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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XXX.



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Die maurerischen Benennungen würdig, ehrwürdig, sehr ehrwürdig und hochwürdig. - Die Pythagoräer, Essäer und Druiden; die Yogalehre und der Szufismus.

Jedem Nachdenkenden wenigstens müssen die bei den Maurern üblichen und eigenthümlichen Benennungen würdig, ehrwürdig, sehr ehrwürdig und hochwürdig, je nach dem Grade und den Verdiensten der betreffenden Brüder auffallen und er wird wo möglich den Ursprung und die Heimath dieser auf der Tradition beruhenden Benennungen zu begreifen und zu erklären suchen. Wir glauben, dass diese Benennungen dem grauesten Alterthume der arischen Völker, der Indogermanen angehören und dass sie dem Abendlande, der katholischen Kirche und den Maurern durch die Mithrasmysterien, durch die römischen Baucorporationen zugetragen worden seien, wodurch unsere mehr entwickelten und dargelegten Ansichten über den Zusammenhang der Maurerei mit dem Alterthume und mit den alten Mysterien eine Bestätigung erhalten und wodurch in das ganze Gebäude der Freimaurerei mit allen ihren Symbolen und Gebräuchen stets mehr Uebereinstimmung und Einheit kommt.

Bei dem Zendvolke oder den Baktern, Medern und Persern, sowie bei den Indern ist der gebräuchlichste und alterthümlichste Name des Volkes die Ehrwürdigen, Arya bei den Indern und Airya bei den Parsen, wovon bei den Indern der Gegensatz Mlechehha (nach Benfey wörtlich schwach) ist, was einem unreinen Barbaren, den jüdischen Goim und die griechischen bezeichnet.




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Die der Griechen sind die varvara der Inder oder des Sanskritvolkes und bezeichneten ursprünglich die Krausgelockten, die barbarischen und niedrigsten Kasten, die ursprünglichen Bewohner Indiens. Mit Hinsicht auf die Uebereinstimmung der Etymologie und Bedeutung des griechischen mit dem sanskritischen varvara folgert Benfey in Erschs und Grubers Encyklopädie, Sect. II., Thl. XVII. S. 10, mit Grund, dass die Griechen dieses Wort aus ihrem asiatischen Sitze, nach Benfey wahrscheinlich in der Gegend des Mânasa sarôvara, jetzt Mapangsee gewöhnlich genannt, und nördlich von Ramaun und den Himalayathälern gelegen, - mit nach Europa gebracht haben. Aus diesem Volksnamen des alten Zendvolkes, welchem das Nichtiranische, anairya entgegengesetzt war, sind die Arier und das heutige Iran hervorgegangen. Nach Spiegel, Avesta, I. S. 5, kommt Arya in der Sanskritsprache von der Wurzel ri, woher das lat. ire, gehen, und bezeichnet wohl ursprünglich: "den zu Besuchenden, den Lehrer." Spiegel hat diese Ableitung und Begriffsbestimmung des Wortes Arya von Lassen, indische Alterthumskunde, I. S. 5, Anm. 4 aufgenommen, jedoch erklärt Lassen die Begriffsbestimmung für unsicher. Indien selbst heisst Arjâvata, Arjavarta, in buddhistischen Schriften Arjadêca, das Land, der Bezirk der Arja oder der ehrwürdigen Männer, der Leute von gutem Geschlecht, wie sich eben die Inder als Beobachter eines heilig gehaltenen, religiösen und bürgerlichen Gesetzes, als Angehörige des indischen Staates, im Gegensatze zu den MIêk'ha oder den Barbaren und Verächtern des heiligen Gesetzes nennen. Auch die Sprachen werden bei den Indern in Arja und MIêk'ha unterschieden. Arjâvata ist also das heilige, das rechtgläubige, das gesetzliche, das brahmanische Land, das Land Gottes, wie Israel das auserwählte Volk Gottes ist. Nach Herodots Zeugniss, VII 61, nannten sich die Meder ursprünglich und die Perser , also gleich den Indern. 1) Im Vendidad, Farg. I. 6, wird das von Ahura-mazda zuerst geschaffene beste Land der guten




1) Lassen, a. a. O., I. S. 6. Anm. 3; Pott in der Zeitschrift d. d. m. Gesellschaft, XIII. S. 374.



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Schöpfung Airyana-vaêja genannt, welches Land nach Lassen, a. a. O., I. 527, in den äussersten Osten des irânischen Hochlandes, in die Quellgebiete des Oxus und Jaxartes zu versetzen ist. Airyana-vaêja entgegen schuf Agra-mainyus, Ahriman, der voll Tod ist, eine grosse Schlange und den Winter, den die Daevas geschaffen haben. Zehn sind dort Wintermonate, zwei Sommermonate und diese sind kalt an Wasser, kalt an Erde, kalt an Bäumen. 1) Im Vendidad, Farg. I. 72, heisst anairya ungesetzlich, schlecht; auch heissen die nichtarischen Länder Anairya. ist der Name eines Gebietes des Atropatenischen Mediens, welches die Morgenländer Arran nennen. Die Armenier nennen das medische Volk Ari und Arikh, d. h. Arja und Arjaka. 2) In den Inschriften nennen sich die Sassaniden-Könige Könige der Arianer und Nichtarianer. Verwandt mit dem Namen der Arier als der Ehrwürdigen ist übrigens auch die Benennung des Stammes Japhet, d. i. des Schönen wegen seiner weissen Gesichtsfarbe im Gegensatze zu dem Stamme Cham, Ham, dem Schwarzen und Hässlichen, dem Verfluchten. 3) Die Semiten sind wörtlich die Berühmten, die Edlen , wie sich auch die Russen und Polen Slaven von dem Worte slawa, welches Ruhm bedeutet, nennen. 4) Die indischen Kasten, im Sanskrit Varna, bedeuten ursprünglich die Farben, indem die verschiedenen Kasten sich eben auch durch die verschiedenen Farben unterschieden. 5) Die drei obern indischen Kasten, die Brahmanen, Xatrija (Krieger) und Vâicja (Ackerbauer und Handwerker) sind die weissfarbigen, die erobernden und eingewanderten Arier, dagegen die Cûdra und die K'andâla, die niedrigste Kaste, die unterjochten schwarzen frühern oder sogenannten Urbewohner Indiens. 6)




1) Vendidad, Farg. I, 7-10.
2) Lassen, a. a. O., I. S. 7.
3) Gfrörer, Urgeschichte des menschlichen Geschlechts, I. S.82 ff.
4) Gfrörer, a. a. O., I. S. 87.
5) Lassen, indische Alterthumskunde, L S. 408.
6) Lassen, a. a. O., I. S. 514; Gfrörer, Urgeschichte, I. S. 148 ff.; Meiners über den Unterschied der Kasten im alten Aegypten und im heutigen Hindostan, in Meiners und Spittler, neues götting. historisches Magazin, I. S. 509 ff.



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Noch ist von wesentlicher Bedeutung hervorzuheben, dass, obwohl der Name Arja dem ganzen brahmanischen Volke zukam, er doch nur die drei höhern Kasten des indischen Volkes und im engern Sinne nur die zwei obersten Kasten umfasste, - im engsten Sinne aber oder vorzugsweise die Brahmanen Arja, die Ehrwürdigen hiessen. Die Ehrwürdigkeit und Heiligkeit steigerte sich also nach oben, ähnlich wie die maurerischen Benennungen nach oben sich steigern. Die höhern buddhistischen Priester führen den Ehrentitel Thero, gleich einem sanskritischen stairja, d. i. Fester, 1) und vorzugsweise führt diesen Titel der Patriarch, der höchste der buddhistischen Priester.

Die Izeds der Parsen, die indischen Jazata oder Götter zweiter Ordnung, bezeichnen ebenfalls die Verehrungswürdigen, die durch Opfer zu Verehrenden. 2)

Der schroffe Gegensatz, in welchen sich die Arier, die Parsen und die Inder, gleich den Aegyptern, Juden und Griechen, zu allem nichtarischen Volke und Wesen als das Verachtungswürdige, Schlechte, Unreine und Barbarische vom ersten Anfange an gesetzt hatten und zu allen Zeiten mehr oder weniger streng erhielten, musste noch vermehrt und verstärkt werden, wenn bei dem arischen Volke, bei den Iraniern, bei dem Volke der Ehrwürdigen sich noch ein religiöser Verein oder Bund der besonders Ehrwürdigen und Würdigen ausbildete, wie dieses mit den später so allgemein und nicht nur in Syrien, sondern in allen Ländern des weiten römischen Reiches verbreiteten Mithramysterien der Fall gewesen ist. Es darf daher wohl mit der grössten historischen Zuversicht und Gewissheit behauptet werden, dass in den Mithramysterien, welche wesentlich arischen Ursprunges und in ihrem ganzen Wesen, Glauben und Gebrauchthume arisch sind, die Eingeweihten, die Mitglieder des Bundes, die Mysten, die Mithra- oder Lichtstreiter (milites Mithrae) den ja schon dem gesammten arischen Volke zukommen-




1) Ersch und Gruber, Encyklopädie, Sect. II. Bd. XVII. S. 72 und S. 204.
2) Lassen, a. a. O., S. 522, Anm. 2; Spiegel, Avesta, I. S. 73, Anm. 1.



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den Namen der Ehrwürdigen und Würdigen als den vorzüglichsten gewählt und beibehalten haben. Der Oberste der Eingeweihten, der erste Priester der Lichtpriester und Lichtstreiter, der Pater Patrum Dei Solis Invicti Mithrae, wie er genannt wurde, 1) erhielt begreiflich und natürlich auch den Beinamen des Hochwürdigsten, des Ehrwürdigen schlechthin oder vorzugsweise, gerade wie noch heute in den französischen Logen der Meister vom Stuhl der Ehrwürdige, le Venerable heisst. So erhält auch Zarathustra in dem Zendavesta gewöhnlich den Beinamen cpitama, d. i. Hochheiliger, und die Bekenner des Lichtglaubens, die Verehrer des Ormuzd, des reinen und guten Geistes, werden ashavâ's, d. i. die Reinen, dagegen die Anhänger des Ahriman, des unreinen und bösen Geistes, dregvâa's, d. h. Lügner, genannt. Ein jeder der sieben Grade der Mithramysterien hatte seinen Obern oder Pater und der Obere oder Pater des siebten und höchsten Grades, dessen Mitglieder die Väter , wie der ganze Grad hiessen, war der Obere der Obern, Pater Patrum, und damit zugleich des ganzen Bundes. Dieser Pater Patrum der Mithramysterien ist durchaus identisch mit dem Maubad der Maubads oder Destûr der Destûrs, der Meister der Meister, wie der Oberste der parsischen Priester genannt wurde; 2) noch früher hiess dieser oberste Priester, der jüdische Hohepriester, Zarathustrotêma und nach der Wiederherstellung des alten iranischen Reiches im J. 226 nach Chr. durch die Sassaniden der Grossmagier, der Grossmeister. 3) Die alten parsischen Priester, welche neben dem heiligen Gürtel oder Kosti während der Ausübung ihres Amtes nur weisse Gewänder anlegen, 4) auch weder Schmuck noch Gold an sich tragen durften, zerfielen nach Art der drei symbolischen Grade der Maurer in Herbeds (Lehrlinge), Mobeds (Meister, Gesellen) und Destûr Mobeds (vollendete und wirkliche Meister). Das Wort Mobed (Maubad) ist nach Spiegel auf das altbaktrische nmâna-paiti, Hausherr, zu-




1) Preller, röm. Mythologie, S. 763, Anm. 3.
2) Spiegel, Avesta, Il. Einleitung, S. XV.
3) Dunker, Geschichte des Alterthums, II. S. 309.
4) Weiss, Kostümkunde, S. 283.



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rückzuführen was aber kaum eine gelungene Erklärung sein dürfte, indem nicht klar ist, weshalb die Priester Hausherrn sein sollten; an den Tempel, das Haus Gottes zu denken, ist deshalb unzulässig, weil die alten Parsen oder Baktrer, wie keine Götterbilder, so auch keine eigentlichen Tempel hatten. 1) Gewöhnlich, aber nach Spiegel falsch, wird Maubad für Herr der Magier erklärt. Destûr ist mit Maubad im Wesentlichen identisch und bezeichnet den Priester im Verhältniss zu den Laien oder Denjenigen, der dem Menschen berathend und leitend zur Seite steht. 2) Nach Lassen, indische Alterthumskunde, I. S. 6, Anm. 1, hiessen die Herbeds, also die Priester im Allgemeinen oder überhaupt, Airjapaitis, Herrn, Führer, Berather und Leiter der Airjas, der Ehrwürdigen. Airjapaiti würde demnach mit Destûr übereinkommen und sich auf dieselbe Stellung und dasselbe Verhältniss der parsischen Priester beziehen. Dem Destûr der Destûrs oder Maubad der Maubads der Parsen und dem Pater Patrum der Mithramysterien stehen gleich der ägyptische Oberpriester oder Prophet , da von ihm ohne Zweifel die Orakel und Deutungen der Wunderzeichen ausgingen; der verschnittene Oberpriester (Archigallus) der verschnittenen Priester der Kybele zu Pessinus in Phrygien, der ein Purpurgewand trug; 4) - die Anactolesten (reges mysteriorum) bei den Kabiren auf Samotrace, die einen purpurnen Gürtel und nach anderer Angabe einen Mantel von rother Leinwand trugen und um welche bei der Aufnahme eines Einzuweihenden die Anwesenden einen Kreis schlossen, indem sie sich bei den Händen fassten und Hymnen sangen; 5) - die Königin der Priesterinnen




1) Spiegel, a. a. O., II. S. LXIV; Stieglitz, die Baukunst der Alten, Leipzig 1796, S. 76.
2) In dieser Eigenschaft können die Priester für ihre Dienste Lohn fordern und die Laien sind angewiesen, ihnen den Zehnten zu entrichten. Vergl. Spiegel, a. a. O., II. S, XVI.
3 ) Uhlemann, ägypt. Alterthumskunde, II. S. 184.
4) Dunker, Geschichte des Alterthums, I. S. 246.
5) Lenz, Uebersetzung des Freiherrn ven Sainte-Croix Versuch über die Mysterien der Alten, Gotha 1790, S. 53. Der purpurne, tief herabhangende, goldbetrodelte Gürtel war auch ein Attribut des persischen Königs, weshalb nach dessen Besiegung sich auch Alexander der Grosse als sein Erbe damit umgürtete.



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oder Bienen, 1) sowie der Hierophant, Vorzeiger der Heiligthümer (von in den grossen und kleinen Eleusinien, 2) auch Mystagog, Führer der Mysten oder Eingeweihten genannt, der mit den übrigen eleusinischen Priestern in purpurne Kleider gekleidet war, 3) wie auch bei den Sinesen der Kaiser, wenn er der Sonne opfert, 4) und bei den Japanesen die Priester in dem Sonnentempel roth gekleidet sind und bei den Parsern schon der Purpur (die rothe Farbe) die königliche, die fürstliche war, - ebenso in der katholischen Kirche die rothe Farbe nebst dem Golde zur Kleidung der höhern und höchsten Geistlichkeit und Kirchen, besonders der Bischöffe, Erzbischöffe und Kardinäle , der bischöfflichen und erzbischöfflichen Kirchen, und ähnlich zum Schmucke der Maurer und der Maurerlogen in den höhern Graden angewandt wird; 5) -




1) Lenning, Encyklopädie, unter Eleusinien, S. 142.
2) Preller, griech. Mythologie, II. S, 492; Schoemann, griech. Alterthümer, II. S. 349.
3) Die zehn Festleiter der eleusinischen Feier zu Andania in Messenien waren durch purpurne Binden ausgezeichnet. Vergleiche Sauppe, die Mysterieninschrift zu Andania, Göttingen 1860, Seite 36 oben.
4 ) Der chinesische Kaiser ist blau gekleidet, wenn er dem Himmel, - gelb, wenn er der Erde, und weiss, wenn er dem Monde opfert. Vergl. Ausland für 1855, S. 58.
5) Die Kleider des Sonnengottes oder Osiris zu Memphis waren nach Plutarch durchaus roth, wie die Morgenröthe, welche täglich seine Ankunft verkündete (Uhlemann, drei Tage zu Memphis, Göttingen 1854, S. 142). In einer Prachthandschrift der Stadtbibliothek zu Trier, angefertigt durch die Mönche des Klosters Reichenau, trägt der bartlose Christus ein weisses Unterkleid und einen purpurnen Ueberrock; bei der Kreuzigung ist er nicht nackt, sondern mit dem Purpurrocke angethan, der bis auf die Knöchel reicht ; Christus hat auch zuweilen rothbraune Haare, was an den rothen Bart des Thôrr erinnert. Vergl, Mone, Zeitschrift für die Gesch. des Oberrheins III. S. 12 u. 13. Die Reichenauer Maler folgten wahrscheinlich griechischen Mustern. - Auch die Farbe des indischen Brahma, des Urvaters (Pithâmahas), Herrn der Schöpfung (Prag' âpatis), Schöpfers (Dhâta) und Weltbildners, ist roth. Vergl. Ersch und Gruber, Encyklopädie, II. Bd. XVII. S. 176. Wenn bei den Aegyptern Osiris auch schwarz im Gegensatze zu seinem weissen Sohne Horas dargestellt wird, soll dadurch die absterbende und neu entstehende Jahressonne, Johannes der Täufer und Christus (sol novus) angedeutet werden. In Nürnberg ritt Urbanus in rothern Rocke auf einern weissen Rosse. Roth war auch die Statue des Dionysos.



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der bei dem Orakel des Apollo zu Delphi; 1) - der römische Pontifex Maximus, Flamen Dialis und die Virgo Vestalis Maxima, letztere in weissem rothverbrämtem Kleide und zugleich erinnernd an die Druis antistita der Kelten oder keltischen Druidenstifte; 2) der Magister militiae oder magnus Magister der Tempelherrn; - der römische Papst und die orientalisch-christlichen Patriarchen, welche letztere auch in andern christlichen Ländern z. B. zu Lissabon erscheinen u. s. w. Die zwölf Frauen von unbescholtenem Rufe, welche den Dionysosdienst zu Athen zu besorgen hatten, hiessen die Hochwürdigen, die Ehrwürdigen. 3) - Die Priester des Apollo zu Delphi wurden die Heiligen genannt. Der Hochmeister des deutschen Ordens wurde Hochwürdigster und die übrigen Ordensritter oder Capitularen Hochwürdige angeredet. 4) Nach Meiners, a. a. O., VIII. S. 13, sollen sich die Deutschen selbst den Namen der Edlen und der Erlauchten beigelegt haben. Den römischen Cardinälen ist durch den Papst Urban VIII. (+ 1644) der Titel "Eminentissimi," die Allen Vorgehenden, beigelegt worden. 5)

Da die Einrichtungen des pythagoreischen Bundes nicht nur mit den Einrichtungen des Freimaurerbundes grosse Aehnlichkeit haben, sondern in einzelnen Beziehungen demselben selbst zum Vorbilde gedient zu haben scheinen, führen wir als hierher gehörig an: Diejenigen, welche zwar Pythagoras an seinen Vorträgen Antheil nehmen liess, die jedoch zu ihm und zu seinen Anhängern in keiner nähern Verbindung standen, nannte man , Fremde, Profane von porro und fanum (Tempel), also die nicht in den




1) Goette, das delphische Orakel, S. 73, Anm. 1.
2) Brosi, die Kelten und Althelvetier, S. 101.
3) Vollmer, vollständiges Wörterbuch der Mythologie, unter Dionysia.
4) Meiners und Spittler, götting. historisches Magazin, VI. S. 516
5) Richter, Lehrbuch des Kirchenrechts, S. 204.



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Tempel, in den gemeinsamen Hörsaal Kommenden. Um das Geheimniss des Bundes zu bewahren, wurden bei dem Zusammentritte der Eingeweihten die Uneingeweihten oder Profanen sorgfältig entfernt. Das von Pythagoras für seine Schüler verfasste orphische Gedicht begann also:

"Jünglinge, horcht ehrfürchtig auf Alles, was folget; Ich will jetzt zu den Geweiheten singen. Profanen schliesset die Thüren." 1)

So rief auch bei den griechischen Opfern, nachdem Stillschweigen geboten und alle Profanen entfernt worden waren, der Herold mit lauter Stimme: , wer ist zugegen?, worauf die Anwesenden erwiederten: , viele Fromme. 2) Auch bei den römischen Opfern, wobei der Opfernde gewöhnlich in weissem Gewande und mit den Blättern des Baumes bekränzt erschien, welcher der bestimmten Gottheit geheiligt war, gebot ein Priester den Uneingeweihten Entfernung (procul este profani, oder nach Virgilius, Ae. Vl, 258: "procul o procul este profani!", conclamat vates) und ein anderer den Zurückbleibenden andächtige Stille (favete linguis), oder wie Livius 45, 5 sagt, begann aller Gottesdienst, jedes Opfer damit, die Unreinen zu entfernen: omnis praefatio sacrorum eos, quibus non sunt purae manus, sacris arcet. 3) Mit dem Rufe: sacris exeste profani! wurden die Unreinen von den fünfjährigen Lustrationen oder Entsündigungen der Censoren weggewiesen. 4) Ebenso wird bei den Maurern eine jede Loge damit eröffnet, sich zu versichern, ob die Loge gedeckt, die Uneingeweihten entfernt und Alles in Ordnung sei; erst wenn der Meister vom Stuhl die Nachricht erhalten hat, dass die Loge gedeckt, die Uneingeweihten entfernt und Alles in Ordnung sei, wird die Loge erleuchtet und beginnt mit dem Lichte die Arbeit. Gewöhnlich wird auch der Eingang der Loge durch einen




1) Röth, a. a. O., II. S.. 614 und S. 615.
2) Lasaulx, a. a. O., S. 272.
3) Lasaulx, a. a. O., S. 272, Anrn. 267; Schaaff, Encyklopädie der klassischen Alterthumskunde, vierte Ausgabe, Magdeburg 1837, II. 2. 8. 94.
4) Bodemeyer, die Zahlen des römischen Rechts, S. 43.



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oder zwei Brüder, die sogenannten Ziegeldecker, förmlich bewacht, die Loge gedeckt. 1) Die Grossloge von Schottland hat nicht allein gleich der englischen Grossloge einen Grossschwertträger, sondern auch einen Grossziegeldecker. 2) Gleichmässig mussten gewiss auch die ersten Christen verfahren, so lange sie nur geheim und verfolgt bestanden; die ecclesia pressa waren, und noch heute werden beim Beginn des eigentlichen Gottesdienstes, oder wenigstens der Predigt die Kirchenthüren geschlossen, obgleich es jetzt natürlich nur geschieht, um Störungen zu verhindern.

Die wirklichen Schüler und. Anhänger des Pythagoras zerfielen in Exoteriker und Esoteriker, und , je nachdem sie als erst anfangende Schüler noch von dem unmittelbaren Verkehre ausgeschlossen und ausserhalb eines Vorhanges (daher die Vorträge des Pythagoras nur schweigend anhören durften (daher , - oder aber als schon gereiftere und unterrichtetere Schüler bei Pythagoras selbst innerhalb des Vorhanges sich befanden (daher und sich mit demselben über die Unterrichtsgegenstände frei besprechen konnten. 3) Nach Jamblichus und Andern hiess der exoterische, der esoterische Pythagoräer, Anhänger und Schüler des Pythagoras; die Pythagoriker waren also die eigentlichen Eingeweihten, welche an dem geheimen Unterricht des Pythagoras Theilnehmen durften und denen er sein geheimes Wissen, das Mysterium mittheilte. Die schweigende und blos hörende, die denkende Vorbereitungszeit der Exoteriker bis zu ihrem Eintritte in den engern und höhern Schülerbund, in den geheimen Bund, nach maurerischer Sprache in das Innere, oder innerhalb des Vorhanges dauerte sehr lange und erstreckte sich gewöhnlich auf fünf Jahre, weshalb Einige auf diese fünfjährige Lehrlings- und Gesellenzeit den bei den Pythagoräern gebräuchlichen fünfeckigen Stern be-




1) Vergl. Lenning, Encyklopädie, und Krause, Kunsturkunden im Register, unter Ziegeldecker.
2) Latomia, Bd. XVIII. S. 75.
3) Röth, Gesch. unserer abendländ. Philosophie, II. S. 496 ff.



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ziehen, aber gewiss mit dem grössten Unrecht, da ein solcher lichtvoller Stern bei einem Pythagoras gewiss eine viel höhere und geistigere Bedeutung hatte, als auf die trivialste Weise den Zeitraum des Elementarunterrichtes zu bezeichnen; auch müssen die Symbole stets etwas Neues bieten, ein bisher nicht Gewusstes oder Gekanntes und nunmehr als Geheimniss Mitgetheiltes bezeichnen und welch' ein grosses, des fünfjährigen Harrens werthes Geheimniss wäre es gewesen, wenn man einem fünfjährigen Elementarschüler endlich in einem goldenen Stern gesagt oder auch an die Tempelwand geschrieben hätte, dass er fünf Jahre lang nun glücklich die Qual des Elementarunterrichtes ertragen habe. Wenn man nur noch gesagt hätte, es sei der fünfeckige Stern das Symbol der Erlösung, des Rettungsmorgens gewesen, wie den Königen des Morgenlandes, den Morgenländern die aufgehende Sonne sich als Besieger der Nacht und als das beglückende Licht verkündet hatte und daher von ihnen dankbar angebetet und verehrt wurde. Nicht die Könige des Morgenlandes kamen zu dem Herrn, sondern er zu ihnen und die drei beglückten und erretteten Wintermonate, die alten ungetreuen und schwarzen (lichtlosen) Gesellen beugten sich der höhern Macht, dem Lichte, wurden weiss und weise, beschienen und scheinend, erleuchtet und leuchtend. Die zwölf Gesellen und Hiram, welche in neun und drei gute und böse sich spalten und die bald drei bald zwölf das Christkind anbetenden Könige des Morgenlandes sind in aller Hinsicht dasselbe; die drei Wintermonate erschlagen die alternde Sonne, begrüssen aber auch die neue, - sie sind das Grab und die Wiege, ja sie bieten sich nur zum Grabe, um den Lebenskeim im treuen Mutterschosse zu bewahren; die zwölf Könige des Morgenlandes aber sind das ablaufende Jahr, welches in der ersten Stunde des ersten Tages des neuen Jahres diesem seinen Glückswunsch und Verehrung darbringt, indem der Sterbende vor dem Neugebornen erbleichet. Die Könige des Morgenlandes, welche dem Christkindlein ihre Geschenke darbringen, sind auch Johannes der Täufer, welcher in der Sommersonnenwende seinen eigenen nahenden Tod und den bald kommenden Grössern und Neuen, den Sol novus et invictus




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verkündigt. Dass alles Leiden nur eine gütige Fügung Gottes sei, wird hier eben so schön als tiefsinnig dargelegt. Die Mörder des Hiram erschlagen eigentlich nur sich selbst, das ihnen gebliebene Leben wird zum Tode, und das von ihnen geraubte Leben entsteht aus sich selbst wieder nachdem es den unfreiwilligen Schlaf geschlafen; der Tod überwindet das alte Leben durch das ihm entsprossende neue.

Die Exoteriker hatten ohne Zweifel gewisse Schulklassen, aber noch keine Grade des geheimen Wissens. Dieselben sollten sich daheim täglich den griechischen Hexameter prüfend vorlegen: "Worin habe ich gefehlt? Was richtete ich aus? Welches Nöthige habe ich vollbracht?" - Die letztere Vorschrift scheint Pythagoras dem Zarathustra oder den persischen Religionsvorschriften, mit welchen letztern er jedenfalls in Babylon bekannt geworden und die besonders auf die spätern Pythagoräer bis auf Plato grossen Einfluss gewonnen, entlehnt zu haben, indem nach dem Sadder-Bundehesch die Parsen, bevor sie einschlafen, nochmals sämmtliche Thaten, die sie den ganzen Tag über vollbracht haben, durchdenken und prüfen sollen, ob sie Etwas gesündigt haben oder nicht. 1) Auch darf es als eine arische oder zarathustrische Sitte erklärt werden, dass die Esoteriker den allgemeinen Ehrennamen , die Hochwürdigen, die Ehrwürdigen trugen, wie Pythagoras selbst wohl der Hochwürdigste (sanetissimus, le Vénérable) hiess. Pythagoras war ja für seine Schüler auch die höchste Entscheidung, und der Beweisgrund für eine Lehre ihr: ", Er hat es gesagt." Auch bei den Buddhisten werden diejenigen Geistlichen Achat (vom sanskritischen arhat), d. i. der Ehrwürdige, genannt, welche die Pflichtgebote vollkommen erfüllt und durch Ueberwindung der Sünde die Stufe der Heiligkeit in der buddhistischen Hierarchie erklommen haben. 2) Nach Benfey bildeten die Achat, die Arhantas die höchste Klasse der Geweihten und entschieden auf den Concilien über die religiösen Streit-




1) Spiegel, Avesta, Einleitung, S. L.
2 Köppen, Religion des Buddha, S. 123; Ersch und Gruber, Encyklopädie, II. Bd. XVII. S. 204.



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fragen. Um in ein buddhistisches Kloster als Novize aufgenommen zu werden, musste man frei von Schwächen und Ungestaltheiten des Körpers sein, aus legitimer Ehe stammen, keine Schulden haben und frei und von keinem Herrn abhängig sein; der Novize musste über 20 Jahre haben und die Beistimmung seiner Eltern. Sein Gelübde ist übrigens nicht für das Leben bindend, sondern er kann nach seinem Belieben das Kloster verlassen und in die Welt zurückkehren. Jeder buddhistische Mönch trägt ein gelbes Kleid und einen Sonnenschirm, den letzteren zum Symbole der Herrschaft über sich selbst. In Nepal in Vorderindien werden die dort noch heute bestehenden Buddhisten bandhjâs, zu Bindende, woher das bekannte Bonze, genannt; auch nennen die buddhistischen heiligen Schriften Denjenigen bandhja, welcher auf dem Scheitel die Haare abgeschnitten, - die Tonsur hat. Die Bandhjâs zerfallen in zwei Klassen: 1.) die vâhjak' arja, welche dem äussern (exoterischen) Wandel folgen, und 2.) die abhjantaràk' arja, welche dem innern Wandel folgen und die Bhiksu, Bettler heissen, welche zum Cölibat verpflichtet sind, und die Vag' râk' arja, welche heirathen können. 1) - In der katholischen Kirche Deutschlands erhalten auf dem Lande alle Geistlichen noch dermalen die Benennung Hochwürden, Ehrwürden, und noch mehr und sich steigernd ist dieses natürlich bei den höhern Geistlichen, den Aebten, den Domherren, den Bischöffen u. s. w. der Fall.

Die Esoteriker hatten drei Grade: 1) Theoretiker, ; 2) die Mathematiker, , und 3) die Politiker, . Womit jeder ein zelne Grad sich beschäftigt habe, vermag nicht näher angegeben zu werden; nur im Allgemeinen werden als Gegenstände, worüber die Pythagoräer besonders nachdachten, - die Gottheit, die Welt und der Mensch, , und bezeichnet, wie die alten Philosophen de ente, mundo et homine philosophirten. Den Kreis, die Höhe und die Quellen des Wissens des Pythagoras und dessen ausserordentlichen, noch jetzt in unvertilgbaren Zügen und Lehren fortwirkenden Verdienste um




1) Ersch und Gruber, Encyklopädie, II. Bd. XVII. S. 205.



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die griechischen Wissenschaften hat Röth am ausführlichsten in dem zweiten Bande seiner Geschichte unserer abendländischen Philosophie dargestellt. Sehr beachtenswerth ist indessen auch Gerlach, Zaleukos, Charondas, Pythagoras, - zur Kulturgeschichte von Grossgriechenland, Basel 1858, und aus der ältern Literatur Bellermann, geschichtliche Nachrichten über die Essäer und Therapeuten, Berlin 1821, worin auch die Pythagoräer vergleichend besprochen werden, sowie Meiners, Geschichte der Wissenschaften in Griechenland und Rom, I. Bd. 3. Buchl 3. Kap. Auch Hegel, Geschichte der Philosophie, I. (Berlin 1840) S. 213-259 ist nicht zu übersehen. Röth, a. a. O., II. S. 476-79, bestreitet, dass in dem pythagoreischen Bunde eine auf das bürgerliche Leben oder auf das gesammte Vermögen der Verbündeten sich erstreckende Gütergemeinschaft, wie man oft angenommen, bestanden habe, und will nur eine gemeinschaftliche Kasse für die Schule zugestehen, aus welcher die sämmtlichen Unkosten für die Schule, für die Lehrer und Schüler bestritten worden seien und die aus ihrer eigenen Mitte gewählte Wirthschafter verwaltet haben. Der von Pythagoras für seine Schule aufgestellte Grundsatz: befreundeten Genossen müsse Alles gemeinsam sein, , hätte sonach keinen hohen und nur einen sehr beschränkten Sinn gehabt. Abweichend von Röth, glauben wir, dass wenigstens für den engsten und höchsten pythagoreischen Bund, - wie die Maurer sagen würden, für das Innere vollkommene Gütergemeinschaft in dem Sinne bestanden habe, dass jeder Verbündete für den Bund und die Verbündeten habe Alles zu opfern bereit sein müssen, wenn es die Zwecke und das Bedürfniss des Bundes verlangten. Das ist der Sinn des Grundsatzes, dass die Verbündeten Alles mit einander theilen sollen und im Falle der Noth müssen, ; kein Pythagoräer sollte vergeblich die Hülfe seines Mitverbündeten angerufen haben, wenn dieser die Mittel zu helfen besass. Nach dem Vorbilde der ägyptischen Priester, 1) deren 22jähriger Schüler Pythagoras gewesen, sollte die Schule




1) Hegel, Geschichte der Philosophie, I. S. 217.



