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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XXIV.



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Ueber den Zusammenhang der Kirchenbaukunst, der Steinmetzkunst und der Maurerei mit der Bildung der alten Welt.

Es ist insofern ein Fortgang und ein ununterbrochener Zusammenhang in der Weltgeschichte, dass was einmal an Freiheit und an Wissen die Menschheit errungen hat, nicht mehr untergeht, sondern bald schneller bald langsamer wachsend sich erhält. Die Menschengeschichte darf einer Quelle verglichen werden, die klein und unscheinbar den fernen Bergen entspringt, aber durch Aufnahme neuer Wasser schnell zum Bache und allmälig zum mächtigen belebenden Strome anschwillt. Wie der Strom nur durch Tausende von Quellen und Bächen erzeugt und genährt wird, die seinen langen Weg umgeben, - wie der Strom nur ist und fliesst, weil er die Wasser jener Quellen und Bäche in sich aufgenommen hat und mit sich fortführet, so entsteht die Menschengeschichte, indem in ihr die Geistesquellen zusammenströmen und mit stets sich mehrender und erneuernder Wogenkraft dem unerreichbaren Ziele, dem ewioen Meere entgegenfluthen. Die weltgeschichtlichen Völker sind diejenigen, bei welchen die menschliche




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Freiheit und das Wissen um dieselbe anhebt, - bei denen der Mensch von den Banden der äussern Natur sich losmacht, und sich selbst als Herr und Richter seines Denkens und Handelns setzt, - die die menschliche Freiheit und das menschliche Selbstbewusstsein zu empfangen und weiter zu tragen vermögen. Wie die Quelle nicht der Strom selbst, doch in ihm enthalten ist, umfasst die heutige Menschheit und begreift in sich, was die Menschen und die Völker, vor ihr jemals wahrhaft Menschliches und Geistiges besassen; das Letztere muss in jener noch aufzufinden, aus der Gegenwart die Vergangenheit erkennbar sein und umgekehrt.

Die symbolische Maurerei, welche wir jetzt lehren und üben, ist unzweifelhaft in den christlich-germanischen Ländern, besonders in England und Deutschland entstanden, d. h. ist eine der frühesten und reinsten Schöpfungen des Christenthums bei den Germanen, wesshalb das Wesen und die Geschichte des germanischen Christenthums zugleich das Wesen und die Geschichte der Maurerei mit in sich schliesst. Der. neue Grundgedanke des Christenthums, dessen weltgeschichtliche Bedeutung besteht in seiner Vorstellung oder Lehre von Gott als dem einzigen Gotte, welcher das Weltall, Himmel und Erde und den Menschen nach Sich geschaffen hat, - der alle Menschen und alle Völker als seine Geschöpfe und Ebenbilder mit derselben Liebe und Güte umfasst, - welcher die höchste Vollkommenheit und Gerechtigkeit ist, und daher das Gute belohnt und das Böse bestraft. Diese Idee des Einen allmächtigen und allweisen, allgerechten und allgütigen Gottes und der Gleichheit aller Menschen und Völker vor ihm, durch ihn und mit ihm konnte die schwach und alt gewordene römische Welt mit ihrem Glauben an die menschenähnlich fühlenden und handelnden Götter und mit ihrem ungleichen Rechte für die Menschen und Völker, mit ihrer Sklaverei nicht mehr aufnehmen und fortpflanzen; die rohen und kräftigen Germanen, die Deutschen, wurden die weltgeschichtlichen Pfleger, Verbreiter und Hüter jener Idee, weil in ihrem angestammten Freiheitssinne und nach uralter Sitte sie für Alle dieselbe Freiheit und dasselbe Recht forderten. Mit Staunen und Bewunderung beugt sich




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der denkende Mensch vor der hohen Weisheit und Vorsehung, welche die Menschengeschichte leiten, dass die Idee des Einen Gottes, des Gottes der Liebe und der sich gleichen unsterblichen Menschen unter den Juden in Asien erst geweckt, gelehrt und verbreitet wird, als in Europa der neue Völkerstamm der für die Freiheit und das Recht aller Menschen begeisterten und streitenden Germanen erscheint und über die Länder sich ergiesst, - als in ihrem allgemeinen Unglücke die Völker der römischen Welt nur noch bei dem höchsten Gotte Trost und Frieden suchten und fanden. Von selbst wird die griechisch-römische Zeit auf diese Weise zur christlich-germanischen Zeit, die Erfüllung der Aufgabe der Weltgeschichte geht von den Römern auf die Germanen über, indem diese den Glauben von dem Einen Gott zu ihrem gleichen und freien Rechte, zu ihrer Anerkennung aller Individuen nahmen, um ihn in siegreichem Kampfe durch alle Länder des weiten römischen Reiches zu tragen. Die Römer in der Gründung ihres Weltreiches - hatten den Boden bereitet und geschaffen, auf dem das Christenthum als Weltreligion entstehen und herrschen sollte und konnte; die Weltherrschaft, welche das Schwert des römischen Kriegers gestiftet hatte, setzte der römische Priester durch die Macht des Glaubens fort. Dass das Christenthum zu seiner wahrhaften und befruchtenden Entwickelung ein neues, noch ungebildetes und desshalb jeder Bildung fähiges Volk bedurft habe, lehrt dessen machtloses Bestehen und endliches Verderben in dem ost-römischen oder byzantinischen Kaiserstaate.

Wohin die germanischen Völker die neue christliche Religion brachten und einführten, bauten sie ihr auch würdige Tempel, Kirchen, so dass die Einführung und Ausdehnung des Christenthums mit der Erbauung der Kirchen zusammenfällt und die Geschichte beider gleichbedeutend ist. Wie überhaupt die christlich-germanische Zeit, entwickelt sich auch im Gegensatze zu dem griechisch-römischen Tempelbaustyl langsam der christlich-germanische, der sogenannte gothische Kirchenbaustyl als ein der ganzen christlichen Welt in Italien, in Deutschland, Frankreich, Spanien und England gemeinsamer, welcher den sog. romanischen oder byzantinischen Baustyl zu




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seiner Vorstufe und Unterlage hat. In Deutschland, welchem Karl der Grosse durch griechische Baumeister, besonders zu Aachen die ersten Kirchen hatte erbauen lassen, entfaltete sich die Kirchenbaukunst unter dem Einflusse des romantischen Geistes des Mittelalters während des 12. und 13. Jahrhunderts zu ihrer höchsten Blüthe, wesshalb die eigentliche Kirchenbaukunst mit Recht den Namen der deutschen ansprechen darf. Zu den herrlichen Schöpfungen dieser deutschen Kirchenbaukunst gehören nicht allein die Dome zu Strassburg, Cöln, Regensburg, Wien, Freiburg, Speier, Bern, Basel u. s. w., sondern auch die Cathedralkirche Notre Dame zu Paris aus dem 12. und 13. Jahrhunderte, die Cathedralkirche zu Rheims, - die Cathedralkirche zu York in England, beendigt 1426, - die Cathedralkirche zu Burgos und Toledo in Spanien, - die Cathedralkirche zu Mecheln in Belgien u. s. f. Der Name Erwins von Steinbach, der im Jahr 1276 den Bau des Thurmes an dem Dome zu Strassburg begonnen hat, und im Jahre 1318 verstorben ist, wird mit dem Namen seines Sohnes Johannes und seiner Tochter Sabine, die den Bau fortsetzten, und wenn namentlich die Sabine den grössten Theil der Basreliefs der zwei Portale gegen den Herrnhof anfertigte, dauern, so lange die deutsche Zunge klingt. Die Kirchen und Dome mit ihren im Alterthume unbekannten, allmählig abnehmenden und sich zuspitzenden Thürmen sind die den Steinen eingebildete, die steinbelebte, zum Himmel emporschlagende Flamme der Anbetung und Verehrung des Einzigen Gottes, und als reinste und höchste Flamme dieses Gottesdienstes wird durch alle Jahrhunderte hindurch der Dom zu Strassburg leuchten.

