigen Umschwung und Wechsel des Erd- und Naturlebens, - ihr Abwärtssteigen in der Mitte des Sommers bis zur endlichen Rückkehr, bis zum Beginnen des Wiederaufsteigens gegen Ende des Monats Dezember. Auf den finstern und rauhen Winter folgte ein lichteres, wärmeres, blumen- und früchtereiches neues Jahr; aus dem Grabe des untergegangenen Jahres erhob verjüngend das neue sich, die alte Welt diente nur zur Wiege der zweiten schönern. Das scheidende Jahr ist nur der ägyptische Vogel Phönix, welcher sich in der Sonnenstadt selbst verbrennt, um schöner und neu aus seiner Asche wiederzuerstehen. 1) Dieser Gang des Jahreslaufes und der Jahresverjüngung, das Absterben und Wiederaufleben der Sonne und Natur, die Sehnsucht und Hoffnung nach dem nahenden neuen Jahre beim Untergange des alten wurde der ersten Menschheit und den ersten Völkern bald und leicht zum Gange und Bilde des grossen Weltlebens und 'Weltjahres, zur Trauer über den Weltuntergang und zur Hoffnung, zur Mythe des Entstehens einer neuen, schönern und bessern Welt. Der untergehende Tag und das untergehende Jahr mit der dahinsterbenden reichen Naturpracht musste den ersten Völkern die Ansicht und den Glauben bringen und tief in das Herz prägen, dass dereinst auch diese Erde und diese Welt vergehen und zu einer neuen vollkommeneren sich verjüngen werde. Diese Ansicht und dieser Glaube wurde um so allgemeiner, tiefer und sittlicher, je mehr man die Unvollkommenheiten und Gebrechen der gegenwärtigen Welt fühlte und erkannte, je mehr man das Wahre, Gute und Schöne hier vermisste, - je winterlicher, kälter und lichtarmer man sich jetzt wusste. Die in fast allen Religionen und Mythologien des Alterthums erscheinende Vorstellung von einer zweiten besseren Welt, welche an die Stelle der untergehenden gegenwärtigen treten werde, ist durchaus nur die auf das Weltgeschick übertragene und in dasselbe verflochtene oder umgestaltete Erfahrung über die Rückkehr der fortgegangenen Sonne und Jahrespracht.




1) Gfrörer, Urgeschichte, Il. S. 225.



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Die vier Weltperioden des Zendvolkes und der Inder sind die vier Jahreszeiten der Welt, 1) weshalb auch bei dem Zendvolke.die Weltdauer vier Mal drei Monate von je 1000 Jahren oder zwölf Monate mit 12,000 Jahren betrug. In der dritten Weltperiode, d. h. nach der Sommersonnenwende begann der Kampf zwischen Ormuzd und Ahriman, das Zeitalter des Kampfes zwischen Licht und Finsterniss, zwischen dem Guten und Bösen - und des Zweifels, und die letzte Weltperiode, der Winter, ist das Zeitalter der Oberherrschaft des Ahriman, der Finsterniss und der Kälte, des Schlechten und des Unterganges. 2) In den beiden ersten Perioden der Welt, im Frühling und Sommer, herrscht der schaffende Ormuzd, ist die Welt erschaffen worden, wie auf der Erde Alles sich entfaltet, blühet und sich zur Frucht gestaltet; der Weltfrühling und Weltsommer gleichen dem Erdenfrühling und Erdensommer, - sind die Zeit des Werdens, des Blühens und Reifens, der Sonne, des Lichts, des Guten, des Ormuzd. Die zwei ersten Perioden umfassen die Zeit des entstehenden und bis zu seiner höchsten Kraft wachsenden Lichtes und des siegreichen und allgewaltigen Naturlebens, des Ormuzd; die beiden letzten Perioden dagegen die Zeit des abnehmenden und gleichsam in Kälte und Finsterniss endlich erlöschenden Lichtes und Naturlebens , des mit Ormuzd ringenden und stets mächtiger werdenden Ahriman bis zum allgemeinen grossen und reinigenden Weltbrande. 2) - In der deutschen Mythologie ist der Tod des Lichtgottes Baldur zunächst nur das Eintreten der Sommersonnenwende, des Herabsinkens der Sonne und Natur, wenn die Tage am längsten geworden sind und nun wieder kürzer werden; da aber unter Baldurs Tod allmälig auch der Verlust der Weltunschuld und Weltvollkommenheit, der Unschuld und der Reinheit der Götter gedacht wurde, liess man Baldur zur Zeit der Wintersonnenwende




1) Rhode, die heilige Sage des Zendvolkes, S. 207; Kruger, Geschichte der Assyrier und Iranier, Frankfurt a. M. 1856, S. 67 und 410 ff.
2) Vergl. auch Lassen, indische Alterthumskunde, I. S. 499 ff.
3) Rhode, a. a. O., S. 163. 67. u. 70.



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mit der rückkehrenden Sonne nicht mehr zurückkehren oder aufleben, sondern musste seine Rückkehr als die Rückkehr der Weltunschuld und Weltvollkommenheit in einer andern Welt fassen. 1) Wie das neue Jahr, die neue Sonne,. das Frühjahr, der neue Mai, den trüben und hässlichen Winter von der Erde hinwegnimmt und dieser neues Leben verleiht, so wird auch einstens eine neue Sonne kommen, um die Welt von ihren dermaligen Leiden, Fehlern und Unvollkommenheiten zu befreien und zu erlösen. Doch bevor die neue Sonne, der Erlöser erscheint, muss die alte Sonne und alte Welt untergehen, und dieser Untergang wird herbeigeführt durch den Winter, die Finsterniss, die Nacht, das Böse, welche letztere aber der neuen Sonne und dem kommenden Erlöser wieder weichen werden. Das natürliche und sittliche Gebiet durchdringen sich dabei und theilen das gleiche Schicksal, unterliegen demselben Verlaufe, Untergang und Tode; Baldur ist die neue Sonne und das heilige reine Licht, - die Heiligkeit, die Reinheit und Unschuld der Götter. 2)

Der die Urgeschichte der Menschheit durchdringende und besonders bei dem Zendvolke, bei den Indern, bei den Hebräern und Germanen sich findende Gedanke an einen kommenden Erlöser der Menschheit, der dem Bösen wehrt, Tugend und Gerechtigkeit wieder herrschend macht und das Reich der bösen Geister zerstört, indem er das Reich Gottes verherrlicht, 3) ist die auf die sittliche Welt von der natürlichen übertragene und angewandte Hoffnung der neuen Sonne. Ehe das Ende der gegenwärtigen Welt durch den allgemeinen Weltbrand herbeigeführt wird und in der letzten schrecklichen Zeit, wenn Religion, Tugend und Gerechtigkeit verschwunden sein werden, wird nach dem Zendavesta Ormuzd unvermuthet durch den Propheten Sosiosch, Caoshyanc, d. i. nach Spiegel, Avesta I. S. 244, der Nützliche, welcher aus dem Wasser Kanse von einer Jungfrau geboren werden soll, als einen Erlöser der Menschen diese in Schutz nehmen, durch ihn eine




1) Simroh, deutsche Mythologie, S. 99 u. 331.
2) S i m r o k, a. a. O., S. 91 ff.
3) Rhode, a. a. O., S. 166 u. 466 ff.