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des Pythagoras ein wissenschaftlicher geheimer, die ganze Lebensdauer umfassender und durch die Wissenschaft mächtiger und einflussreicher Bund sein, worin zugleich die aristokratisch-politischen Zwecke des Bundes eingeschlossen sind und weshalb er das Misstrauen und den Hass der demokratischen Partei in Kroton erregte und von ihr zum Wohle der griechischen und der ganzen gebildeten Welt zertrümmert wurde. Auch Herrmann, Lehrbuch der griechischen Staatsalterthümer, §. 90, hebt hervor, dass es dem Pythagoras zu Kroton sowohl als in andern Städten der Umgebung durch seinen Bund gelungen sei, den Grund zu einer Aristokratie in einem ähnlichen Sinne zu legen, wie man sie später in Platos Republik wiederfinde: wo die innere Harmonie dadurch erzielt wird, dass die Inhaber der Weisheit allein und unumschränkt regieren, die übrigen Mitglieder des Staates einen völlig mechanischen Gehorsam leisten. Der pythagoreische Bund würde Griechenland beherrscht haben, wie die ägyptische Geistlichkeit Jahrtausende lang Aegypten aus dem gleichen Grunde beherrschte, wenn es ihm gelungen wäre, die Wissenschaft als das ausschliessliche Eigenthum des Bundes zu bewahren und zugleich alle Wissenden, die Jugend wie das Alter, das männliche wie das weibliche Geschlecht, die Brüder wie die Schwestern Gross- und Kleingriechenlands dem Bunde unterthänig zu machen und zu erhalten. Der Gedanke war bei Pythagoras, welcher sich nach Diogenes Laertius zuerst den Namen statt aus Bescheidenheit beigelegt haben soll, ein möglicher, weil er wirklich im Augenblicke der Rückkehr von seinen langen Reisen in Aegypten und Asien nach Griechenland im Besitze eines höhern und bis dahin in Griechenland unbekannten Wissens sich befand. Durch ihr Wissen und noch mehr durch ihr verbundenes geheimes Wissen fingen die Pythagoräer bald an, die italisch-griechischen Staaten zu beherrschen, und sie lange beherrschend, 1) so dass die Furcht vor den durch sie der Freiheit drohenden Gefahren keineswegs unbegründet war. Der Besitz dieses höhern Wissens begründete überall die Herrschaft und Gewalt der




1) Hegel, a. a. O., I. S. 220.



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Geistlichkeit und die letztere sank in demselben Verhältnisse, in welchem jenes zum Gemeingute des gesammten Volkes wurde, wie namentlich darin auch die Geschichte der katholischen Kirche, Klöster und Geistlichkeit besteht. 1) Die Gütergemeinschaft in dem von uns angenommenen Sinne floss bei dem pythagoreischen Bunde aus der geheimen Gemeinschaft alles Wissens, aus einem obersten aristokratischen und hierarchischen Plane und Zwecke, obwohl auch die politischen Absichten des Pythagoras Röth, a. a. O., II. S. 934 ff., wieder leugnet. Sehr wahr sagt Hegel, Geschichte der Philosophie, I. S. 225: "Die pythagoreische Gesellschaft hatte keinen Zusammenhang mit dem griechischen öffentlichen und religiösen Leben, und konnte darum nicht von langem Bestande sein; in Aegypten und Asien ist Absonderung und Einfluss der Priester zu Hause, das freie Griechenland konnte aber diese orientalische Kastenabsonderung nicht gewähren lassen. Freiheit ist hier das Prinzip des Staatslebens, jedoch so, dass sie noch nicht als Prinzip der rechtlichen und privatrechtlichen Verhältnisse bestimmt ist. Bei uns ist das Individumm frei, weil alle vor dem Gesetze gleich sind; dabei kann die Verschiedenheit der Sitten, des politischen Verhältnisses und der Ansichten bestehen, und muss es sogar in organischen Staaten. In dem demokratischen Griechenland hingegen musste auch die Sitte, die äussere Lebensweise sich in einer Gleichheit erhalten, und der Stempel der Gleichheit diesen weitern Kreisen aufgedrückt bleiben; diese Ausnahme der Pythagoräer, die nicht als freie Bürger beschliessen konnten, sondern von den Planen und Zwecken einer Verbindung abhängig waren, und ein geschlossenes religiöses Leben führten, hatte so in Griechenland keinen Platz. Zwar den Eumolpiden gehörte die Bewahrung der Mysterien, anderer besonderer Gottesdienst sonstigen Familien an: aber nicht als einer im politischen Sinne festgesetzten Kaste, sondern sie sind, wie die Priester überhaupt, politische Männer, Bürger, wie andere, gewesen;




1) Man vergl. z. B. nur: Geschichte der Abtei Cluny von ihrer Stiftung bis zu ihrer Zerstörung zur Zeit der französischen Revolution. Nach P. Lerain bearbeitet von Dr. Carl Pelargus. Tübingen 1858.



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noch war, wie bei den Christen, die Ausscheidung des Religiösen zu diesem Extrem des Mönchthums getrieben. Im gemeinsamen Staatsleben der Griechen können Keine aufkommen oder es aushalten, die besondere Prinzipien, sogar Geheimnisse und in äusserlicher Lebensart und Kleidung Unterschiede haben: sondern es ist eine offene Vereinigung und Auszeichnung, die im Gemeinsamen der Prinzipien und der Lebensweise besteht; denn ob Etwas gut für's Gemeinwohl, oder gegen das Gemeinwohl, wurde gemeinsam und offen von ihnen berathen. Die Griechen sind über besondere Kleidung, beständige Gewohnheiten des Waschens, Aufstehens, der Uebung in der Musik, Ausscheidung reiner und unreiner Speisen hinaus; diess ist theils Sache des besondern Individuums, seiner einzelnen Freiheit, ohne gemeinsamen Zweck, theils für Jeden eine allgemeine Möglichkeit und Sitte."

Was uns nöthigt, auch für den von Pythagoras selbst gestifteten und geleiteten engern und eigentlichen Bund Gütergemeinschaft zu behaupten und anzunehmen, sind sodann nachstehende zwei gewichtige Thatsachen:

1.) die nach dem Sturze und dem Untergange der pythagoreischen Schule von den noch vorhandenen oder übrig gebliebenen Pythagoräern gegründete neue Verbindung, Hetärie, hatte gleichfalls Vermögensgemeinschaft, 1) welche letztere gewiss keine Neuerung, sondern nur das Beibehalten und Fortsetzen der alten Grundsätze und Einrichtungen gewesen ist, so dass von jener auf diese zurückgeschlossen werden darf;

2.) auch die praktischen Essäer oder Essener in Palästina, welche eine Nachahmung des pythagoreischen Bundes waren, hatten unter sich Gütergemeinschaft eingeführt, so dass diese auch dem pythagoreischen Bunde beigelegt werden muss. Stäudlin, Geschichte der Sittenlehre Jesu, I (Göttingen 1799), S. 456, berichtet vortrefflich über die praktischen Essener in Palästina und die mönchischen, beschaulichen und ascetischen Therapeuten in Aegypten und bemerkt S. 485 und S. 484 in der hier in Frage stehenden Beziehung: "Dass die Pythagoräer die Gemeinschaft der




1) Röth, a. a. O., II. S. 479.



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Güter unter sich eingeführt hatten, ist wenigstens eine alte, von mehreren Schriftstellern bezeugte Sage, die man vielleicht in den neueren Zeiten nicht sowohl hätte ganz verwerfen, als beschränken sollen. - Ich kann also nicht anders glauben, als dass der essenische Orden eine Nachahmung des pythagoreischen gewesen. Woher sonst unter Juden auf einmal eine solche Einrichtung,- - Wir haben in dieser Geschichte bereits an mehreren Beispielen gesehen, dass die platonische, stoische und epikureische Philosophie unter den Juden in Palästina und Aegypten nach und nach bekannt wurde, unter ihnen Einfluss gewann, und sich auf verschiedene Art mit ihrer von den Vorvätern ererbten und in ihren heiligen Büchern niedergelegten Religion verband und vermischte. Warum sollten nicht auch die Lehren und Anstalten des Pythagoras unter sie eingedrungen sein? Zu Alexandria, wo zahlreiche Juden wohnten, war schon lange der Pythagoräismus mit andern philosophischen Systemen zusammengeschmolzen, und durch wie viele Kanäle konnte er sich nicht unter den Juden in Palästina verbreiten?" - Gerlach, a. a. 0., S. 110, sagt von dem pythagoreischen Bunde: "Hier nun (zu Krotou) lehrte der grosse Pythagoras, nachdem er die Weisheit in Aegypten und Babylon gelernt hatte, und hier stiftete er den berühmten pythagoreischen Bund, d . h. eine Gemeinschaft von Brüdern und von Schwestern, ähnlich den spätern christlichen Gemeinden, nur den Glauben an Gott, die Tugend und reinste Sitte pflegend. Um diese Lebensweise ungestört durchzuführen wohnten die Freunde, 300 an der Zahl, in einem grossen Hause beisammen; wie sie denn auch Gemeinschaft der Güter eingeführt hatten, weil unter Freunden Alles gemeinschaftlich sein müsse." - Hermann, a. a. O., schreibt dem pythagoreischen Bunde gleichfalls Gütergemeinschaft zu und hat den §. 90 seiner Alterthümer überschrieben: "Der pythagoreische Bund und seine (politischen) Folgen." - Ebenso erklärt Peter, Zeittafeln der griechischen Geschichte, S. 36, Anm. e e, die pythagoreische Schule, deren Blüthe er abweichend von Röth schon um 540 v. Chr. ansetzt, für einen durch Gütergemeinschaft eng geschlossenen Geheimbund und nimmt zufolge Diogenes Laertius VIII, 3




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zugleich an, dass Pythagoras die Verfassung von Kroton aristokratisch gestaltet, also zu Kroton nicht blos wissenschaftlich gelehrt, sondern auch politisch gewirkt und gestrebt habe. Schömann, griech. Alterthümer, I. S. 168, will zwar nicht entscheiden, inwiefern Pythagoras selbst politische Plane gehabt und verfolgt haben möge; aber von seinen Anhängern sei es gewiss, dass sie solche hatten, und dass sie ihre Verbindungen in den verschiedenen Städten zu politischen Klubs gemacht haben, denen es in der That auch gelang, eine Zeit lang überwiegenden Einfluss auf die Regierung und Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten zu gewinnen. Schömann bemerkt zur Erklärung dieser Thatsache, in Uebereinstimmung mit Hermann: "Da seine Schüler alle dem Stande der Vornehmen und Bevorrechteten angehörten, lag es nahe, dass sie ihrer Verbindung auch im Staate eine solche Geltung zu geben versuchten, wie sie ihnen ihrer Meinung nach gebührte. Sie betrachteten sich als die Besten und Würdigsten unter ihren Mitbürgern, und deswegen zur Herrschaft berufen, welche darin in Wahrheit und nicht blos dem Namen nach eine Aristokratie sein würde." - Wir legen ausserordentliches Gewicht darauf, dass man die Gütergemeinschaft und die politischen Plane, oder wenigstens den politischen Einfluss bei dem pythagoreischen Bunde als erwiesen zugestehe und voraussetze, weil man nur alsdann seine wahre Bedeutung und seine späteren Schicksale, seine Geschichte versteht und begreift. Der Pythagoräer sollte mit seinem ganzen inneren und äussern Sein, - mit seinem Herzen, Geiste und Vermögen auf die ganze Dauer seines Lebens dem Bunde des Pythagoras angehören, und was vermochte man auch nur mit einigen Hunderten solcher allein gebildeten und die Bildung als ein heiliges Geheimniss bewahrenden Eingeweihten und Ergebenen zu vollbringen? Deshalb und nur deshalb wurden auch von Pythagoras die in den eigentlichen Kreis der Verbündeten aufzunehmenden jungen Leute der Aristokratie mit so grosser Sorgfalt geprüft und ausgewählt 1) und Jeder zurückgewiesen, welcher für den Geheimbund, für die höhern Plane nicht zu




1) Röth, a. a. O., II. S. 480 ff.



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taugen schien; diese sorgfältige Auswahl sogar der Aristokraten wäre nicht erforderlich, ja geradezu widersprechend gewesen, wenn die pythagoreische Schule blos eine wissenschaftlich-religiöse Erziehungsanstalt hätte sein sollen. Dass Denjenigen, welche zu dem Innern des Bundes nicht zugelassen oder als unwürdig davon wieder ausgeschlossen wurden, ihr eingelegtes Vermögen zurückgegeben werden musste, 1) verstand sich von selbst und ist durchaus kein Beweis gegen die bestandene Gütergemeinschaft. Die Ausgewiesenen wurden als verstorben betrachtet und ihnen ein Grabhügel mit Grabstein errichtet. Zwei solcher Ausgewiesenen, Kylon und Hippasos, veranlassten durch eine Verschwörung den Sturz und die Zertrümmerung der Schule zu Kroton. Hegel, a. a. O., S. 221, sagt mit Recht, dass die Gesellschaft im Ganzen den Charakter eines freiwilligen Priester- und Mönchsordens neuerer Zeit gehabt habe; sein Vermögen habe ein Jeder dem Orden übergeben müssen, jedoch bei seinem Austritte wieder zurück erhalten. Das nicht blos bewunderte, sondern das wahrhaft angebetete Oberhaupt, der Obermeister und Leiter dieses wissenschaftlich-religiösen Geheimbundes, war Pythagoras, welcher nach allen Berichten zugleich die eindruckvollste Gestalt, hohe Beredsamkeit und grossen Reichthum besass, weshalb man es nicht so gar auffallend und unbegreiflich finden wird, was die Alten, wenn auch falsch und jedenfalls unendlich übertrieben, von dem Wundermann Pythagoras melden und erzählen. Pythagoras ist und war ein historisches und sittliches Wunder, besonders in dem damaligen so schwelgerischen und entarteten Unteritalien oder Grossgriechenland; unter seinem Einflusse fiel durch den siegreichen FeIdherrn Milo von Kroton, welcher auch unter den Pythagoräern aufgezählt wird und dessen Haus zu einem Versammlungsorte derselben diente, das reiche und übermüthige Sybaris, und auf dem Grunde und Boden des durch die Krotoniaden i. J. 509 v. Chr. überwundenen Sybaris stand und wohnte die streng sittliche und wissenschaftliche Schule des Pythagoras, indem die Eroberer dem Pythagoras in dem eroberten sybaritischen Gebiete, zwanzig




1) Röth, a. a. O., II. S. 482.



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Stunden von Kroton entfernt, ein grosses Landgut geschenkt hatten. Dass Pythagoras bei den Spätern zu einem wirklich fabelhaften und wunderthätigen Manne geworden ist, ist blos ein Beweis des gewaltigen und nachhaltigen Eindruckes , welchen Pythagoras auf seine Zeit gemacht hatte. Der Mensch, von welchem die Menschheit gläubig Wunder berichtet, war und ist auch sicherlich ein wunderbarer, ein für alle kommenden Zeiten bewunderungswürdiger Mensch, trotzdem dass er keine wahren Wunder gethan hat und thun konnte. Auch Christus bleibt der Grösste und Erhabenste der göttlichen Menschen, der Gottmenschen, selbst wenn er nicht gezaubert und keine Wunder gethan haben sollte. Bei Pythagoras, Sokrates, Johannes dem Täufer und Christus genügt ihr wahres Leben und Sterben vollkommen, um sie zu göttlichen Menschen, zu Gottmenschen, zu unsterblichen Vorbildern der Menschheit zu erheben.

Aus den Schuleinrichtungen des Pythagoras, worüber Röth, a. a. O., S. 488 ff., handelt, mag hier noch angeführt werden: Dreimal, Morgens, Mittags und Abends, wurde täglich geopfert, sowohl Trank- als Brandopfer; diese letztern bestanden nur im Verbrennen von Weihrauch, nicht aber von Opferthieren, worin Pythagoras dem Zarathustra folgte. Die Trankopfer wurden besonders jedesmal vor Tische den Göttern und Heroen, - dem Zeus, dem Herakles und den Dioskuren täglich gespendet. Sehr ausgedehnt waren die ganz priesterlichen Reinigkeitssatzungen. Pythagoras selbst und seine Schüler trugen reine, weisse, linnene Kleider; wollene Gewänder waren verboten, wahrscheinlich aus Furcht vor beigemischter Wolle von gefallenen Thieren, denn alles von gefallenen Thieren Herrührende galt als unrein. Auf weissen linnenen Decken und nicht auf wollenen, wie es sonst griechische Sitte war, wurde auch geschlafen. Tägliche Lustrationen und Waschungen waren gesetzlich; Quell- und Seewasser waren die vorgeschriebenen Lustrationsmittel. Sogar die Berührung von Unreinem wurde vermieden. "Man muss nicht auf menschengefüllten Strassen gehen, nicht in jedwedes Weihwasser eintauchen, sich nicht in einem öffentlichen Bade waschen; denn in allen diesen Fällen weiss man




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nicht, ob die Mittheilnehmenden rein sind," lautete die Vorschrift mit ägyptischer Peinlichkeit. Auch mit dem Darreichen der Hand bei dem Grusse sollten die Pythagoräer vorsichtig sein, welches denselben als aristokratischer Hochmuth ausgelegt und verüblet wurde. Die Mitglieder der engern Schule enthielten sich gleich den brahmanischen Büssern gänzlich des Fleisches und des Weines. Ganze Thierklassen: gewisse Fischarten, z. B. der Erythrinus, der Melanurus u. s. w., gewisse Conchylien, welche lebend gegessen werden, wie z. B. die Austern, - eine Reihe von Vegetabilien, die sonst bei den Griechen zu den gewöhnlichen Nahrungsmitteln gehörten: wie z. B. die Bohnen und die Malven u. s. w., alles dies durfte gar nicht gegessen werden. Als allgemeiner Grund dieser Verbote wird angeben, dass alles Heilige, also entweder einer Gottheit Geweihte oder zu dem Culte, zu den heiligen Bräuchen Gehörige, zu ehrwürdig sei, als dass es zum gewöhnlichenLeben verwandt werden dürfte; ein Grund, der mit der gesammten religiösen Derikweise des Pythagoras auf's Beste stimmt. - So durfte zu Dingen des täglichen Lebens kein Cypressenholz verwandt werden, denn die Cypresse war dem Zeus geweiht; ein weisser Hahn durfte nicht geschlachtet werden, denn er war dem Mond geweiht; jene Fischarten: der Erythrinus, Melanurus u. s. w. durften nicht gegessen werden, weil sie den unterirdischen Gottheiten heilig waren, ein Verbot, das ebenso bei den Aegyptern vorkommt. Ebenso durften keine Malven gegessen werden, weil sie der Sonne heilig waren. Aus einem ganz ähnlichen Grunde nach ägyptischer Priestersitte auch nicht die Bohnen; denn die Bohnen, Erbsen, Linsen und Lupinen wurden bei den Todtenopfern und Sühnungen gebraucht, den Todten mit ins Grab gegeben und zu den Todtenmahlen verwendet; sie kommen daher eben so bei den Eleusinien vor, wie in dem orphischen Dionysusdienste, d. h. bei dem Dienste der unterweltlichen Hauptgottheiten, so dass einem in diese Dienste Eingeweihten, im gewöhnlichen Leben Bohnen zu essen, als eine Entheiligung der ehrwürdigsten religiösen Bräuche erschienen wäre. Aus demselben Grunde erklärt der alte Berichterstatter das Verbot, womit selbst einzelne ganz




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unschuldige Bräuche getroffen waren, wie z. B. das Verbot: Du sollst das Brod nicht brechen, weil nämlich dieser Brauch Bezug auf das Todtengericht habe; d. h. offenbar auf jenes ägyptische Dogma, dass beim Todtengerichte die rein gesprochene Seele vor ihrem Aufsteigen in die Himmelsräume von Osiris gespeist und getränkt werde; ein Dogma, das auf römischen Grabinschriften den Wunsch: "Gebe dir Osiris das kühle Wasser,", mit dem Anwünschen der ewigen Seligkeit gleichbedeutend macht. - Denselben priesterlichen Reinigkeitssatzungen gemäss waren endlich auch die Todtenfeierlichkeiten angeordnet. Die Verstorbenen trugen, wie bei ihrem Leben, die priesterlich reinen, weissen, linnenen Gewänder; sie waren auf Blätter von Bäumen gebettet, welche den unterweltlichen Gottheiten geweiht waren, auf Blätter der Myrthe, des Oelbaums und der Schwarzpappel; der nämlichen Baumart, die dem unterirdischen Zeus in Kreta heilig war und vor seiner Grotte auf dem Ida stand; 1) der Sarg durfte nicht von Cypressenholz gemacht sein, denn die Cypresse war dem überirdischen Zeus heilig, sondern es war ein Sarkophag aus Töpferthon; der Leichnam durfte nicht nach gewöhnlicher griechischer Sitte auf einem Holzstosse verbrannt, sondern musste in die Erde begraben werden, damit ein göttliches Element, wie das Feuer, nicht durch Sterbliches verunreinigt würde, - hierin mit den Magern übereinstimmend.

Als eines Hauptmittels der sittlichen und religiösen Erziehung seiner Schüler bediente sich Pythagoras auch der Musik. Namentlich des Abends vor dem Schlafengehen liess er die Schüler durch Gesänge sich von den Leidenschaften des Tages reinigen und die zurückgebliebenen Aufregungen des Tages beschwichtigen, um sich zu einem ruhigen und die Reinigkeit des Geistes wiederherstellenden Schlafe vorzubereiten. Nach dem Aufstehen aber liess er wiederum durch Gesänge die nächtliche Verschlafenheit und Verdrossenheit verscheuchen und zu




1) Einen ganz ähnlichen Beerdigungsgebrauch hatten die Druiden, der schon oben berührt wurde und dessen Uebereinstimmung mit demjenigen der Pythagoräer sehr merkwürdig ist.



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frischer Thätigkeit aufmuntern. Pythagoras begünstigte jedoch nur die sanften Saiteninstrumente der Lyra und Kithar, gleichsam die kirchlichen Instrumente, wogegen er die mehr aufregenden Blasinstrumente verbot. - Die Sphärenmusik des Pythagoras, um dieselbe bei dieser Gelegenheit zu erwähnen, ist nichts Anderes, als ein Versuch, den Abstand der den Alten bekannten sieben Himmelskörper, der sogenannten sieben Planeten, mit den hypothetisch angenommenen, sie tragenden sieben Firmamenten nach der von dem auch musikalisch gebildeten Pythagoras mit Vorliebe betriebenen musikalisch-mathematischen Intervallenlehre der Tonleiter annähernd und durch Analogie zu bestimmen, da genauere, auf wirklicher Messung beruhende Bestimmungen der damaligen Astronomie ganz unmöglich fielen, wie denn ähnliche Versuche auf ähnliche vage Analogieen hin zu demselben Zwecke von Kepler gemacht wurden. Dass dann diese angenommene Analogie zwischen den Himmelsfirmamenten und den musikalischen Intervallen leicht zu der Vorstellung führte, dass auch die Firmamente bei ihrer unausgesetzten Bewegung ebenfalls ein Tönen, einen musikalischen Zusammenklang hervorbrächten, liegt nahe genug. 1) Wenn Polak, Geschichte der Urreligion oder Encyklopädie, S. 115, sagt, dass Pythagoras seinen Schülern bereits den Umschwung der Erde um das Centralfeuer, um die Sonne, verkündet haben solle, ist dieses nach Röth, a. a. O., S. 855 ff., insofern unrichtig, als Pythagoras sich nicht die Sonne als das Centralfeuer, sondern dieses Centralfeuer im Innern der Erde dachte, um welches freilich die Erde sich bewegte. Uebrigens sollen allerdings nach Aristoteles die Aegypter schon die Bewegung der Erde um die Sonne gekannt haben. Dem Pythagoras war die Erde eine Hohlkugel in dem Mittelpunkte der sämmtlichen Planetenfirmamente und umschliessend das Centralfeuer, den Mittelpunkt der ganzen Weltkugel. Da ferner Pythagoras die Erde wohl seiner Zehnzahl wegen in zwei Theile, die obere oder eigentliche Erde und die von den Antipoden bewohnte untere oder Gegenerde theilte, erhielt er zehn Theile der Weltkugel,




1) Röth, a. a. O., II. S. 674 u. 806.



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nämlich die Erde und Gegenerde mit dem dazwischen liegenden Centralfeuer, - die sieben durchsichtigen Planetenfirmamente für Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond, - und das äusserste undurchsichtige Fixsterngewölbe.

Die Schule oder die Lehranstalt collegium) des Pythagoras befand sich, wie schon erwähnt, in dem durch die Krotoniaten eroberten Gebiete der Sybariten, dessen Mittelpunkt das Gebäude für die Lehrvorträge, der gemeinsame Hörsaal war. Die Schüler des Pythagoras mussten gemeinschaftlich leben, d. h. zusammen wohnen und schlafen und essen, indem sie zu je zehn besondere Speisegesellschaften bildeten. Die höhere Lehranstalt des Pythagoras war die erste in ganz Griechenland, und so beginnt mit Pythagoras das gelehrte Schulwesen, das wissenschaftliche Lehren und Lernen, die Wissenschaft in Griechenland; 1) von nun an wurde es Sitte in Griechenland, die Sitze der wissenschaftlichen Schulen , selbst in Städten, wie z. B. Athen, auf Landgüter und in Lustgärten zu verlegen, wie denn z. B. Plato seine Schule auf einem solchen Landsitze hielt: in dem Garten der Akademie. Nach dem Orte der platonischen Schule sind unsere Akademieen benannt.

An die Pythagoräer schliessen sich die etwa 200 Jahre vor Christus und 100 Jahre nach ihm blühenden jüdischen praktischen Essäer in Syrien und Palästina und die einsiedlerischen und beschaulichen Therapeuten in Aegypten innigst an, da diese, wie bereits berührt wurde, aller Wahrscheinlichkeit nach aus jenen hervorgegangen sind. Ganz mit Unrecht erklärt Björnstjerna die Theogonie, Philosophie und Kosmogonie der Hindus, Stockholm 1843, S. 113, die Samariten in Aram, wie die Essäer in Palästina für Buddhisten. Noch unhaltbarer sind die Behauptungen, welche der mit Br. Polak befreundete und mit ihm für den Ursabäismus etwa schwärmende und träumende Br. Dr. Leutbecher zu Erlangen über das Alter und den Ursprung der Essäer in seiner kleinen Schrift: "Die Essäer, eine Skizze für Theologen und Freimaurer," Amsterdam 1857,




1) Röth, a. a. O., II. S. 273.



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aufgestellt hat. Er schreibt: "Die Essäer oder Essener waren eine der ältesten und merkwürdigsten, mit dem Stamme der Loviten in enger Verbindung stehende Körperschaft unter den Juden in Palästina und Aegypten. Ihren Namen hatten sie in Palästina von dem chaldäischen Worte Asa, 1) welches heilen heisst, - in Aegypten aber hiessen sie Therapeuten, von dem griechischen Worte , was gleichfalls heilen bedeutet; die Ausdrücke werden aber auch auf das Heilen der Seele bezogen, auf die Erlangung der innern Wiedergeburt des Menschen, auf seine sittliche Erhebung und Gottinnigung. " - - Abulphatach nennt die Essäer in seinen Chroniken El-Chasdim, und unter diesem Namen der Chaschdim oder Hasidim, der Gerechten oder Vollkommenen, der Heiligen und Barmherzigen, kommen sie nicht blos in den Büchern Mose, in den Büchern der Makkabäer, im Buche Esra und Nehemia, und an andern Orten der heiligen Schriften, sondern auch im Talmud vor. Im Talmud werden sie, wenn man die verschiedenen Stellen, die ihrer erwähnen, zusammenstellt, ausdrücklich als die Fortsetzung der Propheten, als die geistigen Söhne derselben bezeichnet, als solche, die nach dem Mass der Gerechtigkeit handeln und in allen Fällen des Lebens das Gefühl der liebevollen Menschlichkeit vorwalten lassen, die keinen Unterschied machen zwischen Reichen und Armen, zwischen Herren und Knechten, zwischen Fürsten und Bettlern, zwischen Hebräern und Nichthebräern, die in ihre Gemeinschaft jeden aufnahmen, der sich zum Monotheismus bekannte und der moralisch-geistigen Freiheit als reiner Mensch huldigen mochte. Sie waren die mit dem Levitenstande (5. Mos. 33, 8) verbundenen Freimaurer unter den Juden in Palästina und Aegypten, die zuerst unter dem Namen der Hanichim (1 Mos. 14, 14), dann unter dem der Sekenim, der Hechamim, der Haberim, der Bonim, der Robim und zuletzt als Chohanim vorkommen. Als Beförderer und




1) Philo leitet dagegen den Namen der Essäer in seiner Abhandlung "von der Freiheit jedes Tugendhaften," S. 457 ff., von , Gerechtigkeit, ab, weil sie keine Thiere opfern und bemüht sind, ihre Gedanken des Heiligen würdig zu halten, und so allerdings in vorzüglichem Sinne Diener Gottes sind.



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Theilnehmer an der durch Johannes den Täufer vorbereiteten und durch Jesus zum Durchbruch gebrachten Reformation des Judenthums mussten sie nothwendig den Pharisäern und Sadducäern verhasst, vom Tempelbesuch ausgeschlossen und dazu gebracht werden, dass sie sich den ersten Geheimverbindungen und Verbrüderungen der Christen, wie solche in den Johannis-Mysterien und ähnlichen Instituten sich ergaben, anzuschliessen für gut hielten. Sie trugen alle die Spade. - - Wie alt die Verbindung der Essäer schon gewesen sein möge, ehe sie zur Zeit der Nakkabäer unter Jonathan, 170 v. Chr. 1) und vielleicht noch 150 Jahre früher anfing, eine kräftige Trägerin und Vertreterin besserer religiöser und politischer Ansichten zu werden, das lässt sich zuvörderst weder aus Philo, noch aus Josephus allein mit voller Bestimmtheit entscheiden. Darüber müssen die Talmudisten befragt werden. Gerade aus dem, was diese von den Essäern oder Chaschdim, die bei ihnen identisch sind, in ihren Commentaren zur Halacha, zur Mischna und an andern Orten zu den einzelnen Titeln derselben bemerken, - besonders daraus, dass sie die Fortsetzung der Propheten und deren Söhne gewesen seien, lässt sich mit einem hohen Grade von Gewissheit annehmen, dass Philo in seinem Fragmente "über die Juden" volle Wahrheit berichtet, wenn er sagt, die Essäer reichten bis auf Moses zurück, und dieser habe selbst viele seiner Vertrauten ermuntert, ihrem Bunde beizutreten. Damit stimmt dann auch eine Hauptstelle in Josephus' "Alterthümern" (XVIII. 1, §. 2) recht gut überein, wo es heisst: "Es finden sich bei den Juden von uralter Zeit her drei philosophische Auffassungen der Patriarchenlehre, nämlich die der Essäer, die der Sadducäer und die der Pharisäer." Auch passt dann, wenn er ihnen (§. 5) das Prädikat der Gerechten als ein ihnen von uralter Zeit her zukömmliches bezeichnet. Von der Vergangenheit verstanden, sind endlich auch hier die Worte des Plinius ein Zeugniss mehr, wenn er von den Essäern sagt: "Ita (durch beständig fortdauernden Beitritt neuer Mitglieder) per seculorum millia gens aeterna est, in qua nemo,




1) Josephus, Antiq. XIII, 5, 9.



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nascitur." Nimmt man hiezu noch, was die Commentatoren des Talmud von den Chaschdin sagen, dass sie freie Bauleute, Freimaurer gewesen seien, und dass die hebräischen Freimaurer unter den verschiedenen bereits angegebenenNamen bis auf die Zeit Abrahams zurückreichen, - so lässt sich nicht leicht mehr an dem hohen Alter der Essäer zweifeln. Ob sie als Körperschaft schon vor Moses in Aegypten entstanden sind, oder erst unter Moses gleichsam als Hülfsinstitut zur Bewahrung des Monotheismus und der darauf sich stützenden Civilisation dem Stande der Leviten beigegeben wurden, das lässt sich nicht mit Gewissheit entscheiden; das Letztere ist mir jedoch das Wahrscheinlichere, denn Philo selbst führt und deutet darauf. Vielleicht bestanden sie schon vor Moses in Aegypten, um unter dem Druck der Pharaonen ihrer Väter Glauben und Lehren zu bewahren. Wenn Gfrörer nach einer Stelle in Josephus' "Alterthümern" (XIII. 5, §. 9) das Auftreten der Essäer in die Zeit des Priesters Jonathan (152 v. Chr.) bestimmt, oder um 170 v. Chr., und Bellermann es mit Andern auf 166 v. Chr. setzt, so ist damit der obigen Annahme eines höhern Alters nicht widersprochen, sondern es ist damit nur bezeichnet, dass die Essäer um diese Zeit, eben in politisch-religiöse Kämpfe verwickelt, eine öffentliche Bedeutsamkeit gewonnen hatten, während sie vorher weit mehr im Stillen lebten und wirkten. Weder Josephus, noch Philo enthält eine Stelle, welche ausdrücklich sagte, dass erst um diese Zeit und nur um diese Zeit die Verbrüderung der Essäer mit der sogenannten Johannis-Maurerei zusammen entstanden sei, die wir in dem Talmud, in der Abhandlung Joma und im Midrasch Rabba, Buch Bamidler, im Abschnitte Bechalotheha bezeichnet finden, und die für die drei grossen Gebiete der Gottinnigkeit, der Menschheit-Innigkeit und des Menschheit-Vereinlebens das grosse Prinzip der Freiheit aufstellte und sagte: "Ein Gott! Ein die Menschheit ehrender Staat mit Einem Oberhaupte! Eine Menschenliebe!"