Ist die gesammte christlich-germanische Welt erzeugt und gereift in der griechisch-römischen, - hat jene nur nach dem höhern Plane fortgebildet und umgestaltet, was diese begonnen: wird auch die christlich-germanische Baukunst, die Kirchenbaukunst auf der Kunst der Griechen und Römer im Erbauen ihrer den Göttern geweihten Tempel ruhen, aber darin eben höher stehen, dass sie den Einen grossen und allmächtigen Gott, preiset und anbetet. In Griechenland beginnt die höhere und wirkliche




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Menschengeschichte, das Griechenthum ist die heitere und schöne Jugendzeit der Geschichte der Menschheit, indem in Griechenland zuerst der Mensch zum reinen und vollen Selbstbewusstsein, zur wahren Freiheit erwacht, sich gleichsam zuerst selbst findet und erkennt; wogegen im Oriente dieses reine und freie Selbstbewusstsein, die Selbstbestimmungsfähigkeit dem Menschen noch abgeht, und er in der Natur befangen, in sie versenkt und verloren ist, von ihr beherrscht wird. Selbst Aegypten konnte zu dem klaren menschlichen Selbstbewusstsein sich nicht aufschwingen, hatte nur eine dunkle Ahnung desselben, bemühte sich vergebens darnach in der Lösung des Räthsels der Sphinx, und dieses Räthsel, welches den Menschen bedeutet, löste erst der Grieche Oedipus. In den vorgriechischen, in den orientalischen Staaten waltet daher der Despotismus, die Unfreiheit, die Abhängigkeit von der Natur und der rohen Menschengewalt und kaum Einer, der Despot, ist dort frei. Mit Griechenland beginnt die Zeit der freien Städte und Staaten, der menschlichen und der bürgerlichen Freiheit, nur ist die letztere nicht das Gemeingut aller Menschen, sondern beschränkt auf die Einheimischen und unter diesen wieder auf die einzelnen Stadt- und Staatsbürger, hat neben sich nach Aussen die Fremden, die Barbaren, die Goim nach dem Ausdrucke der Juden, und im Innern die weniger Berechtigten und Freien, die Sklaven. Die jugendliche Freiheit der griechischen Städte und Staaten ist geschmückt mit allen gleich jugendlichen schönen Künsten und Wissenschaften, zumal auch mit der Philosophie; das frische, jugendmuthige und jugendkräftige, schaffende und begeisterte Leben des frei gewordenen Menschen durchdringt und hebt in Griechenland alle Zweige des menschlichen Wissens; und wie Griechenland die Wiege und das Vaterland der freien Staatsverfassungen und der bürgerlichen Freiheit ist, so auch der Dichtkunst, der Malerei, der Bildhauerkunst, der Baukunst, der Volksspiele, der Mathematik und der Naturwissenschaften, der Geschichtschreibung und der Philosophie u. s. w. Selbst die äussere Natur belebten die phantasiereichen Griechen und ihre Götterlehre oder Mythologie verleiht Leben jeder Quelle und jedem Baum,




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von den höchsten Bergesspitzen bis hinab in das Innerste der Erde. Wie dem einzelnen Menschen seine glückliche und reiche Jugendzeit als der schönste Traum des Lebens niemals aus der Erinnerung schwinden wird, so das Griechenthum der Geschichte der Menschheit. Die römischen Staatsbürger nahmen die griechische Bildung auf, doch ihnen fehlte die Begeisterung und der hingebende Sinn des Jugendalters; was die Griechen nur der Schönheit wegen schufen und liebten, ermass der kältere ernste Römer gleich dem besonnenen Manne nach seinem Nutzen, nur als Mittel zur bequemen Einrichtung des Lebens, zur Bezwingung und Eroberung der Welt. Mit der Gründung und Vertheidigung Roms beginnt eine festverbundene Schaar von Räubern und Kriegern die römische Geschichte und diesen überwiegend militärisch-städtischen Charakter, dem der Sinn und die Reize des jugendlichen und des ländlichen Lebens mangeln, behalten die Römer bis zu ihrem Untergange bei.

Vorzüglich an der Baukunst der Griechen ist wahrzunehmen, wie sehr durch die reine menschliche Freiheit alles menschliche Leben bedingt sei, und in welchem innigen Zusammenhange des Menschen Geist und seine Bauten stehen; diese sind nur die Verwirklichung des Geistes in den Steinen, der steingewordene Geist, und daran kann und muss die Geistesgeschichte geschrieben werden. Die menschliche Freiheit und das menschliche Bewusstsein, das Mass und die Schönheit, die Selbstbeherrschung durch den eigenen Geist und Willen, welche den orientalischen Völkern und Staaten abgehen, fehlen auch ihren Bauten, und sie verlieren sich in das Mass- und Schrankenlose, in das Ungeheure oder Colossale, sind blosse Werke der mechanischen und despotischen Kraft und Macht und Pracht. Man betrachte z. B. die in Felsen gehauenen unterirdischen Tempel der Indier, wie dieselben sich noch auf der Insel Elephanta und Salsette finden; 1) - die Ruinen des Todtenpalastes der altpersischen Könige in dem durch




1) Lassen, indische Alterthumskunde, I. S. 151; Dunker, Geschichte des Alterthums, Il. S. 211; Lübke, Geschichte der Architektur, S. 16 ff.



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Alexander den Grossen zerstörten Persepolis; noch mehr aber und vor Allem Aegypten, das Land der ungeheuersten Ruinen, z. B. zu Theben, der ältesten Hauptstadt Aegyptens, das Land der ausserordentlichen Obelisken, Pyramiden und Grabmäler. Die Griechen zuerst verwarfen das Rohe und Riesenhafte, das blos Ungeheure und Massenhafte in der Baukunst, und gaben ihren Gebäuden, wie ihren Staatsverfassungen und ihrem ganzen sonstigen Leben, Schranken, Regelmässigkeit, Symmetrie, Freiheit und Schönheit; auch die eigentliche Baukunst nimmt erst bei den Griechen ihren Anfang. Die Entwickelungs - und Blüthezeit des Griechenthums überhaupt nach dem trojanischen Kriege ist ebenfalls die Entwickelungs- und Blüthezeit der griechischen Baukunst. Die dorische, ionische und corinthische Säulenordnung wurden ausgebildet, und zur Aufführung und Ausschmückung öffentlicher Gebäude der verschiedensten Art, besonders der Tempel der Götter, angewandt; zu ihrer höchsten Stufe aber erhob sich nach den ersten Perserkriegen unter der Aufmunterung von Perikles um das Jahr 440 vor Chr., die an reiner Schönheit und majestätischer Grösse sich auszeichnende griechische Baukunst durch einen Phidias, Iktinus, Kallikrates und Andere. Bei den Römern hätte die griechische Baukunst das gleiche Verhalten und Schicksal wie das übrige Griechenthum. Die Römer vermochten die griechische Baukunst nicht weiter zu bilden und zu heben; die römische Säulenordnung hat nichts Eigenthümliches, und ist blos eine Zusammensetzung der griechischen Säulenordnungen. Die hauptsächlichsten römischen Bauwerke sind das von Agrippa erbaute Pantheon und die von Kaiser Aurelian im 3. Jahrhundert zu Palmyra in Syrien angelegten Prachtgebäude; bald nachher versank die römische Baukunst in Verschwendung, überhäufte Pracht, Geziertheit und endlich in Spielerei. Dennoch enthält das römische Leben in Vergleichung mit dem griechischen einen sehr wesentlichen Fortschritt, welcher zugleich recht eigentlich den Uebergang, den Durchgang von der griechischen zu der christlich-germanischen Welt bildet. Wir können den Satz, dass in Griechenland die menschliche Freiheit und das Wissen um dieselbe, die selbstbewusste Freiheit




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beginne, leichter fasslich auch dahin ausdrücken, dass in Griechenland der einzelne Mensch zuerst seine volle Anerkennung und Geltung erhalte, das Individuum zu sein und zu wirken anfange, daher das ganze Leben der Menschen und der Völker, ja selbst der Götter sich individualisire, sich beschränke und doch darin vollkommener, einheitlicher, plastischer, lebendiger, menschlicher werde. Weil aber das griechische Individualisiren, Selbstständigwerden,. Beschränken, Mass- und Einheitgewinnen das anfängliche, das jugendliche ist, erscheint es diesem seinem Anfange, seiner Jugend gemäss, vorzüglich in der Phantasie, in der Darstellung des Schönen durch die schönen Künste und Wissenschaften, besonders aueh die Philosophie, welche letztere in dieser Richtung als die höchste und schwerste Kunst betrachtet worden darf.

Die einzelnen vollkommenen griechischen Menschen, z. B. ein Perikles und Alexander der Grosse, - die einzelnen Städte und Staaten, vorzüglich Athen und Sparta, - die griechischen Götter, wie namentlich Apollo und Venus, sind gleich schöne Darstellungen eines eigenthümlichen und reichen individuellen Lebens, sind wahre Kunstschöpfungen oder Werke ächter Schönheit gleich den griechischen Bauwerken.

