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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XXXVI.



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Ueber das maurerische oder das weltbürgerliche Element des Rechts- und Staatslebens.

Nur zu sehr pflegt sich die Maurerei im Gegensatze zu der Aussenwelt zu betrachten und sich diese mit ihrem Leben und Bestreben, mit ihren Gesinnungen und Ge-




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danken als etwas Profanes , d. i. minder Hohes oder gar ein Schlechtes und Niederes gegenüber zu stellen, wodurch einerseits die Maurerei häufig von der allein verdienstvollen That abgelenkt und in ein Spiel mit leeren Worten und nichtigen Gefühlen hineingedrängt wurde, andererseits aber die Welt sich für den ihr gezeigten Stolz- und Uebermuth dadurch rächte, dass sie die schwatzenden und sentimentalen Maurer für das Loben unbrauchbar erklärte und zur Seite schob. Um die Maurerei mit dem Leben und dieses mit jener zu befreunden, - um beide als in ihren höchsten und letzten Bestrebungen wesentlich dieselben zu begreifen, - um sich zu überzeugen, dass die Maurerei nur ein ein Theil eines höheren Ganzen, nur ein Strahl einer mächtigen Sonne sei, dürfte erforscht und erkannt werden, ob und inwiefern die Grundidee der Maurerei eine Idee des Menschengeschlechtes, eine Weltidee sei und in welchem Verhältnisse sie theils zu den Menschen - und der Weltgeschichte überhaupt, theils und besonders aber zu der Gegenwart stehe. - Die Grundidee der Maurerei ist nun keine andere als die Grundidee des Christenthums, die Idee der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur, die Idee des einen Gottes, des ewigen Geistes, von welchem die Menschengeister stammen und zu dem sie zurückkehren werden, vor welchem daher auch alle Menschen sich gleich sind, wie diese Idee des einen Gottes und des einen Menschengeschlechtes bei dem Verfalle und Untergange des römischen Reiches in dem israelitischen Volke zuerst ausgesprochen und hierauf an die germanischen Völker zur Verwirklichung als die Bestimmung ihres Lebens übertragen wurde. Diese Idee ist es, welche das Alterthum von der christlich-germanischen Zeit scheidet und unterscheidet, welche das Mittelalter trägt und bewegt, welche in tausend Lebensquellen die Gegenwart durchdringt und die Zukunft befruchten und gestalten wird. Seit dem Sturze und der Vernichtung der alten Welt ist die Geschichte sowohl der einzelnen Völker, wie der ganzen Menschheit nur die Geschichte Dessen, was jedes einzelne Volk und das ganze menschliche Geschlecht für die Darstellung oder Verwirklichung der Idee erstrebt und erreicht haben.




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Nicht kann es hier die Aufgabe sein, auch nur in den allgemeinsten Zügen die Idee des einen Gottes und des einen Menschenbundes nach allen Seiten hin geschichtlich zu verfolgen; nur rasch und flüchtig mag angedeutet werden, welche neue Rechts- und Staatsgrundsätze die Idee für alle Völker, für das Menschengeschlecht gebracht habe, in welcher Andeutung der Maurer in vollem Leben erschauen und bewundern wird, was oft ihm nur als schöner Traum, als unerreichbares Ideal erscheint.

In dem Alterthume kannte man nur das Recht des Staatsherrschers, wie im Oriente, oder des Staates, wie in Griechenland, oder der einzelnen Stadt- und Staatsbürger, wie in Rom; von einem Rechte der Staaten und der Menschen als Menschen hatte man kaum eine Ahnung, indem die einzelnen Staaten sich feindselig entgegenstanden und abschlossen, und ihren Bürgern gegenseitig keine Rechte ertheilten und hielten. Die allgemeinsten Rechtsideen des Alterthums waren die Idee des die Selbstständigkeit des einzelnen Bürgers aufhebenden, alles umfassenden griechischen Staates, und als der reine Gegensatz davon die Idee des souveränen, seine egoistischen Zwecke zum Staatszweck erhebenden und daher den wahren Zweck des Staates nicht achtenden Stadtbürgers; ein Staatenrecht, ein Menschenrecht sollte erst noch geboren werden. Diese Geburt hatte die Weltherrschaft des römischen Volkes vorbereitet, indem es die Völker in Afrika, Asien und vor allem in Europa in ihrer Selbstständigkeit und Besonderheit angriff und beschränkte, theilweise mit einander vermengte und zuletzt der allgemeinen Auflösung, dem gemeinsamen Grabe zuführte. In diesem geebneten und mit Volkstrümmern bedeckten Boden ward als neues Samenkorn die Idee der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur gestreuet, um von den germanischen Völkern zur Blüthe und Reife gebracht zu werden. Nach ihrem Ursprunge und nach ihrem Wesen trat die Idee zunächst als eine religiöse hervor und fand als solche ihre vollkommenste und zugleich menschlichste Verwirklichung in der katholischen Kirche, der Kirche des einen Gottes und der ganzen Menschheit mit dem Papste als dem sichtbaren Oberhaupte. Dem Papste als dem religiösen oder kirchlichen Oberhaupte der Menschheit