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allgemeine Bekehrung zu dem Gesetz des Ormuzd und die Auferstehung aller Todten bewirken. Höchst beachtenswerth ist, dass bei dem Zendvolke der Erlöser Sosiosch als Sohn einer Jungfrau erwartet wurde. Nach dem Bun-Dehesch, freilich einer jüngern Zendschrift, ist Sosiosch einer der drei Söhne Zoroasters, welche dieser mit der Huo zeugte. Dreimal, heisst es, wohnte Zoroaster der Huo bei, aber jedesmal senkte sich der Menschenkeim, den sie empfangen, in das Wasser Kanse, wenn sie sich in demselben reinigte. Hier bewahren himmlische Izeds diese Keime, bis sie wirklich als Menschen geboren werden sollen. Drei Mädchen werden sich dann in diesem Wasser baden, die Keime aufnehmen und sie als Kinder zur Welt bringen. 1) Im Vendidad wird Sosiosch nur als Ueberwinder und Zertreter der Devs oder der Teufel, als der Erlöser der Menschen dargestellt. Im Bun-Dehesch aber erscheint sein Wirkungskreis noch viel erhabener. Er wird nicht allein Ueberwinder der Devs, sondern auch Ueberwinder des Todes und Richter der Welt sein. Er wird die Todten durch Ormuzd Macht auferwecken, ihnen weissen Hom (Haoma, Homa) und was vom Stiere Sareseok kommt, zu trinken geben, wodurch sie auch dem auferstandenen Leibe nach Unsterblichkeit erlangen, und dann an einem erhabenen Orte über sie Gericht halten. Die Erwartung eines solchen Weltheilandes liegt auch in den Schriften und dem ganzen Religionssystem der Hindus, wenn auch hier ganz anders ausgebildet. Bei dem Zendvolke ist der Erlöser ein Mensch, durch welchen Ormuzd wirkt; bei den Hindus ist es eine Avatar, eine Menschwerdung der Gottheit (des Vischnu), welche das Werk vollführen wird, wie bei den Christen. Auch die Chinesen glauben nach Confucius, dass am Ende der Tage ein Erlöser und Erretter von dem Bösen kommen werde. 2) Die Sendung Christi wurde ausserordentlich dadurch erleichtert, dass zur Zeit seines Auftretens bei dem jüdischen Volke unter den schweren politischen oder staatlichen Leiden die Sehnsucht nach dem verheissenen Erlöser verbreitet




1) Rhode, a. a. O., S. 463.
2) Stuhr, die chinesische Reichsreligion, Berlin 1835, S. 6 u. 30.



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und lebendig war, obwohl Christus im Sinne und in der Hoffnung der Juden oder politisch nicht erlösen wollte und konnte, - sein Reich nicht von dieser Welt war. Selbst Johannes der Täufer wies auf Christus als den erschienenen Messias hin.

Auch die Inder oder deren Vêdas nehmen vier Weltalter oder Yugs an, wovon das gegenwärtige bereits das vierte sein soll, 1) während die Verfasser der Zendschriften sich in dem dritten Weltzeitalter befindlich dachten oder dieses als das gegenwärtige und vergehende ansahen. Eine grosse Zeitperiode zerfällt nach dem Systeme der Brahmanen in vier Weltalter, das der Satja oder Kritajuga (der Wahrheit oder das vollkommene), das Trêtâjuga (das Weltalter der drei Opferfeuer), das Dvâparajuga (das Weltalter des Zweifels) und das jetzt waltende Kahjuga (das Weltalter der Sünde). Das erste Weltalter enthält 4800 Götterjahre und die folgenden 3600, 2400 und 1200, alle vier Weltalter zusammen also 12,000 Götterjahre. Ein Jahr der Menschen ist gleich einem Tage der Götter, wesshalb man die Götterjahre mit 360 der älteren Zahl der Tage des Jahres, vervielfältigen muss, um die Anzahl der menschlichen Jahre zu erhalten. Wegen der in den Götterjahren enthaltenen Zwölfzahl ist wohl kaum daran zu zweifeln, dass die Weltperioden mit den vier Weltaltern ursprünglich nichts Anderes waren als das zwölfmonatliche Jahr mit seinen vier Abschnitten oder Theilen, wenngleich die Inder dieses aus ihrem Ursitze in Iran mitgebrachte und ihnen mit dem Zendvolke gemeinsame zwölfmonatliche Jahr mit seinen vier Theilen im Indus- und Gangeslande eigenthümlich umgebildet und gestaltet haben. Wenn Köppen, die Religion des Buddha, S. 269, dagegen einwendet, dass die vier Weltalter der Brahmanen desshalb nicht mit den vier Jahreszeiten zu vergleichen seien, weil die Inder nur drei oder sechs Jahreszeiten haben: fällt dieser Einwand damit dahin, dass die indischen vier Weltalter eben ihren letzten Ursprung nicht in Indien selbst, sondern in Iran,




1) Bjönstjerna, die Theogonie, Philosophie und Kosmogonie der Hindus, Stockholm 1843, S. 32; Lassen, indische Alterthumskunde, I. S. 499 ff.