Auf der Bahn des Schönen konnten die römischen Stadtbürger, die städtischen oder bürgerlichen Krieger und Sieger nicht folgen; sie schufen und errangen sich das individuelle oder private Recht, das Recht der Einzelnen, das jus suum cuique, wie es beim ersten Aufwachen des geistigen Lebens unter den Germanen auf den italienischen Universitäten, besonders zu Bologna, sofort mit allem Eifer wieder aufgenommen und gleichsam zum Weltrechte verarbeitet wurde, und als solches, als ratio scripta, unveränderlich mit der Menschheit selbst fortbestehen wird. Das Individuelle, wie das Jugend- und Schönheitsleben, die Kunst und Wissenschaft der Griechen, - und das individuelle Rechtsleben, das Privatrecht der Römer, erfassten die Germanen, vereinten und bewahrten es durch den Begriff des Einen Gottes und des Papstes und des Kaisers, als dessen irdischen, geistlichen und weltlichen Stellvertreters, vor der Zersplitterung, vor dem Auseinanderfallen, vor




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dem Versinken; sie führten den Begriff der Persönlichkeit und Einheit, des freien Ich von unten herauf durch bis zum höchsten irdischen, geistlichen und weltlichen Herrscher; das christliche Kaiserthum oder die christlich-germanische Monarchie überhaupt, und das Reich des Einen Gottes mit den unter sich und vor ihm vollkommen gleichen Menschen sind daher die nothwendigen und höchsten Spitzen, die Vollendung des christlich-germanischen Lebens und des grossen unsichtbaren Domes, der über ihm sich wölbt. Im Oriente finden wir blos die massenhafte, die ungeheure Einheit ohne menschliche Individualisirung, ohne menschliches Mass und Ziel; das Individuum, der Mensch. hat bei den Orientalen noch kein wahres Sein und daher auch keinen Werth, kein besonderes Leben und Streben, kein Recht; er kann hier nur in das Nichts, in die Allmacht sich versenken. In Griechenland und in der Stadt Rom erwachen und herrschen auf Erden und im Götterreiche blos Individuen, ohne zur höhern irdischen oder staatlichen und göttlichen Einheit sich entfalten und erheben zu können. Die griechischen Staaten sind eigentlich nur Städte, höchstens kleine Ländchen, welche mit der grössten Erbitterung sich unter einander bekämpfen und erst sich vereinen, als Philipp von Macedonien und sein grosser Sohn Alexander ihnen die Freiheit genommen hatten, und durch das Alle bindende Gebot gegen die Perser sie führten. Gleich den griechischen Städten und Staaten stehen die griechischen Götter feindlich und beschränkend neben einander; nicht ein einzelner Gott, nicht einmal Zeus, ward als derselbe durch ganz Griechenland verehrt, sondern ist an verschiedenen Orten und Tempeln ein verschiedener mit anderer Eigenschaft und Macht, anderer Abstammung, Gestaltung und Geschichte.

Rom war niemals mehr als eine weltbeherrschende Stadt, und schleppte in seinen Mauern selbst die Götter aller Länder zusammen. Erst die Germanen wollen die Christen aller Länder zu Einem sichtbaren und unsichtbaren Reiche, unter einer irdischen und himmlischen Macht verbinden. Der griechische Landmann, der römische Stadtbürger und der christlich-germanische Weltbürger sind die drei Stufen der Weltgeschichte. Zu dem jetzigen Leben




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der Menschheit, - zu der Weltgeschichte, welche allein für uns Inhalt und Bedeutung hat, gaben die Griechen die Poesie, Kunst und Philosophie, - die Römer das Privatrecht und das Schwert, es zu vertheidigen, - die Germanen das Staats- und Staatenrecht und die Religion, den Staat und die Kirche, den König auf Erden und den Gott im Himmel. Der Begriff des Einen, der Freiheit und Einheit des Geistes Gottes und des gottähnlichen Menschen ist nunmehr allseitig gedacht und angewandt; es gibt nur Ein Reich Gottes diesseits und jenseits, nur Eine Weltschöpfung, deren Abbild der einzelne Mensch, eine Welt im Kleinen ist. Mit dem Oriente hängt diese einheitliche Welt der Individuen neben Aegypten durch Persien zusammen. Persien bildet den Uebergang, die Vermittelung von dem Oriente zum Occidente, weil in ihm das Orientalische die mildeste Form angenommen hat und schon Keime des Occidentalischen , des reinen Gottesglaubens und der Menschenbestimmung in sich trägt, - weil in seinen weiten Grenzen sich die verschiedensten Völker, ein jedes mit seinem besonderen und regen Leben, vereinigen. Zu dem grossen persischen Reiche gehörten namentlich Assyrien mit Niniveh, - Babylonien, - Phönicien mit den berühmten Seehandelsstädten Tyrus, Sidon, Byblus und Berytus, - endlich Judäa und Aegypten. Wie in den folgenden Perioden das neue weltgeschichtliche Leben sich nur aus dem Kampfe mit dem unmittelbar vorangehenden gestaltet und erkräftigt, wächst das neue individuelle griechische Leben auch nur durch die harten Kriege mit den persischen Heeresmassen, bis es durch Alexander den Grossen , den griechischen Jüngling, den vollständigen Sieg erlangt und das persische Reich zertrümmert. Die langen Kämpfe der Griechen gegen die Perser mit den Siegestagen bei Marathon, Thermopylä, Salamis, Platäa u. s. w. sind das Schönste und Unsterblichste, was die Menschengeschichte an Siegen der Geisteskraft, des individuellen Willens, über die blossen Massen aufzuweisen hat. Nur die Zeiten des christlich-germanischen Ritterthums haben ähnliche Thaten grosser und vollendeter Ritterlichkeit hervorgebracht, weil die Ritterzeit die Zeit der zuerst zur Freiheit und zum Selbstbewusstsein empor-




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wachsenden germanischen Völker, ihre schöne und kräftige Jugendzeit ist.

Wenn nunmehr der innigste Zusammenhang zwischen der griechisch-römischen und der christlich-germanischen Zeit, der Uebergang und Fortgang der einen in die andere begriffen ist, wird auch nicht darüber gestritten werden können ob die christlich-germanische Baukunst mit der griechisch-römischen, die Kirchenbaukunst mit der Tempelbaukunst, die wirkliche und symbolische Maurerei mit dem Alterthume unmittelbar zusammenhänge, dennoch aber eine jede wieder verschieden und nicht die andere sei. 1) Der allgemeine Zusammenhang der Weltgeschichte bewährt sich hier darin, dass die germanischen Christen die griechischen Künste und Wissenschaften, vorzüglich die Baukunst mit ihren Hülfswissenschaften, der Arithmetik, Geometrie, Mechanik, Chemie u. s. w. durchaus bedurft haben, um schon im 12. und 13. Jahrhundert die grossen und ausgezeichneten Kirchenbauten und weltlichen Gebäude, unter den letztern die Rathhäuser und Paläste, z. B. Friedrichs I. in Hagenau und Gelnhausen, die Brücken, z. B. in Regensburg und Venedig, u. s. w. aufführen zu können. Die Baukunst mit ihren Hülfswissenschaften und Hülfskünsten, namentlich der Malerei , Skulptur und Giesserei,




1) Ueber die Kirchenbaukunst vergl. auch die schätzenswerthen Beiträge zur Kunstgeschichte vom 10. - 16. Jahrhundert von Mone, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, III. S. 3 ff., woselbst zugleich die hierher gehörige allgemeine Literatur in den Noten theilweise angegeben ist. Auch verdient der ganz kurze Versuch von Schildener über die Bedeutung des Kirchenbaues als Erzeugnisses deutscher Sinnesart, in dem zweiten Stücke seiner Beiträge zur Kenntniss des germanischen Rechts, Greifswald 1837, S. 9 ff. nachgelesen zu werden. Daran reiht sich eine etwas grössere Abhandlung von Schildener, das Gottesbewusstsein im Volksrechte der Germanen, Greifswald 1839. Schildener sagt namentlich in der letztern Abhandlung: "Das instinktmässige Lebensprinzip des ganzen germanischen Volkes war Genossenschaft, Verbrüderung, Association, an welche es als sein höchstes sociales Princip glaubte und welcher Glaube mächtiger war als der Trieb zur Geltendmachung der Persönlichkeit." - Otte, Geschichte der deutschen Baukunst, Leipzig 1861, ist noch nicht vollendet, berücksichtigt aber, wie er in der Vorrede hervorhebt, die Archäologie und die bürgerliche Baukunst zugleich und glaubt dadurch eine Lücke auszufüllen.