Wir haben absichtlich die falschen und theilweise sehr unhistorischen Behauptungen des Br. Leutbecher so ausführlich mitgetheilt, um an einem deutschen neuesten




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Beispiele zu zeigen, dass die unglückliche maurerische Geschichtssehreibung, wie sie Anderson in dem Anfange des vorigen Jahrhunderts in seinem Constitutionenbuche zu London begonnen und worin er den Noah als Meister vom Stuhl und unter seinen drei Söhnen Cham, Ham und Japhet den einen als deputirten Meister und die beiden andern als Vorsteher dargestellt hatte, leider noch immer wie eine Krankheit sich forterhalte. Was hier Leutbecher, dessen maurerisches Streben und Wirken übrigens sonst alle Anerkennung verdient und den wir trotz der abweichenden Ansichten hochachten und verehren, ganz in der Kürze vorgetragen hat, hat ausführlich zwei Jahre vorher Polak als die alte Lehre der Patriarchen, den unverfälschten Sabäismus, die Naturreligion in seiner Geschichte der Urreligion und in der Tapis abgehandelt. Polak wähnt aus den Büchern Mosis selber mit vollständiger historischer Evidenz erwiesen zu haben, dass die Juden eine Volksreligion und eine geheime Priesterreligion, Priestermysterien hatten, in welche letztere die Isismysterien, 1) die höhere Religion durch Moses geflüchtet und gerettet werden mussten, nachdem er an dem goldenen Kalbe erkannt hatte, dass sie nicht zur Volksreligion der Juden gemacht werden können, über das goldene Kalb das Volk sich noch nicht zu erheben vermöge. 2) Die Urreligion, den Ursabäismus und Urmosaismus, das Mysterium der jüdischen Priester hat Polak dann auch den Scharfsinn, aus der maurerischen Tapis hellleuchtend herauszulesen. Dass aber Br. Leutbecher solche unhaltbare Behauptungen über die Essäer wagen durfte, als er gethan hat, ist um so auffallender und unbegreiflicher, als er in seiner Skizze die Literaturtitel nennt und ohne Zweifel auch kennt. Wenn Br. Leutbecher z. B. nur die "Fragmente über den Bund der Essäer in Briefen" von Br. Mörlin im Altenburger Journale für Freimaurerei, Bd. II. S. 79-111 u. S. 192-220,




1) Nach Polak, Geschichte der Urreligion, S. 191 und 192, ist der Jehovahkultus identisch mit dem Dienste beim Tempel des tyrischen Herakles, - das sogenannte Schild Davids, d. i. zwei in einander geschobene Dreiecke, ein verkapptes maurerisches Symbol Davids - und Salomo hat die Isisweihe in Aegypten selbst erhalten.
2) Polak, Tapis, S. 18 ff.



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oder den ganz ausgezeichneten Artikel von Mossdorf über die Essäer in Lennings Encyklopädie berücksichtigt hätte, würde er nicht geschwärmt haben. Mit Leutbechers Skizze 1) ist gleichzeitig und in nächster Nähe von ihm erschienen: "Jesus, der Essener-Meister, dargestellt nach dem Traumgesichte seiner Mutter Maria bei Matth. 4, 1-11 (gewöhnlich die Versuchung Jesu in der Wüste genannt) und dies Traumgesicht aus seiner Bildersprache in die gewöhnliche Begriffssprache frei übertragen und durch Anmerkungen erläutert, Nürnberg 1857, von Lippert." Diesem Buch vorausgesandt hatte Lippert ein anderes im J. 1856 unter dem Titel: "Sulamith, die verstossene Gemahlin Salomo's (nach dem sog. hohen Liede) seit 2800 Jahren zum ersten Mal aus seiner Traumbilder-Sprache in die gewöhnliche Begriffs-Sprache frei übertragen und seinem Inhalt und Sinn gemäss erklärt." Lippert hat, wie er in der Vorrede zum Essener-Meister erzählt, es zur Aufgabe seines Lebens gemacht und seit länger als 50 Jahren daran gearbeitet, den Bilderschleier aufzuheben, der seit Jahrtausenden die Mythen aller Religionen und aller Völker der Erde von Hesiod und Moses an bis auf Mahommed und Smith (den Normonenpriester) entweder entstellt oder doch in mystisches Dunkel gehüllt hat. Er glaubt nun sein Ziel im Wesentlichen erreicht zu haben und legt der Welt als Proben seiner errungenen Erfolge, - seiner Entdeckungen unter dem gehobenen Schleier die beiden Schriften oder Schriftchen vor. Dabei legt sich der gewissenhafte Verfasser selbst die Frage vor: sind diese Sätze für die moralische Entwicklung der Menschheit auf ihrer gegenwärtigen Bildungsstufe nicht etwa gefährlich ? "Selbst Jesus forderte in einem solchen Falle zur Verschweigung der Wahrheit mit den Worten auf: ""Ich hätte euch noch Vieles zu sagen, aber ihr könnt es nicht tragen."" - Auch




1) Das hier über Br. Leutbecher gefällte Urtheil müssen wir leider im Wesentlichen auch ausdehnen auf seine neueste Abhandlung über die Einweihung in die indischen Mysterien in Nro. 44 ff. der Bauhütte für 1860. Hier wird z. B. gesagt: "Der Tempel Salomo's, von Phöniciern erbaut, hatte seinen ganzen kosmischen Apparat, Sonnenwagen und Sonnenrossse," von welchen wohl bis jetzt bei dem salomonischen Tempel Niemand gehört und gewusst hat.



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der Verfasser hat noch andere Resultate auf diesem Wege aufgefunden und hält es allerdings für gut und nothwendig, diese (wenigstens gegenwärtig) noch zu verschweigen." - Wenn Lippert bei gesunden Sinnen ist und schreibt, rückt er mit seinen Entdeckungen heraus, denn er darf beruhigt sein, dass er die Menschheit nicht gefährdet. Hätte er den Schleier von dem Bilde der Isis zu Sais wirklich gehoben, wäre er verstummt gleich jenem Jünglinge, der ihn gehoben hatte. Wenn nicht Alles täuscht, ist Lippert ein durch die französischen Gaukeleien der ägyptischen Maurerei (des von dem berüchtigten Cagliostro erfundenen rite de Misraim ou d' Égypte 1) mit ihren neunzig Graden Betrogener, der die mit schwerem Gelde bezahlten Lügen für theure Wahrheiten hält. Meine Vermuthung, dass dem gutgläubigen Deutschen nur ein grosser Pariser Bär aufgebunden worden sei, stütze ich neben Anderem besonders auf nachfolgende, S. 54 des Essener-Meisters vorkommende Aeusserung: "Schon Pythagoras besass Kunde und selbst einige Kenntnisse von der Sprache der Geisterwelt (so nennt Lippert die missverstandene Zahlensymbolik), die er wahrscheinlich aus derselben Quelle geschöpft hatte, woraus die Essener sie erhalten hatten, nämlich: von den ägyptischen Priestern des höchsten Grades. - Aber seine Kenntnisse von dieser Geistersprache sind sehr unvollständig, weil er die Bedingungen zur Erlangung der letzten und höchsten Weihen jener Priester zu erfüllen nicht vermochte. Denn diese Bedingungen bestanden darin, dass er sich, wie Jene, ganz von der Aussenwelt zurückziehen und bei ihnen im Innern ihrer Tempel einzig und allein dem Erforschen höherer Wahrheit und Weisheit sich hätte widmen müssen, ohne sein Wissen jemals praktisch anwenden zu dürfen, - was aber seinen Planen durchaus entgegen war. - Doch erhielt er bekanntlich sehr hohe Weihen und brachte in Folge derselben grosse und tiefe Kenntnisse von jenen Priestern zurück, und unter diesen waren wahrscheinlich auch diejenigen, aus welchen er - aber mit vielen eigenen Zusätzen vermischt - sein ge-




1) Kauffmann et Cherpin, histoire philosophique de la Franc-Maçonnerie, pag. 479 ff.



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heimes Zahlensystem bildete. - Er fand (oder erhielt?) sogar das Traumbild für den Gesammtbegriff der fünf kosmoggnischen Grundprincipien, nämlich das sog. pythagoreische Fünfeck."

Der vorgehende, etwas schärfere Tadel der abweichenden Ansichten und Behauptungen Anderer wird vielleicht auffallen oder selbst wieder getadelt, welches Letztere jedoch der Verfasser nicht verdient hätte. Die geschichtliche Literatur der Freimaurerei und mit ihr diese selbst während des vorigen Jahrhunderts bewegte sich zum grösseren Theile auf einem völlig ungeschichtlichen und rein erträumten Boden, ohne alle Kenntniss und Berücksichtigung der wahren Geschichte; war nur ein salomonisches, pythagoreisches, buddhistisches, essenisches oder templarisches u. s. f. Traumgebilde oder selbstersonnenes Mythengebäude, welche für volle Wahrheit gehalten und als solche im möglichsten Geheimniss fortgetragen wurden. Wie sehr nun von Einzelnen, z. B. von Fessler, Schröder, Krause, Mossdorf, Schneider, Mörlin u. s. w. gegen diese ungeschichtliche Geschichtschreibung und Maurerei gekämpft worden ist, dennoch waren bis jetzt alle diese Bemühungen im Ganzen erfolglos, wie namentlich noch jetzt besonders die französische und amerikanische Maurerei und Literatur, sowie selbst in Deutschland die angegriffenen Schriften beweisen. Polak hat zur Verwirklichung seiner geschichtlichen und religiösen Ansichten sogar in Amsterdam eine freilich als gerecht und vollkommen nicht anerkannte Loge: "Post nubila lux" gegründet, welche gegen 400 Mitglieder zählen soll, wie mir von einem Mitgliede derselben, Br. Kruthoffer in Wiesbaden, noch neuerlich mitgetheilt worden ist. Diese Uebelstände und Verirrungen werden nur alsdann aufhören, wenn die Maurerei möglichst auf das Gebiet der ernstlichen wissenschaftlichen Forschung hinübergezogen wird und wenn bei dieser Forschung die gesammte Wissenschaft als solche, also namentlich auch solche Forscher und Gelehrte sich betheiligen, welche keine Maurer sind.

Die Essäer bildeten eine Art Orden , der aus Strebenden (Lehrlingen), Nähertretenden (Gesellen) und Vertrauten (Meistern) bestand und also drei Grade hatte.




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Josephus, und nach ihm manche neuere Schriftsteller, z. B. Stäudlin, a. a. O., I. S. 461 u. 479, Leutbecher, a. a. O., S. 21 unten, sprechen zwar von vier Klassen oder Graden der Essäer: allein die Angabe des auch in anderer Hinsicht irrenden Josephus ist gewiss unrichtig und ist aus dem Irrthume entstanden, dass er entweder die in der einjährigen Vorbereitung und Prüfung für den ersten Grad Begriffenen oder aber die Vorsteher, die sog. Aeltesten der Essäer für einen besonderen Grad ansah. Erst der Vertraute legte das eigentliche Ordensgelübde ab, indem er durch einen feierlichen Eid versprechen und geloben musste: 1) Liebe zu Gott; 2) liebevolle Gerechtigkeit gegen die Menschen, namentlich Niemanden zu verletzen, für die Frommen zu streiten, Jedermann Treue zu halten, besonders der Obrigkeit zu gehorchen, weil ohne Gottes Wille und Einsetzung Niemand ein Amt bekleide; 3) Reinheit des Gemüths, wozu gehörte vorzüglich Demuth, Wahrheitsliebe, Hass der Lüge und Verschwiegenheit. - Die Essäer hatten nach der Weise des Morgenlandes ihren Glauben und ihre Lehrsätze in Symbole, in Bilder eingehüllt und sie selbst erschienen sich oder den Griechen nach Creuzer in dem Bilde der Bienen wegen ihres Fleisses und ihrer Ordnung, wegen ihrer Gerechtigkeit, wegen ihrer Lehre von der Wanderung der Seele aus dem reinen Himmelsäther zur Erde und von dem Auffluge derselben dahin zurück aus dem Kerker des Leibes und des Lebens. Der Hauptsatz der essäischen Lehre, welcher zugleich in allen gebildeten Religionen des Alterthums wiederkehrt und allen Mysterien der Alten zur Unterlage dienet, war: Der Leib ist vergänglich und woraus er besteht, hat keine Dauer; die Seelen sind unsterblich und bleiben immer; aus dem feinsten Aether gebildet und entsprungen, werden sie durch eine natürliche Neigung zu den Körpern herabgezogen, - wenn sie aber deren Fesseln abgeworfen haben, dann freuen sie sich wie Solche, die einer langwierigen Krankheit entgangen sind, und schwingen sich aufwärts. Die Guten werden zur Belohnung in ein glückliches Land aufgenommen, das die Leiden und Plagen der Erde nicht kennt; die Schlechten müssen an einem dunkelen und frostigen Orte unaufhörliche Strafe erdulden. Das




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Leben stellten sich die Essäer als den edelsten Kampf vor, der allein durch Entsagung, Mässigkeit und Reinheit glücklich gekämpft werden könne und wobei man die Bienen zum Vorbilde nehmen solle, denn die Bienen sind der Geist in der Materie, sie wachen und wehren; sie entwinden sich der Materie, sie meiden Alles, was hernieder zieht und beschwert. Die Seelen, die ein gerechtes Leben zu führen gesinnet sind, die wieder zurückkehren wollen, nachdem sie Werke gethan, die Gott gefallen, sind Bienen, indem sie gleich denselben heimathliebend, streitend, strebend, weise, rein sind. Das Werk der Bienen, der Honig, sänftigt, gibt Ruhe und Schlaf, erhält, macht das Auge gesund und hell; aber er löset auch auf und wiegt in den Tod ein. Darum oder wegen der uralten Lehre, dass der Tod süss und das Leben bitter sei, war der Honig auch das Bild des Todes. Genuss des einfachen Honigs als Nahrungsmittels galt als Zeichen der Enthaltsamkeit und Mässigung bei den Essäern, wie bei den Pythagoräern. Unverkennbar hatten die Essäer die Verfassung und Einrichtung ihres ganzen Bundes dem Bienenstocke nachgebildet, wollten unter den Menschen sein, was unter den Thieren die Bienen sind. Philo sagt von den Essäern: "Nachdem sie an die heiligen Orte gekommen, welche man Synagogen 1) nennt, setzen sich die Jünger in Abtheilungen dem Alter nach nieder und verhalten sich mit gebührendem Anstand als Zuhörer. Als dann nimmt der Eine die Bibel und liest daraus vor; ein Anderer von den Erfahrensten liest schwer verständliche Stellen vor und geht sie durch; denn sie philosophiren meistens in einer sehr alten Bildersprache. Sie unterrichten sich in der Religion, Gerechtigkeit, Haushaltung, in der Wissenschaft des wahrhaft Guten, Bösen und Gleichgültigen, in der Kenntniss, das Beste zu wählen und das Entgegengesetzte zu fliehen. Hierbei bedienen sie sich einer dreifachen Grundbestimmung und Grundregel: der Gottliebe, der Tugendliebe und der Menschenliebe." 2)




1) Eigentlich Seimneion.
2) Vergl. über die heidnischen Essener , besonders zu Ephesus, und über die jüdischen Essner und Therapeuten auch Creuzer, Syrnbolik, IV. S. 363, 364, 382, 391 und S. 404 ff.



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Die heidnischen Essener in Kleinasien und die jüdischen Essäer in Syrien und Palästina aus Oberasien oder vielleicht aus Persien herzuleiten, wie es z. B. Creuzer a. a. O., IV. S. 407, thun will, liegen keine genügenden Gründe vor, denn das wenige Zarathustrische, was bei den Essäern sich findet, kam ihnen aus der Hand der Pythagoräer zu, indem wir wissen, dass auf diese auch die Zarathustrischen Ansichten und Einrichtungen von Einfluss gewesen seien. Die Sonne war den Pythagoräern und den Essäern ein Lichtsymbol, wie sie auch den Maurern noch ein solches ist, und deshalb beteten sie besonders gegen die aufgehende Sonne gewandt und erflehten von dem Geber alles Lichtes für den kommenden Tag ein reines und glückliches (geistiges) Licht, Seelenreinheit und Tugend, Wahrheit und Gerechtigkeit. Wird doch ähnlich in einem alten protestantischen Morgenliede also zur Sonne gebetet:

"Brich an, du schönes Tageslicht!
Brich an in deinem Purparkleide!
Erheb' auch dich, mein Geist, und richt'
Den Blick zum Urquell aller Freuden!"

Der Vendidad Farg. XXI, 20 und 21 sagt:

"Gehe auf, o glänzende Sonne, mit deinen schnellen Pferden über den Hara-berezaiti und leuchte den Geschöpfen. Erhebe dich also, wenn du verehrungswürdig bist, auf dem Wege, den Ahura-mazda geschaffen hat, in der Luft, welche die Baghas (Götter) geschaffen haben, auf jenem geschaffenen wasserreichen Wege."

Obwohl sonst der Parsismus auf die Juden in der babylonischen Gefangenschaft und unter der persischen Herrschaft in Syrien und Palästina tief eingewirkt, namentlich ihnen die Lehre von der Wiederauferstehung der Todten gegeben hat, ist es sogar auffallend, dass bei den Essäern nach Demjenigen, was wir bis jetzt darüber wissen, die eigentlich Zarathustrischen Lehren, besonders dessen physischer und ethischer Dualismus gar nicht hervortreten. Die Essäer in Palästina waren eine pythagoreische Lehr- und Bildungsanstalt, verändert nach den jüdischen Verhältnissen und namentlich die Mathematik, Astronomie, mathematische Musik und Philosophie hinweglassend, womit




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sich ja die Juden niemals abgegeben haben, und wesentlich nur die Morallehre und Arzneiwissenschaft, die Heilkunst der Seele oder des Geistes und des Körpers beibehaltend. Da der grössere Theil der jüdischen Essäer (zu Josephus' und Philo's Zeiten sollen nach deren Zeugniss 4000 gewesen sein) das unverehelichte Leben als das allein angemessene erklärte, suchten sie ihren Bund dadurch fortzuerhalten, dass sie junge, tüchtige Knaben bei sich aufnahmen, erzogen und bildeten, wie denn vielfach ist behauptet worden, dass auch Johannes der Täufer und Christus selbst essäische Zöglinge und Sendlinge gewesen seien, den Essäern also an dem Aufkommen und der Verbreitung des Christenthums ein wesentlicher Antheil gebühre. - Leutbecher sagt von Johannes, S. 27: "Johannes der Täufer war Essäer, hebräischer Freimaurer, wie es alle Glieder de Stammes Levi waren, dem er angehörte. Er trug stets das Symbol der Essäer oder Chaschdim, die Spade (Matth. 3, 22)." Das Letztere ist völlig unwahr; denn Johannes spricht, Matth. 3, 11 u. 12, wörtlich: "Ich zwar taufe euch mit Wasser zur Busse; der aber nach mir kömmt, ist stärker als ich, dem ich nicht genugsam bin, die Schuhe zu tragen: derselbe wird euch mit dem heiligen Geiste und mit Feuer taufen. Dieser (Christus und nicht Johannes) hat die Wurfschaufel in seiner Hand, und wird seine Tenne säubern, und seinen Weizen in die Scheune sammeln; die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen."

In dem Feste Johannis des Täufers begehen die Maurer das Jahresfest ihres Schutzheiligen, und sie haben Johannes den Täufer, wie John Poynel im Jahr 1555 der Königin Maria von England versichert haben soll, deshalb zu ihrem Schutzheiligen erwählt, weil er lehrte, dass Der, welcher zwei Kleider habe, eines davon dem Dürftigen geben, Wer aber Speise habe, auch diese mit Dürftigen theilen, überhaupt ein Jeder mit Dem, was er habe, zufrieden sein und sittlich leben solle. Schon darnach ist mithin Johannes der Täufer den Maurern Vorbild der Menschenliebe und Barmherzigkeit, der Enthaltsamkeit und Zufriedenheit, der Sittlichkeit; vorzugsweise sollte Johannes Vorbild der Mildthätigkeit sein, wie es auch im Mittel-




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alter sehr viele wohlthätige, ihm gewidmete Mönchsgesellschaften in allen Ländern Europa's gab und die meisten Hospitäler ihm geweiht waren. Besonders gehören hierher das Hospital zum heiligen Johannes in Jerusalem mit den schon im Jahr 1113 durch Papst Paschalis II. bestätigten Hospitalitern oder Johannitern, den mächtigen Nebenbuhlern der etwas später in Jerusalem entstandenen Templern; in dem johannischen Hospitale wurden anfänglich mit grösster Duldsamkeit Pilger, Kranke und Hülfsbedürftige der verschiedensten Religionsparteien gepflegt und unterstützt. 1) Schon Krause, Kunsturkunden, II. 2. S. 51 ff., hat darauf aufmerksam gemacht, dass zwischen den Aufnahmsgebräuchen des Johanniterordens und überhaupt der Mönchsorden und den maurerischen sich viele Aehnlichkeit und Uebereinstimmung finde, und deshalb die Vorschriften der Johanniter über die Aufnahmsgebräuche (modus recipiendi fratres ad ordinem) mitgetheilt. - Die Pfleger des Hospitals zu Jerusalem hatten die Regeln und die Kleidung der geregelten Augustiner Chorherren angenommen und hefteten ein weisses Kreuz mit acht Spitzen auf die linke Seite ihres schwarzen Mantels. Johannes der Täufer folgte der harten Priesterregel der jüdischen Essäer; von Kameelhaar war sein Kleid und seine Nahrung war wilder Honig und Heuschrecken; ihm genügte die dürftige Kost, welche dem Prediger in der Wüste selbst die Einöde gewähren könnte. Ob Johannes wirklich dem Bunde der Essäer angehört habe, ist bestritten und kann bei der Dunkelheit, die auf der ganzen Jugendgeschichte desselben ruht, nicht erwiesen werden. Unläugbar war Johannes geboren und lebte bei den Niederlassungen der Essäer unfern vom todten Meere; ebenso war seine ascetische Lebensweise und seine strenge Sittenlehre jedenfalls unter der Anregung und dem Einflusse der Essäer entstanden, - waren jedenfalls dem Geiste nach essäisch, obwohl Johannes bei seinem Hervortreten als Bussprediger nicht die weisse Kleidung der Essäer trug, - wenn er wirklich ein Essäer war, vielleicht um seinem Bunde keine Verlegenheiten und keine Anfeindungen zu bereiten. Viele, und darunter selbst Theolgen,




1) Raumer, Geschichte der Hohenstaufen, I. S. 486.



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wie Wegscheider, betrachten die johanneische und die spätere christliche Taufe als im Zusammenhange stehend mit der Weihe des reinen Wassers, wodurch, wie bei andern Mysterien des Alterthums, in den Bund der Essäer die Aufnahme erfolgte; wenn Josephus berichtet, dass durch die Wasserweihe die Aufnahme in den zweiten Grad der Essäer erfolgt sei, kommt dieses, wie schon angedeutet, daher, dass Josephus aus den blosen Kanditaten, welche natürlich geprüft und beobachtet wurden und mindestens ein Jahr lang bis zu ihrer Aufnahme zuwarten mussten, schon den ersten Grad gemacht hatte. Gleichviel, ob die Essäer von den Pythagoräern herstammen und von Aegypten ausgegangen sind, oder auf die Parsen zurückgeführt werden müssen, hatten sie jedenfalls nur drei Grade, weil die Pythagoräer und die Parsen nur diese Grade hatten und dieselben zugleich an sich natürlich, gleichsam naturnothwendig sind. Ist die johanneische und christliche Taufe den Essäern entlehnt und nachgeahmt, war sie also ursprünglich an sich nur eine Receptionslustration; jedoch fasste Johannes die Taufe zugleich und wesentlich als das Symbol der Verpflichtung zur Reue und Besserung, zur geistigen Reinigung, zur Läuterung des ganzen inneren Lebens; sie war die Weihung und Kräftigung für das messianische Leben, für das Christusleben und Christusreich. 1) - Das Johannisfest wollte ursprünglich die katholische Kirche als den wirklichen Geburtstag (dies natalis) des Täufers feiern; aber bald trat der Gedanke an den irdischen Geburtstag in den Hintergrund und das Fest wurde, wie bei den andern Heiligen, zur Feier des Todes oder des Eingangs in das himmlische Leben. In diesem Sinne pflegte man das Fest mit Blumen und besonders mit Rosen zu schmücken. 2)

Das dunkele, geschichtlich nicht aufgeklärte und bei unsern Quellen wohl kaum jemals aufzuklärende Verhältniss des Täufers zu Christus haben Einige leicht durch die




1) Vergleiche Ersch und Gruber, alIgemeine Encylopädie, Sect. II. Theil XXII, S. 94 ff. (Johannes der Täufer, von Willibald Grimm).
2) Willibald Grimm bei Ersch und Gruber, a. a. O., S. 263 (Johannisfest)



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Behauptung gelöset, dass der Täufer und Christus in dem Bunde der Essäer erzogen und als Eingeweihte von diesem ausgesandt worden seien, um eine reinere Religionslehre gegenüber dem erstarrten Judenthum und besonders den jüdischen Secten der Pharisäer und Sadducäer zu lehren. Zu dieser Ansicht neigt sich selbst Stäudlin, indem er a. a. O., S. 479, aus dem furchtbaren Eide, den die Essäer bei ihrer Aufnahme schwören mussten, folgert, dass der Orden und zwar vornehmlich in den höhern Graden Geheimnisse gehabt habe, von welchen Josephus und Philo Nichts wussten und welche gar nicht öffentlich bekannt wurden; in die eigentlichen Geheimnisse des Ordens, die auf weitaussehende Plane zur Verbesserung der Sitten unter den Menschen gingen, seien nur Diejenigen eingedrungen, welche bis in den höchsten Grad gelangt waren. Die gesammten Zeitverhältnisse des jüdischen Volkes und Reiches in den zwei Jahrhunderten vor Christus machen es allerdings wahrscheinlich, dass die Essäer ein geheimer religiös-patriotischer Bund gewesen, aber Sicheres wissen wir nicht. Ständlin, a. a. O., I. S. 581, bemerkt in dieser Beziehung noch: "Was thut es, dass uns Philo und Josephus nichts von der Erwartung des Messias unter den Essäern sagen? Im Orden selbst war nichts damit anzufangen, aber der Orden, der ohne Zweifel grosse geheime Zwecke hatte, konnte diese Erwartung sehr geschickt benutzen, um dadurch eine wichtige moralische Revolution in der Nation zu bewirken. Als der Anfang dazu gemacht war, da war es kein Wunder, wenn nun manche Essener selbst Christen wurden. Deutliche Spuren davon werden wir in den Briefen an Epheser, Colosser und den Thimotheus antreffen. Den Mathäus scheint Clemens von Alexandrien als einen Essener beschreiben zu wollen." - Die Essäer würden durch ihre geheimen Reformationspläne mit den Pythagoräern zusammentreffen und beide hätten sich als eines Mittels zur Verwirklichung ihrer Pläne der Jugenderziehung, der Volksbelehrung, der Predigt der Besserung bedient. Bei seiner Ankunft in Kroton begann Pythagoras vor den Jünglingen, vor dem Senate, vor den Knaben und den Frauen in einem ähnlichen Sinne Reden




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zu halten, wie etwa 500 Jahre später Johannes und Christus dem jüdischen Volke predigten.

Leutbecher, S. 287 stellt die Gründe für die essäische Sendung Christi also zusammen:

  • Die Reden Jesu, seine Handlungen,. sein Tod, tragen essäischen Charakter;
  • die Taufe ist Essäer Weihung und Christus wurde als ein Erwachsener von einem Essäer getauft;
  • die Lehre der Essäer und die Lehre Jesu haben sehr grosse Aohnlichkeit;
  • der Ritus in den ersten Christengemeinden; die gemeinsamen Mahle der Essäer und die Agapen (ja man könnte sagen: die Gütergemeinschaft) der ersten Christen.

Lippert ist es eine ausgemachte Sache, dass Johannes und Christus in den essäischen Anstalten erzogen worden und von dort ausgegangen seien; auch nach Ansicht Anderer befand sich Christus von dem zwölften Jahre seines Lebens bis zum dreissigsten oder bis zu seinem öffentlichen Auftreten bei den Essäern, weshalb über diesen wichtigsten Zeitraum des Lebens Jesu wir keinerlei Nachrichten besitzen. Ausserdem macht Lippert auf den allerdings sehr auffallenden Umstand aufmerksam, dass weder in den Evangelien, noch in den Briefen der Apostel der Namen der Essäer genannt wird, wogegen der Secten der Pharisäer und Sadducäer häufig Erwähnung geschieht. Die Benennung als Bruder in den neutestamentalische Schriften haben wir schon früher berührt. Nach Lippert haben sodann die essäischen Aerzte Jesus vorn Tode erretten wollen, indem sie ihm am Kreuze einen Schlaftrunk gaben, die römischen Grabeswächter bestachen und den Leichnam hinwegnahmen, um ihn wieder zu beleben, aber der unvorhergesehene Lanzenstich in die Seite vereitelte den wohlausgedachten Plan. 2) - Der besonnene und gelehrte Stäudlin, a. a. O., I. S. 572, schrieb schon im Jahr 1799:

"Immer ist es mir noch sehr wahrscheinlich - was ich schon anderswo, nicht ohne erfolgten Widerspruch, behauptet habe, und jetzt weiter auszuführen gesonnen bin




1) Rath, a. a. O., II. S. 425 ff.
2) Lippert, der Essener-Meister, S. 39 ff.



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- dass Jesus, als Knabe in dem Institute der Essener erzogen, unterrichtet, gebildet, zum Jüngling herangewachsen, und von dem Orden zur Bewirkung einer grossen moralischen Revolution ausgesandt und bestimmt worden sei. Diese Behauptung enthält einen hinreichenden Grund, sowohl für sein Verschwinden aus der öffentlichen Geschichte in einem sehr ansehnlichen Zeitraume, als auch für das, was er nachher, da er wieder zum Vorschein kommt, gelehrt, gethan und ausgeführt hat. Die Geschichte sagt es ausdrücklich, dass die Essener sich mit der Erziehung und dem Unterrichte fremder Kinder beschäftigt und ihnen dieselbe Sorgfalt und Zärtlichkeit gewidmet haben, wie wenn es ihre eigenen Kinder wären. In der ganzen Geschichte der Moral unter den Ebräern vor und zu Jesu Zeiten, treffen wir durchaus nichts an, was so mit der Sittenlehre Jesu übereinstimmte, als die Lehre der Essener. Ihr ganzes Institut war so beschaffen, dass sich in demselben am ehesten ein solcher erhabener Charakter, wie der Charakter Jesu war, bilden konnte. Eine solche Absichte als durch Jesum ausgeführt ist, lässt sich noch am besten zu den Geheimnissen, welche der höchste Grad im Orden hatte, rechnen. Wer meine vorhergehende Darstellung des Essenismus auch nur mit gewissen allgemeinen Kenntnissen vom Zwecke, Inhalte und den ersten Schicksalen des Christenthums vergleicht, wird schon von selbst einsehen, wie gegründet diese Bemerkungen sind und wie vieles sie aufklären. Es ist jedoch der Mühe werth, noch einige nähere Erläuterungen und Beweise hinzusetzen."

"Die Aehnlichkeit zwischen dem Essenismus und Christianismus ist so gross, dass schön mehrere Kirchenväter und verschiedene neuere Gelehrte auf den Gedanken geleitet worden sind, die Essener, wenigstens die Therapeuten, seien Christen gewesen. Eusebius sucht dies schon mit vielen Gründen zu beweisen. Er vergleicht die Nachrichten des Philo mit den Nachrichten der Apostelgeschichte von den ersten Christen und findet eine vollkommene Identität. 1) Darin hat er sich ohne Zweifel geirrt. Die ganze Beschreibung des Philo und Josephus leitet dahin, dass




1) Kirchengeschichte 2, 16. 17.



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die Essener und Therapeuten Juden waren, allein es bleibt immer merkwürdig, dass schon Eusebius auf die Verwandtschaft der Essener und Christianer bis zu einem solchen Grade aufmerksam wurde, und sie lässt sich auch nicht wohl verkennen. Nur muss meine Hypothese richtig gefasst werden. Wenn ich den Essenismus mit als einen Erklärungsgrund der Sittenlehre Jesu ansehe, so behaupte ich gar nicht, das Jesus in allen Stücken, wie die Essener, gelehrt habe, dass keine Verschiedenheit zwischen Christenthum und Essenismus sei, dass die ersten Christen ganz, wie die Essener, gelebt haben. Es bedurfte eine anders modifizirte Lehre, Lehrart und Anstalt für die Welt, als für eine einsame Gesellschaft, für einen geheimen Orden. Die Pythagoräer, welche in die Welt ausgingen und Staatsämter verwalteten, konnten nicht mehr die vollkommenen Pythagoräer spielen. Man kann selbst einräumen, dass Jesus hie und da etwas an der Lehre und Anstalt der Essener missbilligt hat. Aber immer bleibt es mehr als wahrscheinlich, dass eine Hauptquelle des Christenthums in dem Essenismus liegt."

Zu den essäischen Lehren Christi und zu den essäischen Einrichtungen des Christenthums rechnet Stäudlin, a. a. O., I. S. 574 ff., sodann vorzüglich dessen Lehre vom Eide und von der Beschränkung des Gebrauches desselben, - die Lehre von der natürlichen Gleichheit aller Menschen, - die in der ersten Christengemeinde zu Jerusalem eingeführte Gütergemeinschaft, - das brüderliche Zusammenspeisen beziehungsweise die Liebesmahle, das Abendmahl der ersten Christen, ihr Vorlesen und moralische Deutung der Bücher des alten Testamentes, ihre Waschungen, d. h. die Taufe u. s. w. 1) Das Gebot Christi aber, Gott mit ganzem Herzen und seinem Nächsten als sich selbst zu lieben, worauf nach der Meinung von Christus sich der ganze moralische Inhalt des alten Testaments sollte zurückführen lassen, war vor Allem mit der Lehre und dem Geiste der Essäer übereinstimmend und umfasste die essäische Liebe zu Gott, die Liebe zur Tugend und




1) Vergl. auch Apostelgeschichte II. 42 ff. und IV. 32 ff.; Stäudlin, a. a. O., I. S. 659 ff.



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die Liebe zu allen Menschen. Sehr schön und tief gedacht ist, was Stäudlin, a. a. O., I. S. 582 ff., darüber bemerkt, wie durch seine Lehre, sein Leben und Sterben Christus die von ihm beabsichtigte grosse Völker- und Weltumgestaltung in Ausführung gebracht habe. S. 611 sagt Stäudlin: "Jesus war zugleich moralischer Volkslehrer, Weltlehrer, Prophet und ein lebendiges Muster seiner Moral, - ein göttlicher Menschensohn und menschlicher Gottessohn (S. 625)."