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stand als das weltliche oder staatliche Oberhaupt, der deutsche Kaiser, der Nachfolger des römischen Kaisers zur Seite und beider Macht war, was für die Geschichte sehr bedeutungsvoll, weniger eine Macht der rohen Gewalt, des blutigen Krieges, als der gläubigen Begeisterung, der freiwilligen Unterwerfung und der treuen Anhänglichkeit. 1) Den Gipfel ihrer Macht und Ausbildung erreichte die geistliche Universalmonarchie unter dem Papste Gregor VII., welcher den Kaiser selbst als den ersten Vasallen der Kirche und der päpstlichen Krone sich unterwarf. Schon jetzt war der rechtliche und staatliche Gesichtspunkt unendlich erweitert. Das Papst- und Kaiserthum führten die einzelnen christlichen Staaten in eine Art Staatenstaat, in die Christenheit zusammen, und die ganze Menschheit, welche an den einen grossen und ewigen Gott glaubte, folgte der Kreuzesfahne; dem Bürger des einzelnen Staates wurden zugleich als einem Christen, als einem Sohne des alle seine Kinder mit der gleichen Liebe und Güte umfassenden Vaters in allen christlichen Staaten gewisse Rechte zugestanden und es bildete sich allmälig, wenn auch kein allgemeines Staaten- und Menschen-, doch ein allgemeines Kirchen- und Christenrecht heran. Indessen in der blos kirchlichen Form konnte die Idee der Einheit, der Gottheit und der Menschheit ihre schönere Kraft und höhere Blüthe nicht entfalten, für die nach Freiheit und Selbstständigkeit ringenden Völker wurde die Kirche bald drückend und beengend; zwischen den unter und aus dem gesunkenen Kaiserthum emporgewachsenen Staaten und Völkern und zwischen der Hierarchie entspann sich bald ein langer und heftiger Kampf, welcher zuletzt zu Gunsten der Ersteren mit dem Siege in der errungenen Freiheit des Gewissens und der Vernunft endete. In diesem Kampfe musste nothwendig die Kirche aufhören, das allgemeine Band der Staaten und der Völker zu sein; die Idee des freien Glaubens und des freien Rechtes, der Freiheit in




1) Wilke in der soeben erschienenen zweiten Ausgabe seiner Geschichte des Ordens der Tempelherren, I. S. 3, sagt treffend: In dem Mönche und Ritter stellen sich die Gewalten, ja der Geist jener Zeit dar.



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Kirche und Staat war fortan das Ziel nach dessen Erreichung gerungen wurde, weshalb auch allmälig die kirchliche Monarchie sich in einen Bund der freien Völker und Staaten umwandelte, die Christenheit zur Menschheit sich erhob. Mit dem europäischen Staatensysteme, mit der europäischen Menschheit trat auch an die Stelle des frühern Kirchen- und Christenrechtes ein Staaten- und Völker-, ein Menschenrecht. Wenn es auch unterlassen werden darf und muss, die Geschichte derselben, welche nur die Geschichte der Reformation und Revolution ist, hier näher zu berühren, sollen und mögen, um ihren Inhalt und ihr Wesen darzulegen, doch drei Grundsätze des neuen Staats- und Völkerrechtes, des in seinen höchsten und letzten Bestimmungen seit Kant und Fichte sogenannten Weltbürgerrechtes noch angeführt werden. 1)

I.

Der Ausländer sei nicht schlechteren Rechtes, als der Inländer.

Aus der Idee der Menschheit oder des einen Menschengeschlechtes folgt es zunächst, dass, welchem Staate auch immer der einzelne Mensch angehören möge, er als Mensch beschützt und anerkannt werden müsse, wenn er den inländischen Boden betritt. Der Ausländer ist daher rechtlich dem Inländer im Ganzen und Wesentlichen gleichzustellen, weil sie als Menschen sich gleichstehen, weil sie Kinder desselben Gottes sind. Dieser Grundsatz ist so wichtig und folgenreich, so menschlich und so göttlich, dass bei Kant und Fichte z. B. das ganze Weltbürgerrecht aus diesem einzigen Grundsatze besteht; in der That verdient auch der Mensch nur insofern den Namen eines




1) Vergl. Kant, metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Königsberg 1797, S. 229 ff.; Fichte, Grundlage des Naturrechts, Bd. II. Jena und Leipzig 1797, S. 248 ff.; Zachariae, 40 Bücher vom Staate, 4ter Bd. Abth. 1, S. 257 ff.: Grundsätze des Weltbürgerrechts; Schäffner, Entwickelung des internationalen Privatrechts, Frankfurt a. M. 1841; Pütter, Beiträge zur Völkerrechts-Geschichte und Wissenschaft, Leipzig 1841.