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ist unmöglich von den christlichen Germanen neu erfunden und ausgebildet worden, sondern sie sind darin nur die reichen und glücklichen Erben der Griechen und Römer, der Byzantiner, haben jedoch das schöne Erbe den neuen Ideen des christlich-germanischen Geistes dienstbar gemacht und entsprechend um- und neugestaltet. In den eroberten Ländern, wo überhaupt nicht nur alle römische Bildung nicht untergegangen, sondern in Spanien, Frankreich, Italien, England, - einem Theile der romanischen, italienischen und französischen Schweiz u. s. w. so viel übrig geblieben war, dass sie allmählig die Eroberer zu überwinden und diese zu den romanisehen Völkern umzubilden vermochte, fanden die Germanen entweder die Baumeister und Handwerker zur Erbauung ihrer Kirchen aus der römischen Zeit noch vor, oder sie liessen dieselben aus den übrigen römischen und griechischen Ländern dahin kommen, wie es schon vorher die Römer zuerst mit den etruskischen und später mit den griechischen Baumeistern, Künstlern und Lehrern gethan hatten. Das alte Rom liess besonders seine Tempel und noch mehr seine Cloaken durch die etruskischen schon mit dem Gewölbebau bekannten Baukünstler bauen. Als das älteste urkundlich bestätigte Denkmal des Gewölbebaues, und zwar im Keilschnitt, gilt die Cloaca maxima zu Rom aus der.Zeit des Tarquinius Priscus. 1) Kugler, Kunstgeschichte (dritte Ausgabe) I. S. 92, glaubt, dass die Etrusker das Keilsteingewölbe vielleicht aus Aegypten überkommen haben, wo es sich, nach den uralten Ziegelgewölben der Urzeit, bereits in den Gräbern der 26. Dynastie vorfindet. Auf dem unter den tarquinischen Königen gegen das Ende des 6. Jahrhunderts vor Chr. vollendeten Jupitertempel auf dem Capitole zu Rom stand ein zu Veji in Etrurien gearbeitetes Viergespann. 2) Die alten römischen und griechischen Baumeister konnten übrigens den germanischen Christen nur das Technische lehren, den neuen Geist aber brachten und hatten diese




1) Kugler, gesammelte Schriften zur Kunstgeschichte, I. S. 181.
2) Ueber die etruskische Baukunst vergl. Lübke, Geschichte der Architektur, S. 124 ff., und über die römische Baukunst Semper, der Stil, I. S. 124 ff.



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selbst, und so erwuchs in ihnen und bei ihnen die christlichgermanische Baukunst als ihre eigenste, nicht ererbte und erlernte. Daher finden wir schon im 13. Jahrhundert und bis auf die Zeit des Mailänder Dombaues in Italien sehr oft deutsche Baumeister, entweder allein oder mit und neben italienischen Baumeistern. 1) So zog z. B. im Jahre 1155 der Mönch Wilhelm (aus Innsbruck) aus dem Kloster St. Egydien zu Nürnberg mit mehreren Genossen nach Italien, schloss sich anfänglich einer venetianischen Baugesellschaft an, gründete aber später eine eigene Gesellschaft und baute, von den Italienern Guilielmo Tedesco genannt, unter Anderem den angeblich von Bonano 1174 vollendeten, hängenden Thurm zu Pisa. Um dieselbe Zeit wanderte ein anderer deutscher Mönch, Jacob von Stein, vom Kloster Hirschau aus mit einer Anzahl bauverständiger Laienbrüder nach Italien, besuchte mehrere Städte und baute endlich unter dem Namen Jacobo di Lapo, welchen ihm die Italiener gaben, um das J. 1228 die Frauenkirche zu Assisi. 2) Ob Duschetto, der erste Baumeister des 1063 in Pisa gegründeten Domes, ein Grieche gewesen sei, wie Einige meinen, ist unerwiesen; der Name deutet keineswegs darauf hin, und das Gebäude hat nicht die mindeste Aehnlichkeit mit byzantinischen Kirchen. Steinmetzmeister Arler von Gmünd von den Italienern nachher Henrico da Gamondia genannt, zog mit seinen Gehülfen nach Mailand, wo er den wundervollen Dombau unternahm. Damals wurden in Mailand noch ausserdem sechzehn Stadtthore in deutschem Style gebaut, daher er nicht der einzige deutsche Meister daselbst gewesen sein kann. Später waren am Dombau als Werkmeister angestellt Johann von Freiburg seit 1391 und Ulrich von Freising, welchem gleichfalls deutsche Meister folgten. Auch zum Bau des Domes von Orrieto ward eine deutsche Baugesellschaft berufen, welche unter Anführung ihres Meisters Peter Johannes 1290 dahin zog. Nach Andern soll dieser Bau einem berühmten italienischen Meister, Lorenzo Maitani, übertragen worden sein. Möglich, dass er wirklicher Bau-




1) Raumer, Geschichte der Hohenstaufen, VI. S. 529.
2) Fallou, die Mysterien der Freimaurer, Leipzig 1859, S. 253.



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meister, Johannes nur Werkmeister der Steinmetzhütte gewesen, welche die Italiener Schola nannten, wogegen die Bauhütte Loggia hiess; möglich aber auch, dass er des Deutschen Nachfolger war, denn der Bau dauerte viele Jahre. Ferner zogen die deutschen Meister nach Schweden und bauten in Stockholm und Linköping. Wieder Andere wurden von den deutschen Rittern nach Preussen berufen, wo sie und zwar in Marienburg 1) und Marienwerder zu bauen hatten. Selbst nach Spanien, sagt man, seien deutsche Meister berufen worden, indem den Dom zu Burgos zwei Brüder, Meister Johann und Simon von Cöln, gebauet haben sollen. Doch die meisten deutschen Bauleute wanderten zu Ende des 13. und zu Anfang des 14. Jahrhunderts, in zahlreichen Gesellschaften, nach England und vorzüglich nach Schottland, wo die einheimischen Künstler nicht im Stande waren, dem Verlangen der Geistlichkeit nach neuen prächtigen Kirchen zu genügen. Es wurden damals in Schottland sogar viele alte Kirchen eingerissen, um sie in dem grandiosen Style der Deutschen aufzuführen. Denn dieser sprach die Schotten so ausserordentlich an, dass bei ihnen noch bis in das 17. Jahrhundert darnach gebaut ward, zu einer Zeit, da diese Bauart auf dem Continente schon längst durch den modernen Baustyl verdrängt war. 2) Deutsche Meister sollen namentlich auch die Abtei zu Kilwinning in Schottland erbauet haben. 3) Früher wandte sich der Bruder Claudius Schwobak von Bamberg mit seinen Bauleuten nach Wien , wo er im J. 1190 den Bau der dasigen Tempelherrnkirche begann. 4) Die deutschen Baumeister, welche in und ausser Deutschland besonders seit dem Ende des 12. Jahrhunderts in den schönsten Werken den Ruhm der deutschen Baukunst gründeten und verkündeten, waren vorzüglich gebildet und ausgegangen an und von den deutschen Hauptkirchenbauten und Bauhütten zu Strassburg, Cöln, Wien




1) Vergl. Lübke, a. a. O., S. 488.
2) Fallou, a. a. O., S. 255 u. 56.
3) Fallou, a. a. O., S. 258
4) Fallou, a. a. O., S. 253.



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und Zürich (später Bern). Die vier Haupthütten deutscher Baukunst an diesen vier Orten sind in aller und jeder Hinsicht den heutigen Bauakademien, höheren Bauschulen zu vergleichen, oder sind nur die Bauakademien und höheren Bauschulen des Mittelalters. Strassburg war wieder die berühmteste, die erste und oberste der vier deutschen Bauhütten, weil sein schon im Jahre 1015 durch Werner, Graf von Habsburg und Bischof zu Strassburg, gegründeter Dom wirklich Jahrhunderte erforderte, um in seiner ganzen Grösse und Schönheit vollendet zu werden, also auch Jahrhunderte hindurch dort der praktische und vorzüglichste Bauunterricht ertheilt und geholt werden konnte. Die Stiftung und das Emporblühen der deutschen Hauptbauhütten als der praktischen Bauschulen oder Unterrichtsanstalten , die Blüthezeit der deutschen Baukunst geht deshalb unmittelbar voran der Zeit, oder fällt dann mit ihr zusammen, in welcher in Italien, Frankreich, England, Spanien und Deutschland sich wieder wissenschaftliches Leben zu regen beginnt, und die Universitäten entstehen, in Italien Bologna, 1) Ferrara, Padua, 2) Perugia (1307), Piacenza (1243), Pisa (1339), Ravenna, Reggio, Salerno (für Arzneikunde), Siena, Treviso (1260), Vercelli, 3) Vieenza, Neapel, - in Frankreich Paris, 4) Montpellier, 5) Orleans 6) und Toulouse, 7) - in England Cambridge (1302) und Oxford (um 1300), - in Deutschland Heidelberg (1348) und Prag (1348 8)), und in Spanien Salamanca (1222). Das geistige Leben der Menschen und der Völker ist eben ein durchaus einheitliches, derselbe Geist durchdringt alle Seiten des Lebens, oder wo Leben ist, muss der Geist sein, und umgekehrt; daher kann die Geschichte der germanischen Baukunst, der wirklichen und symbolischen Maurerei, der Bauhütten nur geschrieben und begriffen werden mit der Geschichte der christlich-germanischen Bildung und Wissenschaft, besonders aber der Universitäten. Wie sich die gesammte christlich-germanische Welt und Bildung an die Kirche, an die Geistlichen und darunter namentlich




1) um das Jahr 1100. - 2) 1221. - 3) Gegründet 1228. - 4) 1206. - 5) 1298. - 6) 1228. 7) 1312.
8) Raumer, Geschichte der Hohenstaufen, VI. S. 450 ff.