Ferner ist aus den Einrichtungen der Essäer und Therapeuten und zum Beweise ihres Ursprunges aus dem pythagoreischen Bunde noch hervorzuheben, dass auch die Therapeuten gleich den Pythagoräern Frauen an ihrem Bunde Theil nehmen liessen und ihre Zwecke und Pläne sich somit in dieser Richtung dadurch als weitergehende darstellen, dass sie auch das weibliche Geschlecht in ihren Wirkungskreis hineinzogen. Solche theilnehmende Frauen hiessen bei den Pythagoräern (Schülerinnen, Lehrlinge), , und bei den Therapeuten Therapeutinnen, Pflegerinnen, Gottesverehrerinnen. 1) Der gemeinsame Versammlungsort, das Semneion, der Therapeuten war in zwei Theile getheilt und durch eine Zwischenmauer bis auf eine gewisse Höhe getrennt, der eine Theil für das weibliche und der andere für das männliche Geschlecht. Da das Mönchthum, das heilige einsiedlerische und beschauliche, nur frommen Betrachtungen und Werken gewidmete Leben zuerst in Aegypten aufgekommen und von dort ausgegangen ist, dürften nicht allein die Mönchs- und Nonnenklöster auf die dortigen Therapeuten zurückzuführen sein, 2) sondern auch die in der christlichen Kirche gebräuchliche Trennung der beiden Geschlechter auf die beiden Seiten der Kirche, wenn nicht, wie in Griechenland dieses gewöhnlich der Fall ist, für das weibliche Geschlecht besondere Emporgallerieen (Gy-




1) Bellermann, a. a. O, S. 131 u. 171; Stäudlin, a. a. O., I. S. 470, 472 und 474.
2) Vergl auch Stäudlin, a. a. O., 1. S. 579.



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naecea) errichtet sind. 1) Bei den Mahlzeiten am Tage der Sabbathsfeier wurde dieselbe Sonderung der Geschlechter beachtet, und wenn nach der Mahlzeit heilige Lieder, Hymnen gesungen wurden, wurde ein Männer- und ein Weiberchor gebildet, welche beide Chöre bald abwechselnd, bald mit einander sangen. 2) Diese Sabbathsgesänge der Therapeuten sollen nach Philo fortgesetzt worden sein, bis der Tag anbrach; sobald sie die Sonne erblichten, streckten sie die Hände gegen den Himmel und flehten um einen glücklichen Tag, um Wahrheit und Schärfung der Augen ihres Geistes, worauf jeder in seine Zelle zurückkehrte. Solche Mahlzeiten wurden mit einem allgemeinem Gebete zu Gott eröffnet, dass ihm die bevorstehende Mahlzeit angenehm und wohlgefällig sein möge; bei Tische setzten sich alle nach dem Alter ihres Eintrittes in den Orden, die Männer zur rechten und die Weiber zur linken Seite des Saales, und die Jüngern mussten die Aeltern bedienen, da keine besondere Diener gebraucht wurden. Während des Speisens, wobei, wie es schon die Pythagoräer vorgeschrieben hatten, 3) nur Wasser getrunken werden durfte, herrschte das grösste Stillschweigen. Dem Essen folgten geistliche Vorträge oder Unterhaltungen und Gesänge. - Die Theilhahme der Frauen an den Mysterien darf wohl als eine ursprünglich ägyptische und von Pythagoras den Aegyptern nachgeahmte Einrichtung angesehen werden, zumal sie sich nur bei den Therapeuten in Aegypten und nicht auch bei den ihnen doch sonst sehr nahe stehenden Essäern in Palästina findet. Bei den alten Aegyptern gab es wenigstens, was früher zweifelhaft war, aber durch neuere Forschungen zur Gewissheit erhoben ist, auch Priesterinnen, also weibliche Mysterieneingeweihte, welche aus der Priesterkaste oder aus dem königlichen Geschlechte genommen wurden.4) Ebenso waren bei den




1) Lübke, Geschichte der Architektur, S. 185 und 194.
2) Leutbecher, a. a. O., S. 28; Stäudlin, a. a. O., I. S. 471 ff.
3) Hegel, Geschichte der Philosophie, I. S. 224.
4) Benfey in der Encyklopädie von Ersch und Gruber, Sect. II. Bd. XVII. S. 20.



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Buddhisten Frauen von den Weihen, selbst den höchsten, nicht ausgeschlossen. 1) Auch in die etruskischen Mysterien scheinen nach Lajard, recherches, S. 323, Anm. 3, Frauen eingeweiht worden zu sein. In die Mithrasmysterien wurden Frauen eingeweiht, was bestimmt festgestellt ist, 2) ebenso, in die Mysterien zu Samothrace, 3) sowie in die eleusinischen, weshalb hier dem Hierophanten eine Hierophantis aus dem Geschlechte der Phylliden und vielleicht noch eine zweite aus einem andern Gesehlechte zur Seite stand. 4) Die mit den eleusinischen Geheimnissen der Demeter ursprünglich gleichen, wenn auch später durch Herbeiziehung noch anderer Gottheiten in den Mysteriendienst erweiterten und umgebildeten Mysterien zu Andania oder Anthania in Messenien hatten gleichfalls heilige Frauen , welche beeidigt wurden und unter einem besondern Frauenaufseher standen. Sie trugen gleich den Hieroi oder heiligen Männern zu Andania Kopfbinden von weissem Wollenzeug und nahmen an dem Festmahle, an dem heiligen Mahle Antheil, wie sie natürlich eine besondere Priesterin hatten. 5) Was auffallend bei den Mysterien zu Andania ist, ist die durch die im Jahre 1858 daselbst aufgefundene und von Sauppe mitgetheilte Inschrift, Z. 18, bezeugte Thatsache, dass sogar Sklavinnen eingeweiht wurden, welche Weihe Sauppe S. 52 daher auch auf die Sklaven ausdehnt. Der Demeterdienst mit den weiblichen Priesterinnen war den Griechen wohl von den Thrakern zugekommen. 6) Auch die Druiden oder Kelten, welche Richter wegen der übereinstimmenden religiösen Glaubensansichten und Gebräuchen den Thrakern verwandt glaubt, hatten Schwesterschaften, besondere Frauenstifte, Druiades. Nicht gerechtfertigt ist es, wenn Brosi, die Kelten und Althelvetier, S. 94, behauptet, dass




1) Apostelgeschichte des Geistes, I. S. 96; Weiss, Kostümkunde, Stuttgart 1860, S. 53.
2) Preller, römische Mythologie, S. 763, Anm. 3.
3) Schoemann, griech. Alterthümer, II. S. 367.
4) Schoemann, a. a. O., II. S. 341 vergl. mit S. 352.
5) Sauppe, die Mysterieninschrift zu Andania, S. 36-39 und, S. 47.
6) Vergl. Richter bei Ersch und Gruber, Encyklopädie, I. Bd. XXVII. S. 492.



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Pythagoras nach dem Vorbilde und in Nachahmung der Druiden an seinem Bunde habe Frauen Theil nehmen lassen, wie er auch die weisse Kleidung von ihnen entlehnt habe. Die weisse Priester- und Mysterienkleidung, die weisse Schürze ursprünglich, war in Aegypten laut der noch vorhandenen Steindenkmale uralt, auch mit den Juden von da nach Palästina gewandert, ebenso in Phönicien und anderwärts gebräuchlich und wohl schon vor dem Auftreten des Pythagoras selbst in Griechenland eingeführt, so dass deshalb Pythagoras sich jedenfalls nicht an die Druiden des Nordens zu wenden brauchte. Auch der Theilnehmer an den höhern curetischen Weihen in den Kretensern des Euripides ist weiss gekleidet. 1) Aehnlich wie mit der weissen Kleidung verhält es sich mit den Priesterinnen. In seiner Keltomanie will aber Brösi sogar den Namen des Pythagoras aus dem Keltischen ableiten als den Erklärer des Weltalls, womit es verwandt ist, dass Hugo Grotius (Epist. 552) den Pythagoras aus der essäischen Schule hervorgehen liess, und dass Björnstjerna, die Theogonie, Philosophie und Kosmogonie der Hindus, S. 117, die Druiden im alten Britannien für Buddhisten, ausgegangen von den buddhistischen Phöniciern erklärt, wie er selbst den deutschen Odhin, Wodan dem Bodha, Wodha 2) und die nordische Edda den indischen Vêdas gleichstellt, indem er nach seinem dichterischen Ausdrucke die Schaale zerbricht, um zu dem Kerne zu gelangen. Dennoch steht Brosi mit seinen Ansichten über Pythagoras nicht ganz vereinzelt, da Menzel in Nro. 80 seines Literaturblattes für 1858 sich also äussert:

"Die Gelehrten haben in der Lehre des Pythagoras doch immer noch etwas übersehen, was zu bemerken hier der schickliche Platz ist. Nämlich nicht nur die Ehre, die bei den Pythagoräern den Frauen erwiesen wurde, sondern auch eine Menge anderer ihrer Lehren, ihrer Vorstellungen von der Natur, ihrer Sittengesetze bis auf Kleinigkeiten herab stimmt auffallend mit nord-




1) Creuzer, Symbolik, IV. S. 412.
2) Auch Ritter, Vorhalle der Geschichte, hatte in dem gallischen Gotte, welchem die Römer den Namen Mercur ertheilen, den Buddha erkennen wollen.



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europäischen, germanischen und keltischen Vorkommnissen überein, so dass Pythagoras entweder von BabyIon und Assyrien aus zur Kenntniss der nordeuropäischen (selbst aus Assyrien stammenden) Weisheit gelangte, oder in Grossgriechenland schon nordischen Sitteneinfluss vorfand und nur erneute."

Bei aller Achtung vor dem Wissen und der ächt deutschen Gesinnung von Menzel spricht er doch in diesen wenigen Sätzen unendlich abenteuerliche und unglaubliche Dinge aus, vor denen der kritische und scharfe Redakteur eines Literaturblattes sich doch zunächst selbst hätte bewahren sollen. Alles, was Menzel bemerkt, ist zuförderst ohne allen und jeden historischen Beweis geblieben, kann deshalb auch nicht widerlegt werden und verdient als Unerwiesenes keinerlei Berücksichtigung; sodann aber ist es nicht allein unerwiesen und unerweislich, sondern in der That und Wahrheit im höchsten Grade verkehrt. In Babylon und Assyrien (in welchem letztern sich übrigens Pythagoras wohl niemals aufhielt, da er zu Babylon in 12jähriger Gefangenschaft sich befand) waren weder Germanen noch Kelten, noch konnte man dort über deren Glauben, Wissen und Sein die geringste Kenntniss besitzen, weshalb Pythagoras schlechterdings einige germanische oder keltische Priester und Gelehrten hätte eigens nach Babylon kommen lassen müssen, um von ihnen unterrichtet zu werden, was unter allen Umständen völlig unglaublich ist, zumal ja nach Röth Pythagoras in Babylon sich des Unterrichts des Zaroaster zu erfreuen hatte. Um 500 vor Chr. konnten sodann aber die Griechen, welche schon den Homer und Hesiod mit ihren Schulen, den Tyrtäos in Sparta (Elegiker), Terpandros von Lesbos, Alkmann aus Sardes (melische Dichtung), Mimnormos aus Kolophon (Elegiker), Arion aus Methymna, Alkäos von Mytilene, Sappho und Erinna auf Lesbos, Stesichoros zu Himera (melische Dichtung), Solon (politische Elegie, Spruchdichtung), den Fabeldichter Aesopos, Anakreon aus Teos, Ibykos aus Rhegion, Theognis aus Megara u. s. w., 1)




1) Vergl. Peter, Zeittafeln der griechischen Geschichte, zweite Auflage, Halle 1858.



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namentlich aber die ganze Reihe der ionischen Weisen und Philosophen, einen Thales von Milet, Anaximander von Milet, Pherekydes von Syros, Xenophanes, Anaximenes von Milet besassen und bereits ein sehr gebildetes und hochstehendes Volk waren, doch unmöglich bei den Barbaren und Bären des Nordens irgend welche Weisheit lernen und holen, am allerwenigsten aber konnte dieses ein Pythagoras, nachdem er in schon vorgerückterem Alter zweiundzwanzig volle Jahre bei den ägyptischen Priestern die Theologie und Kosmogonie, die Mathematik und Astronomie, überhaupt die Naturwissenschaften studirt hatte. Auch würde Menzel der Geschichte einen grossen Dienst leisten, wenn er mittheilen und nachweisen wollte, welche Weisheit um 500 vor Chr. im Norden bei den Germanen und Kelten geblüht habe und daher von den Griechen besonders aber von Pythagoras, bei ihnen gesucht und gefunden worden konnte. Vermuthlich meinte Menzel diejenige germanische Weisheit, von welcher Tacitus Germania cap. 20 mit den Worten berichtet: "In omni domo nudi ac sordidi (nackt und schmutzig), in hos artus, in haec corpora quae miramur, excrescunt." 1) Ein wahrhaft pythischer oder sybillinischer, von Lippert erst noch in die Begriffssprache zu übersetzender Ausspruch aber ist es, wenn Menzel mit dem kathegorischen Oder schliesst: "oder in Grossgriechenland schon nordischen Sitteneinfluss vorfand oder erneute." Welcher Historiker wird glauben und vermuthen, dass um 500 vor Chr. nordische Sitten auf die damals in der höchsten Blüthe und zugleich an der Spitze der griechischen Bildung stehenden griechischen Colonien in Unteritalien, besonders Kroton, irgend welchen Einfluss haben gewinnen und üben können. Es ist etwas ganz Unerhörtes und sonst noch nicht Behauptetes, dass während des sechsten Jahrhunderts vor Chr. sich die nordische Cultur mit derjenigen in Grossgriechenland in der Weise berührt habe, dass die letztere die erstere mehr oder weniger in sich aufgenommen habe. Ganz unverständlich endlich ist es, dass Pythagoras in Grossgriechenland den schon vorhan-




1) Vergl. auch Walther, celtische Alterthümer, Bern 1783, S. 3 ff. und S. 32, Anm. a.



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denen nordischen Sitteneinfluss erneuert habe und wodurch er diese Erneuerung habe bewirken können. In dem Wissen und in den Wissenschaften des Pythagoras sind keine nordischen Bestandtheile enthalten und eben so wenig in seinen theologisch-philosophischen Speculation; sie sind ihrem Grundgehalte nach ägyptisch mit einzelnen später vermehrten Beimengungen zarathustrischer Ansichten und Einrichtungen. Wenn Creuzer, Symbolik II. S. 143, meint, dass die Druiden mit den Pythagoräern in der Lehre verwandt seien und beide dieselbe aus der gleichen Quelle geschöpft haben, ist dieses in dem sehr beschränkten Umfange wahr, dass die zarathustrischen Bestandtheile der pythagoreischen Lehre und die Grundlehren der Druiden gleichmässig Hochasien entstammen.

Endlich ist von den Essäern noch anzuführen, dass sie auch Ordensbücher besassen, welche vermuthlich die Statuten des Ordens und allegorische Deutungen enthielten und getreu von Generation zu Generation überliefert wurden. 1) Auch in den Eleusinien hatte man heilige Urkunden, welche zu Pheneos in Arkadien in dem sogenannten Petroma, einem steinernen Behälter aufbewahrt wurden, und bei welchem man besonders feierliche Eide zu schwören pflegte; 2) aus diesem neben dem Tempel der Eleusinia befindlichen Behältniss, welches aus zwei genau auf einander passenden Steinplatten bestand, nahmen die Priester heilige Schriften, lasen daraus den Mysten vor und verschlossen sie dann wieder.

Wenn der Szufismus der muhammedanischen Völker, der Araber, der Perser und Türken, 3) die Weisheit der Mystiker, die Lehre von der Versenkung in Gott und die Unendlichkeit, nicht aus der indischen Yogalehre, der indischen Geheimlehre oder Freimaurerei 4) hervorgegangen ist, was allerdings nicht ausgeschlossen ist, könnte sie auch




1) Stäudlin, a. a. O., I, S. 483.
2) Lasaulx, Studien, S. 188 oben; Schoemann, griech. Alterthümer, II. S. 242 oben und S. 338.
3) Vergl. darüber Tholuk, Ssufismus sive Theosophia Persarurn pantheistiea, Berl. 1821, und derselbe, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik, Berlin 1825, S. 28 ff.
4) Humboldt, Bhagavad-Gítá, S. 51.



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mit der Mystik der Therapeuten und Essäer in Verbindung stehen. Die Yogalehre, d. h. die Lehre der Kunst, Gott gleich zu werden, in Gott sich zu versenken und in ihm aufzugehen, - das Verwehen (nirvána von vá wehen) in die Gottheit, welche als eine Geheimlehre nur an die würdig Befundenen mitgetheilt werden darf und deren Bekenner Yogí genannt werden, ist die indische Maurerei oder geheime reine Tugendlehre. Nach Benfey bei Ersch und Gruber, Encyklopädie, Sect. II. Bd. XX. S. 160 in dem Art. "Jogi," bedeutet Joga die Concentration des Geistes auf sich selbst zum Zweck tiefsinniger Betrachtung und die nach indischer Ansicht daraus hervorgehende Vereinigung mit dem Höchsten, mit Brahma. Die Yogalehre 1) hat zur Grundlage die Besiegung der Leidenschaften und die Uneigennützigkeit der Handlungen, - dringt überall auf Entfernung des Sinnenreizes, Herrschaft der Erkenntniss, Richtung des Gemüthes zu der Gottheit. Das erste Erforderniss der Vertiefung ist die Unterdrückung aller Leidenschaften, die Abgezogenheit von aller Gewalt der Sinnen, ja allen äusseren, sie reizenden Gegenständen. Erst wenn die Geistigkeit Herrschaft gewonnen hat, kann die Vertiefung Kraft haben.

Die Vertieften, anstrebend, schaun in sich selber ruhend ihn,
doch nicht ihn schaun, auch anstrebend, die nicht vollendet Geistigen.

Ist jedes Regen der Leidenschaft, ja der leisesten Neigung getilgt und die Seele zu völligem Gleichmuthe und Parteilosigkeit gestimmt, so werden Nachdenken und abgezogene Betrachtung herrschend oder der der Sinnenwelt Entzogene, gegen dieselbe Gleichgültige und von keinem sinnlichen Gefühle mehr Bewegte und Beherrschte vermag nunmehr den reinen und blossen Gedanken Gottes zu denken und in diesen sich beharrlich zu versenken, ja durch diese Versenkung zuletzt selbst zu verwehen und dadurch die vollendete Ruhe, das Nichtsein zu erreichen. Eine Hauptstelle des Gedichtes über die Vertiefung ist folgende: 2)




1) Vergl. auch darüber Benfey in Ersch und Gruber, Encyklopädie, II. Bd. XVII. S. 188 ff.
2) Humboldt, a. a. O., S. 35 und 36.



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Wie Lampe, frei von Windwehen, nicht sich reget, dess Gleichniss ist
der Vertiefte, der festsinnig, vertieft in Selbstvertiefung sich.
Da, wo, gehemmt, des Geist's Denken durch der Vertiefung Uebung ruht,
wo allein durch sieh selbst sein Selbst schauend in sich, der Mensch sich freut,
endlose Wonne, fühlbare dem Geist nur, übersinnliche
kennet, und stätig ausdauernd, niemals von ew'ger Wahrheit wankt,
wo, dies erreichend, nicht anders er achtet diesem vorzuziehn,
und wo Unglück nicht, auch schweres, erschüttert mehr den Sterbenden,
diese, des Schmerzgefühls Lösung, wisse, Vertiefung wird genannt.
In Vertiefung der Mensch muss so vertiefen, sinnentfremdet, sich,
tilgend jeder Begier Streben, von Eigenwillens Sucht erzeugt,
der Sinne Innbegriff bändgend mit dem Gemüthe ganz und gar.
So strebend nach und nach ruh' er , im Geist gewinnend Stätigkeit
auf sich selbst das Gemüth heftend, und irgend etwas denkend nicht;
wohin, wohin herumirret das unstät leicht bewegliche,
von da, von da zurückführ' er es in des Innern Selbst Gewalt.
Den Vertieften, Stillsinnigen der Wonnen höchste dann besucht,
Dem Irdischkeit die Ruh nicht stört, den reinen, gottgewordenen.

Der sich der Vertiefung Widmende soll in einer menschenfernen reinen Gegend einen auf einen nicht zu hohen und nicht zu niedrigen, mit Thierfellen und Opfergras (Kusa, poa cynosuroides nach Wilson) bedeckten Sitz haben, Hals und Nacken unbewegt, den Körper im Gleichgewicht halten, den Odem hoch in das Haupt zurückziehen, und gleichmässig durch die Nasenlöcher aus- und einhauchen, nirgends umherblickend, seine Augen gegen die Mitte der Augenbrauen und die Spitze der Nase richten, und den geheimnissvollen, dreibuchstabigen Namen der Gottheit, Om!, aussprechen. Der Anhänger der Yogalehre, der in Gott Vertiefte und bei Gott Angekommene hasst Niemand, ist aller Geschöpfe Freund und auf das Wohl Aller bedacht; Keiner, der gerecht gehandelt hat, sei er auch nicht von vollendeter Weisheit, geht verloren. Die Bhagavad-Gítá singt:

"Denn alles Thun von Schuld umhüllt, wie Feuers Lodern ist von Rauch." 1)




1) Aehnlich heisst es in den Sprüchen Salomo's 20, 9: "Wer ist, der sagen kann: Mein Herz ist rein, Ich bin von Sünden frei?" - Das Buch Hiob 14, 4 ruft: "Wer will einen Reinen finden bei Unreinen? Niemand."



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Gott ist gleichgesinnt gegen Alle; wer sich zu ihm wendet, der Brahmane oder ein Knecht, alle können den höchsten Weg einschlagen; aber die wohlwollend gegen alle Geschöpfe Gesinnten, die Tugendhaften, die Gleichmüthigen und Frommen sind Gott theuer. 1) Die Gottheit ist die Urpersönlichkeit, das eigene Sein im vollsten Sinne, welches alle Gründe seines Seins in sich selbst enthält. 2) Die Bhagavad-Gítá ist die der höchsten und wahrer Begeisterung entflossene poetische Darstellung der philosophischen Yogalehre, - sie ist nach W. v. Humboldts Urtheil, S. 55, die schönste philosophische Dichtung, welche von irgend einer Nation uns erhalten ist. Sie bewahrt noch die ganze Unbefangenheit der Naturpoesie, während die griechischen philosophischen Dichtungen schon in dem deutlichen Bewusstsein ihrer Kunst entstanden sind. - Darin aber, dass der Inder in dem Verlieren oder Aufhören seines Ich in der Gottheit das höchste Gut des Menschen, die Seligkeit erblickt, liegt das Wesentliche Dessen, was das indische und das eigentliche orientalische Leben von dem griechisch-römischen und christlich-germanischen unterscheidet. Wie den orientalischen Staaten die Freiheit des Individuums, das Privatrecht fehlt und vor der Allgewalt eines Einzigen sich das Recht und die Freiheit aller Uebrigen beugt, sich gleichsam in Nichts auflöset, - wie die orientalischen Bauten und Kunstwerke noch in sich kein Mass und selbstbewusstes Ziel gefunden haben, sondern nur das Masslose, das Kolossale zu erreichen streben, und statt in dem massvollen Gesetze der Schönheit sich in dem Unförmlichen und Unnatürlichen gefallen: ebenso hat der Glaube der Inder über das unsterbliche Geistesleben noch nicht den Begriff der individuellen und selbstständigen Fortdauer der Seele gefasst, weil ihnen überhaupt die allen Menschen zukommende Freiheit und das Bewusstsein um dieselbe noch abging. Das individuelle Sein, das menschliche Mass und das menschliche Leben die menschliche Freiheit im




1) Humboldt, a. a. O., S. 43 vergl. mit S. 21 und 33 ff.
2) Hurnboldt, a. a. O., S. 24.



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schönsten und höchsten Sinne fehlt ihren Staaten, ihren Bauten und ihren Himmeln; die Staaten sind nur despotisch, die Bauten kolossal, die Kunstwerke missgestaltet und die Himmel pantheistisch. Der orientalische Pantheismus beruht mit dem Despotismus ihrer Staaten und dem Kolossalen ihrer Bauten auf derselben Grundlage, auf dem Aufgeben und Opfern der individuellen Freiheit und des individuellen Lebens, - auf der Unfähigkeit, den einmal erfassten Begriff festzuhalten und lebensvoll darzustellen; die menschliche Freiheit und Selbstständigkeit auf Erden und im Himmel, die wahre Fortdauer des auf Erden frei gewordenen und gewesenen Menschen auch nach seinem Tode in dem Himmel wurde erst von den Parsen, Juden, Aegyptern und Kelten geahnet und von den Griechen und Germanen erkannt und geschaffen. Die Gesetze des Menu um das Jahr 900 v. Chr. haben bei den Indern den Pantheismus vorzüglich befestigt; denn sie sagen, dass Gott und die Welt dieselben oder identisch, dass Geist und Materie unzertrennlich sind, dass Gott Alles, und Alles Gott ist. Die Herrschergewalt im Himmel und auf Erden allmächtig zu machen, ihr sich unbedingt zu unterwerfen, sie über Alles zu setzen und zu verehren, vor ihr und in ihr zu vergehen, ist der Grundzug der orientalischen Menschheit. Tholuk, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik, S. 28, zeichnet dieses dahin: "Die Ueberschwenglichkeit des Gefühls, geleitet durch das beharrliche Streben des Orients nach Consequenz, führt den Indier und den Sinesen, in welchem das Bewusstsein des Unendlichen im Menschen erwacht ist, zu einer so starren, unbeweglichen Hinrichtung auf dasselbe, dass seinen Blicken der Sinn für alles Einzelne und Endliche völlig verschwindet."

Zu Ende des zweiten und im Anfange des dritten Jahrhunderts des Muhammedanismus finden wir nun auch häufige Erwähnungen der Sufi als einer besonderen Gattung religiöser Menschen. Der Sufismus ist nichts Anderes als eine gemüthvolle Mystik, welche da, wo sie mehr ausgebildet ist, sich pantheistisch ausspricht. Derjenige, welcher als Stifter des Sufi genannt wird, Abu Said Abul Cheir, wurde gefragt (Dschami Beharistan, cod. ms. pers. Raudat I.), was der Sufismus sei und sagte selbst: "Was du




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im Kopfe hast, lass fahren; was du in der Hand hast, wirf fort; was auch dir entgegenkomme, weiche nicht!" Einer der grössten Scheiche der Sufi, Dschuneid, erklärte das Sufithum so (Teskirat ol Aul. cod. ins. pers. f. 186 r.): "Der Zweck des Sufifhums ist, den Geist befreien von dem Andrange der Leidenschaften, die Angewöhnungen der Natur ablegen, die menschliche Natur ausziehen, die Sinne unterdrücken, geistige Beschaffenheiten annehmen, durch die Erkenntniss der Wahrheit erhoben werden, was gut ist ausüben, das ist der Zweck des Sufithums." - Dschelaleddin Rumi aber sagte noch schöner:

Ein Geschäft nur treiben Sufi auf der Erd',
Dass ihr Herz ein reiner Spiegel Gottes werd'.
Ist das Herz ein Spiegelglas mondhell und rein,
Bildern hunderttausend kann es Spiegel sein.

Dem Symbole des Spiegels bei den Maurern dürfte daher gleichfalls diese Deutung gegeben werden. - Sylvestre de Sacy sprach im Januarheft des Journal des Savans für 1821 bei Gelegenheit der Recension des Werkes von Tholuk über den Szufismus die Ansicht aus, dass ein Ueberrest einer ältern persischen Sekte diese Mystik erhalten und im Muhammedanismus fortgepflanzt habe; der Dabistan erwähnt unter den alten Persern mystisch-pantheistische Sekten, die den Sufi sehr gleich kommen. Tholuk, Blüthensammlung, S. 38, erhebt Bedenken gegen den persischen Ursprung der muhammedanischen Mystik, weil schon unter den ersten Sufi Kleinasiaten waren, und weil die Mönchsorden des Muhammedanismus insgesammt die Mystik der Sufi haben, so dass sie also nicht gerade auf Persien beschränkt gewesen sei. Tholuk hält es für das Wahrscheinlichste, dass der Sufismus das Selbsterzeugniss einer innerlichen religiösen Erregung der Muhammedaner sei, welche schon bald nach der Einführung des Muhammedanismus die tiefern Gemüther ergriff und nachher eine bestimmtere Gestaltung gewann. Der Umstand aber, dass bei den Muhammedanern die Mönchsorden 1) stets in Verbindung mit dem Szufismus erscheinen, lässt wenigstens an die Mög-




1) Vergleiche darüber besonders Muradgea d'Ohsson, tableau de l'Orient, ed. in fol. II.



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lichkeit denken, dass die Aegypten benachbarten und zugleich zwischen den jüdischen Essäern und ägyptischen Therapeuten gelegenen Araber von den Therapeuten die Mystik und die Klöster, welche letztere ja nur die Wohn- und Pflegestätte der erstern sind, erhalten und angenommen haben. Ganz unbrauchbar und unwissenschaftlich ist, was Krause, Kunsturkunden, II. 1. S. 461 ff., vergl. mit I. 2. S. 397 ff., über die geschichtlichen Beziehungen des altmasonischen Gebrauchthums zu den Indern, Persern, Aegyptern, Gnostikern und Druiden bemerkt, indem er den Pythagoras und Plato, die Altperser und Zerduscht, - die Aegypter, Phöniker und Druiden, - die Hebräer, Hellenen, Etrusker und Römer, - die Soofi in Persien, die Gnostiker, Culdeer und christlichen Mystiker, vor Allen aber die Masonen ihre Lehren und Symbole in Indien aus den Veden, dem Vedant und Oupnek'hat, der Vedanta-Philosophie u. s. w. bei den Brahmanen holen und von ihnen auf verschiedenen Wegen empfangen lässt; zuletzt (II. 1. S. 470) macht er mit Malcolm die Essener noch zu einem Abzweige des Soofithumes und stellt an die Spitze seines unhistorischen Gebäudes Moses, Pythagoras, Platon, Johannes den Täufer und Jesus als - Soofis (!!!). Vom J. 900 nach Chr. an breiteten sich die Verbindungen der Sufi, welche besondere Häuser bewohnen , in einem gewissen religiösen Verband unter einander stehen und besonders oder am meisten als eine Art mönchischer Brüderschaften in Persien blühten, immer mehr und mehr unter den Muhammedanern aus. Alle Geisteserzeugnisse dieser Menschen athmen eine tief innerliche Mystik; bei denen, welche mehr Erkenntnissbedürfnisse und Talent besitzen, stellt sich dieselbe auch in mehrfachen Schriften begrifflich dar und erscheint alsdann als ein Gefühlspantheismus, welcher in den Gefühlserregungen die Durchdringung des Unendlichen und Endlichen nachzuweisen sucht, der dann aber auch ohne weiteres die Persönlichkeit für Beschränkung durch die Relativität der Einzelwesen, also für Schein erklärt, das Böse nur vom relativen Standpunkte aus vom Guten unterscheidet, nämlich für den niedern Grad der Entwickelung des Guten erklärt, und am Ende vom absoluten Standpunkte aus Alles in der Welt, Gutes und




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Böses, Mensch und Thier, die Religionen alle, Nacht und Tag, Tod und Leben für identisch hält. 1) - Aus den Szufiten sind dann wieder im 10. Jahrhundert die "Lauteren Brüder" oder "edlen Freunde" in Basra hervorgegangen. 2) Der Bund, die Loge der lautern Brüder, hatte nach Dieterici, a. a. O., S. 253 ff., vier Stufen, indem ihnen die Vierzahl, vielleicht im Hinblick auf die vier Elemente, als eine symbolische galt. Auch die Latomia, Bd. XVII. S. 3 ff., bespricht die arabischen Freimaurer. Die heutigen ägyptischen Freimaurer sind die Derwische, Schech, d. i. Meister, oder Murebid, d. h. Geweihter, genannt. Unter allen diesen mystischen und maurerischen muhammedanischen Geheimbünden sind die ansprechendste und schönste Erscheinung die lautern Brüder von Basra, da dieselben das Mönchsthum abstreiften und die Wissenschaften pflegten, indem sie eine Art Encyklopädie aller damaligen Wissenschaften in 51, bei Dieterici, S. 221 ff., aufgezählten Traktaten herausgaben. Die Abhandlungen der lautern Brüder zerfallen gleichfalls in vier Theile, von denen der erste die philosophischen Uebungswissenschaften enthält, der zweite die körperliche Naturwelt, der dritte die vernünftige Seele und der vierte das göttliche Gesetz behandelt. Die Maurer könnten Vieles von den "edlen Freunden" (der Wissenschaft) lernen und annehmen. Bekanntlich war Basra oder Bassora, welches der Khalife Omar im J. 656 erbaute und das noch jetzt 60,000 Einwohner zählt, ein Sitz der arabischen Wissenschaften.

Als Probe szufitischer Mystik diene: I. aus dem Lehrgedichte Mesnewi des im J. 1252 zu Ikonium verstorbenen Dschelaleddin Rumi (des Glaubensglanzes), welches Gedicht sich in den Händen aller Sufi des Morgenlandes befindet:

  1. Was die Lieb' sei, was Geliebtsein, forsche nicht,
    Nimmer lernst du's, wenn's die Lieb' nicht selber spricht;
    Was die Sonn' sei, keiner sagt's als sie allein,
    Drum verlangt dich zu ihr hin, blick' stets hinein!




1) Tholuk, Blüthensammlung, S. 37 n. 38.
2) Vergl. der Bauhütte von 1859 Nro. 20; Dieterici, der Streit zwischen Mensch und Thier, ein arabisches Märchen aus den Schriften der lautern Brüder, Leipzig S. 221 ff.