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in den nördlicheren arischen Gegenden haben, woselbst es vier Jahreszeiten wirklich gab. Nach Köppen soll übrigens die indische Weltperiode mit den vier Weltaltern .nur ein grosser Welttag, ein Juga-Tag sein, nämlich die Morgendämmerung, der Tag, die Abenddämmerung und die Nacht der Welt, was doch nicht wesentlich verschieden ist voll dem Frühling, Sommer, Herbste und Winter der Welt. Gegen das Ende des Kalijuga soll Wischnu in seiner zehnten Incarnation (Kalkjawatâram) auf einem weissen Pferde erscheinen, die Sünde vernichten, die Sünder richten und die Tugendhaften belohnen, worauf diese Welt in Trümmer gehen und eine neue bessere Welt entstehen soll. 1) Dieses weisse Pferd des Wischnu soll nach Furtwängler, die Idee des Todes, S. 3 ff., das Todtenpferd sein, welches in den Mythen der indogermanischen Völker eine ausserordentlich wichtige Rolle spiele. Die Ideen von Furtwängler sind höchst ansprechend und geistreich durchgeführt, auch wenn man denselben nicht überall zustimmen kann. Die zum Tode geleitenden und den Tod bringenden Götter und Göttinnen reiten schwarze Pferde, die zum ewigen Leben und Lichte führenden dagegen weisse, so schon z. B. die indischen Dioskuren oder Aswini d. i. Rossegötter, der finstere Kumaras und der glänzende Aswa, die Söhne des Sonnengottes Surya und der Mondsgöttin Aswini, des Tages und der Nacht. Die schreckliche Kali, die Gemahlin des Todtengottes Civa, sitzt auf dem schwarzen Höllenpferde. Am Ende des letzten Jug erscheint der grosse und göttliche Befreier und Erlöser Wischnu auf dem weissen Rosse Kalenki oder selbst als Ross Kalki, um die Wiedergestaltung einer neuen, reineren und besseren Welt nach Vertilgung der unreinen materiellen Welt, zu vollbringen, wie der Erlöser Christus als das weisse Lamm mit der siegreichen Fahne des Triumphes in dem neuen oder himmlischen Jerusalem erscheint. Auffallend ist übrigens, dass Furtwängler bei aller tiefsinnigen Speculation nicht dazu gelangt ist, in dem weissen und schwarzen Pferde der Götter die schnell dahineilenden, die mit Pferdesschnelligkeit ziehende und fliegende Wolke, den Segler der




1) Wollheim, Mythologie des alten Indien, Berlin 1856, S. 69.



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Lüfte nach Schiller, zu verstehen. Die Pferde des Indra, des Varuna und Mithra, des Wischnu, des Surya und des Poseidon sind nicht die rollenden Wogen des Meeres, sondern Pferde oder Wolken des Wolkenmeeres. Der Gott des blauen Himmelsäthers, Wischnu und Poseidon, ist der Schöpfer und Erzeuger des Pferdes oder der Wolken. Der Streit des Poseidon mit der Athene ist ein Kampf der ätherischen Himmelsmächte unter sich selbst, nur in verschiedener Richtung wirkend gedacht. Die Wolken sind der Sitz, das Reich des Lebens und des Todes, weil von da die Seelen bei der Geburt zur Erde herabsteigen und nach dem Tode wieder dahin zurückkehren; sie sind der Kindsbrunnen, die Wiege des Lebens und das Todtenreich, die Insel der selig Verstorbenen. Wischnu ist Todes- und Lebensgott zugIeich, weil die Todten durch sein Reich, durch die Wolken und den Aether in den Himmel eingehen; er ist zunächst der die Todten aufnehmende und zuletzt der die Todten in den Himmel einführende Gott; desshalb erscheint er zuletzt auf weissem Pferde oder als weisses Pferd selbst.

Auch bei den Buddhisten zerfällt die vollständige Dauer einer Weltperiode und Weltrevolution, eines grossen Kalpa (Mahâ-Kalpa) in vier Weltalter (Asankhya-Kalpa), welche den vier Mondsphasen in ihrem Fallen und Steigen nachgebildet sein sollen, 1) wir aber auch hier als aus den vier Jahreszeiten hervorgegangen betrachten. Ein Weltjahr als grosse Weltperiode lässt sich begreifen, nicht aber ein bloser Welttag oder selbst Weltmonat; der Monat enthält ja keine zwölf Theile, so wenig als der Tag und Nacht umfassende Tag, wohl aber das Jahr, die Sonne auf ihrer Bahn durch den Thierkreis mit seinen zwölf Sternbildern von je dreissig Graden oder zwölf Monaten des Jahres von je dreissig Tagen. Immer und immer müssen wir darauf zurückkommen, dass von den vier Weltaltern des Zendvolkes und der Inder nur eine solche Deutung genügen könne, welche die Vier- und zugleich die




1) Köppen, a. a. O., S. 269; Weber, indische Studien I. S. 183; Lassen, a. a. O., II. S. 1118.



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Zwölfzahl erklärt; alles Andere ist Spielerei und leere Hypothese, wie die vier Zeiten des Tages von Köppen oder die vier Phasen des Mondes von Köppen, Max Müller und Weber.

Nach der Lehre der Buddhisten wird jeder Weltuntergang, welcher periodisch erfolgt und bald durch Feuer, bald durch Wasser, auch durch den Wind herbeigeführt wird, hundert tausend Jahre vorher durch einen Dêva oder Gott verkündigt, welcher auf die Erde hinabsteigt und die athmenden Wesen ermahnt, Busse zu thun, die fünf grossen Sünden zu meiden, Almosen zu spenden, die Eltern zu ehren, Gerechtigkeit zu üben und sich gegenseitig zu lieben, um so in die höheren Sphären erhoben zu werden und dem drohenden Verderben, zu entgehen. Dieser göttliche Bussprediger mahnt sehr an Johannes den Täufer und Christus. Durch die Warnung erschreckt, fangen die Geschöpfe an sich zu bessern; die Verdammten, deren Strafzeit abgelaufen ist, ebenso die Ungeheuer des Hungers und die Thiere werden in grosser Anzahl als Menschen wiedergeboren, so dass die Reiche der verworfenen Naturen sich mehr und mehr entleeren. - Wenn die hundert tausend Jahre der Warnungszeit vorübergegangen sind und die Welt durch Feuer vernichtet werden soll , so zieht eine grosse Wolke herauf , deren Erscheinung den Kalpa der Zerstörung eröffnet. Es regnet zum letzten Male; dann tritt gänzliche Dürre ein; Bäume und Pflanzen verdorren, die noch übrigen Thiere und Menschen, wie die Dämonen und Dêvas der Erde erliegen der Hungersnoth und rücken allmälig auf der Stufenleiter der Verdienste in die höhern Himmel u. s. w. 1) Dieser Untergang der Welt durch Feuer, von den Stoikern genannt, ist nichts Anderes als der höchste orientalische Gluthsommer, und desshalb ist diese Vorstellung oder dieses Bild auch bei fast allen orientalischen Völkern zu finden.

Auch bei. den Aegyptern bestand nach Creuzer, Symbolik I. S. 369, die aus den localen Verhältnissen Aegyptens zu erklärende Volkssage, dass alle 3000 Jahre, in




1) Köppen, die Religion des Buddha, S. 270 ff., vergl. mit Spiegel, Avesta, I. S. 37.