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an die Mönchsorden anlehnt, weil sie bei den Germanen zuerst lernten und lehrten, so auch und noch mehr die Kirchenbaukunst; die Geistlichen und Mönche bekehrten die Germanen nicht allein zum Christenthum, sie bauten ihnen auch die ersten Kirchen und Dome, sie waren die ältesten Baumeister bei denselben. Wie in Deutschland den Universitäten die Klosterschulen z.. B. von Fulda, Reichenau, Korwei, Bremen, Hildesheim, Lüttich, Augsburg, Freisingen u. s. w. vorausgingen, so gingen auch die klösterlichen Baubrüderschaften, besonders der Benediktiner und Cisterzienser, den bürgerlichen Bauzünften, die romanische oder byzantinische Bankunst der gothischen oder französisch - deutschen Baukunst als der Baukunst dieser voraus. Die um die Baukunst hochverdienten und damit wesentlich zusammenhängenden Benediktiner und Cisterzienser hatten die Gewohnheit, zur Erbauung und Besetzung eines neuen Klosters zwölf des Bauens kundige Klosterbrüder (fratres structaarii, lapidarii seu latomi, - Steinmetzen, caementarii), welche aus ihrer Mitte sich den Vorsteher (Abt) und zugleich Werkmeister (magister fabricae) erwählten, auszusenden. Zwölf Mönche, zwölf Baubrüder gehörten also zu einem neuen Kloster und zu einer klösterlichen Bauhütte 1) und vermuthlich stammt von dieser alten klösterlichen Zwölfzahl die in Antwort 72 des ältesten englischen Lehrlingsfragestückes erscheinende, sehr auffallende und sonst hier nicht leicht erklärliche Eilfzahl. Der Verfall und die Ausartung der Klosterschulen, wie z. B. um das Jahr 1291 in St. Gallen, wo früher so viel für Bildung geschehen war, der Abt und das ganze Capitel nicht schreiben konnten, 2) womit gewiss auch der Verfall und die Ausartung der klösterlichen Baubrüderschaften Hand in Hand ging oder gleichen Schritt hielt, bahnte den Universitäten 3) und bürgerlichen Bauzünften den Weg, machte sie nothwendig, sie waren ein Bedürfniss der neuen Zeit und




1) Fallou, a. a. O., S. 191 u. 193.
2) Raumer, a. a. O., VI. S. 444.
3) Nebenbei sei bemerkt, dass die akademischen Würden drei Abstufungen hatten, Doktoren, Magister und Baccalauren, gleichsam Meister, Gesellen und Lehrlinge.



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des neuen Zeitgeistes. Fast ähnlich verhält es sich mit dem Schreiben und Abschreiben der Bücher in den Klöstern 1) und mit der spätern Buchdruckerkunst und den gedruckten Büchern.

Die christlich-germanische wirkliche und symbolische Maurerei zerfällt in drei Hauptzeiträume oder Perioden. Die erste oder ältere Periode, die alte Zeit, welche bis auf Karl den Grossen oder vielleicht noch genauer bis zum Erscheinen der Mauren und Araber in Spanien während des 8. Jahrhunderts gerechnet werden dürfte, umfasst den Zeitraum, in welchem bloss oder doch vorzugsweise die Geistlichen oder Mönche bauten, die Zeit der geistlichen und mönchischen Baucorporationen, Baubrüderschaften (fratres caementarii), die Zeit des Entstehens der Kirchenbaukunst. Die zweite oder mittlere Periode, das Mittelalter, als die Zeit der allmähligen Entwickelung und der höchsten Blüthe der eigentlichen Kirchenbaukunst in der gothischen Baukunst, welche bald von den eigentlichen Bauleuten, den Steinmetzen und Maurern in befreiten (privilegirten) Genossenschaften, den Bauzünften und Bauhütten oder Logen ausgeübt wurde. Die dritte oder neuere Periode, die Neuzeit, darf bezeichnet werden als die Zeit des Aufhörens der Kirchenbauten und des Untergangs der eigentlichen Baukunst, des Steinwerkes, weshalb nur noch die symbolische Maurerei sich thätig erhält und die eigentlichen befreiten Maurer sich von blos symbolischen Maurern, den Freimaurern nach dem Beispiele der vier zu der neu-englischen Grossloge vereinigten Logen zu London seit dem Jahr 1717 völlig getrennt sehen. In der ersten Periode herrscht der Geist, das Wissen und die Verfassung der griechisch-römischen Baukunst, der römischen und byzantinischen Baumeister und Corporationen vor und wird unter der Leitung der Kirche die christlich germanische Zeit nur vorbereitet; es bauen die Kirche und die Mönche. In der zweiten Periode erstehen auf der Unterlage der römischen und byzantinischen Baucorporationen und gleichsam aus den Trümmern derselben die reinen christlich-germanischen Bauzünfte und Bauhütten , die Baugenossenschaften mit




1) Raumer, a. a. O., VI. S. 447 ff.



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ihrer gleichen Gesinnung, Baukunst und Gesetzgebung; es bauen die bürgerlichen Bauleute und Steinmetzen. Die Verfassung, die Freiheit, das Privilegium der Steinmetzen, der Steinwerker, der eigentlichen Maurer ist die allgemeine germanische, eine genossenschaftliche, die durch Einheit verbundene und starke Freiheit und Selbstständigkeit Aller, die gemässigte oder constitutionelle Monarchie wie sie es bei jeder andern Genossenschaft oder Corporation, bei den Universitäten, bei den Staaten selbst ist. In der dritten Periode herrscht der weltbürgerliche Sinn, das reine Menschenthum und es bauen die Weltbürger, die Menschen an dem grossen Baue der Menschheit, an dem geistigen salomonischen Tempel. Der Mönch, der Steinmetz und der Mensch, - das Römerthum, das Germanische und das Weltbürgerliche oder Allgemeinmenschliche bezeichnen die drei Perioden oder Stufen der Geschichte der Freimaurerei.

Es ist wohl kaum noch besonders hervorzuheben, dass der offene und geheime Unterricht, die Lehre in den alten Baubrüderschaften und den spätern Bauzünften und Bauhütten sich wesentlich und allein bezogen habe auf die höhere und niedere Baukunst, auf die eigentliche Baukunst oder Architektur mit allen ihren Hülfswissenschaften und auf die Steinmetzkunst, das Steinwerk. Der diessfällige Unterricht war ursprünglich und Jahrhunderte hindurch in einer zweifachen Weise gleichbedeutend mit dem gesammten Wissen, Kennen und Können der damaligen christlich-germanischen Welt; einerseits insofern die Geistlichen, von welchen der Unterricht ertheilt oder doch besonders gestützt wurde, überhaupt die Vermitteler und Träger aller Wissenschaft und Bildung waren, - andererseits insofern in der Baukunst alle übrigen und praktischen Wissenschaften aufgingen, diese letztern auf jene beschränkt waren. Von diesem Standpunkte aus und in diesem Sinne darf behauptet werden, es sei die Bildung und das (praktische) Wissen des Alterthums, der klassischen Zeiten durch die mönchischen Baucorporationen und die befreiten Bauhütten, durch die Kirchenbaukunst auf die christlich-germanischen Völker hinübergetragen, bei ihnen aufgeweckt und erhalten worden. Die Einführung des Christenthums




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und der christlichen Bildung bei den noch heidnischen Germanen fällt ursprünglich und lange zusammen mit dem Kirchenbaue, mit dem Senden, Einführen und Festsetzen der christlichen Bauleute, der bauenden Mönche; mit den neuen Kirchen und Domen breitete sich das Christenthum unter den Germanen selbst aus und in der Kirchenbaukunst entwickelte sich, wuchs empor und blühte das Christenthum selbst. Die Kirchenbaukunst ist der höchste, lebendigste und bleibendste Ausdruck des germanisch-christlichen Mittelalters; die wirkliche und geistige aufgebauete Kirche der christlichen Germanen. Die Kirchenbaukunst, die Steinmetzkunst, das Steinwerk war das Mysterium, die geheime mündliche Lehre und der geheime mündliche Unterricht der Baubrüderschaften und der Bauzünfte der ersten und zweiten Periode und um dieses Mysterium zu erhalten und es als Meister ausüben zu können, mussten die germanischen Christen sieben Jahre lernen und dienen, sieben Jahre lernen und wandern, sieben Jahre Lehrling und Geselle sein. Was noch heute und seit dem Anfange der dritten Periode in den Logen gelehrt wird, sind nur schwache Ueberreste des frühern Wissens und besteht einzig aus dem Rituale und den allgemein menschlichen Lehren in der Hülle der Symbole, welche vorher blosse Nebensache waren und jetzt zur Hauptsache, zur noch übrigen einzigen Sache geworden sind. Statt der Steine für die Kirchen und die Dome werden nun die Menschen für die Menschheit gebildet und zur Menschheit, dem grossen geistigen Dome der Gottheit, verbunden.