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  1. Sinn für Diesseits ist die Leiter dieser Welt,
    Sinn für Jenseits ist die Trepp' zum Himmelszelt,

  2. Dünkt die Welt dir wunderbar und gross zu sein?
    Wiss', vor Gott ist sie ein Sonnenstäublein.
    Seelenkerker, eng und schwarz, ist diese Welt,
    Wie zur Heimath flieh' zur Flur hin jener Welt!

  3. Kein Gebet ohn' Herzenssammlung hat Gewicht.

  4. Doch wo ist ein Schöner, der nicht unschön wird?
    Wo die HüIse, der das Mark nicht trocken wird?
    Ein Gesang nur ewig gleich schön tönend ist,
    Dies der Auferstehungssang im Frommen ist.

II. Mewlana Dschami, ein ausgezeichneter Dichter Persiens des 16. Jahrhunderts, sagt:

Der ist ein Freund, der, wenn vom Freund er Zorn erfährt, noch liebender wird,
Von jedem Stein, den der Freund ihm wirft, der Freundschaft Bau gegründeter wird.

Derselbe Dschami erzählt: Scheich Abul Hassan Chirkani sprach einst zu seinen Freunden: Was ist auf der Welt das Beste? Seine Freunde antworteten: Sag' du es uns! Darauf sprach er: Jenes Herz, dessen ganze Sorge in Seinem Wesen ruht.

Also ist mein Herz beschaffen, dass bei jedem Wunsche mein,
Neben ihm geschrieben steht der heil'ge Wille Dein.

An einem andern Orte berichtet er: Zu Baschar Hafi sprach ein Andächtiger: Wenn ich das Brod in die Hand nehme, weiss ich nicht, welche Zukost ich geniessen soll. Er antwortete: Danke für deine Gesundheit und halte das für deine Zukost.

Nach demselben sprach Ali Rami: Der Glaube ist Reissen und Binden, 'reiss' los dich von der Welt, binde dein Herz an Gott.

Weiter sagt Dschami: Husseiri sprach: Der Sufi ist Der, welcher nicht mehr ist nach seiner Vernichtung und nach seinem Dasein nicht mehr vernichtet wird. Er wollte sagen: Wer einmal aus seinem vergänglichen Leben in das wahre getreten, wird nicht mehr als Vergänglicher gefunden, aus dem wahren Leben scheidet er nimmer.




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Glücklich, wer ein metaphorisch Bild gewesen,
Und gelangt zum wesenhaften Wesen.
Durch Vernichtung Solchem ward gegeben
Das vernichtungslose Leben.

Dschami hat auch das schöne Bild von der Weltschöpfung, dass Gott, um sich im leeren Spiegel des Alls nicht ewig selbst zu erschauen, sondern sein Bildniss aus Andern wiederstrahlen zu sehen, die Schöpfung als ein neben ihm Seiendes geschaffen habe. Dschami singt:

Es war der Freund am Uranfang der Zeiten
In sich versenkt und seine Herrlichkeiten.
Es hatte Niemand zu ihm hin den Weg gefunden,
Um seine Reize hatte er den Gürtel festgebunden.
Den Spiegel hielt er vor das eigene Gesicht,
Doch theilte er des Schauens selige Lust nicht.
Da auf dem Nichtsein ohn' Genossen er sich wiegte,
So labt' er sich allein an seiner Schönheit Lichte.
Es war nicht Zweiheit, Alles war der Eine,
Da war kein Streit noch zwischen Mein und Deine,
Die Schöpfungsfeder war von keinem Messer noch zerspalten,
Die Tafel hatte von der Feder noch keine Wund' erhalten.
Der Himmel, der sich unermesslich strecket,
Lag damals noch in Einer Falt' vordecket.
Von Sternen war noch keine Perlenschnur gezogen,
Es glänzte noch kein gold'nes Aug' am Himmelsbogen.
Der Vatersamen lag, von Kraft erfüllet,
Verborgen in dem Mutterschooss verhüllet,
In dieser Wiege schlummernd lag, den Mund verschlossen,
Das holde Kind, daraus das Weltall eritsprossen.
Zwar konnte Er in Seinem eigenen Wesen
Die Züge aller Herrlichkeiten lesen.
Doch wollte er mit seiner Farbe Andre malen,
Sein Bildniss schau'n aus Andern widerstrahlen.
Also viel tausend einzelne Gestalten
Aus dieser Kräfte reichem Urquell walten.

III. Feridoddin Attar, ein älterer szufitischer Mystiker, lässt den Manssur Helladsch sagen: "Du erhabener Herr, ich weiss, dass du bist rein, und ich sage, du bist rein von allem Lobe der Lobenden und allem Preise der Preisenden und allen Gedanken der Denkenden. Mein Gott! du weissest, dass ich die Pflichten des Dich Lobens nicht zu erfüllen vermag. Lobe du an meiner Statt dich selbst, das ist das wahre Lob." 1)




1) Tholuk, Blüthensammlung, S. 317.



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Derselbe Foridoddin Attar, welcher nach Einigen im J. 1331, nach Andern 1327 oder 1318 verstarb, trägt in seinem Dschauhar Odsat, S. 139, das Bild der neu-platonischen Symbolik, wornach der in die Erscheinungswelt gefallene Mensch mit dem eitelen Narciss verglichen wird, der an seinem Schattenbild im Bach trunken wurde, in folgender Fabel von dem Fuchse vor:

Du (der Mensch) bist der Fuchs, der, trotz der List, bethöret,
Ins Wasser fiel, wie uns die Fabel lehret.
Behend' ein Fuchs ob Berg und Thal einst rannte,
An einen Brunnen plötzlich er sich wandte.
Den Kopf er senkte in den Brunnen nieder,
Da schien ein zweiter Fuchs im Brunnen wieder.
Nun thät den Finger an die Nas' er legen.
Begann mit jenem Fuchs Gespräch zu pflegen.
Er winkt und grüsst, auch jener grüsset munter,
Ei, ei! er spricht, ich muss zu ihm hinunter!
Gern möcht' zu ihm er zum Besuche eilen,
Drum stürzt er plump hinein sich, ohn' Verweilen.
Doch als er angelangt im Brunnen unten,
Hat keinen Fuchs er als sich selbst gefunden.
Schnell wollt' er gern heraus nun wieder springen,
Doch aufwärts wollt' es nicht so leicht gelingen.
Geplätscher macht er viel, und gräulich schreit er
Ich Thor! Er schrie, ich dacht', ich wär' gescheidter!
0 weh! dass ich mich nicht in Acht genommen!
He da! Will Niemand mir zu Hülfe kommen!
Doch ach! Hier hilft wohl weder Schrei'n noch Bitten,
Mein Geist ist schier mir aus der Hand geglitten!
Wohl viel die Aeuglein nach dem Rand er wandte,
Und viele Seufzer er nach oben sandte;
Doch plötzlich zog das Wasser ihn hinunter,
Mit lautem Schrei ging er im Wasser unter.
Dem Füchslein du, o Menschenkind, gar gleich bist,
Des Teufels Brunnen der Brunnen dieser Welt ist
Im Wasser sahst dein eignes Schattenbild du,
Auf diesen Schatten stürzest du in Hast zu.
Wohl dem, der schnell an's Tageslicht hinaufflieht,
Eh' in die Tief' der Strudel ihn hinabzieht. 1)

Die Symbolik des Spiegels ist also auch den Szufiten geläufig gewesen, wie z. B. Feridoddin Attar auch spricht:

Nimmer liess der reine Geist seiner Lust den Zügel,
Darum war sein Herze jetzt reiner Gottesspiegel. 2)




1) Tholuk, a. a. O., S. 273.
2) Tholuk, a. a, O., S. 269.



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Ebenso sagt er in den Vogelgesprächen:

Der Höchste ist ein Sonnenspiegel,
Wer zu ihm kommt, schaut sich darinnen.
Schaut Seel' und Leib und Leib und Seel'. 1)

Der Inhalt der Encyklopädie oder der 51 gelehrten Abhandlungen der lautern Brüder zu Bosra beweiset wenn nicht den Zusammenhang der Szufiten mit den Essäern und Pythagoräern, doch jedenfalls die Aufnahme des gesammten pythagoreischen Wissens und Lehrens in den Wissens- und Lehrkreis der lautern Brüder. Die erste Abhandlung des ersten Theils z. B. behandelt die Zahl, was sie eigentlich sei, und wie viel Zahlen es gebe. Diese Abhandlung bezweckt die Seele Derer, die sich der Philosophie ergeben, das wahre Wesen der Dinge beschauen und nach dem Urgrund der vorhandenen Dinge forschen, zu üben. Sie stellt dar, dass die Form den Zahlen in der Seele den Formen der in der Materie vorhandenen Dinge entspreche, und dass die Lehre von der Zahl der Ursprung der Wissenschaft und die Quelle aller Weisheitslehren sei. 2) - Die zweite Abhandlung des ersten Theils handelt von der Geometrie und die dritte von den Sternen; die letztere beabsichtigt, die Seele anzustacheln, in die ihr eigene Welt, in die Welt der Kreise und Ordnungen des Himmels sich zu erheben. Die vierte Abhandlung des ersten Theils handelt über die Geographie, d. h. über die Kugelgestalt der Erde und ihre Klimate. Sie bezweckt, den Grund anzugeben, weshalb die Seele in die Erde niederstieg, und die Sorglosen zum Nachdenken anzuregen über die Wunderzeichen in den Zonen, in den Seelen, im Himmelreich und auf der Erde, auf dass ihnen klar werde, dass Er (Gott) der Wahre sei und sie sich zur Abreise von der Erde wohl bereiten, sich auch wohl versorgen für die andere Welt, noch vor dem Tode fürchten, der ja die geistige Geburt und das Schwinden und das Ende des Lebens ist. - Eine weitere Abhandlung des ersten Theils betrifft die Musik und




1) Tholuk, a; a. O., S. 286.
2) Vergl. auch Dieterici, a. a. O., S. 232.



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zeigt, dass die Töne und die zusammengestellten gemessenen Weisen auf die Seelen der Hörer ebenso wirken, wie die Heilmittel und Tränke, die Würzungen und Gegengaben auf den thierischen Leib. Ferner stellt sie dar, dass die sich bewegenden Himmelskreise durch ihren Umschwung, und indem sie einer den andern berühren, Töne und liebliche Weisen, gleich den Tönen der Saite einer Leyer oder Harfe, hervorbringen. Die Absicht hierbei ist, die vernünftige, engelartige Menschenseele begierig zu machen, dorthin nach dem Tode, d. i. nach der Trennung von dem Körper, aufzusteigen, denn dahin wird sie zu den Geistern der Propheten, der Aufrichtigen, der Märtyrer und der wahrhaft Erkennenden, Schauenden, Frommen sich emporheben, was auch noch in einer besondern Abhandlung (III. Theil 7) über die Heimsuchung, Auferstehung und Himmelswanderung dargethan wird.

Schimmert aus allen diesen Abhandlungen die pythagoreische Philosophie unverkennbar hindurch, ist dieses noch weit mehr in der elften Abhandlung über den Sinn der Kategorien, d. i. über die Darlegung von den zehn Worten und Ausdrücken, von denen jeder einen Gattungsbegriff von den vorhandenen Dingen bezeichnet, der Fall. Die Pythagoräer, Pythagoras oder Alkmäon, hatten bereits eine unvollkommene Tafel der Kategorien, der Gegensätze, auf welche sich alle Dinge zurückführen lassen, in einer Zehnzahl aufgestellt:

1) Grenze und Unendliches;
2) Ungerades und Gerades;
3) Einheit und Vielheit;
4) Rechts und Links;
5) Männliches und Weibliches;
6) Ruhendes und Bewegtes;
7) Grades und Krummes;
8) Licht und Finsterniss;
9) Gutes und Böses;
10) Quadrat und Parallelogramm. 1)

Etwas Indisch 2) zugleich ist dagegen z. B. die neunte




1) Hegel, Geschichte der Philosophie, I. S. 235.
2) Vergl. Alpina für 1860, S. 287.



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Abhandlung des zweiten Theils über die Zusammensetzung des Körpers, wornach der Mensch eine kleine Welt ist und der Bau seines Leibes einer vortrefflichen Stadt, seine Seele aber einem Könige in der Stadt gleichet. Der Mensch sei das Buch, welches Gott mit seiner Hand geschrieben; die Menschenseele sei die Stellvertreterin Gottes auf der Erde, denn wenn der Mensch sich selbst erkenne, erkenne er auch seinen Herrn; ihm sei es möglich, zu Gott zu gelangen und in seiner Nähe zu sein. Der dritte Traktat des dritten Theils behandelt umgekehrt den Ausspruch der Weisen, dass die Welt ein grosser, guter, mit Geist und Seele begabter Körper sei, eine lebendige, ihrem Herrn gehorsame Welt. Sie schuf der erhabene Schöpfer als ein vollständiges Ganzes am Tage seiner Schöpfung und Alles in einem Himmelskreise preiset Gott. Der fünfzehnte Traktat des zweiten Theils handelt über die eigentliche Bedeutung des Todes und des Lebens, und was es bedeute, dass beide in dieser Welt des Entstehens und Vergehens sich finden. Diese Abhandlung will den Grund darstellen, warum die vernünftige Seele mit dem menschlichen Körper bis zur Zeit des Todes verbunden sei, dass der Tod gering zu schätzen und die Furcht davor fern zu halten sei; auch die Seele sicherlich nach dem Tode, der ja nur die Trennung vom Leibe und die geistige Geburt ist, fortdauere. Die sechszehnte Abhandlung des zweiten Theils fügt bei, dass die Hölle in dieser Weit des Vergehens und Bestehens, und das Paradies in der Welt der Himmelskreise und in den Weiten des Himmels sei. - Der vierte Traktat des vierten Theils handelt von der Beschaffenheit des Lebens der lautern Brüder und wie sie einer dem andern beistehen, einander wahrhaft lieben und Mitgefühl, Mitleid und Erbarmen mit einander haben sollen. Die Absicht hierbei ist, die Herzen zusammenzufügen und sie zu gegenseitigem Beistand in den Angelegenheiten des irdischen und jenseitigen Lebens zu bewegen. Ihr inniges Zusammenleben und der gegenseitige Beistand, den der mit zeitlichem Gut Gesegnete und der mit Kenntnissen Begabte sich gegenseitig leisten sollen wird in dem Bilde dargestellt, dass Zwei sich auf die Reise begeben, von denen der Eine blöde Augen und einen schwachen Körper,




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aber eine grosse Menge Reisekost hat, dass er sie nicht selbst zu tragen vermag; der Andere hingegen ist stark und sehkräftig, doch ohne Reisekost: da führt nun der Starke den Blinden, trägt dessen Last und zehrt dafür mit ihm, bis beide glücklich zum Ziele gelangen. Diese innige Verbindung muss stattfinden, da in der Welt zwei Gegensätze, der des Leibes und der des Geistes, bestehen; nun gibt es vier Arten der Menschen: die Einen haben Geist und Gut, noch Andere endlich nur Kenntniss. In Güte und Liebe mussten daher die Glücksgüter ausgetauscht und ausgetheilt werden. Sie theilen dann die Mitglieder ihres Bundes, der Seelenkraft eines Jeden gemäss, in vier Stufen: die Geschickten (Dsawu-s-szana 'i), die mit der Leitung (as-sijasa) Begabten, die Könige und Herrscher - und die Könige und Herrscher der Könige und Herrscher, und die vier Stufen wurden mit dem Alter von 15, 30, 40 und 50 Jahren erreicht. Die letzte Stufe war der zum Tode, zur Trennung von der Materie und zur Rückkehr in den Himmel vorbereitende Meistergrad. Diese Stufe bezeichnet der Koran (S. 89, 28) mit den Worten: "0! du beruhigte Seele, kehre heim zu deinem Herrn, zufriedenstellend und zufriedengestellt."

In welchem Sinne der Mensch und die Welt das Spiegelbild, das Ebenbild der Gottheit sei, darüber spricht Mahmud's Lehrgedicht Gülschen Ras, Rosenbeet des Geheimnisses, aus dem Jahr 1339 sich also aus:

Stellst einem Spiegel du dich gegenüber,
Strahlt dein Gesicht in jenem Spiegel wieder,
Im Bilde kannst du deine Züge lesen,
Doch ist's nicht Du, auch ist's kein anderes Wesen.
So strahlt die Welt aus Gottes Antlitz wieder,
Sie ist nicht Er, und doch ist Er sie wieder. 1)

Derselbe spricht als die mystische Bedeutung des Christenthums aus:

Weisst du, was das Christenthum? Ich will es dir sagen.
Gräbt die eigne Ichheit aus, will zu Gott dich tragen,
Deine Seel' ein Kloster ist, drin die Einheit wohnet,
Ein Jerusalem du bist, da der Ew'ge thronet,




1) Tholuk, a. a. O., S. 209.



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Heil'ger Geist dies Wunder thut, denn im heil'gen Geiste
Wisse! Gottes Wesen ruht als im eignen Geiste.
Gottes Geist gibt deinem Geiste seines Geistes Feuer,
Er in deinem Geiste kreist unter leichtem Schleier.
Wirst du von dem Menschenthum durch den Geist entbunden,
Hast in Gottes Heiligthum ewig Ruh gefunden.
Wer sich so entkleidet hat, dass die Lüste schweigen,
Wird fürwahr wie Jesus that, auf zum Himmel steigen. 1)

Die neueste deutsche Abhandlung über Inhalt und Verfasser der arabischen Encyklopädie, d. i. die Abhandlungen der aufrichtigen Brüder und treuen Freunde, nebst Andeutungen über die Einrichtungen des Bundes der Verbrüderten, ist von Prof. G. Flügel in der Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft, Bd. XIII. Seite 1-38. Nach Flügel, S. 6, fällt die Abfassung der Encyklopädie um 970 n. Chr. oder wenig später, und dieselbe ist nicht aus Einem Kopf hervorgegangen. Der Zweck, des Bundes war die Vereinigung der Herzen und die gegenseitige Unterstützung in geistigen (vorzugsweise religiösen) und weltlichen Dingen und der Bund beschränkte sich nicht etwa auf Basra, wo man den Centralpunkt zu suchen hat, sondern schlug überall da seinen Wohnsitz auf, wo sich Verbrüderte fanden. So lassen sich Spuren einer Abzweigung in Bagdad nicht verkennen, indem in einem Gespräche von ihnen gesagt wird: "Wo auch immer im Lande unsere Brüder sich befinden, sollen sie einen besonderen Versammlungsort haben, an denen sie zu bestimmten Zeiten zusammenkommen, ohne dass irgend eine andere Person unter ihnen Zutritt habe. Dort sollen sie über ihre Wissenschaften ihre Gedanken austauschen und ihre Geheimlehre mit einander besprechen (S. 27 und 28)". Die gegenseitige Stellung, weist jedem der Verbrüderten die Mittel und die Art und Weise an, womit er Unterstützung gewähren oder diese annehmen soll. Von beiden Seiten muss sie ohne Rückhalt erfolgen. Selbst die grösste Aufopferung darf nach keinem Danke fragen, viel weniger der materiell oder geistig Begabte den minder ausgestatteten Bruder irgendwie sein Uebergewicht fühlen lassen. Vielmehr sollen jene Gott um Gelegenheit zu dieser Hülfe bitten und ihre




1) Tholuk, a. a. O., S. 221.



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Mildthätigkeit mit der grössten Schonung üben. Alle, heisst es, sind ja Eines Schöpfers Kinder und ein Gläubiger des andern Bruder. Zugleich schlossen die Verbrüderten keine Wissenschaft, überhaupt nichts Wissenswerthes von ihrer Forschung und Beschäftigung aus. Denn: Mit einem Wort, - heisst es weiter, - es sollen unsere Brüder gegen keine Wissenschaft feindlich gesinnt, d. h. im Voraus eingenommen sein, oder sich von irgend einem Buche fern halten, ebensowenig gegen irgend ein Lehrsystem ein parteiisches Vorurtheil hegen; denn unser Lehrsystem umfasst alle Lehrsysteme ohne Ausnahme und vereinigt sämmtliche Wissenschaften. Alle diese Sätze enthalten goldene Regeln auch für Freimaurer und könnten in ihrem Munde nicht treffender ausgedrückt werden.

Die Druiden, 1) oder vielmehr das durch diese Priester, beherrschte und geleitete Volk der Kelten, nach Aristoteles der Galater, der spätern Gallier, 2) sind als Indogermanen, als Arier mit den Germanen, Baktern, Indern, Etruskern, Griechen und Römern u. s. w. urverwandt; - sind mit ihnen aus demselben Ursitze ausgezogen und haben daher gewisse religiöse Vorstellungen und Lebenseinrichtungen gemein. 3) Die Druiden, d. i. die Wissenden, die Kenntnissreichen, die Gelehrten, die Gottesgelehrten, von dem altkeltischen derwyz derwydd, zusammengesetzt aus dâr und gwyz, d. h. der viel weiss, 4) waren ihrer Abstammung gemäss ein Gott (nach Caesar (5) in Gallien Dis, der Leuch-




1) Vergl. darüber besonders Barth, über die Druiden der Kelten, Erlangen 1826; Richter in Ersch und Gruber, alIgemeine Encyklopädie, I. Bd. XXVII. S 486 ff. unter Druiden; Eckermann, Religionsgeschichte und Mythologie, Bd. III (Halle 1846), die Kelten umfassend.
2) Gfrörer, Urgeschichte des menschl, Geschlechts, I. S. 21 ff.
3) Grimm, Geschichte der deutschen Sprache, S. 239 ff.; Gfrörer, a. a. O., I. S. 68 ff. Gfrörer gibt eine Vergleichungstafel der zehn ersten oder der zehn Urzahlen in den indogermanischen oder indoeuropäischen Sprachen.
4) Brosi, die Kelten und AIthelvetier, S. 88; Eckermann,
5) Caesar de bel. gal. lib. Vl. cap. 18: "Galli se omnes ab Dite patre prognatos praedicant idque a druidibus proditum dicunt." - Nach Richter, a. a. O., S. 493 a unten, könnte bei dein gallischen Teutates an den Teut oder Thot der Aegypter gedacht und dieser wieder mit deus, , divus, Dis u. s. w. für einerlei oder wenigstens für verwandt gehalten werden.



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tende, gleich dem germanischen Tyr, oder auch Bel, Baal, Belenus genannt, mit der ihm heiligen Eiche) und die Unsterblichkeit der Seele glaubender Geheimbund, eine förmliche Mysterienanstalt, und trugen gleich den morgenländischen Priestern, den Pythagoräern, Essäern, Therapeuten, Kureten u. s. w. und gleich den Maurern die weisse Kleidung, die Kleidung des Lichtes. Demogeot, histoire de la littérature française, Paris 1860, S. 6, Anm. 2, leitet mit Duclos, sur l'étymologie du nom des Druides, in den Mém. de l'Ac. des Inseript. XVIII, p. 185, den Namen der Druiden oder Derouyd ab von De, Di, Gott, und rhoud oder rhouid, redend, so dass Derouyd einen von Gott Redenden, einen Theologen bezeichnen soll. Plinius leitet den Namen ab von , keltisch derus oder auch dâr, die Eiche, oder eigentlich, was weit und gross ist; Andere von dem keltischen de-ruwis, d. h. rectores sapientes. 1) Richter hält es für das Wahrscheinlichste, dass der Name der Druiden mit Eiche zusammenhänge, somit die Druiden die Grossen, die hochragenden Bäume und alle übrigen Wortbedeutungen nur abgeleitete wären. Die Druiden berühren sich in dem Glauben und in den religiösen Gebräuchen, z. B. des Barfussgehens, des Opfers von Brod und Wein 2), vielleicht selbst in der Wiederauferstehungslehre und in dem felsgebornen Sonnengotte (Mithra 3)), auf das Innigste mit den Parsen und den Mithrasmysterien und in späteren Zeiten auch mit den Pythagoräern, mit den Griechen und Römern. Dagegen ist es gewiss unbegründet, dass Richter, a. a. O., S. 488, vergl. mit S. 498 a., die Druiden mit den Buddhisten , den Samanäern des Ostens, in Verbindung stehend glaubt. Für seine diessfällige Meinung führt Richter an, dass Diogenes




1) Funke, Real-Schullexikon, unter Druiden; Richter, a.a.O., S. 487; Ekert, die geheimen Verbindungen, Schaffhausen 1860, S. 254.
2) Richter, a. a. O., S. 490 a unten und S. 492 b.
3) Jahn, a. a. O., S. 11.



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Laertius und Suidas den Druiden den Namen , d. h. nach dem Griechischen, die erhabenen, verehrungswerthen, göttlichen Männer, geben; auf einem in der pariser Domkirche im J. 1711 (nach Eckermann III. 1. S. 5, im Jahre 1726) gefundenen Denkmale heissen sie Senani, und im Walisischen bedeute Semnos einen Erforscher der Zukunft; alles Dieses könnte mit dem indischen Saman in Verbindung stehen und dieses in und Senani versteckt liegen; dahin könne man auch noch rechnen den als heilig und ehrwürdig angesehenen germanischen Stamm der Semnonen, die keltischen Sennonen und die Diisemones bei den Römern; im Phönicischen heisse auch San, Sanna, die Wissenschaft, - im Persischen San Gesetz, Vernunft, im Altgermanischen San heilig, das latein. sanctus; man könnte auch bei an Samen, sammeln, im Altschwedischen Samnad, die Versammlung, und Thiod, Volk, denken, also Semnothei durch Semnotheodi, heilige Leute, erklären. Indessen durch alles Dieses wird nichts dargethan als die Sprachverwandtschaft der Kelten mit den Indogermanen, keineswegs aber die Einwirkung der Buddhisten oder selbst der Brahmanen auf die Kelten, welche Einwirkung schon dadurch ausgeschlossen wird, dass die Kelten Asien vor den Buddhisten oder jedenfalls ehe die buddhistische Religion aus dem Süden nach dem mittleren und nördlichen Asien vorgedrungen war, verlassen und sich in Europa, besonders in dem heutigen Deutschland, in der Schweiz, Frankreich, Spanien und England niedergelassen hatten.

Die Druiden waren bei den Kelten in demselben Sinne und in demselben Umfange die Träger und Bewahrer alles Wissens, die Religionslehrer, die Sänger und Dichter, die Naturkundigen und Aerzte, - die Astronomen, Astrologen und Wahrsager oder Propheten, die Baumeister, die Gesetzgeber und Richter u. s. w., 1) wie die Atharva's bei den Baktrern, die Chaldäer oder Magier bei den Babyloniern, die Brahmanen bei den Indern, die ägyptische und jüdische Priesterschaft, ja vorübergehend und theilweise wenigstens auch Pythagoras bei den Griechen. Die Druiden hatten




1)Richter, a. a. O., S. 488 ff. und S. 496 a.



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daher trotz ihrer blos mündlichen Lehrweise gewiss auch ihre heiligen Schriften, worin ihr Wissen aufgezeichnet und niedergelegt war, wie solche heiligen Schriften die baktrischen, die babylonischen, die brahmanischen und buddhistischen, die die.sinesischen, die phönikischen, die ägyptischen und jüdischen Priester und Weisen, ja zum Theil selbst die Griechen in den Mysterien hatten, z. B. zu Andania in Messenien den Hieroi, den Heiligen und Leitern der umgestalteten eleusinischen Mysterienfeiern zu Andania, die Aufbewahrung der heiligen Schriften, oder genannt, und der heiligen Geräthschaften übertragen war, 1) obwohl wir von den heiligen Schriften der Druiden durchaus nichts Näheres wissen und Nichts davon erhalten ist. Eginhardt und verschiedene Historiker nach ihm versichern, dass Karl der Grosse alle noch erhältlichen Druidenverse und Bardengesänge habe sammeln und daraus eine Geschichte der keltischen und gallischen Alterthümer habe anfertigen lassen. 2) Die Mysterien der Druiden waren wahre Unterrichts- und Bildungsanstalten, förmliche Gelehrtenschulen, wie es namentlich die ägyptischen Mysterien, der pythagoräische Bund und als Bauschulen die alten Bauhütten, Bauzünfte, Baubrüderschaften und Baucorporationen gleichfalls gewesen sind. Der Unterricht wurde von den Druiden durchaus als ein geheimer und deshalb auch blos mündlicher ertheilt, und es war ausdrücklich verboten, Etwas niederzuschreiben oder zu veröffentlichen. Caesa, de B. G. lib. VI, 14, meldet in dieser Hinsicht: "Nefas existimant, ea literis mandare; - quod neque in vulgus disciplinam efferri velint." In diesen Bildungsanstalten brachten die keltischen Jünglinge nach dem Berichte Caesars 3) l. c. oft zwanzig Jahre zu, woraus wohl geschlossen werden darf, dass die zu Unter-




1) Sauppe, die Mysterieninschrift zu Andania, S. 37 u. 48.
2) Eckermann, III. 1. S. 1.
3) Vergl. übrigens Hitzig über die Druiden bei Caesar, in der Zeitschrift des wissenschaftlichen Vereins in Zürich, I (1856), Seite 213 ff. Die von Hitzig geäusserten Ansichten über die bei Caesar angeblich falschen und durch einen christlichen Geistlichen eingeschobenen Stellen erscheinen höchst zweifelhaft.



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richtenden schon als Knaben die Unterrichtsanstalten bezogen haben, und mit dem ersten Elementarunterrichte begonnen und mit den höhern Wissenschaften geschlossen worden sei, so dass natürlich nur Diejenigen 20 Jahre blieben, welche förmlich studirten. Die Schüler mussten nach Art der Schüler des Pythagoras vorzüglich Verse auswendig lernen, wie Caesar sagt: magnum ibi versuum numerum 1) ediscere dicuntur, itaque annos nonnulli vicenos in disciplina permanent, da es keine Bücher gab, die Vorträge nicht aufgezeichnet werden durften und daher nur aus den heiligen, in Versen verfassten Aufzeichnungen auswendig gelernt werden konnte. Der Inhalt der Verse umfasste die Moral- und besonders die Unsterblichkeitslehre, die Kosmogonie und Theogonie, die Astronomie u. s. w., 2) denn Caesar fährt in der angeführten Stelle fort: "In primis hoc volunt persuadere, non interire animas, sed ab aliis post mortem transire ad alios (also die indische, ägyptische, pythagoreische und platonische Seelenwanderungslehre): atque hoc maxime ad virtutem excitari putant, metu mortis neglecto. Multa praeterea de sideribus, atque eorum motu, de mundi ac terrarum magnitudine, 3) de rerum natura, de deorum immortalium vi ac potestate disputant et juventuti tradunt." Aehnliche heilige Schriften oder wenigstens heilige Sagen in Versen scheinen die Germanen besessen zu haben, da Tacitus, Germ. cap. 2, von ihnen berichtet: "Celebrant carminibus autiquis (quod unum apud illos memoriae et annalium genus est) Tuisconem, terra editum, et filium Mannum (den Urmenschen), originern gentis." Die Morallehre der Druiden, welche Pomponius Mela, lib. III., cap. 1, magistros sapientiae nennt und die nach




1) Ueber die verwandten carmina antiqua der Germanen vergl. H. Schweizer, Bemerkungen zu Tacitus' Germania, S. 6 und 7.
2) Vergl. auch Eckermanni, III. 1, S. 17 ff., obwohl das von Eckermann aus weit späteren Zeiten Beigebrachte nur mit grosser Beschränkung auf die ursprünglichen druidischen Lehren angewandt werden darf. Ganz besonders gilt dieses hinsichtlich der Lehre von der Seelenwanderung.
3) Die Druiden sollen schon eine Ahnung von den Antipoden nach Eckermann, a. a. O., III. 1, S. 57, gehabt haben, wofür er sich auf Macrob. Sat. I, 21 beruft.



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ihm docent multa nobilissimos gentis clam et diu, vicenis annis in specu, aut in abditis saltibus, fasst Diogenes Laertius in der Vorrede seines Werkes in die drei Sätze oder die Triade zusammen: , die Götter ehren, nichts Böses thun und Mannhaftigkeit üben, welches auch nach Brosi, a. a. O., eine unmittelbare Lehre der Druiden in den bei ihnen beliebten dreigliedrigen Sätzen oder Triaden gewesen sein soll. In der Seelenwanderungslehre unterschieden sich die Kelten und die Germanen darin wesentlich von den Indern, dass sie die Seelen der Verstorbenen nicht auch in den Leibern von Thieren (wie ebenso die Aegypter) oder gar von Pflanzen wiedergeboren werden lassen, 1) sondern einzig und allein als Menschen, worin sie also höher als die Inder und Aegypter stehen. 2) Es gehört ein völliges Verkennen des Wesens der menschlichen Seele und des menschlichen Geistes dazu und wird nur. aus dem indischen Pantheismus begreiflich, wornach der göttliche Geist das All durchdringt und erfüllt, dass die Inder und Aegypter, sowie die spätern Rabbinen 3) es für das Leben und das Wirken der Seele als gleichgültig halten konnten, ob dieselbe in den Körper eines Menschen, eines Thieres oder einer Pflanze, ja sogar eines Steines gekleidet sei. Schon Aristoteles, de animal. lib. I, cap. 3 fin., hatte daher die Lehre von der Seelenwanderung mit der Bemerkung für ein Mährchen erklärt: "Denn jedem Leib komme seine eigenthümliche (innere, psychische) Form und seine eigenthümliche (äussere) Gestaltung zu. Es sei deshalb jene Annahme eben so ungereimt, als wenn man sagen wolle, die Baukunst könne durch Flötenblasen ausgeübt werden. Denn jede Kunst bedürfe ihrer bestimmten Werkzeuge , jede Seele ihrer bestimmten Leiblichkeit." Aus der Vergleichung der indischen, keltischen und germanischen Seelenwanderungslehre ist deren reine und ursprüngliche Gestaltung




1) Müller, Glauben der alten Hindus, S. 205 ff. und 529 ff.
2 ) Mannhardt, gerrnanische Mythen, S. 272, 292, 319 - 321, 327, 337, Anm. 1, 444 und 449.
3) Schubert, Geschichte der Seele, zweite Auflage, Stuttgart 1833, S, 657.