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der Frühlingsgleiche, wann die trockene Zeit herrscht und man das Horn des Heiles erwartet, die Nilfluth ausbleibe und statt ihrer ein Feuerstrom komme, worauf ein fürchterlicher Weltbrand entstehen und das ganze Land des Hermes in Rauch und Flammen aufgehen soll, jedoch nicht um auf ewig vernichtet zu werden, sondern nur um verjüngt wieder aufzustehen. Denn im nächsten Sommersolstitium, wann die Sonne im Löwen steht, rechts der Mond im Krebse, die Planeten in ihren Häusern, und der Widder mitten am Firmament, dann erscheint Sothis oder Sirius wieder und begrüsst, indem er aufgeht, die neue Ordnung der Dinge und die neue Zeit, welche jetzt beginnt. Es stellt aber auch hier ein jedes Jahr Aegyptens im Kleinen das grosse Jahr dar; denn jedes Jahr im Frühlingsäquinoctium, wann die heisse Zeit in Aegypten herrscht und Alles vertrocknet ist, zeigt gleichsam den Brand der Erde und der Welt. Da würde auch das Land zur Einöde werden und in Flammen aufgehen, wenn nicht der Sirius erschiene und mit ihm die rettende Nilfluth, damit unter deren Wassern sich Aegypten, die Erde und die Welt verjüngen und neu geboren werden.1)

Auch die Griechen haben die wohl aus den arischen Ländern, von dem mit den Indern noch ein ungetrenntes Volk bildenden Zendvolke, den Baktrern, Medern und Persern, stammenden 2) vier grossen Weltalter, wie sogar die Mexikaner, welche auch aus Hochasien nach Amerika hinabgezogen und eingewandert sein dürften. Hesiod nimmt zwar abweichend fünf Weltalter an, hat aber dafür nur vier Metalle, also im Grunde auch nur die iranischen vier Weltalter. 3) Nach dem Hesiodischen Gedichte der Tage und Werke sind die vier Geschlechter der Menschen nach den vier Metallen das goldene, silberne, eherne und eiserne; das eiserne Geschlecht der harten Arbeit und der Mühen ist das jetzt lebende; das eherne Geschlecht soll




1) Vergl. auch Prichard, ägyptische Mythologie, S. 149 ff.
2) Lassen, a. a. O., I. S. 529, Anm. 1; Welker, griechische Götterlehre, I. S. 721.
3) Preller, griech. Mythologie, I. S. 59.



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aus Eschenholz geschaffen gewesen sein, weil dieses besonders hart ist und zum Schafte der Todeslanze benutzt zu werden pflegte.

Die ägyptische Hieroglyphik malte nach Horapollo das angehende Jahr mit einem Viertel Acker, das ganze Jahr war also 4/4: daher indisch die vier Jugs oder Theile des Jahres, lateinisch jugus und deutsch Jugger, ein Morgen Landes, und weil das erste Jug Osten (von Osse d. i. der Ochs) Morgen und Aurora ist, ein Morgen. 1) Das erste Jug, das Weltalter des griechischen Kronos und des altitalischen Saturn ist das goldene Zeitalter und Geschlecht, weil es die Zeit und das Geschlecht der goldenen Morgenröthe, des Jahresfrühlings, des Ostens des Jahres und der Welt ist.

Auch die maurerischen Feste Johannis des Täufers und Johannis des Evangelisten, das Sommer- und Winterjohannisfest, sind in ihrem letzten Ursprunge und ihrer tiefern geschichtlichen Bedeutung blos die Feier der Sommer- und Wintersonnenwende, des längsten und des kürzesten Tages, der von der Spitze ihrer Bahn wieder herabsteigenden oder der abnehmenden und der aus ihrer grössten Entfernung wieder zurückkehrenden oder neu kommenden und wachsenden Sonne, des Todes und der Geburt oder Wiedergeburt des Sonnengottes. Johannes der Täufer und Christus, für welchen letztern nur Johannes der Evangelist gesetzt ist, verhalten sich in aller und jeder Hinsicht wie die Sommer- und Wintersonnenwende, wie die abnehmende und die wachsende Sonne des Sommers und des Winters. Johannes und Christus in diesem Sinne sind der in zwei Personen auseinander gegangene oder aufgelöste Eine Sonnengott Hiram, die griechische Kore oder Persephone mit den zwei Fackeln. Nachdem zufolge Harduin und Petav gegen den Anfang des 4. christlichen Jahrhunderts die Vorsteher der christlichen Kirche im Occident auf den Festtag der alten Wintersonnenwende, der neuen Sonne, Sol novus, den 25. Dezember, das Fest der Geburt Christi verlegt 2) und damit am 27. Dezember die Feier des




1) Kanne, allgemeine Mythologie, S. 53.
2) Creuzer, Symbolik I. S. 761.



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Geburtsfestes Johannes des Evangelisten, - des Jüngers, welchen der Herr lieb hatte, verbunden hatten 1), lag es nahe, die Feier der Geburt und des Todes des zweiten Johannes, Johannes des Täufers in die Zeit der Sommersonnenwende oder auf den 24. Juni zu verlegen. Wie das Weihnachtsfest in der alten Julzeit d. i. in der Zeit des Sonnenrades, der Sonnenwende 2) nunmehr das Fest der Geburt des natürlichen und des geistigen Lichtes, der natürlichen und der geistigen Sonne, der Erde und des Himmels ist, ist auch jetzt das christliche Johannisfest das Fest des Todes der Sonne und der Blumen und des Todes des Johannes, des geistigen Vorläufers und Verkünders Christi. Das Fest Johannes des Täufers als ein Rosenfest zur Zeit der blühenden und verblühenden Rosen ist wesentlich noch das Fest der Sommersonnenwende, der nun wieder herabsteigenden und abnehmenden Sonne. Vermuthlich und gewiss ist dieses Rosenfest asiatischen Ursprunges und hat sich auch in Asien in einzelnen Ueberresten und Spuren bis auf unsere Tage in überraschender Aehnlichkeit mit dem maurerischen Johannis- oder Rosenfeste forterhalten. So berichtet Bodenstedt, die Völker des Kaukasus und ihre Freiheitskämpfe gegen die Russen (1848), S. 154.

"Die dritte Gottheit, von deren Verehrung bis auf unsere Zeiten Spuren unter den Armeniern geblieben sind, ist Anahid (die Ne-Ith der alten Aegypter und die Athene der Griechen), die Göttin der Weisheit und Stärke, die Gründerin und Erhalterin des Volkswohls, die Beschützerin der Frauen und der Urquell alles Erdensegens. Ihre Tempel standen zu Arisa, Aschdischad, Ani und Pakawan. Ihr zu Ehren wurde alljährlich zu Anfang des Sommers das heiterste und schönste aller armenischen Religionsfeste gefeiert, genannt Warthavar, der herrliche Rosenschmuck. An den festlichen Tagen wurden nämlich Tempel und Bildsäule der Göttin mit Kränzen und Gewinden von Rosen umschlungen, als Emblemen der Schönheit und der neu




1) Creuzer, Symbolik, IV. S. 582.
2) Mannhardt, die Götterwelt der deutschen und nordischen Völker, I. S. 255, Anm. 2.