In dem sogenannten Freimaurerverhöre, 1) welches König Heinrich Vl. von England eigenhändig geschrieben haben soll, wird auf die ersteFrage: "Was mag wohl das Geheimniss der Freimaurei sein?" geantwortet:

"Es ist dies die Kenntniss der Natur, die richtige Auffassung ihrer Werke, und der Macht, welche sich darin kundgibt; es ist ferner die richtige Anwendung dieser Natur und ihrer Gesetze, die sich nach Zahl, Mass und Gewicht verkünden, zu Allem, was des




1) Vergl. darüber besonders Krause, Kunsturkunden, I. 1. S. 13 ff; Lenning, Encyklopädie, unter Heinrich Vl.



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Menschen inneren und äusseren Zustand vollkommener machen kann."

So übersetzt Polak, Geschichte der Urreligion, S. 251, die betreffende Stelle der Urkunde. Mossdorf übersetzt:

"Es ist die Wissenschaft von der Natur, die Kunde der in ihr liegenden Kräfte und ihrer einzelnen Wirkungen, insbesondere die Wissenschaft von den Zahlen, von Gewicht und Mass, und die rechte Art und Weise, alle Dinge zum Gebrauche des Menschen zu gestalten, hauptsächlich Wohnungen und Gebäude aller Art, und alle andere Dinge, die das Wohlsein des Menschen befördern."

Die Uebersetzung von Mossdorf stimmt im Wesentlichen mit derjenigen von Krause zusammen. Die Aechtheit der Urkunde, welche abschriftlich im Jahr 1696 der berühmte Philosoph Br. John Locke in der Bodleyanischen Bibliothek zu Oxford aufgefunden haben sollte, ist streitig und die Urkunde wird von den neuern deutschen kritischen maurerischen Geschichtsschreibern nach Lessings 1) Vorangange meistens für unächt und untergeschoben gehalten, wie dieses auch schon früher z. B. Br. Thory in den Acta Latomorum, II. S. 11-14, und Mounier, de l'influence attribuée aux Philosophes, aux Franc-Maçons et aux Illuminés sur la revolution de France, à Tubingen 1801, S. 143 Note, gethan hatten; Krause, Fessler, Seebass, Heldmann, 2) Mossdorf, Polak und Andere nahmen dagegen die Urkunde für ächt an, was sie wirklich in dem Sinne unbedingt nicht zu sein scheint, dass sie nicht von dem am 14. April 1471 ermordeten König Heinrich VI. herrührt und auch nicht in der Bodleyanischen Bibliothek zu finden ist, daher auch dort von Locke nicht abschriftlich aufgefunden worden sein kann. Die Urkunde soll zuerst auf unbekannte Weise mit dem angeblichen erläuternden Briefe Locke's im Jahre 1748 zu Frankfurt a. M. im Druck erschienen, dann nach




1) Gesammelte Werke, Leipzig 1841, Bd. IX. S. 384. In Ernst und Falk oder den Gesprächen für Freimaurer, sagt nämlich Lessing von der Urkunde: "Staub! und nichts als Staub!"
2) Die ältesten geschichtlichen Denkmale der deutschen Freimaurerbrüderschaft, Aaran 1819, S. 347.



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369 England zurückgewandert sein, woselbst dieselbe im Septemberhefte des Gentleman's Magazine vom J. 1753 zuerst abgedruckt wurde. Da die berührte Aeusserung Lessing's über das Freimaurerverhör seitdem sehr häufig von Vielen, welche keine Lessing's sind, gebraucht worden ist, um nicht blos die Falschheit dieser oder jener angeblich ächten Urkunde zu behaupten, sondern um überhaupt jeden Zusammenhang der Freimaurerei mit dem Alterthume zu leugnen, verweilen wir noch einen Augenblick dabei. Die betreffende Stelle lautet vollständig:

Ernst: Und Locke?
Falk: Was für ein Locke?
Ernst: Der Philosoph - sein Schreiben an den Grafen von Pembrock, seine Anmerkungen über ein Verhör von Heinrich des Sechsten eigener Hand geschrieben?
Falk: Das muss ja wohl ein ganz neuer Fund sein; den kenne ich nicht - aber wieder Heinrich der Sechste? - Staub! und nichts als Staub!
Ernst: Nimmermehr.
Falk: Weisst du einen gelinderen Namen für Wortverdrehungen, für untergeschobene Urkunden?
Ernst: Und das hätten sie so lange vor den Augen der Welt ungerügt treiben dürfen?
Falk: Warum nicht? Der Klugen sind viel zu wenig als dass sie allen Geckereien, gleich bei ihrem Entstehen, widersprechen könnten. Genug, dass bei ihnen keine Verjährung stattfindet - freilich wäre es besser, wenn man vor dem Publikum ganz und gar keine Geckereien unternähme; denn gerade das Verächtlichste ist, dass sich Niemand die Mühe, nimmt, sich ihnen entgegenzustellen, wodurch sie mit dem Laufe der Zeit das Ansehen einer sehr ernsthaften, heiligen Sache gewinnen. Da heisst es dann über tausend Jahre: "würde man denn so in die Welt haben schreiben dürfen, wenn es nicht wahr gewesen wäre? Man hat diesen glaubwürdigen Männern damals nicht widersprochen, und ihr wollt ihnen jetzt widersprechen?"
Ernst: O Geschichte! O Geschichte! Was bist du?

Um nun dem Ernst zu beweisen, dass es denn doch noch eine Geschichte gebe, tischt Lessing eine sehr unge-




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schichtliche Geschichte auf und macht die Freimaurerei, Masonry zu einer angelsächsischen Masony oder geschlossenen, vertrauten Tischgesellschaft, wie auch die berühmte Tafelrunde des Königs Arthur eine solche Masony gewesen sei. Besonders sollen die Masonyen der Tempelherren im 12. und im 13. Jahrhundert in sehr grossem Rufe gewesen sein und solch eine Tempelherrn-Masony habe sich auch, trotz der Aufhebung des Tempelherrnordens, bis zu Ende des 17. Jahrhunderts mitten in London erhalten und hier fange die Zeit der Freimaurerei an, wo die Fingerzeige der niedergesehriebenen Historie freilich ermangeln; aber eine sorgfältig aufbewahrte Tradition, die so viele Merkmale der Wahrheit habe, sei bereit, diesen Mangel zu ersetzen. - Es ist dieses Alles ein leerer geschichtlicher Traum, durch welchen Lessing nur bewiesen hat, dass das Tadeln viel leichter als das Bessermachen sei. Aber durch Lessing's Beispiel nicht gewarnt, schreibt auch Bluntschli in dem von ihm verfassten Artikel: "Freimaurer" im deutschen Staatswörterbuche, dass Alles, was man früher von einem historischen Zusammenhange der Freimaurerei mit dem Alterthume erzählt habe, Staub und Dunst sei, und ihm schliesst sich mit Lessing's Worten an Br. Winzer, die deutschen Bruderschaften des Mittelalters, Giessen 1859, S. V. Allein trotz der Unächtheit der Urkunde an sich sind die darin niedergelegten maurerischen Grundsätze und Ansichten nicht unächt und falsch, und wir dürfen daher nach derselben dennoch als den Zweck und die Aufgabe der Maurerei erklären, Gott den allmächtigen und allweisen Baumeister und Schöpfer in seiner Schöpfung, seiner alleinigen und ewigen Offenbarung, zu erkennen, was Polak, a. a. O., S. 248 und 267, sowie S. 285 dahin ausdrückt, dass die Freirnaurerei die Naturreligion sei. Deshalb wohl hat auch die englische Grossloge kein Bedenken getragen, die Urkunde in ihre Constitutionenbücher aufzunehmen, und halten die meisten englischen maurerischen Schriftsteller, z. B. Lawrie, History of the Freemasonry, Edinburg 1804, - Hutschinson Spirit of Masonry, London 1775, - Preston, Illustrations of Masonry, erste Ausgabe 1772 und zuletzt in der sechzehnten Ausgabe erschienen, - Entick in der




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von ihm besorgten Ausgabe des Constitutionenbuchs der englischen Grossloge u. s. w. dieselbe für unbezweifelbar ächt. Wir theilen daher auch noch einige Fragen und Antworten der Urkunde mit:

Fr. 10. "Pflegen alle Maurer, mehr Kenntnisse zu haben, als andere Menschen?"
Das ist nicht der Fall. Sie haben nur die Gerechtsame (rechtmässigen Ansprüche) und die Gelegenheit, sich mehr Kenntnisse zu erwerben, als andere Menschen: es geht indess manchen die Fähigkeit dazu ab; und noch weit mehre lassen es an dem Fleisse fehlen, der schlechterdings nothwendig ist, um sich in den Besitz irgend einer Kenntniss zu setzen."