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in dem Glauben zu erkennen, der Mensch müsse so lange (versteht sich als Mensch auf Erden) wandern und pilgern, büssen und sich reinigen, bis er wirklich gereinigt und befähigt sei, wieder in den Himmel und das Licht einzuziehen; alles Weitere, die Thier- und Pflanzenwanderungen, sind späterer Zusatz, Missverstand und übertreibende Ausschmückung des phantastischen und brütenden Inders. Die schwierigste historische Frage ist aber hierbei diejenige, woher haben die Aegypter ihre fast in allen Theilen mit der indischen vollkommen übereinstimmende Seelenwanderungslehre, ist es eine rein ägyptische oder eine von den Indern entlehnte? Obwohl die ägyptische Bildung als solche weit älter ist als die indische und daher Jene, die ältere, unmöglich von dieser, der jüngern, abstammen, abgeleitet werden kann, wäre es dennoch möglich, dass in der spätern geschichtlichen Zeit, also etwa in dem Zeitraume von 1800 vor Chr. bis auf das Jahr 525 vor Chr., in welchem Aegypten durch Kambyses erobert wurde, und ein nationales Reich zu sein aufhörte, und in dem allerdings Berührungen und Verkehr zwischen Indien und Aegypten, besonders aber zwischen Indien und den Phönikern stattgefunden hat und leicht in einem grössern Masse stattgefunden haben könnte, als wir jetzt darüber unterrichtet sind, - die ägyptischen Priester von der indischen Seelenwanderungslehre Kunde erhalten und dieselbe bei sich eingeführt haben. Kann nicht einmal auch ein wissbegieriger Brahmane lange vor dem 6. Jahrhundert oder vor Pythagoras nach Aegypten gekommen und dort in die Mysterien eingeweiht worden sein, wie der Grieche Pythagoras kam und eingeweiht wurde? Oder ist es unmöglich, dass ein ägyptischer Priester nach Indien gezogen und dort von den Brahmanen unterrichtet worden sei? Die entstellte Seelenwanderungslehre ist auch in offenbarem Widerspruch mit der nach dem Zeugnisse der Pyramiden und der Gräberstätten in den Felsen bei Memphis und Theben uralten Sorgfalt der Aegypter, den Leichnam des Verstorbenen unversehrt oder als Mumie zu erhalten; denn wozu hätte man den Körper des Verstorbenen erhalten und aufbewahren sollen, wenn seine Seele einen ganz andern Körper erhielt und den bisherigen gar nicht mehr




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bedurfte und gebrauchen konnte. In dem Glauben der Aegypter erscheinen auch noch andere arische Bestandtheile, wie die Lehre, dass jeder gefallenen, auf die Erde zur Vereinigung mit einem menschlichen Körper niedersteigenden Seele eine andere gute und nicht gefallene Seele zum Begleiter und zum Schutzgeiste für die Dauer ihres irdischen Lebens beigegeben werde. 1) Porphyrius zufolge sollen jedoch später bei den Aegyptern die Meinungen getheilt gewesen sein, ob man nur Einen eigenen Dämon , oder zwei, einen guten und einen bösen, oder gar drei für jeden einzelnen von den drei Theilen der Seele annehmen solle. - Nach den religiösen Ansichten der alten Etrusker hatte, wie es scheint, jeder einzelne Mensch zwei Genien, den guten und den bösen Genius, beide im Kampfe um ihn begriffen, den wir auf den zahlreich erhaltenen Aschenkisten und also mit deutlicher Beziehung auf den Tod dargestellt sehen. Diese Genien sind geflügelte, kampffähige weibliche oder männliche Wesen, und zwar der gute von weisser, der böse von schwarzer Farbe. So ziehen sie in den Wandmalereien die trauernde, verhüllte Seele auf ihrem Wagen von dannen. 2) Auch die Inder dachten sich einen guten und bösen Schutzgeist um die Seele des Menschen kämpfend und wir besitzen bildliche Darstellungen dieses Kampfes. 3) - Ebenso nach germanischem Glauben verliess eine Seele niemals allein oder einsam den gemeinschaftlichen himmlischen Aufenthaltsort. Beim Austritte aus dem Himmel und beim Eintritte in den menschlichen Körper wurden ihr eine oder zwei, oft mehrere andere Seelen als Schutz- oder Folgegeister mitgegeben. Man nennt diese Geister Fylgien oder Hamingien, deren Dasein in Deutschland und im Norden Grimm, Mythol. S. 829 ff., erwiesen und worüber auch Mannhardt, germanische Mythen, S. 305 ff., Bemerkenswerthes gesammelt hat. Die Fylgien kamen mit der Geburt des Menschen in die Welt, sie hatten dann ihren Sitz in der Haut, welche manche Kinder um ihr




1) Röth, a. a. O., I. S. 177. 2) Schnaase, Geschichte der bildenden Künste, II S. 373. 3) Müller, Glauben der alten Hindus, I. S. 567.



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Häuptlein gewunden mitbringen. 1) Dieses Häutchen heisst auf Island selbst Fylgja, in Deutschland Glückshaube, Wehmutterhäubchen, Kinderpelglein, Glückshelm. Kinder, die damit geboren werden, sollen Glückskinder sein, weil ein Folgegeist sie schützend begleitet. Wird die Haut verbrannt oder fortgeworfen, so entbehrt nach isländischem Glauben der Neugeborne fortan seinen Schutzgeist, der ihm durch das ganze Leben folgt. Die Fylgien zeigen sich theils in Menschen-, theils in Thiergesfalt und zwar in Gestalt desjenigen Thiers, dessen Gemüthsart dem Charakter des Menschen am meisten ähnlich ist. Simrok, deutsche Mythol., S. 392, hält die Vermuthung für begründet, dass damit unser Wappenwesen zusammenhängen möge. Des Muthigen Folgegeist hat Wolfs- und Bärgestalt, die Fylgie des Listigen erscheint als Katze oder Fuchs, die des Furchtsamen als Hase oder kleiner Vogel. Der letztere Zug der Sage ist höchst beachtenswerth und es muss damit in Verbindung gebracht werden, dass in der germanischen Volkssage auch die Elben, die Lichtgeister, die Seelen die Gestalt von Thieren und Pflanzen annehmen oder sehr häufig zur Strafe annehmen müssen, dazu verwünscht sind, bis sie wieder erlöset und befreiet werden und ihre menschlich-göttliche Gestalt zurückerhalten. 2) Hier nun tritt die germanische Mythe und der germanische Volksglaube in die innigste Berührung mit der indischen und ägyptischen Seelenwanderungslehre und eröffnet uns einen tiefen Blick in den Entwicklungsgang der Mythologie, des Glaubens und des Aberglaubens. Ursprünglich und dem klaren Volksbewusstsein sind die thier- und pflanzengestaltigen Fylgien, Geister, nur Charaktersymbole und Charakterbilder, wie auch die Dichter und das Volk noch heute die Menschen den Löwen und Hasen, den Hunden und Katzen, dem Tiger und der Hyäne (Grausamkeit), dem Lamme (Sanftmuth und Geduld), dem Biber und der Biene (Kunstfertigkeit und Fleiss), der Taube (Liebe), dem Adler (Muth und Kühnheit), der Rose (Jugend und Schönheit) mit ihren Dornen,




1) Vergl. auch Welker, griech. Götterlehre, I. S. 740, Anm. 12.
2) Mannhardt, a. a. O., S. 473-483 und S. 490, Anm. 1.



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der Lilie (Unschuld und Reinheit), der Cypresse (Hoheit und Grösse), der Eiche (Festigkeit) u. s. f. vergleichen; später und bald aber wird die blos symbolische Bedeutung auch hier vergessen und nun sind Götter und Menschen wirkliche Pflanzen und Thiere, aber verzauberte, verwünschte und bestrafte, welche der Erlösung harren und hoffen. Nehmen die Fylgien, welche in der christlichen Zeit in den Sagen vielfach zu Engeln umgestaltet worden sind, nicht die Thierbildung an, so erscheinen sie bald als hehre Frauen (die christliche Maria), bald ganz in derselben Gestalt wie der Mensch selbst. In Belgien sagt man: "Wenn ein Kind auf der Erde fällt, fällt ein Engel im Himmel mit." Verliessen die Seelen den Aufenthalt bei der Göttin Holda, Hrôsa, Gôde, den Wolkenhimmel, den Kindsbrunnen, die himmlische Kinderwiese und den himmlischen Kindergarten, musste entschieden werden, ob sie in einen menschlichen Körper hinabsteigen sollen, oder ob ihnen mit Bewahrung der Geistigkeit der Beruf eines Schutzgeistes zukommen solle, was noch heute in deutschen Kinderspielen dargestellt wird und worüber die schönen Ausführungen und Sammlungen von Mannhardt in ihrem ganzen Umfange nachgelesen zu werden verdienen. Das neugeborne Kind galt, so lange es die heidnische Wassertaufe, mit welcher die Namengebung verbunden war, noch nicht empfangen oder noch keine menschliche Speise genossen hatte, als Seele. Der menschliche, sowie jeder andere Körper wurde als ein Gewand gedacht, das die Seele anzieht (Iîhham, altn. likhamr). Das Band zwischen der Seele und dem Leibe war so lange los, bis es durch ein von den Schicksalsjungfrauen oder der höchsten Göttin gesponnenes Seil oder einen Ring, der in unseren Sagen besonders lebhaft unter der Benennung Schwanring in Erinnerung blieb, gefestigt wurde. Mehrere Spuren verrathen, dass man dieses Schicksalsseil erst während der Wasserbegiessung gefertigt wähnte. Auch der Genuss irdischer Speise raubt der Seele die rein geistige Natur und band sie in die Körperwelt.

Bei den Griechen 1) lehrte schon Hesiod das Dasein




1) Vergl. besonders Welker, griech. Götterlehre, I. S. 731 ff., über die Dämonen, erste und zweite, ober- und unterirdische Wächter; Preller, Demeter und Persephone, S. 222 ff.; Wachsrauth, die Ansichten der Stoiker über Mantik und Dämonen. Berlin 1860.



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ganzer unsterblicher Dämonengeschlechter; nach ihm gibt es drei Myriaden solcher zwischen Göttern und Menschen in der Mitte und als Vermittler bestehenden Luftgeister; im Luftraum sich aufhaltend, sind sie den Menschen als Hüter und Schutzgeister und zur Vertheilung der Göttergaben unter sie beigesellt. 1) Diese Dämonen waren zugleich den hohen Göttern untergeordnete, dienende Geister, wie es die christlichen Engel sind. Dasselbe Amt des Wachens und des Segnens, welches die Geister des Hesiod bei den Menschen erfüllen, ist nach den Lehren des Vêda theils den seligen Geistern, den Vätern, wie sie genannt sind, theils den Spähern (spaças), den Dienern des obersten Gottes, zugetheilt. 2) Im Rigy. X. 10, 8 wird z. B, gesagt: Es stehen nicht still und schlummern nicht jene Wächter der Götter, die hienieden umgehen. Rigv. VII, 61, 3 heisst es: Ihr reichet hinaus, Mithra und Varuna,. über die weite Erde, über den hohen erhabenen Himmel; Wächter stellet in Fluren und Menschenwohnungen und lasset unverwandt wachen auch über Die, welche sich zu entziehen suchen. In Rigv. Vl. 67, 5 wird den Menschen versichert, dass ihre Wächter sicher und untrüglich seien. - Hesiod Werke und Tage, Vers 121, singt vom ersten Menschengeschlecht seiner fünf Geschlechter:

Nun nachdem dies erste Geschlecht von der Erde bedeckt ist,
Sind sie Dämonen geworden, so wollte des mächtigen Zeus Rath,
Treffliche, erdebewohnende Hüter der sterblichen Menschen,
Welche die Obhut haben des Rechts und der frevelen Thaten,
Gehend als luft'ge Gestalten in allen Gebieten des Eidreichs,
Wohlstand schenkend: ein fürstliches Amt ward ihnen beschieden. 3)




1) Döllinger, Heidenthum und Judenthum, S. 89.
2) Roth, über den Mythus von den fünf Menschengeschlechtern bei Hesiod und die indische Lehre von den vier Weltaltern, Tübingen 1860, S. 17 ff.
3) Ueber die Weltalter vergleiche auch noch Welker, griech. Götterlehre, I. S. 719 ff.; Buttmann, über den Mythus von den ältesten Menschengeschlechtern, im Mythologus II. S. 1 ff. Den indisch-hebräischen Standpunkt von Buttmann werden übrigens jetzt (Fortsetzung S. 595 unten)



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Der Glaube an Personaldämonen oder Schutzgeister der einzelnen Personen findet sich bei den Griechen schon früh. Von den Menschen zugetheilten Personen redete bereits Vocylides (Olymp. 58); Pindar und Menander zeugen für denselben Glauben; jener lässt den Zeus die Dä-




(Fortsetzung) nur noch Wenige theilen, denn die Ansicht in der Literatur, welche die menschliche Cultur ans Indien herleiten wollte, ist längst und vollständig überwunden; die indische Bildung und Wissenschaft ist gegenüber den Chaldäern und Baktrern, den Sinesen und Aegyptern, sowie theilweise selbst den Griechen und Römern sehr jung. Aegypten z. B. soll nach Brugsch, histoire dél'Égypte dès les premiers temps de son existence jusqu'à nos jours, I. (Leipzig 1859), S. 24, wie die Scenen des Privat- und des öffentlichen Lebens auf den Grabkammern von Memphis darthun, schon zu Anfang des 5. Jahrhunderts vor Chr. eine hohe Civilisation besessen haben, während die Einwanderungen der Arier nach dem eigentlichen Indien wenigstens 3000 Jahre später fallen. Die Söhne und Enkel der Könige bekleideten schon damals in Aegypten hohe Aemter und Priesterstellen, hiessen Hierogrammaten, Vorsteher der königlichen Bauten, befehligten die Truppen und verwalteten die Nomen und Städte. Die Pyramiden und Gräber dieser Zeit zeigen die Ausübung der Architektur, Sculptur und der Malerei, Tischler, Zimmerleute, Töpfer, Glaser, vor allem Landbauern und Hirten, und dieselben Ackergeräthe wie noch jetzt. Auch besassen die alten Aegypter damals schon astronomische Kenntnisse. Brugsch glaubt sogar bis in jene Zeit die Sothisperiode hinaufreichen lassen zu dürfen, was der wohlgeordneten ägyptischen Chronologie ein sehr hohes Alter ertheilen würde. Jedoch sind auch nach Brugsch, S. 40, die Anfänge, der wissenschaftlichen Astronomie in Mesopotamien bei den Chaldäern zu suchen, obwohl man ihm darin nicht beistimmen kann, dass der Thierkreis erst in der alexandrinischen Periode in Aegypten eingeführt worden sei. Vergl. auch Spiegel, über die culturgeschichtliche Stellung des alten Persiens im Ausland für 1860, Nro. 17 und 18, Nr. 20 und 21. Spiegel betrachtet den Zusammenhang zwischen Niniveh und Aegypten als unleugbar und glaubt zugleich, dass auch im alten Persien kuschitische oder ägyptische Völkerschaften gewohnt haben. Als die Träger der assyrisch-babylonischen Cultur sieht Spiegel die Semiten an, während wir die Chaldäer, welche diese Cultur schufen, für Arier, für Indogermanen halten, womit auch E. Renan übereinstimmt. Brugsch, S. 112, betrachtet das allein im neuen ägyptischen Reiche erscheinende Emblem der Sphinx als nach den Ideen der assyrischen Priester in Aegypten eingeführt, was durchaus wahrscheinlich ist. Die grosse Sphinx von Gizeh stammt aus der Zeit von Tothmosis IV. DerCult des Osiris und der Isis scheint der pbönicische Cult des Baal und der Astorot (Astarte), der Sonne und des Mondes zu sein.



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monen befreundeter Männer lenken, und dieser versichert, dass jedem Menschen ein Dämon als "wohlthätiger Mystagog des Lebens" zur Seite stehe. Freilich wurde diese Idee vorzugsweise in den Philosophenschulen ausgebildet; im Leben und im Bewusstsein des Volkes trat sie nur wenig hervor, mehr noch die Scheu vor den bösen Dämonen. In Griechenland soll unter den Philosophen zuerst Xenokrates und dann die stoische Schule die Ansicht ausgesprochen haben, dass es böse Dämonen neben den guten, düstere und menschenfeindliche Wesen gebe. 1) Bekanntlich lehrte zu Athen auch der Bildhauer Sokrates, der Begründer der attischen Philosophie und der Lehrer des Plato, welchen die Pythia den Weisesten aller Griechen genannt hatte , 2) dass er eine innere warnende Stimme, ein inneres Orakel, einen Genius besitze, der seine Entschlüsse und Handlungen leite, welchen er in wichtigen Augenblicken berathe. Allein dieser berühmte Genius des Sokrates ist kein ägyptischer Genius, sondern nur eine prophetische, gleichsam magnetische Sehergabe, welche Sokrates sich zuschrieb und als ein besonderes Geschenk der Gunst der Gottheit betrachtete. 3)

Die Vorstellung von den menschlichen Schutzgeistern ist nicht ägyptischen, sondern asiatischen Ursprungs, wie das ganze Menschengeschlecht und die menschliche Geschichte. Die Geburtsstätte dieser Vorstellung ist das mittlere Hochasien und vor allem das alte Baktrien, das sogenannte Zendvolk. Nach dem Glauben des Zendvolkes sind die menschlichen Seelen aus dem Himmel in den menschlichen Körper niedergestiegene Geister, die sogenannten Ferwers (Fravashis) 4) und sollen nach vollbrach-




1) Döllinger, a. a. O., S. 658.
2) Götte, das delphische Orakel, S. 270, Anm. 3.
3) Hegel, Geschichte der Philosophie, I. S. 77; Döllinger, a. a. O., S 252.
4) Vergl. auch, was Benfey in Ersch und Gruber, Encyklopädie, Sect. II. Bd. XVII. S. 273, über die zendischen fravashi, welche er als identisch mit den indischen purusha hält und nach ihm ursprünglich die Urseelen bezeichnen, sagt. Haug bei Welker, griech. Götterlehre, I. S. 737, erklärt den Namen der fravashi für Beschützer von der Präposition fra = pro und var, unter wehren. Nach Haug sind die fravashi die Seelen der Abgeschiedenen, welche die Ihrigen schützend und segnend umgeben.



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tem reinen Erdenleben wieder über die Brücke Tschinewad oder die Milchstrasse nach ihrer Himmelsheimath zurückkehren. Diese himmlischen Geister sind nun zugleich das Urbild, die Uridee nach Plato, der Schutzgeist des Menschen, weshalb auch Ormuzd selbst einen Ferwer hat, d. h. der ewige Geist das Urbild seiner selbst ist. Auch nach altitalischem Glauben hatten selbst die Götter ihre Genien, und jedem Gotte entsprechend, wurde in Italien ein eigener Genius desselben angenommen. 1) Es ist daher unrichtig, neben dem eigenen Geiste des Menschen noch einen besonderen Schutzgeist anzunehmen; denn der in ihm wohnende ursprüngliche und reine Geist ist sein Schutzgeist und muss es sein, weil sonst Ormuzd keinen Ferwer und die Götter keine Genien haben könnten. Der Himmels- und Gottesfunke in der Menschenbrust ist sein Schutzgeist, er erleuchtet und überwacht ihn, weshalb wir auch noch heute sagen: "Dich möge dein guter Geist leiten!" Mit Recht sagt deshalb Döllinger, S. 360, dass in den Ferwers sich die Begriffe von Schutzengeln, göttlichen Seelenbestandtheilen und himmlischen Urbildern der geschaffenen Wesen vereinigen; der Ferwer ist der vollkommenste Ausdruck, in welchem sich der auf Einzelnwesen gerichtete Gedanken des Schöpfers verwirklicht hat, sie sind die uranfänglichen, ewigen Gedanken und Schöpfungen aller EinzeInwesen und bilden das himmlische Reich, die himmlischen Heerschaaren, die Boten und die Engel Gottes, zu denen deshalb auch gebetet wurde: Ich rühme, preise und liebe die reinen, starken, vortrefflichen Ferwer. 2) Dass übrigens der Volksglaube die eigentliche und reine Ansicht nicht festgehalten und den Genius des Menschen doch oft oder gewöhnlich von ihm verschieden, ausser und über ihm gedacht habe, ist begreiflich - eine weitere Entwickelung dieser Volksansicht war es dann, dem Menschen zwei Genien, einen guten und einen bösen, beizugeben, welche sich gleichsam um ihn stritten. Diese beiden




1) Preller, röm. Mythologie, S. 67 u. 14 ff.
2) Vergl. auch Furtwängler, die Idee des Todes, S. 193, Anm. 12.



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Genien, welche wir zuerst bei den Aegyptern, dann bei den Griechen, bei den Etruskern und Römern finden, sind im Grunde nur die Personifikationen der in dem Menschen liegenden Möglichkeit zum Guten und zum Bösen, der ihm in seiner Willensfreiheit überlassenen Wahl zwischen zwei Wegen. Es ist bekannt, dass dem Brutus kurz vor seinem Untergange sein böser Genius erschienen sein sollte. Neben der Vorstellung von den zwei Genien des Menschen erscheint bei den Römern aber auch der Genius als der dem Menschen bei seiner Geburt mitgegebene, zwar von ihm unzertrennliche, aber doch wesentlich verschiedene Schutzgeist; nach andern Aeusserungen war auch der Genius von dem Menschen selbst nicht unterschieden, war des Menschen eigener Geist. 1) In der letztern Hinsicht lehrte z. B. bei den Römern der gefeierte stoische Moralist Epictet, welcher übrigens zu Hieropolis in Phrygien im Jahr 90 nach Christus geboren war, der Dämon in uns sei unsere eigene Vernunft und unser Wille, als ursprünglich aus Gott emanirt und in ihrer idealen Reinheit gedacht, dieses sei die höhere Macht, auf deren Hülfe wir vertrauen und die wir anrufen sollen. 2) Bei den Griechen hatte schon früher Heraklitus erklärt, dass es einen von der Seele selbst verschiedenen Genius als Führer des Lebens nicht gebe, sondern dass des Menschen Gemüth und Charakter sein Genius sei.

Die Römer pflegten auch bei ihrem Genius, der als ein Ausfluss Jupiters betrachtet wurde, zu schwören; Unterthanen schworen bei dem Genius des Kaisers und seinem Glücke.

Bei den Römern hatte jeder einzelne Mensch, Haus, Stadt und Volk, menschlicher und staatlicher Verein u. s. w. seinen leitenden und beseelenden Genius. Sogar die Zollerhebungsstätten (stationes) hatten einen genius stationis dem z. B. bei St. Maurice in Wallis eine Inschrift gewidmet ist. 3) Das Wort genius ist auch zunächst römischen




1) Döllinger, a. a. O., S. 513.
2) Döllinger, a. a. O., S. 577.
3) Mommsen, die Schweiz in römischer Zeit, Zürich 1854, S. 8, Anm. 9.



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Ursprungs und hängt zusammen mit gens, geno, gigno, so dass also genius ein schöpferisches und beseelendes Wesen ist, welches, wo sich immer ein eigenthümliches Leben regt, unsichtbar thätig ist, sowohl im Ganzen und im Grossen, als im Einzelnen und im Kleinen. 1) Daher identificirt auch Varro den Genius mit der vernünftigen Seele eines jeden einzelnen Menschen oder nimmt so viele Genien als einzelne Menschen an, und als Universalgenius der Welt gilt ihm Gott oder die göttliche Weltseele. Der Genius ist somit der in der Menschheit und in der Welt lebende und sie beseelende göttliche Geist, das Geistige und Beseelende. In diesem Sinne darf daher auch ein jeder Mensch ein Genie, ein Geist, ein Genius genannt werden, und was der Mensch Geistiges besitzt und vollbringt, ist genial; im engern und eigentlichen Sinne aber ist ein Genie ein grosser und schöpferischer Geist. Im allgemeinsten Sinne ist der Genius die zeugende, belebende und erhaltende Kraft, der Lebensgeist, die Lebenskraft, weshalb auch Alles, was in der Natur und der Menschheit besteht und vergeht, ja die Gottheit selbst, ihren Genius hat. Die Ansichten über den Genius waren also bei den Römern wie allerwärts höchst schwankend. Bei den Römern war das jährliche Fest für den Genius der Geburtstag; man verehrte ihn da mit Wein und Blumen, mit Opferkuchen, Honig und Weihrauch, und nur der Darbringer allein kostete von dem Geopferten. Diesen Dienst des Genius betrachtete schon Plinius als eine förmliche Selbstvergötterung. - Auch bei den Deutschen hatten übrigens ganze Geschlechter ihre Fylgien und diese gleichen auffallend der deutschen Ahnfrau, deren Erscheinen einen Sterbefall im Geschlecht verkündet. 2) In der christlichen Zeit wurden die alten heidnischen Schutzgeister in die Schutzengel und Schutzpatrone umgestaltet und umgenannt; so ist namentlich Johannes der Täufer der Schutzgeist, der Genius der Maurer und der Maurerei. Endlich ist hierher zu beziehen, dass nach indischem Glauben einem jeden Menschen auf der Schulter zwei unsichtbare Wesen




1) Preller, röm. Mythologie, S. 67.
2) Simrok, Mythologie, S. 393 oben.



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sitzen, seine Thaten zu betrachten und einstens bei Gottes Gericht zu melden. So sitzen die Raben Huginn und Muninn, Gedanke und Erinnerung, auf Odhins Schultern, - so flattern Rothbarts Raben um den Kyffhäuser, - Ivleinrads Raben verrathen im Wirthshause zu Zürich die dahin von Einsiedeln entflohenen Mörder, und auf der Schulter der Schlüsseljungfrau von Tegerfelden sitzt gleichfalls ein solcher Vogel. Nach altarabischem Glauben, den Mahommed verbot, wächst aus dem Kopfblute schuldlos Erschlagener der Vogel Ham und schreit nach des Mörders Blut. 1) Auch wird wohl Jeder hier der Kraniche des. lbycus gedenken:

Sieh' da! Sieh' da, Timotheus,
Die Kraniche des Ibycus."

Die göttlichen Thiersymbole, die Thiergeister und Thiergespenster haben übrigens Rochholz, a. a. O., II. S. 71 ff., verleitet, auch den alten Deutschen den Glauben an die Seelenwanderung in Thiere zuzuschreiben und diesen Glauben sogar mit Lessing nicht so unvernünftig zu finden. Ebenso leicht, meint Rochholz, hätte es beinahe geschehen können, dass wir die geheiligten Figuren des neuen Glaubens in derselben Gestalt der Thiersymbolik, in welcher wir sie ursprünglich verehren lernten, bis auf die Neuzeit fortvererbt hätten. Eine Evangelienhandschrift des 10. Jahrhunderts aus St. Eloy bei Arras stelle die vier Evangelisten mit den Häuptern ihrer Attribute dar: Matthäus habe den Kopf eines Jünglings, Lukas den eines Rosses, anstatt eines Ochsen, Johannes den eines Adlers, mit Klauen statt der Hände (Marcus wird nicht erwähnt).

In den Urkunden und Ritualen der Maurer sind höchst beachtenswerthe Ueberreste des alten Genienglaubens und Geniendienstes enthalten, welche den Durchgang der Maurerei durch die Römer, durch die religiösen römischen Baukorporationen und damit das hohe Alterthum der Maurerei beurkunden. In dem ältesten englischen Lehrlingsfragstücke wird unmittelbar nach seiner Beeidigung der Neuaufgenommene durch den Meister vom Stuhl aufgefordert.,




1) Rochholz, Schweizersagen aus dem Aargau, II. S. 44.



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dem Genius ein Weinopfer, eine Weinspende darzubringen (funde merum Genio!). 1) Der Genius, welchem hier ein Trankopfer dargebracht werden soll, ist nicht etwa der Genius des Neuaufgenommenen selbst, sondern ganz unzweifelhaft der Genius der römischen Baukorporation, wie ja namentlich auch einer Korporation, d. h. einer jeden wirklichen und moralischen Person von den Römern ein besonderer Genius zugeschrieben und von dieser verehrt wurde. Da sodann dieser Genius unmittelbar nach der Beeidigung des Neuaufgenommenen erwähnt wird und dieser ihm nunmehr durch eine Libation für die Aufnahme danken soll, ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Aufgenommene seinen Aufnahmseid bei dem Genius der Korporation und des Bundes geschworen habe, wie die Römer bei dem Genius ihrer Vaterstadt, bei ihrem eigenen Genius und bei demjenigen ihres Schutzgottes, späterhin aber besonders bei dem Genius des Kaisers und bei seinem Glücke schworen. 2) Bei ihrem eigenen Genius, d. h. bei ihrer eigenen zeugenden Kraft konnten natürlich nur Männer schwören. 3) Krause glaubt, da die Römer, wenn sie den Genius anredeten, sich zur Erde niedergeworfen haben, sei es sehr wahrscheinlich, dass in den römischen Kollegien der Aufzunehmende seinen Vertrag mit der Gesellschaft vor dem Altare des Genius zur Erde gestreckt, bei dem Genius des Kollegium beschwor, und alsdann sein Gelöbniss durch eine Weinspende (griech. , woher das deutsche Spende) besiegelte. - Ferner wird dem Maurergesellen bei dem Antritte seiner fünf symbolischen Reisen, wovon jedoch zwei erlassen zu werden pflegen, noch heute symbolisch ein warnender Genius zum treuen Reise- und Lebensbegleiter mitgegeben. Wer dieser warnende Genius sei, sein solle und allein sein könne, wurde schon dargelegt. Die Worte: "funde merum Genio!" finden sich übri-




1) Krause, Kunsturkunden, I. 1. S. 165, verglichen mit Demjenigen, was dazu in der Anmerkung und ferner II. 1. S. 171 ff., über den Genienglauben und Geniendienst der Alten, besonders aber der Römer und der römischen Bankorporationen, bemerkt ist.
2) Krause, Kunsturkunden, II. 1. S. 173; Lasaulx, Studien, S. 212.
3) Preller, röm. Mythologie, S. 69.



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gens auch in der sechsten Satyre des Persius, sind mithin jedenfalls eine ursprünglich römische Formel.

Die Schulen und die Mysterien der Druiden wurden theils auf lichten Anhöhen, theils in dichten Eichenwäldern, theils in Höhlen, - in jetzt noch angestaunten, wundersamen sogenannten Druidenhöhlen, 1) auf Bergrücken, z. B. zu Belchen im Breisgau, und in kolossalen Steingehegen, z. B. in Stonehonge in England, und endlich an Quellen, auf Landzungen und Inseln, z. B. auf der Insel Sena, der Bretagne gegenüber, gehalten. Die Druidenhöhlen erinnern wieder an die Mithrahöhlen, - an die Höhle oder Grotte der idäischen Daktylen und Kureten, des idäischen Zeus und seiner Mutter Kybele auf Kreta, in welcher auch Pythagoras in die dortigen Hysterien eingeweiht worden war. 2) Diese Höhlen scheinen nach den Sagen, welche sich noch in christlicher Zeit z. B. von der Höhle des heiligen Patricius in Irland erhalten hatten, 3) von den Druiden bei ihren Weihungen besonders auch dazu benützt worden zu sein, um an dem Einzuweihenden die Schrecken, Qualen und Strafen der Hölle und die Freuden und lohnenden Seligkeiten des Himmels vorüberzuführen und dadurch Abscheu vor dem Laster und Liebe zur Tugend, Furcht vor der Hölle und Sehnsucht nach dem Himmel zu erwecken und einzuflössen. Die Höhlen waren zunächst Prüfungs- und Qualkammern, Kammern des stillen Nachdenkens im Geiste und Sinne jener alten und rohern Zeiten. Gebraucht man die in den heiligen Gebäuden der Druiden und überhaupt in den Bauten, - blossen Steinkreisen, Steinpfeilern und sonstigen Steinmalen, kleinen Tempeln der Kelten sich verkündende Baukunst 4) zum Massstabe




1) Vergl. z. B. Jahn, der Kanton Bern, S. 75, 286 ff., 296 ff. - Jahn muthmasst, dass, nachdem in der römisch-keltischen Zeit der druidisch-keltische Kult sich mit dem Mithrasdienste verbunden hatte, diesem auch die Druidenhöhlen gedient haben.
2) Röth, a. a. O., II. S. 360 ff.
3) Meiners und Spittler, neues göttingisches historisches Magazin, II. S, 567 ff.
4) Vergleiche darüber Weiss, Kostümkunde, Stuttgart 1860, S. 659 ff.; Alb. Jahn, die keltischen Alterthümer des Kantons Bern in Absicht auf Kunst und ästhetisches Interesse dargestellt, Bern 1860; Eckermann, a. a. O., III. 2. S. 27 ff. und S. 260 ff.