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Weltbürgers, als er überall, wo immer er auf der weiten Erde weilt, in der Heimath, unter den Seinigen sich befindet. In dem Alterthum und noch heute bei rohen Stämmen und Völkern erscheint die Beschützung und Anerkennung des Fremdlings, des Ausländers nur als Gastfreundschaft, welche allein als Gunst und unter feierlichen Gebräuchen erworben und ertheilt werden; in den europäischen Staaten ist es zur Grundlage des Völker- und Staatenrechtes geworden, jeden Fremden als Gastfreund, als Menschen zu behandeln. Der afrikanische Sklave, wenn er die Küste Grossbritanniens betritt, wird frei, wird ein Mensch. Wie Vieles und Grosses indessen in dieser Beziehung die neuere Zeit auch gethan haben mag, noch ist es weit entfernt, dass der Grundsatz zur allgemeinen und durchgreifenden Geltung gelangt sei, und nichts Geringes bleibt selbst in den gebildetsten und menschlichsten Staaten der Zukunft zu vollbringen übrig. Noch ist z. B. das Einwanderungs- und Niederlassungsrecht, das Recht der Erwerbung von Grundeigenthum und von Pfandrechten an solchem, das Recht zur Fortnahme angefallener Erbschaften, das Recht zu Betreibung der Gewerbe und des Handels, das Recht zu Erwerbung des Gemeinde- und Staatsbürgerrechtes u. s. w. den Ausländern allzusehr erschwert, ja nicht selten gänzlich entzogen; überhaupt noch hat der Inländer nicht aufgehört, den Ausländer als einen ihm völlig Fremden zu betrachten und zu behandeln, ihn als einen Eindringling zu hassen und zu verbannen. Den Bruder stossen Die, welche ihr Leben, ihre Wohnung und ihren Reichthum der Güte desselben Vaters verdanken mit unerbittlichem Herzen aus dem Vaterhause; möge der Ewige sie dereinst nicht auch verstossen. Die Maurerei lehrt wenigstens den hier erwähnten Grundsatz des Weltbürgerrechtes, indem sie sagt, die Loge sei lang von Osten bis Westen, breit von Norden bis Süden, tief bis zu dem Mittelpunkt der Erde, und hoch bis zu den Sternen.




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II.

Frei sei der Handel.

Wie die Erde nicht blos einem einzelnen Volke, sondern der Menschheit zum Wohnplatze angewiesen ist, so sollen auch die Güter und Schätze der Erde allen Menschen dienen. Auf dieser Gemeinsamkeit des Güter und Schätze der Erde beruht der inhaltschwere Grundsatz der Freiheit des Handels. Die Geschichte der Idee der Menschheit, des Menschen- und Völkerrechtes ist zugleich auch die Geschichte des Handels, des Weltverkehres; fast könnte man sagen, die Natur habe ihre Gaben auf der Erde nur ungleich vertheilt, damit die Menschen sich gegenseitig suchen und finden, helfen und lieben mögen. Nicht die kleine Spanne Landes, worauf wir leben, ist uns zum Genusse allein geschenkt, die ganze, weite Erde mit allen ihren Reichthümern ist das Eigenthum jedes einzelnen Menschen; der Mensch ist ein Weltbürger, weil fünf Welttheile sich vereinen, ihm ihre Geschenke darzubringen.

III.

Frei sei das Wort und die Schrift.

Die Idee der Einheit des menschlichen Geschlechtes wird um so vollkommener dargestellt und verwirklicht, je mehr und inniger der einzelne Mensch mit seinen Gefühlen, Gedanken und Thaten in und mit der Menschheit lebt und leben kann. Was den geistigen Verkehr der Menschen hemmt, ist mit der Idee der Menschheit unvereinbar und frei muss besonders das Wort und die Schrift in dem einzelnen Staate wie zwischen allen Staaten sein. Diese Freiheit des Wortes und der Schrift hat eine Weltliteratur geschaffen, hat die Kunst und die Wissenschaft unter die Pflege und Obhut des ganzen Menschengeschlechtes gestellt und die Bildung zu einem Gemeingute der Menschheit gemacht. Ein grosser Gedanke, im entferntesten Winkel der Erde gedacht, eilt in wenigen Wochen von Volk zu Volk, von Welttheil zu Welttheil, und wird zum




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Gedanken des menschlichen Geschlechtes. Raum und Zeit haben fast aufgehört zu sein; wir leben in und mit allen Völkern der Gegenwart und der Vergangenheit und hierin liegt unsere höchste Menschlichkeit, unsere wahre Gottähnlichkeit. In dem Sohne ist Gott nicht allein zu den Menschen herabgestiegen, die Menschen haben mit dem Sohne sich auch zum Himmel erhoben.

Möge zu dem gütigen Himmel, der mit seinem Sternenglanze auch über den Maurerlogen sich wölbet, stets mehr und mehr die Maurerei, das Menschengeschlecht sich erheben.




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