Fr. 11. "Sind die Maurer bessere Menschen als Andere?"
"Einige Maurer sind nicht so tugendhaft als einige andere Menschen: allein zum grössten Theile sind sie doch besser, als sie sein würden, wenn sie nicht Maurer wären!"

Fr. 12. "Pflegen wohl die Maurer, einander so innig zu lieben, als man sagt?" "Ja, fürwahr! und das kann nicht anders sein; denn gute und redliche Menschen, die einander als solche kennen, pflegen sich jederzeit desto inniger zu lieben, je besser sie sind."

Krause selbst, a. a. O., I. 1. S. 96 ff. unten, sah die Urkunde nicht als vom König Heinrich VI. herrührend an, sondern war der Meinung, dass dieselbe ein schon zu dieses Königs Zeiten seit mehreren Jahrhunderten aus dem Blüthenzeitalter des Bundes vorhanden gewesener Aufsatz sei, welcher in der Absicht verfertigt wurde, um würdige Männer, die Zutritt zu der Brüderschaft suchten, oder an deren richtiger Einsieht über das Wesen und den Zweck der Brüderschaft, sowie an ihrem Wohlwollen, der Brüderschaft viel gelegen war, vorläufig, ohne Etwas von der geheimen Kunst selbst und von den Gebräuchen derselben zu verrathen, im Allgemeinen, aber wahrhaft und vollständig zu belehren. Auch wir können nach ihren schönen Aeusserungen über den Zweck und das Wirken der Maurerei die Urkunde nicht für eine absichtlich gefälschte und untergeschobene, für eine fraude maçonnique nach Mounier betrachten, son-




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dern vormuthlich nur wurde dieselbe unbefugt veröffentlicht und deshalb allein fälschlich die Auffindung durch Locke und ihre erste Veröffentlichung im Deutschen vorgegeben.

Gleich Polak betrachten den Ursabäismus, den Noachismus und Urmosaismus, das Urchristenthum, die Naturreligion, oder welchen Namen sie sonst dem aus der Weltschöpfung abzuleitenden Gottglauben beilegen, auch z. B. Lenoir, La Franche-Maçonnerie rendue à sa veritable origine; ou l'antiquité de la Franche-Maçonnerie prouvée par l'explication des Mystères anciens et modernes, Paris 1814; - Leutbecher, Noachismus und Christenthum, Einiges zur Gewinnung eines Standpunktes für die Entscheidung der von Br. Scherbius ausgesprochenen Forderung, ein positives Christenthum in die Maurerei einzuführen, Erlangen 1844; - Heribert Rau, Mysterien eines Freimaurers, Theil 1, Stuttgart 1844, - als die Grundlehre, als den Grundglauben, als die Basis der alten Maurerei. Lenoir findet denselben Gottglauben besonders auch in der Offenbarung des Johannes niedergelegt und verweiset zugleich auf die vielen orientalischen Lichtsymbole, welche an oder in den alten christlichen Kirchen der verschiedenen europäischen Länder erscheinen. Leutbecher S. 16 seiner Abhandlung sagt: "Sehr weise handelten die alten Masonen, dass sie jene Religionsansicht, jenen Glauben zur Basis, zur Grundlehre unseres Bundes machten, der scientifisch und geschichtlich nachweisbar mit dem Urchristenthum identisch ist, und von welchem Souverain, in seinem gediegenen Werke über den Platonismus der Kirchenväter, so schön als wahr sagt: er wird mit dem Menschen geboren; er befindet sich in dem Munde und dem Herzen eines Jeden; man braucht nicht in den Himmel zu steigen, nicht die Kirchenversammlungen zu befragen, nicht in den Abgrund zu fahren, - nicht Dragonerbekehrungen anzuwenden, um ihn zu befehlen. Denselben Glauben, von welchem Cyrillus, Ruffinus, Hilarias und Hieronymus mit Recht sagen: er ist nicht auf Papier, sondern auf die Tafeln des Herzens und in das Gedächtniss der Menschen geschrieben." - Rau S. 229 schreibt: "Der freieste Gesichtspunkt ist allerdings der philosophische, rein humane,




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der über jeden Cultus und jedes Dogma erhaben ist, und auf dem jeder Maurer eigentlich stehen sollte." Rau nennt diesen über jeder Glaubensform stehenden, rein humanen Gesichtspunkt die ewige Liebe, die Liebe zu Gott, die gleichmässig alle Menschen auf dem weiten Erdenrunde mit gleicher Liebe als Brüder umfängt. Viel zu viel Gewicht legt Polak in seiner ganzen mehr berührten Schrift und besonders S. 267 ff. darauf, dass der Gottglaube der Maurer als die Naturreligion bezeichnet werde, indem diese Bezeichnung leicht im Sinne der Naturreligionen des Alterthums so gedeutet und missverstanden werden könnte, als ob die Maurer die blosse Natur als solche für göttlich halten und verehren, woran kein Maurer und auch Polak nicht entfernt denkt und er nur Gott in der Natur, in der Welt meint, wie er darin dem menschlichen Geiste, der Vernunft sich verkündet und offenbar wird. 1) Polak würde weit sachgemässer und unmissverständlicher von der Religion der reinen Vernunft, von dem höhern und reinen Gottglauben des Christenthums, des christlichen Zeitalters gesprochen haben, wornach es nur Einen Gott, nur Eine Menschheit und nur Einen Geist gibt, d. h. der menschliche Geist aus dem göttlichen stammt und daher gleich allem Göttlichen unvergänglich und ewig ist. Polak ermahnt in diesem Sinne S. 283, dass die Meister in der Loge das ächte heilige Feuer, das Feuer der göttlichen Vernunft anfachen und nähren sollen, damit es nie erlösche, soweit die vorwärts schreitende Wissenschaft die Mittel zur Unterhaltung des Feuers bietet. Die Liebe zu Gott, die Liebe zu allen Menschen und die Liebe zu sich selbst (zu dem in uns lebenden göttlichen Geiste) sind nur verschiedene Richtungen und Beziehungen der Einen und untheilbaren Liebe zu dem Göttlichen, dessen Stimme und Ge-




1) Ungeschickt drückt Polak seine eigenen Gedanken aus, indem er S. 2S5 sagt: "Folglich ist die Maurerei Naturreligion, und sind die maurerischen Hallen die Schulen, worin der intellectuelle Mensch zur Naturreligion erzogen, d. h. mit der Natur und ihren Gesetzen derartig bekannt gemacht werden soll, dass er durch sie zur Religion gelangen, dass die Natur selber ihm Religion werden kann."



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bote, Offenbarungen wir nur in uns selbst, in dem eigenen Geiste suchen und vernehmen können. Wer Gott in sich erkannt hat wird diesem Gotte als seinem Könige dienen und Gott in der ganzen Menschheit und in dem Weltalle erkennen, lieben und verehren. Auch die Ausdrücke Ursabäismus, Urnoachismus, noachitische Gesetze und Gebote, Urchristenthum und dergleichen sollte man vermeiden, weil sie durchaus nicht nöthig sind, missverstanden werden können und wir überdies nicht einmal etwas Zuverlässiges und Genaues darüber wissen, wie namentlich über den Glauben des Noah und seiner Söhne, über die angebliche geheime jüdische Priesterreligion, über das Urchristenthum und über alle diese Urdinge. Es handelt sich um den lebendigen und unangreifbaren Gottglauben der Gegenwart und ihm genügt vollkommen dieser Name; der Gottglaube und die göttlichen Symbole des Alterthums können und sollen nur zum geschichtlichen Beweise dienen, dass der Glaube an Gott so alt als die Menschheit selbst sei, - bei allen Völkern sich finde, wenn gleich in verschiedenen Gestalten und Hüllen, in ungleicher Erkenntniss und in ungleichem Masse.