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ihrer Kultur und Wissenschaft überhaupt, dann kann es wohl nicht zweifelhaft sein, dass hierin die Druiden und die Kelten weit hinter den Aegyptern und Griechen zurückstanden, oder dass die Aegypter und Griechen in der Kultur und Wissenschaft sie eben so sehr überragen, wie der ägyptische und griechische Tempel die keltischen Steingehege, - die ägyptischen und griechischen Gräber und Grabdenkmale die keltischen Erd- und Steingräber oder Haufen verdunkeln. - Sehr besucht und berühmt waren in Gallien die Schulen der Kelten bei Augustodunum (das alte Bibracte, jetzt Autun), bei Massilia in einem dortigen Haine, Lugdunum, Narbo, Tolosa und Burdegalla. In der Schule bei Tolosa sollen grosse Schätze aufgehäuft gewesen sein. 1) Wandernde Druiden traten als Lehrer auf, wenigstens in der spätern römischen Zeit und Herrschaft, und der Druide Quintillianus soll um's Jahr 100 nach Christi die erste öffentliche Schule zu Rom eröffnet haben, 2) worin aber schwerlich das blosse Wissen der Druiden, sondern die druidisch-römische Wissenschaft vorgetragen wurde. Auch finden sich Spuren von öffentlich angestellten Lehrern zu Aventicum im römischen Helvetien oder Keltenlande. 3) Wenn bei den Griechen Abaris nicht eine blos mythische Person ist, wie angenommen werden dürfte, sondern eine historische oder wirkliche, dann war er ein solcher wandernder druidischer Lehrer. 4) Die Druiden waren aber nicht blos Lehrer, sondern auch Verfertiger von Zaubertränken, Wunderdoktoren, und bereiteten namentlich ein wider alle Gifte helfendes (omnia sanans) und zugleich Fruchtbarkeit verleihendes Heilmittel aus der heiligen Mistel, welche um die Zeit der Wintersonnenwende beim Jahresanfange unter grossen Feierlichkeiten von dem Oberdruiden selbst in weisser Kleidung und mit blossen rein gewaschenen Füssen mit goldener Sichel vom Baume in einen untergehaltenen weissen Mantel abgeschnitten worden war, wie dieses Plinius, hist. natur. lib. XVL, cap. 44, umständlich




1) Walther, a. a. O., S. 115.
2) Brosi, a. a. O., S. 90.
3) Mommsen, die Schweiz in römischer Zeit, S. 24.
4) Vergl. Creuzer, "Abaris, eine Idee," in der Symbolik, II. S. 142; Brosi, a. a. O.. S. 94, Anm. 1,



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berichtet. Nach Walther, a. a. O., S. 150, Anm. b 1) sollen sieh bis auf heute einige Ueberbleibsel von diesen alten druidischen Ceremonien in Frankreich und besonders in der Picardie unter dem Volke erhalten haben, indem die Leute zu Neujahr in den Dörfern von Haus zu Haus mit dem Rufe: a guy l'an neuf (der Mistel das Neujahr, Heil der Mistel im neuen Jahr) und gleich darauf plantéz, plantéz, laufen. In Marseille und in der Dauphiné zündete man am Weihnachtsabend, da die Zeit der Sonnenwende der eigentliche Jahresanfang war, den schon berührten Julblock, einen grossen eichenen Klotz (calendeau, caligneau, chalendal) an und begoss ihn mit Wein und Oel. Auch in Wales begrüsst man sich noch zu Neujahr mit dem Rufe: "Au guy l'an neuf!" und hängt Misteln auf den Dächern auf. Ebenso ist noch gegenwärtig in England Gebrauch, unter einem an der Decke aufgehängten Mistelbüschel am Weihnachtsabende zu tanzen, wobei jede Dame unter demselben ihren Tänzer küssen oder sich von ihm doch küssen lassen muss. 2) Das Letztere erinnert auch an eine deutsche rheinische Sitte auf den Sylvesterbällen; es wird nämlich eingerichtet, dass die Mitternachtsstunde, welche das Ende des alten und den Anfang des neuen Jahres verkündet, mitten im rauschenden Walzer ertönet oder vielmehr durch die Musik geblasen wird, worauf die Tänzerpaare sich küssend Glück wünschen und der Neujahrswalzer ausgetanzet ist. - Wie die Mistel um die Zeit der Wintersonnenwende von den Druiden geschnitten und zu einem Heilmittel oder Heiltrank zubereitet wurde, geschah dieses in ähnlicher Weise um die Zeit der Sommersonnenwende oder beim Anfange der Hundstage mit dem Eisenkraut (Verbena), welches gedörrt wurde. Die Druiden behaupteten, wer sich damit reibe, erhalte was er wünsche; es vertreibe das Fieber; es mache Freunde aus Feinden und heile alle Arten von Krankheiten. 3) Mit andern Pflanzen wurde es gleich gehalten, wie Walther, a. a. O., S. 153 ff., umständlich nach Plinius erzählt, und




1) Vergl. auch Richter, a. a. O., S. 491 a; Eckermann, a. a. O., III. 1. S. 61 ff.
2) Simrok, deutsche Mythologie, S. 93 ff.
3) Walther, a. a. O., S. 150 ff.



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welches die besten Belege für die Menzel'sche nordische oder germanisch-keltische Weisheit sind. Eben dahin gehören auch die Zauberkräfte verleihenden angeblichen Schlangeneier (anguinum nach Plinius zu seiner Zeit genannt) 1) und die neun zaubernden und wahrsagenden keuschen Druidinnen, die sogenannten Gallicenen auf der Insel Sena im britannischen Meere, 2) wie solche zaubernde und wahrsagende Priesterinnen auch noch vielfach anderwärts bei den Kelten und Germanen erscheinen. Das wahre und einzige Schlangenei war die Sonne, welches nach einer der ersten und der rohesten mythologischen Vorstellungen verschiedener alter Völker im Frühjahr durch die Gewitterschlangen oder die Blitze neu geformt werden sollte, und wobei man zugleich von der irrigen Voraussetzung ausging, dass die Schlangen Eier legen, was Schwartz, a. a. O., S. 26 ff., sehr schön dargelegt hat, später wurde auch hier die mythologische Vorstellung getrübt und vom Himmel auf die Erde entrückt, wo nun die Schlangen um die Zeit ihrer Begattung durch den aus ihren Schlünden fliessenden Geifer und dem leimartigen Schleim ihrer Haut einen künstlichen unauflöslichen Knoten bildeten, welchen man das Schlangenei, ovum anguinum nannte, und das seinem Besitzer wunderbare Kräfte, z. B. den Gewinn der Herzen und der Processe verleihen sollte. Nach Weiss, Kostümkunde, S. 633, trug der druidische Oberpriester, Coibhi-Druid, als Zeichen seines Amtes und seiner Würde neben einem längeren oder kürzeren scepterförmigen Stabe mit Knopf, neben den mit dem Pentalpha (Drudenfusse) gezierten Schuhen u. s. w. auch ein in Gold gefasstes Schlangenei. Das Schlangenei möchte wohl ein Symbol des Welteies, der Welt oder auch der Obergewalt, gleich dem ägyptischen Uräus, gewesen sein. Auf einem Grabmale hat man zwei Schlangen abgebildet gefunden, die eine mit dem Ei im Schlunde, die andere mit ihrem Geifer bemüht, das Ei




1) Schwartz, Ursprung der Mythologie, S. 27, Anmerk. 12; Eckermann, a. a. O., III. 1. S. 72 ff.
2) Diese neun Gallicenen, woran sich die neun Barden des Merddin Emrys reiben (Eckermann, III. 2. S. 198 u. 213), erinnern an die neun Musen des Apollo.



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auszubilden. Eine geflügelte, unsterbliche Schlange mit diamantenem Auge kennt das Juragebirge unter dem Namen Vouivre. Die Schlange und das Ei könnte also bei den Kelten auch das Symbol des Lebens und der Unsterblichkeit gleich dem germanischen Osterei sein. Da das Pentalpha des druidischen Oberpriesters wenigstens in den spätern Zeiten gewöhnlich in den äussern fünf Ecken die fünf Buchstaben und in den fünf innern Ecken salus trug, dürfte hieraus allein schon auf den griechisch-römischen Ursprung des Pentalpha bei den Druiden zu schliessen sein. 1) Musikalische Instrumente, runde und linsenförmige Glaskugeln, Abzeichen der verschiedenen Lehrstufen der Druiden, in Wales Gleinian oder Gleinina Dhruidhe, im schottischen Niederlande Adderstones (Schlangensteine) genannt, finden sich häufig in Schottland. Die letztern waren nach den verschiedenen Graden von verschiedenen einfachen und bunten Farben. Die blauen gehörten den vorsitzenden Barden, die weissen denDruiden, die grünen den Eubuten, die dreifarbigen den Schülern; 2) die keltische Priesterschaft zerfiel nämlich in drei Klassen oder Ordnungen, die Senani oder die eigentlichen Druiden (Priester, Lehrer und Richter), die Eubutes (die Naturkundigen, die Astronomen, Mathematiker, Aerzte und Zauberer) und die Barden (die Dichter und Sänger, Philosophen und Geschichtsschreiber). 3) Da der eigentliche maurerische Schmuck und namentlich die verschiedenfarbigen Schürzen, Brust- und Halsbänder aus England stammen, möchte es keinem Zweifel unterliegen, dass dieselben keltischen oder druidischen Ursprunges seien.

An den keltischen Neujahrsgruss und Wunsch: Au guy l'an neuf!, welcher nur die Freude über die glücklich aufgefundene, heilbringende Mistel 4) ausdrücken sollte, schliessen sich übrigens viele ähnliche. An dem ägypti-




1) Richter bei Ersch und Gruber, Encyklopädie, I. Bd. XXVII., S. 489 a, woselbst eine Abbildung des Pentalpha mit seiner griechischen und römischen Inschrift gegeben ist.
2) Eckermann, III. 2. S. 69 u. 198.
3) Eckermann, III. 1. S. 4 ff.
4) Vergleiche über die Mistel auch noch Eckermann, III. 1. S. 70 ff.



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schen Feste der Epiphanie oder Erscheinung, Wiedererscheinung des Osiris, einem Freudenfeste über die Wiederauffindung und Wiedererscheinung des Osiris, welches am 6. Januar gefeiert wurde und woraus das christliche Fest der Epiphanie oder des Tauftages Christi hervorgegangen ist, begrüssten sich die Aegypter gegenseitig mit der Formel: " (Wir haben ihn gefunden, wir wünschen Glück)!" wie sich noch heute zu Ostern die Griechen mit dem Rufe: " (Wir wünschen Glück, denn der Herr ist erstanden)!" sich Glück wünschen.1) In der russischen Kirche lautet dieser unaufhörlich am Ostermorgen ertönende Glücksruf "Christos wos kräs (Christus ist erstanden)!" und wie bei uns die Behörden am Neujahrstage Gratulationsbesuche empfangen, werden solche in Russland am Ostermorgen den Behörden gemacht; in den russischen Häusern wird jener Gruss mit dem Osterkusse erwidert, den selbst die niedrigsten Diener von ihrem Herrn und die gemeinsten Soldaten von ihrem Generale empfangen und wobei namentlich auch das Geschenk von Eiern nicht zu fehlen pflegt. 2) Ebenso hiess es bei dem Adonienfeste nach dem siebentägigen Trauerfeste: "Adonis lebt und ist aufgefahren!" 3) Ferner wurde bei den Dionysien, bei der Feier der Wiedererweckung des Dionysos, von den Eingeweihten gerufen: "Hyes, Attes, Attes Hyes (Es lebt der Vermisste - Dionysos nämlich - der Vermisste lebt)!" 4) Auch pflegen alle diese Feste von Freudenfeuern auf den Bergen, wie bei dem keltischen Mistelfeste und bei dem christlichen Osterfeste, - oder von brennenden Lichtern und Lampen in den Tempeln, Kirchen und Strassen, wie bei dem Epiphanienfeste und christlichen Osterfeste begleitet zu sein; das Epiphanienfest wurde daher , Tag des Lichtes oder der Lichter genannt, obwohl Creuzer, Symbolik, IV. S. 580, Anm. 3, eine andere Deutung zu geben versucht. Nach Bodenstedt, die Völker des Kau-




1) Hammer, in den Wiener Jahrbüchern der Literatur 1818, III. S. 149.
2) Ausland für 1855, S. 207.
3) Movers, die Phönicier, I. S. 205.
4) Röth, Geschichte unserer abendl. Philosophie, II. S. 600.



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kasus und ihre Freiheitskämpfe gegen die Russen (1848), S. 151, begehen die Armenier am Tage der Lichtmesse (den 2. Februar) die Feier des Mihr (Mithra), des Urfeuers, durch feierliche Anzündung des Feuers nahe bei der Kirche. Bei den zur Zeit der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche gefeierten Mysterien der Corybanten zu Pessinus in Galatien suchte man am zweiten Tage der im Ganzen dreitägigen Trauer in nächtlichen Processionen mit Fackeln, wobei mit Hörnern geblasen wurde, den verlorenen Atys; nachdem man den verstümmelten Körper des Atys am Fusse einer Fichte aufgefunden hatte, brachte man ihn in den Tempel, wo er verschied. 1) Nach Andern soll eine Fichte umgehauen worden sein, an deren Mitte die Figur des Atys befestigt worden war. Die Fichte ist hier nur das Symbol der wiederauflebenden und unzerstörlichen Sonnen- und Naturkraft, wie es die Mistel bei den Druiden, die Palme bei den Aegyptern, der Christbaum und die Osterpalmen der Christen, der Taxus zu Eleusis, der Lotus in Aegypten und in Indien, die Akazie der Maurer u. s. w. sind. Auch in den eleusinischen Geheimnissen wurde am Vorabend der Einweihung in die grossen Mysterien die Tochter der Ceres oder Demeter, die , in nächtlichen Processionen mit Fackeln aufgesucht. 2) An alle diese Mysteriengebräuche reiht sich bei den Maurern innig an: das Verschwinden und das Aufsuchen , sowie das endliche Wiederauffinden des Adonis-Osiris-Hiram, ganz nach dem Vorbilde der Adonien oder Adonisfeiern, 3) worauf die bisher dunkele Todtenfeier sich in die lichte Feier des Wiederfindens, der Wiederauferstehung, auflöset und umwandelt. Adon-Hiram heisst nach Movers, die Phönicier, I. S. 194, unser Herr Hiram oder der Herr Hiram, wie auch gesagt wird: Adon Baal, Adon Baal-Chon und bei den Aegyptern Adon-Ra. 4) Das phönicische Adon (der Herr, der Sonnengott,




1) Sainte-Croix. a. a. O., S. 72 ff.
2) Preller, griechische Mythologie, I. S. 480 ff., Schömann, griechische Alterthümer, II. S. 348.
3) Movers, die Phönicier, I. 8. 200 ff.
4) Uhlemann, ägyptische Alterthumskunde, IV. S. 141.



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der Gott schlechthin), woraus die Griechen den Jüngling machten, entspricht ganz dem alttestamentalischen Jehovahnamen Adonai; Adonai heisst im Hebräischen wörtlich: meine Herrn und Adoni: mein Herr. Die Adonien wurden in Syrien im Monat Juni gefeiert, und der Juni hiess syrisch Tammûz, woher auch Adonis selbst Tammûz, d. i. die Trennung, der sich von der Sonne und der Erde Trennende. Anderwärts, namentlich zu Byblus, in der heiligen Stadt des Adonis , wurden die Adonien zur Herbstzeit gefeiert, wodurch natürlich Adonis, Hyakinthos, Apollo, aus einem Frühlingsgotte zu einem Herbstgotte, Osiris, Dionysos, Jakchos, Hiram wurde; der Sonnengott, die Jahressonne stirbt entweder in der Sommersonnenwende, oder in der Herbst-Tag- und Nachtgleiche und darnach waren die Adonien entweder ein Solstitial-, oder Aequinoctialfest, welches sieben Tage, die uralte Trauerwoche im Oriente , dauerte. Je nach der Zeit der Festfeier hatten auch Adonis und der ihn verfolgende und tödtende feindliche Ares eine andere Bedeutung; Ares war entweder der das Naturleben vernichtende glühende orientalische Sommer, oder der kalte Winter. Ares steht hier gleich dem ägyptischen Typhon, den Titanen des Dionysos, dem germanischen Hödur u. s. w. Die Adonisfeier nahm ihren Anfang mit dem Verschwinden, , des Adonis, dem das Suchen, , der Weiber folgte. Die Mythe stellt dies Suchen dar durch das webklagende Suchen der Göttin (Astarte und besonders Baaltis in Phönicien, Aphrodite in Griechenland) 1) nach ihrem vermissten und verlorenen Geliebten, welches dem Suchen der Persephone in den Eleusinien, der Harmonia auf Samothrace, der Jo in Antiochien analog ist. Für die Byblier war das Zeichen




1) Vergleiche noch besonders Furtwängler, Idee des Todes, S. 318 ff., welcher auch die babylonische Mylitta dem Adonis insofern beigesellt, als der Trieb des Erzeugens beständige Liebeslust zum Licht in ihr entflamme. Zugleich weist Furtwängler Überzeugend abermals nach, dass der ägyptische Osiris-Isis-Nepthys-Kultus und der thracisch-griechische Dionysos-Demeter-Persephone-Kultus nur aus dem asiatischen und besonders phönicischen Kultus des Adonis und der Baaltis oder Astarte, oder auch Mylitta hervorgegangen sei, wie später selbst der reine Adonisdienst Eingang in Griechenland fand.



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zum Anfang der Trauerzeit, wenn der Adonisfluss, jetzt Nahr Ibrahim, sich blutroth färbte, welches zur Herbstzeit geschah, wenn der Regen die rothe Erde an seinen Ufern und an den Quellen und Bächen im Libanon losspülte. Dann hiess es, Adonis sei im Gebirge auf der Jagd von Mars oder von dem Eber, in welchen sich Mars verwandelt hatte, getödtet und sein in den Fluss rinnendes Blut färbe das Wasser. Was die Weiber suchten, war ein Holzbild des Adonis, auch genannt, welches man in - den sogenannten Adonisgärtchen, , verborgen hatte. Diese Adonisgärtchen waren irdene, mit Erde angefüllte Gefässe, in die man Weizen, Gerste, Lattich und Fenchel gesäet hatte; die Frauen stellten sie an die Thüren des Hauses oder in den darnach genannten Vorhöfen des Adonis der Sonnenhitze aus, und das Hinwelken der vielleicht durch starke Düngung schnell aufgeschossenen zarten Pflanzen war ein Symbol des vom Feuergotte Mars getödteten Jünglings, und wird nicht selten gebraucht als ein übrigens ächt orientalisches Bild von der Kürze und Hinfälligkeit des menschlichen Lebens und der irdischen Güter und Freuden. In einem Adonisgärtchen wurde Adonis wieder gefunden, weswegen die Mythe sagt, er sei von dem Eber im Lattich getödtet und darin von der Aphrodite wieder aufgefunden worden. Das Wiederauffinden, , war der Anfang einer gewöhnlichen Todtenfeier, mit allen im Oriente dabei vorfallenden Gebräuchen, die aus dem alten und neuen Testamente bekannt sind. Vorzüglich waren es die Frauen, welche nach Art der Klagweiber um den Todten trauerten. Das Leichenbild des Adonis wurde dabei gewaschen, mit Specereien gesalbt und mit Leinwand oder Wolle umwunden. Das einbalsamirte Bild des Adonis wurde dann in einen Sarg gelegt und der Sarg auf einer Leichenbahre ausgestellt. Man zeigte an dem Bilde die Wunde, welche ihm der Eber beigebracht hatte. Nach einer Erzählung des Panyasis verweilte Adonis acht Monate bei der Aphrodite auf der Oberwelt und vier Monate als verstorbener Sonnengott in der Unterwelt.




1) Creuzer, Symbolik, II. S. 97.



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Dem Adonis verwandt ist auch Attes, der Liebling der grossen phrygischen Göttin Dindymene oder Kybele, der in einem Anfall von Wuth sich selbst entmannte und darüber starb oder getödtet wurde, worauf Kybele im wahnsinnigen Schmerze, ihren Geliebten suchend und rufend, im Lande umherstreifte. Ihm zu Ehren wurde jährlich eine Todtenklage angestellt; nach der gewöhnlichen Vorstellung aber blieb er, wieder in das Leben gerufen, der stete Begleiter der Göttin. Auch in dieser Erzählung wird nur personificirt das unerbittliche Gesetz des Todes aus dem Leben und des Lebens aus dem Tode. In einem alten Hymnus auf Attes heisst es.: "Ob du des Kronos, oder des Zeus, oder der grossen Rhea Erzeugter seist, sei mir, gegrüsst, o Attes, du, den Rhea mit weithinschallender Stimme ruft. Dich nennen die Assyrer (Syrer) den dreifach geliebten Adonis; in Aegypten heisst du Osiris, das himmlische Mondshorn; die Hellenen nennen dich Ophias, die Samothracier Adam , bei den Hämonischen Thraciern ist dein Name Korybas; die Phrygier endlich heissen dich bald Pappas, bald den Todten oder den Gott, und wiederum den Unfruchtbaren oder den Ziegenhirten, oder die junge abgemähte Aehre, oder den vom fruchtbaren Mandelbaume geborenen Flötenspieler (Agdistis)." 1) - Attes also und Adonis, Osiris und Korybas, Zagreus oder der in den eleusinischen Geheimnissen erscheinende Jakchos und Agdistis, Adam oder Esmun, alle diese sind im Grunde ein und dasselbe göttliche Wesen; es sind dies die Namen des gleichen leidenden und sterbenden Naturgottes bei den Syrern und Phrygiern, bei den Phöniciern und Aegyptern, auf Samothrace und Lemnos und in den eleusinischen Geheimnissen zu Athen und an andern griechischen, Orten. Ophias nämlich, der Schlangensohn, ist kein Anderer als Dionysos-Zagreus, 2) der Sohn des schlangengestalteten Zeus. Nach Röth, a. a. O., II. S. 673, stammt der Name des Dionysos aus dem ägyptischen Ti-en-ose, d. i. Ertheiler




1) Hippolyt. adv. haer. p. 118; Döllinger, Heidenthum und Judenthum, S. 141.
2) Vergl. darüber auch Preller, griech. Mythologie, I. S. 426 ff. und S. 436.



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der Vergeltung, indem Dionysos-Zagreus gleich Osiris in der Unterwelt das Todtenrichteramt ausübt. Preller, griech. Mythologie, I. S. 416, führt die gewöhnliche Ableitung des Namens des Dionysos von , d. i. ein saftig fruchtbarer und feuchter Ort, mit dem Beifügen an, dass keine der bis jetzt versuchten Worterklärungen zureichen wolle; Welker, griech. Götterlehre, I. S. 438, erklärt es dagegen für sicher und unbestreitbar, dass der Name des Dionysos mit Nysa, auch geschrieben, übereinstimme. Die junge abgemähte, die gelbe Fruchtähre des Attes, welche aus dem phrygischen Götterkultus als ein Hauptsymbol in die. eleusinischen Geheimnisse übergegangen ist, ist ein den Adonisgärtchen verwandtes Symbol des plötzlich dahingerafften blühenden Lebens, aber auch der Unsterblichkeit, der sichern Hoffnung des neuen Lebens oder der Wiederauferstehung aus dem Tode, weil die Aehre in dem Saatkorn den Keim des neuen Lebens birgt und trägt. Der szufitische Dichter Dschelaleddin Rumi sang:

Wenn die Blüthe fällt, erhebt die Frucht ihr Haupt,
Wenn der Körper bricht, erhebt der Geist sein Haupt. - -
Wirfst den Weizen tief du in der Erde Schooss,
Bald ersteht die goldne Aehre, reich und gross.

Von den in dem Vorgehenden berührten priesterlichen und wissenschaftlichen, religiös-wissenschaftlichen Schulen und Einrichtungen der Alten scheidend, dürfen und müssen noch die jüdischen Prophetenschulen kurz berührt werden, welche von dem Hohepriester Samuel entweder erst neu begründet, oder dann jedenfalls erneuert und wirksam gemacht worden waren. Diese für die reinere und höhere, für die messianische oder prophetische Religion, für die religiöse Poesie und Geschichte der Juden so bedeutungsvollen und zugleich so eigenthümlichen Propheten 1) können einigermassen mit dem Bunde der Essäer verglichen werden, und waren, wollten und wirkten für die erste und ältere Zeit der Könige Aehnliches, wie, für die spätere die Essäer, - hatten auch vermuthlich und sicherlich




1) Vergl. darüber Stäudlin, Geschichte der Sittenlehre Jesu, I. S. 197 ff und 298 ff.



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ihre besondern Weihen, Grade und Pläne. Als der erste und in gewissem Sinne grösste Zögling und Sendling der Prophetenschule Samuels muss der Gegenköinig und König David angesehen werden, 1) und die Psalmen, wenngleich nur zum. kleinern Theile von David selbst herrührend, 2) sind die grosse Prophetenstimmen Davids und seiner Gesinnungsgenossen und Nachahmer, der Anfang des ächten christlichen Glaubens, wie Jonathan und David einigen Anklang an Johannes den Evangelisten und Christus in ihrer reinen Freundschaft und Liebe haben. Samuel hatte nach der Einsetzung des Königthums, welche er nicht hatte verhindern können, seine Prophetenschule geschaffen, damit die Propheten, gleich der freien Presse bei uns, nach ihrer idealen Bestimmung für den wahren Glauben, den rechten Wandel, die Interessen und die Freiheit des Volkes wachen und streiten, - den König, und das Volk durch Strafreden, durch die Erinnerung an die sicher kommenden Folgen oder die Zukunft vor Verirrung, Unrecht und Schuld bewahren möchten. Das Alterthum hatte im. Wesentlichen dieselben öffentlichen Bedürfnisse und Interessen wie die Gegenwart, aber zu ihrer Befriedigung und Erreichung nicht dieselben Mittel und nach dem ganzen Geiste und Charakter der Zeit nur religiöse oder priesterliche; die hohe Aufgabe der Presse hatten die Propheten und die Orakel, besonders auch bei den Griechen die apollinischen Orakel und vor Allem das Nationalorakel zu Delphi, übernommen. So lange die Propheten und Orakel ihre Aufgaben redlich zu erfüllen strebten und nach dem Grade ihrer Bildung zu erfüllen vermochten, blühten sie und genossen allgemeines Ansehen und Glauben; sie zerfielen und gingen unter, sobald sie nicht mehr den allgemeinen Interessen, sondern den Interessen der Einzelnen, dem Eigennutze und den Leidenschaften dienten und zugleich von der allgemeiner gewordenen und höhern Volksbildung überflügelt wurden. Die Geschichte der Orakel des Alterthums und ihrer Propheten und Prophetinnen ist




1) Stäudlin, a. a. O., I. S. 208 ff.
2) R. Weber, die Psalmen, neu aus dem hebräischen Grundtext verdeutscht und erklärt, Zürich 1855.



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nicht verschieden von der Geschichte der Klöster und Klosterschulen des Mittelalters; die gleichen Ursachen trugen sie empor und begruben sie. Vom weltgeschichtlichen Standpunkte aus sind die Propheten und Orakel des Alterthums weit weniger der Ausfluss des Aberglaubens, als die weisen und frommen Leiter, die begeisterten Führer und Sänger der Völker. Zur Zeit der Blüthe des Orakels zu Delphi sprachen die Pythia oder ihre Priester in Versen, und nachdem diese Verse durch einen Aeschylos, Sophokles und die andern grossen Volksdichter übertroffen worden waren und das Orakel stets mehr seinem Verfalle nahte, nur noch in Prosa, oder doch nicht in eigenen Versen, sondern in Versen, die dem Homer und den Tragikern entlehnt waren, 1) und selbst diese Prosa musste vor der Prosa eines Herodot, Thukydides und Xenophon, eines Plato und Aristoteles endlich verstummen. Um die Zeiten der Entstehung des Christenthums und bis dasselbe unter Constantin zur anerkannten und herrschenden Religion des römischen Reiches geworden war, übten bei den Juden und später bei den Christen die alexandrinischen jüdischen und christlichen Sibyllendichter das Prophetenamt. Bei den Juden hatten bald nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft die alten Propheten aufgehört, 2) vielleicht weil mit der Rückkehr nach Palästina und der Wiedererbauung des zweiten Tempels die messianischen Hoffnungen als erfüllt und die Leiden des jüdischen Volkes als beendigt betrachtet wurden, - vielleicht auch und wohl noch eher, weil in dem Exile eine Umänderung der jüdischen Bildung und des jüdischen Glaubens eingetreten war. In dem ersteren Sinne spricht der Herr bei dem Propheten Zacharias 8, 3: "Ich will mich wieder gegen Zion wenden und mitten in Jerusalem wohnen. Alsdann wird man Jerusalem die treue Stadt nennen, und den Berg des Herrn der Heerschaaren den heiligen Berg." Für das Letztere ist anzuführen, dass die Leiden und Entbehrungen in der babylonischen Verbannung und die glückliche Befreiung daraus jedenfalls einen bleibenden und tiefen




1) Goette, das delphische Orakel, S. 306 u. 307, Anm. 1.
2) Stäudlin, a. a. O., I. S. 350 u. S. 354 ff.



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Eindruck auf das jüdische Volk gemacht und seinen Glauben und Vertrauen auf den einzigen, allmächtigen, allgerechten und allgütigen Gott der Juden und aller Völker der Erde mächtig gestärkt hatten. Jehovah. und seine schweren Schicksalsfügungen hatten die Propheten überflüssig gemacht; wen Jehovah nicht belehren und warnen konnte, dem nützten auch die Propheten nichts. Seit Malachias erlosch der prophetische Geist. Dass jetzt schon auch das Eindringen griechischer Kenntnisse, also eine höhere Gelehrtenbildung, zum Verstummen der Propheten beigetragen habe, wie Stäudlin anführt, steht doch zu bezweifeln, obgleich beim Sturze des jüdischen Reiches allerdings viele Juden nach dem Auslande, und namentlich nach Aegypten und vielleicht auch nach den griechischen Inseln sich gewandt haben, und dort mit der griechischen Bildung bekannt geworden sein mögen. Eine Hauptsache war jedenfalls, dass der Vorstellungs- und Lehrkreis, in welchem die Propheten sich bewegten, erschöpft war und sich in keine neue Gestalt mehr einkleiden liess; nach Stäudlin lässt sich die Lehre der Propheten in den Satz zusammenfassen: Glaube an Einen Gott und halte seine Gebote.

Unter den noch bestehenden deutschen Sitten und Gebräuchen findet sich wenigstens ein unverkennbarer Ueberrest eines alten Todtendienstes, verbunden mit einem Wiederhervorgehen aus dem Grabe, wenn auch in sehr verwischter und veränderter Gestalt; es ist dieses das sogenannte Begraben der Kirmess oder Kirchweih und ihr Wiederausgraben und frohes Feiern im nächsten Jahre in den beginnenden Kirmess- oder Kirchweihtagen, wobei man sich aber zugleich wesentlich daran erinnern muss, dass am Rheine, in Kurhessen u. s. w. fast alle Kirchweihen im Spätherbst gefeiert werden, 1) wie z. B. auch in dem Kanton Zürich die Kirchweih auf den 9. September fällt. Mülhause, S. 301, beschreibt das Begraben der Kirmess in Kurhessen also:

"Einer der Platzburschen wird in einen Popanz verkleidet und von seinen Kollegen mit einem Tragkorb




1) Mülhause, Urreligion, S. 492.



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auf dem Rücken und einem Besen in der Hand vor die Häuser der Wohlhabenden geführt. Während einige Stücke gespielt werden, holt die Hausfrau Eier, Kuchen und Speck und legt diese Opfergaben in den Tragkorb. Ist der zu einem Schmause nöthige Stoff eingesammelt, so wird unter scheinbarem Weinen und Wehklagen an einem wenig besuchten Orte ein tiefes Loch in die Erde gemacht und in dasselbe eine Anzahl zerschlagener Flaschen, Gläser, etwas Kuchen, eine menschenähnliche Puppe und eine mit Branntwein gefüllte Flasche, die sogenannte Kirmessflasche, begraben. Im Kreise Homberg wird der vermummte Bursche noch mit Erbsenstroh umwickelt, um so die krank gewordene Kirmesse vorzustellen. Er wankt und schwankt, bricht zusammen, und benimmt sich überhaupt so, als würde er im nächsten Augenblicke den Geist aufgeben. Am Begräbnissorte wird das Stroh verbrannt. Während dieses Drama unter fortwährendem Weinen der Kirmessburschen und der Zuschauer aufgeführt wird, spielen die Musikanten ein Trauerstück, worauf die Versammlung ins Dorf zurückkehrt und sich zerstreut."