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verjüngten Natur. Alle, welche an dem hohen Feste Theil nehmen wollten, mussten ebenfalls mit Rosen geschmückt erscheinen. Die Feier dieses schönen Blumenfestes, welches mit wenigen Veränderungen noch heute unter seinem Namen fortbesteht, wurde nach der Einführung des Christenthums in Armenien auf den Jahrestag der Verklärung unseres Heilandes verlegt, und wie das zu Ehren der Göttin Anahid gehaltene Warthavar drei Tage lang dauerte, so wird auch das Fest der Verklärung Christi immer drei Tage hindurch mit grosser Pracht und Feierlichkeit begangen."

Wie hier die Rose der armenischen Anahid als Göttin des Erdensegens geweiht ist und deren Symbol bildet, war dieses auch bei der ägyptischen Isis und der griechischen Aphrodite der Fall, da auch sie Göttinnen der Erdfruchtbarkeit und des blühenden Erdenlebens sind. Die Sonne mit dem ganzen Naturleben hat ihre höchste Höhe erreicht und muss bald wieder abnehmen, wenn die herrlichsten Blumen, die schönsten Rosen blühen und ach! nur zu schnell wieder welken und sich entblättern. Die Blume und besonders die Rose ist daher das nahe liegende und von den Dichtern aller Völker und aller Zeiten vielgebrauchte Symbol der auf der Spitze ihrer Bahn angekommenen Sonne und Natur, des vollkommenen und höchsten Sonnen- und Naturlebens, der natürlichen Vollkommenheit und Schönheit, des grünenden Jahressegens, des blühenden und glücklichen Gottes- und Menschenlebens, aber auch zugleich des schnellen Vergehens und Todes, des das vollste Leben plötzlich ereilenden Verderbens und Endes. Das maurerische Johannis- und Rosenfest ist deshalb, schärfer und sinniger betrachtet, mehr ein Trauerfest über den nun unaufhaltsam nahenden Tod der Sonne und Natur, über das Leiden und Sterben des untergehenden Johannes, als ein Freudenfest über das blühende und glänzende Sonnen- und Naturleben; die Rose ist dem Maurer eigentlicher das Symbol des Todes und des Schmerzes, als des Lebens und der Freude. Das maurerische Johannis- und Rosenfest in dieser Bedeutung eines Trauer- und Todtenfestes erinnert besonders an die griechischen Hyakinthien, welche zu Sparta und Amyklä




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neun Tage und mit grossen Feierlichkeiten am 7. Hekatombeus oder im Juli gefeiert wurden. Den Mittelpunkt des Festes und seiner Sage bildete Hyakinthos, eigentlich die schöne Blume des Feldes, die in der griechischen Mythologie auch sonst ein Symbol des Todes und der Unterwelt ist, hier als schöner Knabe gedacht, den Apollo liebt, aber unvorsichtiger Weise mit dem Diskos, einem gewöhnlichen Bilde der Sonnenscheibe, tödtet, d. h. die Sonnengluth tödtet des Feldes schöne Blume. 1) Noch weit mehr aber erinnern an Johannes und sein Rosenfest der schöne Jüngling Adonis und die ihm zum Andenken in Syrien im Monat Juni oder Tammuz, d. h. im Monat der Trennung, der Wende gefeierten Adonien, welche Adonien späterhin, wenn auch in mehr oder weniger veränderter Gestalt, über die Inseln und Küsten des Mittelmeeres bis nach Alexandrien und über Griechenland sich ausbreiteten. Der schöne Jüngling Adonis, der als Hirt seine Heerden im Gebirge treibt oder als Jäger im Gebirge jagt und die Wonne der Liebes- und Erdengöttin ist, bis ein Eber ihn tödtet, ist gleichfalls nur die personificirte schöne Blume und Rose des Frühlings, welche die grünende Erde als ihren herrlichsten Schmuck liebt. Diese schöne Blume und Rose muss jedoch bald der Gluthitze des orientalischen Sommers und dem giftigen Samum, dem Eber des Mars erliegen. Als die Liebesgöttin, die schöne Königin der Blumen und Rosen, den unerwarteten Tod ihres Lieblings vernahm, eilte sie wehklagend hin, seinen Leichnam zu suchen, wobei sie sich nach Ovid an den Dornen des Rosengesträuches verwundete und mit ihrem Blute die weisse Rose roth färbte. Aehnlich lässt Bion aus dem entrinnenden Blute des Adonis Rosen und aus den Thränen, welche Aphrodite um ihn weint, Anemonen erzeugt werden. Adonis, der hebräische Adonai, bezeichnet übrigens wörtlich den Herrn, nämlich den Herrn des Lichts, den Sonnengott, und als solcher ist Adonis wieder gleichbedeutend mit dem ägyptischen Osiris, dem griechischen Dionysos und dem maurerischen Adon - Hiram.




1) Preller, griech. Mythologie, I. S. 163,



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In der sterbenden Blume und in dem hinsinkenden Sonnengotte, in Hyakinthos, Adonis. Osiris, Hiram, Dionysos und Johannes erblickt und beklagt der Mensch die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit des eigenen Lebens. Die Blume des Feldes ist daher im ganzen Oriente das uralte Symbol von der Flüchtigkeit und Unbeständigkeit des menschlichen Lebens und seiner höchsten Güter. Auch in der Bibel, in dem alten wie in dem neuen Testamente, wird dieses Bild nicht selten gebraucht. Im Buche der Psalmen 103 heisst es:

"Die Tage des Menschen sind wie das Gras; er blühet wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nicht mehr und ihre Stelle kennt sie nicht mehr. Aber des Herrn Gnade währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über Die, so ihn fürchten."

Psalm 90 spricht:
"Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der gestrige Tag, der vergangen ist, und wie eine Nachtwache. Du reissest sie hin wie ein Strom; sie sind ein Traum; Morgens sind sie wie das Gras, das grünet, das am Morgen blühet und grünet, am Abend abgehauen wird und verdorret."

Petrus schreibt in seinem ersten Briefe:
"Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit wie die Blume des Grases. Das Gras ist verdorret und seine Blume ist abgefallen. Aber des Herrn Wort bleibt in die Ewigkeit. Dies ist aber das Wort, welches durch das Evangelium verkündigt worden ist."