Wer den rechten Gottglauben hat, - und diesen allein suchen und wollen die Maurer, - hat auch den Glauben aller Völker, aller Religionen und Religionssekten, - den Glauben der gegenwärtigen und vorausgegangenen Menschheit, wenn und soweit diese wahrhaft glauben und glaubten, und an dem grossen unsichtbaren Dome des göttlichen Geistes in der Menschheit bauen und bauten. Wer an diesem Dome, an dem himmlischen Jerusalem, an der unsichtbaren Gottesstadt bauet und ernstlich bauen will, ist ein Maurer ein Gottesstreiter, ein das Licht Suchender und Findender, ein dem göttlichen Dienste Geweihter. Gott ist nicht der ausschliessliche Gott der Juden, der dogmatischen Christen, sondern ein Gott aller Völker und aller Menschen, der gesammten Menschheit; man kann ein Gottgläubiger ein Christ sein, ohne ein Jude, ein Katholik, ein Protestant u. s. f. mit seinem bestimmten und ausschliessenden, alleinseligmachenden Glauben und Dogma zu sein. Ausschliesslichkeit, Unduldsamkeit, Verachtung und Verfolgung Andersglaubender ist dem Maurer fremd




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und er nennt alle Menschen seine Brüder, und des gleichen Gottes Kinder, welche Gott und die Unsterblichkeit glauben und die Tugend nach besten Kräften üben. Mit Recht sagt deshalb Br. Merzdorf zu Oldenburg im Anfange seiner Schrift: die Symbole, die Geschichte, die Gesetze und der Zweck der Masonei, Leipzig 1836, unter Bezugnahme auf Krause: "Die Masonei betrachtet daher alle Menschen als Brüder und schliesst Keinen, der an Gott, Moral und Unsterblichkeit glaubt, aus." Ueber den Zweck und die Aufgabe der Freimaurerei sind im Uebrigen die ganz ausgezeichneten Artikel: Freimaurer und Freimaurerei in Mossdorf's oder Lenning's Encyklopädie zu vergleichen, wodurch man namentlich einen vollständigen Ueberblick der sachbezüglichen Literatur bis auf jene Zeit erhält. Lesern, welchen die Zeit oder die Lust mangelt, sich über die auf die neuere deutsche Freimaurerei so einflussreich und bestimmend gewordenen, aber nur durch die schmählichsten Verfolgungen und Verleumdungen gelohnten Ansichten und Forschungen Krause's in dessen grössern Schriften, namentlich in den zwei starke Bände füllenden Kunsturkunden, - in dem Urbilde der Menschheit, vorzüglich für Freimaurer, Leipzig 1811, - und in der höhern Vergeistigung der ächt überlieferten Grundsymbole der Freimaurerei in zwölf Logenvorträgen, Dresden 1820, - zu unterrichten, darf empfohlen werden Lindemann, übersichtliche Darstellung des Lebens und der Wissenschaftslehre Carl Chr. F. Krause's, und dessen Standpunktes zur Freimaurerbrüderschaft, München 1839. Den kurzen Abriss des leidenvollen Lebens Krause's, welchen Lindemann mittheilt, wird Niemand ohne den tiefsten Schmerz lesen. Krause konnte im weiten deutschen Vaterlande keine Stätte seines Wirkens, keine philosophische Professur und kaum einen Lebensaufenthaltsort finden. Der Leichenzug des hochverdienten Weisen und für Ausbreitung des allgemeinen Menschenwohles so ausserordentlich thätigen Mannes, wer sollte es glauben, bestand neben dem Geistlichen einzig aus einigen seiner trauernden Kinder, einem Bekannten und fünf Schülern, welche letztere, sammt einem dazu erbetenen jungen Gelehrten (Lindemann?) zu Ende des Monats September 1832 in München,




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woselbst, am 27. September des Abends um halb 10 Uhr Krause plötzlich an einem Schlagflusse gestorben war, den Sarg zum Grabe trugen. Vielleicht weiss man die Stelle des Kirchhofes nicht mehr, welche die irdischen Ueberreste des edlen Menschenfreundes birgt. Krause hatte an 27. September des Abends um halb 9 Uhr noch an seine Werken gearbeitet und verschied mit den Worten im Kreise der Seinen: "Es drückt mir das Herz ab; - lebt wohl ihr Kinder!" Dass Krause in München sterben durfte verdankte er gewissermassen nur der Verwendung des Philosophen F. Bader und der Gunst des damaligen Ministers Fürsten von Wallerstein. Mossdorf in dem Artikel: Freimaurer S. 272 hebt aus dem Constitutionsbuche der Loge Archimedes zu den drei Reisbrettern in Altenburg S. 17 für das sittliche Handeln der Freimaurer nachdrücklichst den Grundsatz hervor:

"Handle so, wie ein Mensch, der von der reinsten Achtung für Recht und Pflicht, für Gott und Menschen durchdrungen ist, handeln soll."

Krause war Mitglied dieser Loge zu Altenburg und derselben im April des Jahres 1805 durch den ihm befreundeten Br. Schneider zugeführt worden.

Endlich darf hier noch auf einen Vortrag verwiesen werden, welchen im 24. Juni 1848 in der Loge zu Zürich der am letzten Auffahrtstage in den ewigen Osten abberufene hochbejahrte Br. Hottinger gehalten hat und der auch unter dem Titel: Rückblicke auf die Vergangenheit und Aussichten in die Zukunft nebst einigen Worten über Freimaurerei (Zürich 1848) im Druck erschienen ist. Hottinger sagt hier.

"Die Maurerei will als rein menschliche Anstalt (d. i. als ein Verein freier und gebildeter Männer) jeden Einzelnen der ihr Angehörenden befähigen, gemäss der ihm von Gott angewiesenen Bestimmung ein würdiges und nützliches Glied der grossen Kette der zur Unsterblichkeit geschaffenen Wesen zu sein. Sie will auf diesem Wege zugleich ihren Beitrag leisten zur Veredlung der Menschheit im Allgemeinen. Das ist der gewiss reine Zweck, der eigenthümliche Grundgedanke derselben,




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wie wir in den besten ältern und neuern maurerischen Werken ausgesprochen finden. Es zerfällt demnach ihre Aufgabe in eine doppelte für das innere geistige Leben ihrer Glieder einer- und für das äussere oder sociale anderseits; oder ich will lieber sagen, für ihre Bildung als freie geistige, zur Unsterblichkeit geschaffene Wesen einer- und für diejenige der für das irdische Leben unter menschlichen Gesetzen bestehenden Gesellschaft anderseits (S. 21)."

Die eigenthümliche, innerlich wahre Aufgabe die der Maurerbund auch für alle Zukunft, sie mag sich gestalten wie sie will, mit ruhigem Gewissen festhalten und verfolgen darf, ist und bleibt nach Hottinger (S. 27) diejenige eines erleuchteten, auf allgemeine Menschenliebe begründeten Kosmopolitismus, der weder positive Religiosität, noch Vaterlandsliebe aufhebt; desjenigen Kosmopolitismus, den auch Christus geheiligt hat, als er den Samariter lobte, der die Wunden des fremden Glaubensgenossen verband, während Pharisäer und Levit bei dem eigenen Glaubensgenossen ungerührt vorüberwandelten. Hottinger hält den Grundgedanken der Maurerei für so alt als die Menschheit, ihre Erscheinung im äussern Leben und die Systeme, die unmittelbar nach dieser Erscheinung sich ausbildeten, mögen nun früheren oder spätern Ursprungs sein. In dem gleichen Sinne wird in dem vorangeführten englischen Freimaurerverhöre auf die zweite Frage, woher das Geheimniss der Freimaurerei seine Entstehung habe, geantwortet, dass es zugleich mit den ersten Menschen im Osten, welche früher als die Menschen im Westen gewesen, entstanden und besonders durch die handelfahrenden Phönicier über das rothe Meer, woher sie nach Phönicien gekommen, und über das mittelländische Meer den Abendländern zugetragen worden sei. Das Freimaurerverhör fasst dabei das Geheimniss der Freimaurerei im universalhistorischen Sinne als gleichbedeutend mit der menschlichen Cultur überhaupt und lässt es daher alle menschlichen Wissenschaften von der Architektur an bis auf die Religion in sich begreifen: allein im engern und besonderen Sinne ist ihm die Freimaurerei nur die Kunst, gut und vollkommen zu werden (ars boni et aequi) ohne




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die Antriebe der Furcht und der Hoffnung, d. h. Gott um Gottes selbst willen und ohne irgend ein persönliches Interesse zu dienen, wie dieses auch die Grundlehre der Brahmanen ist. 1) Die indische Lehre ist besonders in der Bhagavad-Gítá ausgeführt und darnach soll der Mensch unbedingt auf die Früchte seiner Handlungen verzichten, den Erfolg seiner Handlungen mit völliger Gleichgültigkeit betrachten, indem er seine Handlungen in die Gottheit niederlegt. So heisst es z. B. in der Bhagavad-Gítá:

"Im Handeln sei des Werths Würdgung, in den Früchten dir nie und nie.
Nicht sei, dem Handelns Frucht Grund ist; Sucht nicht sei nach Nichthandeln dir.
Vertieften Geists, von Sehnsucht frei, so handle, Goldverschmäher, du,
Ob erfolgreich, erfolglos, gleich; Gleichmuth Vertiefung wird genannt. 2)




1) Vergl. Krause, Kunsturkunden, II. 1, S. 465; Lenning, Encyklopädie, Bd. II. S. 12, Anm. ***.
2) W. Humboldt, über die Bhagavad-Gítá, Berlin 1826, S. 8.