Wir finden hier also eine förmliche Beerdigung (des Gottes) des Lebens und der Freude unter Wehklagen, Weinen und Trauer, wobei die Geschenke, die den Leidtragenden und Beerdigenden gegeben werden, an die Stelle der früher und ursprünglich den heidnischen Priestern verabreichten Todtenopfer getreten sind. Die begrabene Branntweinflasche stellt in freilich nicht ansprechender Weise die unzerstörbare und unsterbliche Lebenskraft des dem Grabe übergebenen Gottes vor, weshalb die Feier der nächsten dreitägigen Kirmess nach dem Morgengottesdienste auch damit ihren Anfang nimmt, dass von den Kirmessburschen die vergrabene Kirmessflasche ausgegraben und geleert und dann ein Umgang durch den ganzen Ort, unter beständigem Zutrinken an Reiche und Arme, Junge und Alte aus vollen Flaschen, vorgenommen wird, zum Symbole, dass der alte Trank, die alte Freude, das verlorene Meisterwort wiedergefunden sei und unerschöpflich, unsterblich fortlebe. So viel ich mich aus meiner Jugendzeit noch erinnere, wird in den mittleren




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Rheinlanden die Kirchweih in der Weise am Fusse des Kirchweihbaumes beerdigt, dass eine Flasche rothen Weines auf die Erde gegossen, mithin ein Todtenopfer in Wein dargebracht wird (funde merum genio), wobei zum Opferplatze, zum Grabe, die Musik folgen und das letzte Stück, ein Trauerstück, aufspielen muss. Wenn im nächsten Jahre der geschmückte grüne Kirchweihbaum in die aufgegrabene Erde unter Musikbegleitung neu gesetzt ist, wenn die Fichte (und Akazie) wieder grünet, gilt die Kirchweih selbst als ausgegraben und der Gott der Freude, des Tanzes und des Weines als wiedererstanden. Wegen des Eierschmuckes, den der grüne, beblumte und bebänderte Kirchweihbaum trägt, ist derselbe auf den herbstlichen Sonnengott, auf Wuotan, Frô, Donar, den griechischen Dionysos zu deuten. Die gefüllte Flasche rothen Weines wird in den Rheinlanden (wenn immer nur die Jugenderinnerung getreu ist) an dem Kirchweihbaume zerworfen und mit dem ausgegossenen Weine in die Erde verscharrt, was in Kurhessen sich dahin gestaltet hat, dass mit der menschenähnlichen Puppe zerbrochene Flaschen und Gläser beerdigt werden. Die zerbrochenen und zerworfenen Gefässe, welche auch noch bei den Hochzeitsgebräuchen z. B. vorkommen, beruhen auf dem letzten Gedanken, dass was zum heiligen Gebrauche, zur Freude gedient hat, nicht durch profanen Gebrauch entweiht werden solle, und dass zugleich das Brechen ein Symbol des Sterbens sei. Das Zerbrechen der Flaschen und Gläser ist ein bacchantisches Grabgeläute, der wahre Kirmesstod, wie er nach den Verhältnissen kein anderer sein kann, zumal wenn man berücksichtigt, dass die Kirchweih gleichsam die einzige Jahresfreude vieler Tausender von Dorfbewohnern ist. Mülhause, a. a. O., S. 303, spricht die sehr begründete Vermuthung aus, dass die Kirmessflasche ursprünglich ein mit Meth gefülltes Horn gewesen, welches innerhalb des heiligen Haines feierlich der Erde übergeben worden. Das Kirmessfest ist seinem Ursprunge nach ein uraltes germanisches Dionysosfest, wie es vor der Einführung des Weinbaues gefeiert wurde und allein gefeiert werden konnte; um dieses zu verdrängen und zu verchristlichen, wurden die herbstlichen Kirchweihen eingeführt,




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wie der heilige Martin und sein Fest mit der Martinsgans ein ähnliches anti-wuotanisches Entstehen hat. 1) Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 87, bringt die noch jetzt zu Neujahr und zur Fastnachtszeit üblichen Mummereien und lärmenden Festgelage mit dem Frôcultus, mit dem Gotte der Freude in Verbindung, worin wir ihm nicht nur bestimmen, sondern auch die Kirmessgebräuche auf dem freudegebenden, auf den frohen Gott, - auf den bacchantischen Ebergott 2) beziehen. Das Nothfeuer, dessen Namen Grimm auf die ahd. Wurzel uniotan = stossen, reiben, zurückführt, da diese Ableitung der lateinischen Uebersetzung de igne fricato wörtlich entspricht, hat Wolf mit Frô, dem Beschützer des Viehstandes gleichfalls in sehr wahrscheinliche Verbindung gebracht; denn es wurde nicht, wie die Oster- und Johannisfeuer, zu gewissen Jahreszeiten, sondern bei herrschenden Viehseuchen und unter bestimmten abergläubischen Gebräuchen entzündet, worauf die Thiere, die Schweine voran, durch dasselbe getrieben wurden. Auch der Studentenausdruck, Schwein haben , d, i. Glück halsen, gefällig sein, das Schwein gewinnen, hat einen mythologischen Ursprung und kommt in Baiern auch bei den Erndte- und Hochzeitsgebräuchen noch heute vor. 3) Dem Frô als dem Gotte der Liebe und des Ehesegens war der Rosmarin geweiht, weshalb er auch noch heute in den mannichfachsten Beziehungen, namentlich als Hochzeits- und als Leichenschmuck gebräuchlich ist. 4) Das Trinken des Johannissegens, welcher auch in Baiern nach der Trauung den Vermählten wie den Gästen dargeboten und auf den Namen Johannes des Evangelisten jetzt getrunken wird, leitet Quitzmann, a. a. O., S. 89 und 90, von dem Trinken der Minne Frô's ab. Die schwesterliche Gattin des Frô ist die Freyja, Frouwa, das Ideal der deutschen Frau, welcher




1) Vergl. Mülhause, S. 305 ff.
2) Vergl. auch noch über den Ebercultus Schmeller, bayerisches Wörterbuch, III. S. 259 unter Sünheu.
3) Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 65, unten, S. 85 und 88 unten.
4) Quitzmann, a. a. O., S. 89.



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unter den Thieren die Katze, der Eber und der Hirsch - und unter den Bäumen die Linde, die Dorflinde, welche im eigentlichen, rechtseitigen (des Rheines) Deutschland und besonders in Türingen und Sachsen den Platz der Gemeindsversammlung, der allgemeinen Freude, der abendlichen und sonntäglichen Zusammenkünfte und besonders des Tanzes noch heute bildet, - geheiligt sind. Die Freyja mit der ihr heiligen Linde 1) und mit dem diese Linde umgebenden, gewöhnlich viereckigen, quadratförmigen Tanzplatze bestärken ausserordentlich die Vermuthung, dass ihr Bruder und Gemahl Frô der Gott und Beschützer der zechenden und tanzenden, der Meth (später Wein) und Mädchen liebenden Kirchweihbursche sei; Frô und Freyja sind die Götter der Freude, der Liebe und der Ehe, des Methes und des Tanzes, der Fruchtbarkeit (des Ebers und der Katze) und des Erndte- und des Herbstsegens. Jedoch ist dieses nur eine Betrachtungsweise des Frô und der Freyja, und im höhern Sinne sind dieselben die Sonne und der Mond, Osiris und Isis, Apollo und Artemis, überhaupt das segnende, befruchtende und allerfreuende Licht. Nach Brugsch, Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft, Bd. X. S. 661 und 680, wird auf einer Stele im Museum zu Neapel von dem Nomosgott Chnum gesagt: "sein rechtes (östliches) Auge ist die Sonnenscheibe, sein linkes (westliches) der Mond, seine Seele ist der Sonnenschein (das Licht)" und dieses sind auch Frô und Freyja, der Herr und die Herrin, der Mann und die Frau, der Gott und die Göttin in ihrer Verbindung, in ihrem Sein. Es sind die sogenannten drei kleinen oder vielmehr grossen Lichter der Maurer, - das Sterne- und Weltengewand, Gott und der Tag, das Licht oder der Himmel, deus, dies, djaus. Die Beziehung der Kirmessfeier auf die Sonnen- und Himmelsgottheiten geht übrigens auch noch aus der besonderen Sitte des nördlichen Deutschlands hervor, die Kirmessfeier am Montag einstweilen zu schliessen und sodann am Donnerstage, am Tage des Donnerers wieder zu beginnen und nunmehr erst mit dem Abend zu schliessen. 2)




1) Quitzmann, S. 126.
2) Rochholz, Schweizersagen aus dem Aargau, II. S. 202.



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Von dem Donnergotte oder vielmehr von seinem Bocke trägt auch der vorzüglichste der Frankenweine, der an der Burg zu Würzburg gewachsene Wein, den Namen Bocksbeutel und eben darauf sind die Böckereien genannten Volkslustbarkeiten und Volksmummereien zu beziehen. Eine Böckerei ist eine Bacchanterei, eine Art Dionysosfest, - in der Schweiz besonders ein Neujahrs- und Fastnachtschwank. Die Böcken, Böggen der Schweiz sind die zu allen Jahreszeiten getragenen Masken, vermummten Menschen, - die Neujahrs-, Fassnachts- und Herbstnarren. Hieran reihen sich auch die deutschen kirchlichen Schauspiele des Mittelalters, besonders die Passions- und Osterspiele, wie dieselben sich bis auf den heutigen Tag in Baiern 1) und Oesterreich erhalten haben und worüber besonders Mone, altdeutsche Schauspiele, Quedlinburg und Leipzig 1841, S. 13 ff., zu vergleichen ist. Das deutsche Schauspiel ist aus dem lateinischen Kirchendienst und Kirchenspiel hervorgegangen. Es steht zu vermuthen, dass auch diese kirchlichen Schauspiele dem Bestreben der Geistlichkeitt, die ähnlichen heidnischen Darstellungen zu verdrängen und zu ersetzen, ihren Ursprung verdanken. Sie wurden vornehmlich an drei Festtagen, die nächst der Weihnacht fielen, aufgeführt, am Stephans-, Johannes-Evangelisten- und unschuldigen Kindleinstag, vom 26. bis 28. Dezember, welche Feiertage an und für sich keine Veranlassung zu dramatischen Aufzügen haben. Zu dieser Zeit passen nur die Drei-Königsspiele, nicht die Passions- und Osterspiele, die nach den vorhandenen Stücken häufiger waren und in die Charwoche gehören. Auf diesem Ursprunge der geistlichen Schauspiele beruht es auch, dass bald zum grossen Aergernisse der Besonnenen die weltlichen Zwischenspiele, die Volkskomödie, in das geistliche Drama Eingang fanden, obgleich weder Verfasser noch Zuhörer den Willen hatten, damit den religiösen Inhalt der Stücke zu verspotten. Es ist daher nicht zu verwundern, dass diese Spiele unterdrückt wurden und jetzt ihre Handschriften sehr selten sind. Die antike und heutige dramatische Kunst beruht




1) Vergl. Schmid, das Passions-Spiel im Oberammergau, in der Gartenlaube für 1860, Nr. 24 und 35.



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darauf, die Entscheidung einer Handlung vorzubereiten und auszuführen, und da sie dieses durch persönliche Darstellung erreichen will, so muss sich ihre Dichtung in Raum, Zeit und Handlung beschränken. Die Dramatik des Mittelalters befolgt andere Grundsätze; sie bekümmert sich nicht um die dramatischen Einheiten, sondern fasst den Verlauf der Handlungen als ein Ganzes auf, welches sie von Anfang bis zum Ende in einem Entwicklungsgange darstellt, so dass erst mit der Vollendung des ganzen Cyclus der Handlungen das Drama geschlossen ist. Dieser Charakter des Drama's ist episch und zeigt sich besonders deutlich in den Schauspielen, die ihren Stoff aus dem neuen Testamente genommen haben, indem sie das Leben Christi von seiner Geburt bis an seinen Tod, die heilige Geschichte von der Auferstehung bis zur Zerstörung Jerusalems oder gar bis zum Weltende, die Prophezeiungen des alten Testamentes bis zu Christi Geburt u. s. w. enthalten. Selbst die Schauspiele über die Heiligen umfassen meistentheils ihr ganzes Leben, nicht einzelne Momente desselben. Diese Beschaffenheit des Drama's geht mit den zeichnenden Künsten des Mittelalters gleichen Schritt, die speculae humanae salvationis, die biblia pauperum, die Skulpturen an den Portalen der Kirchen, die Oelberge, die alten Gemälde u. s. w. stellen womöglich den ganzen Verlauf der heiligen Geschichte dar, sie häufen ihre Gruppen in Zwerggestalten, um die biblische Vollständigkeit zu erreichen. Die von Mone mitgetheilten Stücke betreffen Mariä Himmelfahrt, Christi Auferstehung und Fronleichnam. Die Schauspiele, welche die Auferstehung Christi behandeln, sind mit den Osterspielen gleichbedeutend und eine Fortsetzung der Passionsspiele. Sie wurden Abends und Nachts aufgeführt, weil die Grablegung Christi und die Bewachung des Grabes gegen Abend geschah, und nach dem Ritual die Auferstehung durch einen Abendgottesdienst am Charsamstag gefeiert wird. Daher auch der Name solcher Stücke: ludus de nocte paschae. Bei der grossen Feier des Ostersonntags durfte kein Schauspiel gegeben werden, den Abend vorher wurde es erlaubt, und weil der Todestag Christi schon vorüber, so durfte das Spiel, auch der nahen Auferstehung




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wegen, einen fröhlicheren Charakter annehmen, als es sonst dem religiösen Schauspiel zukam. Man findet daher bei einigen Osterspielen ein komisches Intermezzo über den Marktschreier, welcher den drei heiligen Frauen die Salben verkauft. Die nächste Veranlassung zu diesem fremdartigen und ungeeigneten Zusatze lag in den Jahrmärkten und Messen, die mit grossen Kirchenfesten abgehalten wurden. Die komischen Zwischenspiele sind planlose Bauernkomödien; sie haben mit dem Hauptstücke keinen inneren Zusammenhang und können daher eben so gut fehlen; sie drehen sich gewöhnlich um Schlägereien und haben entweder gar keine Entwickelung oder einen schlecht begründeten Ausgang. Diese kirchlichen (tragischen und komischen) Schauspiele in deutscher Sprache anstatt in der ursprünglich üblichen lateinischen zu verfassen, war wegen der als Mitspieler beigezogenen Laien, welche das Lateinische nicht verstanden, nöthig geworden.

Derartige religiöse Schauspiele sind sodann auch in den Buddhisten-Klöstern Tibets üblich und werden noch jetzt einige Male im Jahre als höhere Kirchenfeierlichkeiten mit grossem Ernst und vieler Würde in den grössern Klöstern von den Lama's oder den Mönchen der buddhistischen Klöster mit Masken und in besonderen Anzügen aufgeführt. R. Schlagintweit hat darüber am 6. Februar 1858 in der geographischen Gesellschaft zu Berlin unter Vorlegung einiger solcher Masken und eines Anzuges einen kurzen Bericht erstattet. 1) Schlagintweit berichtet:

"Der Stoff des Schauspiels ist mit wenigen Veränderungen fast immer derselbe und zwar folgender: Ein böser Geist sucht einen armen tugendhaften Mann zu überreden, eine böse That zu verrichten, z. B. zu stehlen oder zu rauben, und sucht ihn auf alle Weise zur Ausführung derselben zu bewegen. Der Versucher erscheint anfangs allein, wird aber später von einem anderen weiblichen Dämon in seinen Bestrebungen unterstützt, dessen Gestalt und Wesen jener weiblichen Person gleicht, die auch häufig in unseren Sagen erwähnt und beschrieben wird;




1) Vergl. Zeitschrift von Neumann für allgemeine Erdkunde, neue Folge IV (Berlin 1858), S. 153.



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doch auch das gute Prinzip ist in der Gestalt eines Engels vertreten, der Alles aufbietet, den Einfluss der bösen Geister zu verhindern. Der zu Versuchende scheint anfangs den Einflüsterungen der bösen Geister nicht widerstehen zu können; doch zuletzt siegt das gute Prinzip und seine moralische Stärke. Nachdem er glücklich alle Versuchungen zurückgewiesen hat, erscheint Buddha selbst, der den Tugendhaften für seine Standhaftigkeit belohnt und umringt von guten, ihm untergebenen Geistern die Versucher vertreibt . Eine Anzahl Tänze, die den Sieg des Versuchten sowie die Freude über das Vertreiben der bösen Geister darstellen, schliesst die Handlung, deren Aufführung gewöhnlich 1 - 1 1/2 Stunden Zeit in Anspruch nimmt. Von den vorgelegten Masken ist die erste, einem Lama ähnlich, diejenige, welche der zu Versuchende trägt, die rothe ist die des bösen Geistes, die dritte, mit den langen weiblichen Zöpfen, ähnlich jenen der thibetanischen Frauen, die des weiblichen Dämons, die gelbe mit den drei Augen repräsentirt Buddha und die mit dem Turbane die Engel."

In ihrem letzten Ursprunge dürfen und müssen wohl diese maskirten religiösen oder göttlichen Aufzüge auf Chaldäa, auf Assyrien und Aegypten zurückgeführt werden. Aus den assyrisch-babylonischen Denkmälern, die in neuerer Zeit ausgegraben und entdeckt worden sind, sieht man, dass es wirklich der Gebrauch der chaldäischen oder säbäischen Priester zu Babylon und Niniveh war, bei feierlichen Gelegenheiten und besonders bei Processionen die Thiermasken ihrer Götter aufzusetzen; man sieht Männer mit Flügeln und dem Kopfe des Adlers, des Löwen, mit Ochsenhörnern, sogar mit einem ganzen Fische, der vom Kopfe bis auf die Füsse herabreichend, den Rücken des Mannes deckt, welche in der Handlung des opferbringenden Priesters dargestellt sind. 1) Ebenso trugen die ägyptischen Priester bei ihren Aufzügen die Masken eines Hunde- oder Schakalkopfes, mit Hinsicht auf den Anubis, dessen Priesterthum, Wachsamkeit und Weisheit sie ver-




1) Vergl. auch Knötel, Cheops, der Pyramidenerbauer, Leipzig 1861, S. 105.



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traten, und sie hiessen daher auch seebim, d. i. Wölfe oder Schakale, ähnlich wie Hirten und Wächter. Der Anubis machte später in jeder Isisprocession den Herold und in der sullanischen Zeit rettete sich, wie Appian erzählt, ein gewisser Volusius dadurch, dass er den Hundekopf des Anubis aufsetzte und sich so als ägyptischen Priester verkleidete. 1) In gewissem Sinne ist jeder Gottesdienst ein dramatischer, indem er Gott und seinen Himmel, das Leben und Leiden, die Grösse und den Ruhm Gottes versinnlichen und namentlich der Priester der Vertreter Gottes sein soll; jedoch ist ein Gottesdienst nach dem besonderen Glauben und nach der besonderen Gelegenheit dramatischer, sinnbildlicher und darin auch ergreifender als der andere. Man denke nur an die Feier der Osterwoche zu Rom, an die Feier eines Hochamtes und einer Todtenmesse, des Christ-, des Oster-, Pfingst- und Fronleichnamsfestes bei den Katholiken überhaupt.

Ueber die indischen Mysterien, die wir hier noch glauben berühren zu sollen und die natürlich nicht blos bei den Brahmanen und Buddhisten, sondern auch bei den verschiedenen Secten derselben verschieden waren und sind, auch gewiss im Laufe der Zeiten eine grössere oder geringere Umwandlung erlitten haben, besitzen wir keine weitere Nachrichten und können deshalb einzig auf Dasjenige verweisen, was darüber Br. Leutbecher in Nr. 45 ff. der Bauhütte für 1860 berichtet hat, obwohl sein Bericht nur mit grosser Vorsicht und nicht ohne Misstrauen aufgenommen werden darf. Die indischen Mysterien, d. h. die Mysterien der indischen Brahmanen sollen vier Grade haben, welche Tschar Ascherun genannt werden. Die Mitglieder der einzelnen Grade heissen nach ihrer Reihenfolge: Brahmak' ârin, Grihastha oder nach Leutbecher Grahafta, Banperisth oder Vânaprastha, Sannjâsin oder Bhixu; es sind die vier Stadien des Lebens oder âcrama, eigentlich Ruhe, Rastort, daher auch Einsiedelei, des Gesetzbuches des Manu, 2) nämlich des Schülers (Brahmak' ârin), des Familienvaters oder Hausbewohners




1) Knötel, a. a. O., S. 103.
2) Lassen, a. a. O., I. S. 580, Anm. 2.



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(Grihastha), des Waldsiedlers (Vânaprasta) und des Niederlegers aller Neigungen (Sannjâsin) oder des von Almosen Lebenden (Bhixu), auch des Bezwingers der Sinne und der Leidenschaften (Jati). Auch die Neuplatoniker unterschieden vier Stufen priesterlicher Reinheit und Heiligkeit. 1) Die Brahmak' ârin sind die Lehrlinge, die reinen Schüler, sogar anfänglich blosse Elementarschüler der Brahmanen, weshalb die jungen Brahmanen auch schon mit dem siebten Jahre bei einem ältern Brahmanen als ihrem Lehrer und Führer, Guru, Schüler werden können, wozu sie durch Anlegung der heiligen Schnur aus drei Fäden und eines weissen Linnenkleides aufgenommen werden. Leutbecher hält die drei Fäden der heiligen Schnur für die Symbole der auch in der maurerischen Lehrlingsaufnahme erscheinenden drei Elemente der Erde, des Feuers und der Luft. Eher aber möchte die dreifache heilige Schnur sich auf die brahmanische Götterdreiheit des Brahma, Wischnu und Schiwa beziehen und den damit bekleideten zu einem Gottgeweihten machen, dem Priesterdienste weihen. Das zu dem Priesterdienste Gehörende hatte daher der Bramatschari (nach Leutbecher), der Brahmanenschüler bis zu seinem zwanzigsten Jahre zu erlernen und natürlich dabei ein priesterliches reines und büssendes Leben zu führen; das Buch des Unterrichts und des unablässigen Studiums waren die vier Veden. Ueber die Einheit und Dreieinigkeit der Gottheit konnte der Schüler erst in dem letzten Theile seiner Lehrzeit begreiflich unterrichtet werden und nicht schon war dieser Unterricht mit seiner Aufnahme verbunden, wie es nach Leutbecher scheinen könnte. Der Gerischtha (nach Leutbecher), welcher ohne Leibesfehler sein musste, ist erst der eigentliche Eingeweihte und empfängt den höhern Unterricht, besonders in der Sternkunde und Naturkunde, vielleicht auch der geheimen Lehre. Der Aufnahme zum Gerischtha gingen Prüfungen voraus, wobei die Qualen der Hölle und die Freuden des Himmels dargestellt wurden. Die Aufnahme scheint eine Lichtertheilung, eine Einführung in das Licht, eine Wiedererweckung in dem Lichte gewesen und in der Mysterien-




1) Knötel, Cheops, S. 121.



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grotte oder Höhle erfolgt zu sein. In dem Einweihungsraume soll der Einzuweihende die drei Hierophanten in ihren Prachtkleidern im Osten, Süden und Westen als die symbolischen Vertreter des Brahma, Wischnu und Schiwa, vielleicht aber des Meisters, der Sonne und des Mondes erblickt haben. Alle Eingeweihten sollen in dem zweiten Grade pyramidale Hüte getragen haben zum Zeichen, dass sie nach dem Lichte emporstreben und es durch ein lichtvolles Loben zu finden hoffen. Der Einzuweihende musste ein angemessenes Gelübde ablegen und namentlich auch Gehorsam, Treue und Verschwiegenheit geloben, nachdem für ihn zu dem grossen Gotte des Weltenalls gebetet worden war. Der Einzuweihende wurde mit Wasser besprengt, d. h. getauft und gereinigt, was mit den allgegemeinen Mysteriengebräuchen übereinstimmt. Die Mantra, welche dem Einzuweihenden nach Leutbecher in das rechte Ohr geflüstert wurde, war wohl weniger eine Anrufung der Gottheit als das heilige Wort. Dreimal habe der Einzuweihende den Grottenraum umwandeln, also drei Reisen machen und dabei angekommen, vor dem Hierophanten oder Aufseher im Süden, jedes Mal rufen müssen: "Ich folge dem Beispiel der Sonne und wandle ihren Lauf des Segens und des Siegs." Die nachgehenden Prüfungen scheinen ein Sterben und Wiederauferstehen gewesen zu sein, woher auch der Aufgenommene den Namen des Zweimalgebornen erhielt; der Aufzunehmende musste nach Leutbecher als der symbolische Vertreter des Wischnu leiden, sterben und wiederauferstehen, wobei er bis zur Wiederauferstehung oder zur symbolischen Ankunft in dem ewigen Lichte die sieben Planetensphären in sieben mystischen Grotten soll durchzogen haben. Die Lichthalle, die Kailasa, soll eine mit tausend und tausend glanzreichen Lichtern, - mit den duftreichsten Blumen, mit köstlichen Edelsteinen und Specereien erfüllte Halle gewesen sein; auf oder bei deren Altar, dem sich der Einzuweihende mit drei rechtwinkeligen Schritten, in dem maurerischen Lehrlingsschritte, zu nähern hatte, soll er dann zuletzt den strahlenden Brahma mit seinen vier Köpfen, als den Symbolen der vier Elemente und der Welt, auf der Lotosblume, dem Sinnbilde der Erde und




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der auflebenden Natur, des aus dem Tode von Neuem sich entwickelnden Lebens, der geistigen Wiedergeburt, und in den Händen die Embleme der Ewigkeit und Allmacht, den Ring und die Flamme tragend, erblickt haben. Beim Sterben, welches die eigentliche Weihe begann und dem Wandern im Tode oder durch die sieben Planetensphären vorausging, soll über den frühen Tod Kama's, des Sohnes der Maja, d. i. der täuschenden Welt, des Gottes der Blumen und der Liebe, gewehklagt worden sein und der Einzuweihende stellte vermuthlich selbst diesen Kama vor. Es wäre demnach die Weihe zum Gerischtha eine Trauerklage über den Tod mit daran sich anreihendem Freudenfeste über die Wiederauferstehung gleich der Mysterienfeier des Hiram oder der maurerischen Meisteraufnahme gewesen. Als ein Wiedergeborener soll der Gerischtha von dem Oberbrahminen einen neuen Namen, ein neues weisses Gewand und zugleich das Zeichen, den Griff und den Unterricht empfangen haben, - auch mit einem Kreuze, crux ansata, mit der Tiluka, als dem Sinnbilde der vier Hauptpunkte des Zirkels oder der vier Weltgegenden bezeichnet worden sein. Ferner soll auf seine Brust eine Setzwage gemacht worden sein zum Zeichen seiner neuen Würde, ein Sinnbild der Unschuld und Reinheit und des ewigen Lebens, und zugleich eine Hinweisung auf sein Gleichstehen mit dem höhern Priesterrange; ebenso habe er den heiligen Sasch oder Belt, einen aus dreimal drei Schnüren gemachten Strick, - den heiligen Rosenkranz, - den Kohstubh, ein magisches, auf der Brust zu tragendes Kleinod, mit Lichtstrahlen inmitten der Finsterniss, zur Abwendung von Unglücksfällen, und den Talismansstreifen für den linken Arm, beschrieben mit geheimnissvollen Worten, dienend zur Erlangung von Weisheit, Stärke und Schönheit, bekommen. Die heilige Schnur des ersten und des zweiten der brahmanischen Mysteriengrade würden sich sonach zu einander verhalten, wie der Schlag des maurerischen Lehrlings und Meisters. Endlich soll dem Grihastha auch der Salagram oder der schwarze magische Stein als Amulet gegeben worden sein, um ihm den Schutz Wischnu's zu erhalten, und der Schlangenstein - ein dem Anguinum der Druiden ähnliches Amulet -




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zur Verhütung des Schlangenbisses. Das heilige Wort des Grades sei Om gewesen. - Die Aufnahme in den dritten Grad erfolgte, nachdem die Kinder des Grihastha, welcher heirathen durfte, sich selbst versorgen konnten, jedoch niemals vor dem 42. Jahre. Der Banperisth habe sich mit seinem Weibe in die Waldeinsamkeit zurückziehen und dem Büsserleben widmen müssen, woher er nicht wieder in die Welt zurückkehren durfte. Auf der Brust und dem Arme habe der Banperisth das abwärts gerichtete, gleichseitige oder das Wasserdreieck, oder das aufwärts gerichtete, gleichseitige oder das Feuerdreieck getragen, je nachdem er sich dem Wischnu- oder Schiwadienste besonders gewidmet. Ueber die Bedeutung des Büsserlebens bei den Indern, welches sich erst nach der festen Niederlassung derselben in dem Gangeslande aus der Neigung der Brahmanen zur Contemplation entwickelt hatte, vergleiche übrigens Lassen, indische Alterthumskunde, I. S. 519 ff. Die frühesten Bestrebungen der Brahmanen in der Speculation sind uns in einer vollständigeren und unmittelbarern Form in den Upanishad bei den Indern erhalten, als bei irgend einem andern Volke, und gehören der Sprache nach der vorepischen Zeit an; in ihnen erscheinen die ersten Anfänge jener Richtung, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, um die höchste Erkenntniss zu erlangen. In dem Gesetzbuche des Manu ist das Einiedlerleben in seiner vollständig organisirten Form dargestellt. Nach dem Gesetzbuche des Manu ist es Pflicht eines jeden Brahmanen, dass der Familienvater (grihastha), wenn er Runzeln, graue Haare und Nachkommenschaft seiner Nachkommenschaft erblickt, aus dem Dorfe in dem Wald ziehe, Waldsiedler (Vânaprastha oder nach der Uebersetzung von Megasthenes ) werde. Er nimmt das heilige Feuer mit und lebt dann von Früchten, Wurzeln und Wasser, gekleidet in ein Kleid von Rinde (valkala) oder dem Felle einer schwarzen Gazelle, die fünf täglichen Opfer verrichtend, mit dem Lesen der Vêda und dem Studium der Upanishad beschäftigt und stets der Betrachtung hingegeben, zur Reinigung seines Leibes, zur Vermehrung seiner Wissenschaft und Frömmigkeit, zur Vollendung seines Geistes. Das Gesetzbuch schreibt auch ver-






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schiedene Arten von tapas, Bussübungen oder Kasteiungen zur Abtödtung der Leidenschaften vor, woher die Benennung Tâpasa für Einsiedler. Er soll durch stets gesteigerte Kasteiung seinen Körper ausdörren. Seine Frau kann er entweder mitnehmen oder bei den Söhnen zurücklassen.

In den vierten Mysteriengrad konnte zufolge Leutbecher kein Banperisth vor dem 72. Lebensjahre gelangen und zwanzigjähriges Büsserleben musste vorhergehen und alle irdischen Gedanken mussten überwunden sein, ehe er Sannjâsin oder Bhixu werden konnte. Später mag sich die Sache also gestaltet haben, aber nach dem Gesetzbuche des Manu war es noch erlaubt, mit Ueberspringung des zweiten und des dritten Stadiums aus dem ersten in das vierte überzutreten. Die Einweihung soll geschehen sein mittelst des Somaopfers, durch die Ertheilung des Kamadala, eines Gefässes, worin der Sannjâsin seine Geschlechtstheile zu baden hatte und durch die Ueberreichung des Danda, eines Stabes mit sieben Knoten. Dieser Stab habe ihn an die sieben Menu's, Maritschi, Wiradsch, Atri, Brighu, Angira, Pulastya und Wasischta erinnern sollen, von denen die drei ersten Stammväter höherer Wesen und die vier letzten Stammväter der Menschen Väter waren; auch sollte sein Anblick gegen den Einfluss böser Geister schützen und ihn auf die Wanderung seiner Seele durch die Planetenwelt hinweisen. Dem Sannjâsin sei das Hinterhaupt ganz kahl geschoren worden, zum Zeichen, dass er nicht blos der Welt ganz entsagt habe, sondern auch über alle Stufen erhaben sei. Er lebe in der Nähe der Mysterientempel von Almosen, reibe täglich seinen Körper mit Asche und sei ausser Raum und Zeit überall, wo er wolle, durch seinen Geist, der als ein verklärter, völlig befreiter, magisch auf alle Glieder der übrigen Stufen wirkt und ihm die Wohnung unter den Göttern sichert. Nach dem Gesetzbuche des Manu ist das vierte Lebensstadium eine Steigerung des dritten; der Einsiedler muss allein sein und ohne Feuer von Almosen leben; Stillschweigen beobachten und seine Gedanken stets auf den höchsten Geist richten, den Tod nicht wünschen, noch fürchten.

Was Leutbecher über die indischen Mysterienlehren




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in Nro. 46 der Bauhütte kurz bemerkt, ist den bekannten philosophischen Systemen der Inder entnommen und durchaus keine Geheimlehre, weshalb wir dasselbe hier nicht weiter berühren. Auch von sinesischen Mysterien spricht Leutbecher zuletzt, woraus blos hervorgehoben werden mag, dass die sinesischen Einweihungsgrotten, welche bei den Tempeln in der Mitte eines Hains und nahe bei einem Wasserstrome sich befanden, mit grossen Spiegeln sollen versehen gewesen sein, damit der Einzuweihende darin sich selbst schaue, wie die Gottheit sein Herz durchschaut; der Spiegel sei das Sinnbild des allsehenden Auges des Gottes Tensio-dai-Sin gewesen. Im Wesentlichen sollen die sinesischen wie auch die japanesischen Mysterien den indischen nachgebildet gewesen sein.

Auch sind hier die altbretonischen Sänger -. oder Dichterzünfte zu berühren. Will, the Poets of great Britain from Chaucer to Baily, Leipzig 1844, S. VIII der Einleitung, sagt darüber: "Die altbretonische Poesie war eine Wissenschaft im strengsten Sinne des Wortes, die noch dazu zunftmässig erlernt werden musste und nur ebenso zunftmässig ausgeübt werden durfte. Ihre Jünger waren die Träger der Wissenschaft überhaupt und die Poesie eben das Gefäss, worin sie jene aufbewahrten. Sie mussten sich wenigstens drei Jahre dem Studium derselben gewidmet haben, dann wurde ihnen erst der unterste Grad zu Theil, der eines Clerw (l. Cleruhr) oder eines fahrenden Sängers, der sich seine Zuhörer nur im niederen Volke zu suchen hatte. Wer den höchsten Grad erwerben wollte, bedurfte dazu eines zwölfjährigen Studiums. Einem Examen mussten sich Alle am Ende eines jeden Trienniums unterwerfen und von diesem und von dem Siege bei den Wettgesängen hing es ab, ob ihnen die Stufe eines Prududd oder Hof-Barden und die eines Teluwr (l. Telu-uhr) oder Barden des Mittelstandes zu Theil wurde. Ueberhaupt spielte die Zahl drei, sowohl in ihrer Hierarchie wie in der Ausübung ihrer Kunst und endlich in ihrer Poetik eine überaus wichtige Rolle. An den drei Hauptfesten am Hofe musste der Prududd singen, aber erst das dritte Lied; zwei Lieder vorher, eines zum Preise Gottes , das andere zur Verherrlichung des Fürsten, lagen dem Pencerdd (ein Barde, der den Studien




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zwölf Jahre gewidmet) vorzutragen ob. Die Form der Gesänge wurde durch die Drei bestimmt; die Strophen bestanden nur aus drei Zeilen, von denen in gewissen Gesängen die dritte didactischer Art sein musste und was dergleichen Gesetze mehr waren. Aehnlichen Gesetzen waren auch die irischen und die von diesen entsprungenen schottischen Barden unterworfen und selbst die später in England eingedrungenen nordfranzösischen Trouvères beobachteten, wenngleich mit grösserer Freiheit, gewisse überlieferte Formen in ihren Dichtungen" Diese Einrichtungen und Formen, worüber auch noch Eckermann, Bd. III, nachzusehen ist, sind unzweifelhaft ein druidischer Nachklang. Auch der in Wales nach Einführung des Christenthums an die Stelle des zerstörten Druidenordens getretene und am Ende des fünften Jahrhunderts von Merlin oder Merddin gestiftete Bardenorden zerfiel in vier Grade: 1) Dis gibliys bas, wenn ein Barde drei Jahre lang Dichtkunst und Musik studirt hatte; 2) Disgibl (discipulus) disgibliaidd, der sechsjährige; 3) Disgibl pencerd-diaidd, der neunjährige, und 4) Pencerdd oder Athro, der zwölfjährige Grad oder der Doktorgrad. 1)




1) Ersch und Gruber, Encyklopädie, I. Bd. XXVII. S. 500 a.