Aehnlich äussert sich Jakobus:
"Der Bruder aber, der niedrig ist, rühme sich seiner Hoheit, der Reiche aber seiner Niedrigkeit, denn er wird verwehen wie die Blumen des Grases. Denn die Sonne ist mit Hitze aufgegangen, und das Gras ist verdorret und seine Blume ist abgefallen, und die schöne Gestalt ihres Ansehens ist verdorben; also wird auch der Reiche in seinen Wegen verwelken. Selig ist der Mann, der die Versuchung erduldet; denn, nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche der Herr Denen, die ihn lieben, verheissen hat."




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Endlich ruft der Evangelist Matthius:
"So aber Gott das Gras des Feldes, das heute stehet und morgen in den Ofen geworfen wird, also kleidet, wird er das nicht vielmehr euch thun, ihr Kleingläubigen? Darum sollet ihr nicht sorgen und sagen: was werden wir essen? oder was worden wir trinken? oder womit werden wir uns kleiden? denn nach allen diesen Dingen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiss, dass ihr aller dieser Dinge bedürfet. Suchet aber zum ersten das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, so werden alle diese Dinge hinzugethan werden. Darum sollet ihr nicht für den folgenden Tag sorgen, denn der folgende Tag wird für das Seine schon sorgen. Es ist einem jeden Tag genug sein eigen Uebel."

Bei den römischen, im Jahr 240 vor Chr. auf Veranlassung eines Misswachses gestifteten Floralien, d. h. bei den gegen Ende April und Anfangs Mai zu Ehren der Flora, der Göttin der Blüthen und Blumen, gefeierten Festen war auch gebräuchlich, dass die Feiernden im schnellen Laufe Blumen und besonders Rosen herumtrugen, um dadurch die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit alles natürlichen Reizes anzudeuten. 1) Philastratus sagte in diesem Sinne auch, Eros (Amor) liebe die Rosen, doch beide seien vergänglich.

In dem germanischen Volksglauben symbolisiren Rosen ebenso den Tod und Rosen zeigen in den Volkssagen oft den Tod an. Man hat die Sage, dass, wenn ein Domherr vom Dome zu Hlildesheim sterben soll, am Morgen des dritten Tages vorher auf seinem Sitze eine weisse Rose liege, zum Anzeichen, dass er sich zum Tode vorbereiten solle. Aehnliche Sagen sind über ganz Deutschland verbreitet. Bald ist es eine weisse, bald eine rothe Rose, welche als Todesanzeichen dienet. Ein Kind trägt eine Knospe heim, die ihm ein Engel in dem Walde geschenkt hat; als die Rose verblühet, ist das Kind todt. Ein serbisches Volkslied lässt aus dem Leichnam der Jungfrau eine rothe Rose wachsen. Es ist eine allgemeine Sitte, auf den Gräbern der Verstorbenen, besonders von Jüng-




1) Preller, röm. Mythologie, S. 135 u. 318.



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lingen und Jungfrauen, Rosen zu pflanzen; mit Rücksicht hierauf singt Uhland:

Oft einst hatte sie mich mit duftigen Rosen beschenkt, Eine noch sprosste mir jüngst aus der Geliebtesten Grab.

In Griechenland wurden Rosen an den Grabsteinen angebracht. An mehreren Orten Deutschlands und der Schweiz, so z. B. zu Aarau, wird der Friedhof Rosengarten genannt und in seiner höchsten Bedeutung bezeichnet Rosengarten den Aufenthaltsort der Seligen, den ewigen Freuden- und Wonnegarten, das Paradies, Elysium bei den Griechen, Walhalla bei den nordischen Völkern. Den alten Germanen war daher das Sterben nichts Anderes als ein Hinüberschiffen nach dem Rosengarten, nach der glücklichen Insel der Seligen, oder das Besteigen des Rosenberges, wo ihnen Odhins Wunschmädchen das goldene Methhorn credenzte. Bertha von Rosenberg, welche in den deutschen Volkssagen genannt wird, ist die im Rosen- und Freudengarten weilende Lebens- und Todesgöttin Erde, die Unterweltsgöttin Hel, die weisse oder die im Schnee- und Todtengewande schimmernde Frau. Wenn dieselbe in andern Sagen Beatrix, die an Glück und Segen reiche heisst, passt dieser Name durchaus für die grosse Lebensmutter Erde, von der aller Segen, alles Glück und Wohlergehen ausströmt. Die Erde ist gleichmässig die erhabene Göttin des Lebens und des Todes. Die gütige Mutter Erde hat alles Leben geschaffen, aber sie tödtet auch wieder alles Leben, wie die Nacht das Licht verschlingt; nach der Unterwelt, in das Reich der Hel kehrt alles Sein zurück. Die Insel der Seligen, den ewigein Rosengarten dachten die ältesten Deutschen sich vorzüglich in Britannien; dort und zwar in Irland war nach der Vorstellung der christlich gewordenen Deutschen das Engelland. Die deutschen Volkssagen lassen aus den Mündungen des Rheines die Seelen der Verstorbenen in dem Todtenschiffe hinüberschiffen nach der grünen Insel Hibernia, Erin, Bernia, Bern, welche Namen Irland trägt und die nur die Jugendkraft, die Frische, das Wachsthum, das Grüne bezeichnen. Später wurde dieses Grünland, dieses Land der Engel in Grönland, woher dasselbe seinen Namen hat, oder auch




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auf der Insel Island gesucht und dahin schifften nunmehr die Verstorbenen.

In Uebereinstimmung mit diesem Volksglauben war der Todtensarg ursprünglich vielfach nur ein Kahn, ein Schiff, ein ausgehöhlter Eichenbaum zum Hinüberschiffen in den Rosengarten, in das Grünland, nach der Insel der Seligen. Ganz ursprünglich war übrigens der Wolkenund Gewitterhimmel das Land und die Insel der Seligen, das Todtenreich. 1) Der See, über welchen nach einer uralten Vorstellung die Seelen in das Todtenreich schiffen, oder durch einen Fährmann dahin geleitet werden, war ursprünglich das Wolkenmeer, der Gewittersee, wie dieses Wolkenmeer und dieser Gewittersee, der himmlische Okeanos auch der eigentliche Rosengarten, die elysischen Gefilde, wo auch wohl die ersten Menschen wohnten, sind. Erst später wurden die Inseln der Seligen auf die Erde, in den Westen und bei den Deutschen nach dem Engelland, Liôsâlfaheimr, d. i. Land der Engel, nach Grönland und Island verlegt. 2) Dem Ueberschiffen des Himmelsstromes steht bei andern Völkern, z. B. bei den Parsen, bei einzelnen amerikanischen Völkern, dessen Ueberschreiten auf einer Brücke gleich. Schwartz, Ursprung der Mythologie, S. 2831 sieht sogar die 4 Paradiesströme nur als die himmlischen Wasser in dem himmlischen Wolkengarten an, woran es sich schliesst, dass er in der Paradiesesschlange den Blitz und in dem Apfelbaume, in dem Baum der Erkenntniss des Paradieses, den Wolken- oder Wetterbaum erblickt. - Die germanische Vorstellung von dem durch die Seelen der Verstorbenen zu überschiffenden Himmelsstrome, ist auch auf die Christen übergegangen und desshalb ist die christliche Kirche und heissen wirklich seit den frühesten Zeiten bis auf heute die einzelnen Kirchen, der Langtheil derselben, das Schiff, in welchem die christliche Gemeinde, die Menschheit, dem Reiche Gottes, dem ewigen Leben durch die Stürme und Gefahren des Lebens hienieden zusteuert und das von der Erde empor zu dem Himmel tragen soll. Die auf mittelalter-




1) Schwartz, Ursprung der Mythologie, S. 271 ff.
2) Mannhardt, germanische Mythen, S. 326 ff.



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lichen Kirchenbildern so oft vorkommende h. Jungfrau "im Rosenhag" könnte ebenfalls noch eine dunkele Erinnerung an die germanische Rosen- und Himmelskönigin enthalten. Jedenfalls ist Vieles von der mythologischen Venus Urania und Anadyomene auf die christliche Maria als die Mutter der Liebe, Huld und Gnade, - als die holdseligste der Frauen übertragen worden. Auch das Frohnleichnamsfest der Katholiken, welches für die ganze katholische Christenheit auf den Donnerstag in der vollen Woche nach Pfingsten angeordnet ist, ist insofern wenigstens ein Rosenfest, als der Schmuck der Rosen dabei reichlich angewandt wird und Rosenblätter durch weissgekleidete Mädchen auf den Weg gestreut werden, den der Leib Christi getragen wird. Endlich und noch mehr darf hierher der sinnige Gebrauch der Maurer bezogen werden, in der Trauerloge den Sarcophag mit Blumen zu schmücken, was symbolisch nur andeuten soll, dass der abgeschiedene Bruder nun hinübergegangen sei in den ewigen Blumen- und Rosengarten, in das unverwelkliche Grünland.

Wenn die Maurer am Johannisfeste sich die Brust mit der ihnen dargereichten weissen Rose schmücken, sei ihnen dieselbe das warnende Anzeichen, dass bald der Tod nahen werde und dieser sie nicht unvorbereitet überraschen und treffen möge. Die gebrochene Rose ist das tiefergreifende und rührendste Bild von dem plötzlichen Entreissen des Menschen durch den Tod aus der heitern und blühenden Erdenwelt, von der Vergänglichkeit der reichsten und schönsten Güter des, Lebens. Noch vor wenigen Stunden prangten diese Rosen in der vollen Frühlingspracht im Kreise ihrer Schwestern; schon sind dieselben gebrochen, - sterben, wenn auch noch sterbend süss duftend und durch ihren Anblick uns erfreuend, unaufhaltsam dahin, dass bald nur noch die todten Blätter von der schönen Blume zeugen werden und man ihre Stelle nicht mehr kennt. So nahe liegen sich in der Natur und in der menschlichen Welt das reichste Leben und der schnelle Tod; so berühren sich Blühen und Verblühen, Wachsen und Abnehmen, Kommen und Scheiden, Johannes und Christus, Sommer und Winter, Geburt und Grab. Johannes, welchem das maurische Rosenfest geweiht, ist




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auch nur die schon hinsterbende Sonnen- und Naturkraft, der sterbliche Mensch; desshalb ruft er, hinweisend auf den kommenden Christus, auf die neue Sonne: "Er muss wachsen, ich aber abnehmen." Wie im Nibelungenliede Siegfried durch die Hand Hagens oder des Unterwelts- und Todtengottes getödtet wird, muss auch Johannes sterben, damit er in seiner Pracht und Herrlichkeit als lichter Sonnengott, als Christus wieder auferstehen könne. Aller Tod ist nur die Bedingung, die Wiege des neuen Lebens; das Grab ist die Pforte der Ewigkeit. Der abnehmende und sterbende Johannes, die gebrochene Rose des Johannes erinnern uns, dass auch uns das Grab erwartet, dass auch wir gebrochen und zerfallen werden. Die Rose des Johannes ruft uns zu, was bei der Meisteraufnahme der zweite Vorsteher dem Aufzunehmenden zuruft:

"Mein Br., zum Sterben wird der Mensch geboren und ohne den Tod kann der Mensch nicht zum Leben gelangen."

So ist auch der indische Civa der Ersieger des Lebens durch den Tod und der Besieger des Todes durch das Leben. Erinnert daher der vergehende Johannes, die welkende Rose an das Grab und den Tod, an die Vergänglichkeit aller menschlichen Dinge, verkünden sie zugleich, wodurch wir uns zum Tode vorbereiten, wie wir sterben sollen. Johannes spricht: "Ich bin die Stimme jenes Rufenden in der Wüste: Bahnet den Weg des Herrn! wie Jesajas, der Prophet, gesagt hat. Wer an den Sohn glaubt, der hat ewiges Leben; wer aber nicht an den Sohn glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm." - Die Maurer haben Johannes den Täufer zu ihrem Schutzheiligen erwählt, nennen sich Johannisjünger und tragen am Gedächtnisstage des Johannis seine Rose, weil sie die Stimme des Predigers in. der Wüste vernommen haben und treu erfüllen wollen, weil sie durch ein rechtes Leben, durch Tugend und Wohlthun den Weg des Herrn zu bahnen und in den Tod einzugehen gelobt haben, weil sie an Gott und die Lehre Christi glauben und das ewige Leben hoffen und erstreben. Damit ist auch der weissen Rose, als der Blume des Täufers, ihre tiefere und höhere Bedeutung gegeben.




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Die weisse Rose bezeichnet den Glauben an Gott und die Unsterblichkeit des Geistes, - an das ewige Leben, welc'hes Gottes Sohn uns verheissen und verliehen hat. Desshalb ist auch die weisse Rose das Symbol der Herzensreinheit und der Tugend, der reinen Gedanken, Worte und Werke, indem nur durch diese wir das ewige Leben verdienen und erringen können. Wer an den Herrn glaubt, muss Christus folgen; wer die Stimme des Johannes gehört, muss ein jünger Christi, ein Christ werden und sein. Wie Jakobus sagt, wird nur der Mann selig, der die Versuchungen des Lebens erduldet und überwunden hat; die Bewährten allein, nur Diejenigen, welche Gott lieben und sein Gebot üben, werden die Krone des Lebens empfangen, - werden die weisse Rose, das ewige Licht und Leben pflücken. Mit der weissen Rose, als dem Symbole der Unsterblichkeit des Geistes ist die aus dem phrygischen Göttercultus stammende und als ein Hauptsymbol in die eleusinischen Geheimnisse übergegangene gelbe Fruchtähre sehr verwandt. Auch diese abgeschnittene Fruchtähre bezeichnete den frühen Tod aber auch die Unsterblichkeit, die Hoffnung des neuen sichern Lebens, weil die Aehre in dem Saatkorn, in der Frucht den Keim des neuen Lebens birgt und trägt. Das Saatkorn, die Frucht des Menschen sind seine eigenen guten Thaten; wenn der Mensch geschnitten wird, soll er diese guten Thaten mit in das Grab hinabnehmen, denn dann allein schläft in dem Grabe der Keim des neuen, des ewigen Lebens. Dass der Mensch unsterblich fortdauere, verkündet und verbürgt ihm die stets wieder neu erstehende Sonnen- und Naturkraft. Mag jetzt die Sonne abnehmen und Johannes den blutigen Tod sterben, mögen die Rosen verwelken und weithin ihre Blüthen zerstreut werden; getrost, bald kehret die Sonne wieder, bald wird der grössere Christus geboren, bald grünen und blühen neue Rosen. Das Grab kann den Maurer nicht schrecken, denn er weiss, dass das Grab sich wieder öffnen, dass aus dem Leichnam die Rose emporwachsen, dass der ewige Frühling anbrechen wird. Nur der Staub, das Irdische zerfällt, doch der Geist und der Himmel bleiben unvergänglich. Der feste Glauben an Gott und Unsterblichkeit ist das




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grosse Geheimniss, das wirkliche Mysterium der Maurerei, der Johannis- und Rosenbrüder; es liegt tief verborgen und doch verständlich in dem Kelche der Rosen eingeschlossen; der schön geschlossene Kelch der Rose leitet von selbst darauf, in ihrem Innern ein Geheimniss eingeschlossen zu denken, und in diesem Sinne singt Hafis:

"Höret, höret das Geheimniss der Rosen,
Wie sie statt Worten durch Düfte nur kosen."

Seit den ältesten Zeiten ist desshalb die Rose das Symbol des Geheimnisses, des Mysteriums, der Mysterien.

In Aegypten und Griechenland trugen die in die Hysterien Einzuweihenden vorzüglich die Rosen; Rosen waren der stete Schmuck der Einweihungsstätten und der Mysterienfeste. Was die Eingeweihten, die mit der Rose Geschmückten als Geheimniss (sub rosa) erfahren hatten, sollten sie unverbrüchlich verschweigen; und demnach ist die Rose, zumal bei den Maurern, auch das Symbol der versprochenen, aber auch treu zu beobachtenden Verschwiegenheit. Zum Zeichen des geheimen Bundes trägt auch jeder Maurermeister drei blaue Rosen auf der Schürze, welche Rosen in den höhern Graden sich nur anders färben und zuletzt zur rothen und zur weissen Rose werden. Auch bei den Gastmahlen der alten Deutschen hing von der Decke des Zimmers über der Tafel ein Kranz herab, in dessen Mitte eine Rose schimmerte, zum Zeichen, dass Alles, was dabei gesprochen wurde, unter den Theilnehmern der Gesellschaft geheim gehalten werden sollte. Das maurerische Rosenkreuz in seinem wahren Sinne soll ebenfalls blos das Geheimniss, das Mysterium der Unsterblichkeit ausdrücken. Das Kreuz nämlich mit seinen vier in den unendlichen Raum hinauslaufenden Armen war den Aegyptern das Symbol des Unendlichen und Unsterblichen, und gerade die Lehre von der Unsterblichkeit soll den wesentlichen Inhalt der Hysterien in Aegypten gebildet haben. Die Rosenkreuzer sind also der maurerische Bund, welcher unter dem Bilde der Rose und des Kreuzes den Glauben an die Unsterblichkeit lehrt und bewahrt: dennoch aber wollen und sollen diese Rosenkreuzer und mit ihnen alle Maurer das Geheimniss, welches sie der Rose abge-




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lauscht haben, dadurch in ihrem Leben offenbaren, dass sie lichtvoll und rein denken, reden und handeln, um in den ewigen Rosengarten, in das grosse Reich Gottes aufgenommen zu werden. Wer nicht an den Sohn, an Gott glaubt, über dem bleibt der Zorn Gottes, die Finsterniss. Gott ist nach der Verkündigung des Johannes auch die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, das Gesetz, und um vor dem Richterstuhle des Ewigen erscheinen zu können, ermahnt uns Johannes Busse zu thun und dem Herrn den Weg zu bahnen. Die Rose ist somit auch das Symbol des letzten Gerichtes, des ewigen Richters, der über den Sternen still und verborgen thront, aber dennoch Alles sieht, lohnt und straft. Vorzüglich dem alten deutschen Rechte war die grüne Blume oder Rose das Symbol des Urtheils, des stillen und verborgenen Gerichtes, der Vehme. Auf dem Dolche des rächenden Vehmrichters, der einen Vervehmten getödtet, und zum Zeichen, dass die That von der heiligen Vehme herrühre, das Werkzeug zurückgelassen hatte, war an dem bleiernen Griffe, eine Rose abgebildet. Was daher der Maurer und der Mensch selbst auch im Geheimsten beginnen und unternehmen möge, niemals soll er dabei vergessen, dass es der Allsehende und Allwissende doch sieht und weiss und einstens richten wird. Vor dem ewigen Richterstuhle sei die weisse Rose, die Reinheit des Herzens und der That, - der Gedanken, Worte und Werke unser Schutz und Urtheil; die weisse Rose, die Blume des Johannes, der johanneische Geist und Glauben und ein johanneisches Leben geleite uns in den Himmel und das ewige Licht; Johannes führe uns zu Christus in den ewigen Rosengarten. Feiern die Maurer in diesem Sinne das Johannis- und das Rosenfest, dann dürfen sie mit Br. Goethe rufen:

Mit jedem Schritt wird weiter
Die rasche Lebensbahn,
Und heiter, immer heiter
Steigt unser Blick hinan.
Uns wird es nimmer bange,
Wenn Alles steigt' und fällt,
Und bleiben lange, lange!
Auf ewig so gesellt.